Zu Band 1:
"... eine hervorragende, quellenmäßig ungemein umfangreiche Aufarbeitung... Das Buch ist weit mehr als eine Biographie; es zeichnet ein kirchen- und zeitgeschichtliches Porträt der deutschen Kirche im 20. Jahrhundert."
Katholische Nachrichtenagentur
Der Autor:
Norbert Trippen, Prof. Dr. theol., geb. 1936, Priester seit 1962, Promotion 1972, Habilitation 1975, 1978 Professor in Bonn, seit 1986 Domkapitular in Köln.
Kardinal Frings - im Rheinland, im ganzen katholischen Deutschland und in der Weltkirche noch heute, 25 Jahre nach seinem Tod, ein populärer, ein unvergessener Name. Der Kölner Kirchengeschichtler Norbert Trippen hat es unternommen, die große Biographie des Kölner Erzbischofs zu schreiben. Sie ist der Ertrag jahrelanger Forschungstätigkeit und - speziell für den rheinischen Raum - das Buchereignis dieses Herbstes. Josef Kardinal Frings, 1887 in Neuss geboren, erlebte und gestaltete die Zeitspanne zwischen dem Kaiserreich und der frühen Bundesrepublik. Nach dem Studium, das er wie sein Biograph in Innsbruck, Bonn und Köln absolvierte und nach der Priesterweihe 1910 war er ein Vierteljahrhundert Seelsorger in Köln, ehe er in der NS-Zeit 1937 zum Regens des Kölner Priesterseminars und 1942 zum Erzbischof ernannt wurde. Die Kölner Pfarrerjahre brachten Frings in Kontakt mit Konrad Adenauer. Die ersten Bischofsjahre in der schweren Endphase des Krieges und in der Besatzungszeit ließenden eher zurückhaltenden Frings zu dem mutig hervortretenden Oberhirten werden, als der er heute noch im Gedächtnis der Menschen lebt. Nach Ende des Krieges 1945 wurde er zum Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenzen gewählt und Anfang 1946 zum Kardinal erhoben. Er wurde in den regierungslosen Jahren 1945-49 zum Sprecher der notleidenden Bevölkerung bei den Besatzungsmächten und nahm auf die Neugestaltung von Staat und Gesellschaft intensiv Einfluss. In den fünfziger Jahren des 20.Jahrhunderts wurde Köln unter Kardinal Frings zum Zentrum modernen Kirchenbaues, vor allem aber großer weltkirchlicher Initiativen, aus denen die Hilfswerke Misereor und Adveniat hervorgingen, aber auch die Partnerschaft zwischen den Erzbistümern Köln und Tokio. Diese weltkirchlichen Initiativen und vor allem die Rolle, die Kardinal Frings (mit seinem Berater Ratzinger) auf dem II. Vatikanischen Konzil gespielt hat, werden in einem zweiten Band seiner Biographie eine umfassende Darstellung finden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
"... eine hervorragende, quellenmäßig ungemein umfangreiche Aufarbeitung... Das Buch ist weit mehr als eine Biographie; es zeichnet ein kirchen- und zeitgeschichtliches Porträt der deutschen Kirche im 20. Jahrhundert."
Katholische Nachrichtenagentur
Der Autor:
Norbert Trippen, Prof. Dr. theol., geb. 1936, Priester seit 1962, Promotion 1972, Habilitation 1975, 1978 Professor in Bonn, seit 1986 Domkapitular in Köln.
Kardinal Frings - im Rheinland, im ganzen katholischen Deutschland und in der Weltkirche noