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Joschka Fischers Lebensgeschichte ist die Geschichte eines verlorenen Sohnes, der sich selbst fand. In der Jugend wollte er nicht weiterlernen - und begann doch ein lebenslanges Studium als Autodidakt. Er hielt weder die Schule noch die Lehre durch, trampte durch Kuwait, verdiente sein Geld als Pflastermaler und Briefträger, als Fabrikarbeiter und Taxifahrer. Mitgerissen von der Studentenbewegung, wurde er einer ihrer Sprecher und fand schließlich den Weg zu den Grünen und in die große Politik. Aus allen Ordnungen brach er aus und lernte die demokratische Ordnung dabei schätzen. Gegen die…mehr

Produktbeschreibung
Joschka Fischers Lebensgeschichte ist die Geschichte eines verlorenen Sohnes, der sich selbst fand. In der Jugend wollte er nicht weiterlernen - und begann doch ein lebenslanges Studium als Autodidakt. Er hielt weder die Schule noch die Lehre durch, trampte durch Kuwait, verdiente sein Geld als Pflastermaler und Briefträger, als Fabrikarbeiter und Taxifahrer. Mitgerissen von der Studentenbewegung, wurde er einer ihrer Sprecher und fand schließlich den Weg zu den Grünen und in die große Politik. Aus allen Ordnungen brach er aus und lernte die demokratische Ordnung dabei schätzen. Gegen die Mächtigen kämpfte er an, um schließlich selbst nach Macht zu streben. In diesem Buch mischen sich Lebensabläufe, Momentaufnahmen und Charakterstudien zu einer aufregenden Biographie.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.03.1998

Glanz des Sonnenkönigs
Eine Biographie des Grünen-Politikers Joschka Fischer

Sibylle Krause-Burger: Joschka Fischer. Der Marsch durch die Illusionen. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1997. 255 Seiten, 39,80 Mark.

Der Lebenslauf von Joseph ("Joschka") Fischer unterscheidet sich grundlegend von denen fast aller anderen Spitzenpolitiker, was schon daran deutlich wird, daß er keinen formalen Bildungsabschluß hat, noch nicht einmal die mittlere Reife. Seine Jugend war von manchen Abbrüchen und Umbrüchen gekennzeichnet. Seine Eltern waren aus der Heimat vertriebene Ungarndeutsche; als Heranwachsender verlor er innerhalb von fünf Tagen seinen Vater und die jüngere seiner beiden Schwestern. Das Gymnasium empfand er als Schnürkorsett, seine Lehrer bezeichnet er als "Pfeifen", die ihn nicht zu motivieren verstanden. Trotz anfänglich keinesfalls schlechter Noten konnte er schließlich zwei Fünfen nicht ausgleichen und verließ mit knapp siebzehn Jahren die Schule.

Die rückblickenden Einschätzungen seiner einstigen Klassenkameraden reichen von "ein Mensch wie jeder andere" bis "der wollte schon immer die Nummer eins sein". Nur einer behauptet, Fischer habe sich schon in jener Zeit mehr als die anderen für Politik interessiert, kurzum: Er war ein Durchschnittsjunge, erfaßt von einer pubertären Durchschnittskrise. Ungewöhnlich ist in den Augen seiner Biographin Krause-Burger nur, daß er die Krise nicht in den Griff bekam und daß mit ihr die Verwandlung Fischers zu einem "Sprecher der Jugendrevolte" begann. Warum die Autorin gerade diesen Bruch als Wendepunkt zum Politischen bezeichnet, bleibt unklar. Sie nennt nämlich auch andere angebliche Schlüsselerlebnisse. So beispielsweise die Begegnung mit einem entfernt verwandten Landtagsabgeordneten. Doch sogleich stellt Frau Krause-Burger die Frage, ob Fischer allein seine Talente und verschiedene Zufälle in den Bundestag befördert haben oder ob sich tatsächlich ein Faden spinnen läßt von dieser Bekanntschaft über die "Wechselfälle" seiner jungen Jahre bis zum ersten Wahlerfolg.

Wechselfälle gab es noch einige. Eine Fotolehre brach Fischer nach einem Zerwürfnis mit dem Chef ab; als Hilfsangestellter des Arbeitsamtes hielt er aus, bis das Geld für eine Weltreise angespart war. Ein Freund führte den damals politisch angeblich eher der Jungen Union nahestehenden jungen Mann in die Künstlerkneipe "Club Voltaire" ein, "eine Miniaturzelle der Rebellion im braven Stuttgart". Dort lernte Fischer die ebenfalls noch sehr junge Edeltraud kennen, mit der er erst einmal nach Paris trampte. Die Hochzeit fand in einer Zeit, in der "Kuppelei" noch strafbar war, im schottischen Gretna Green statt. Fischers Frauen ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Drei waren es bisher, allesamt noch keine zwanzig Jahre alt, als sie ihn kennenlernten.

Doch warum erfährt man nicht mehr über Fischers Freunde aus Frankfurter Tagen? Daniel Cohn-Bendit und Tom Koenigs werden erwähnt. Cohn-Bendit war zu Sponti-Zeiten eine Art Mentor, "vielsprachig, gebildet, rhetorisch hochbegabt". Warum sitzt dann nicht er heute auf Fischers Platz? Weil zunächst auch Fischer gebildet und rhetorisch begabt ist. Ohne je einen Schein erworben zu haben, durchlief er an der Universität, so seine Biographin, eine "profunde theoretische Ausbildung". Schon als Schüler hatte er nächtelang gelesen, nun saß er in den Seminaren von Adorno und Habermas und stellte fest, daß er mit anderen intellektuell durchaus mithalten konnte.

Sein Talent als Redner ist bekannt, wird aber aufgrund seiner in dieser Hinsicht nur mäßig begabten Kollegen auch überschätzt. Das kann jedoch nicht das ganze Geheimnis seines Erfolges sein. Der Autodidakt hatte einen großen Ehrgeiz, einen starken Willen zur Selbstbestimmung und - trotz seines bewegten Lebens - einen ausgeprägten Ordnungssinn, den er auf seine Mutter zurückführt. Er kann sich quälen - Cohn-Bendit dagegen hatte keine Lust auf die Ochsentour durch die Institutionen.

Mit dem Ausdruck "Kämpfernatur" werden Politiker häufig bedacht. Bei Fischer ist diese Bezeichnung aber auch wörtlich zu nehmen: Als in der Frankfurter Szene eine Frau von einem Mitbewohner vergewaltigt wurde, kam es nicht in Frage, den "Feind", also die Polizei, zu rufen, berichtet Frau Krause-Burger. Selbstjustiz hieß die Devise, und niemand schien geeigneter als Fischer, "der so gern den Macho mimte". Er verpaßte dem Übeltäter "wohl dieses oder jenes". Über seine Zeit als Straßenkämpfer erzählt er offenbar nicht viel. Daß er Steine geworfen hat, gibt er zu.

Auch dem "katholischen Kitt" widmet Krause-Burger ein ganzes Kapitel: Bemerkenswert ist bei Fischers Vergangenheit in der Tat, daß er aus der Kirche nie austrat, da er, wie er sagt, nie eingetreten sei. Die Kirche als Machtinstitution fasziniert ihn. Ein Machtmensch ist Fischer ohne Zweifel. Das Spiel mit der Macht fasziniert ihn; wenn er etwas durchsetzen kann, ist das für ihn "Ekstase und Grenzerlebnis", und dazu gehört nicht zuletzt das Niederringen von Gegnern, deren Lebenslauf, je nach Standpunkt, geradliniger oder angepaßter ist. Eine möglicherweise entscheidende Voraussetzung für Fischers Aufstieg nennt die Autorin ganz am Ende, ohne daß dies freilich durchweg überzeugend belegt wird: daß er sich "von Gottes und der Geschichte Gnaden im Zentrum jedes Geschehens sieht - und zwar selbst dann, wenn er einmal am Rand steht". Sie folgert: "Wer sich so sonnenkönighaft erlebt, wird von anderen entsprechend hofiert, der bringt schon mit, was sich die meisten erst erarbeiten müssen."

Leider ist auch die Biographin vom Glanz des Sonnenkönigs geblendet. Wenn Krause-Burger den ehemaligen Steinewerfer Fischer allen Ernstes mit Palästinenserführer Arafat auf eine Stufe stellt ("zwei ehemalige Umstürzler, heute in der Rolle von Realpolitikern erfolgreich, und jeder von ihnen dabei ein Darsteller von Rang"), so hat das doch eher komische Züge. Und ob Fabrikarbeit und Taxifahren als "Lebens- und Erfahrungshintergrund" eines Ministers "nachträglich tatsächlich zu Heldentaten" werden, mag bezweifelt werden. REINHARD MÜLLER

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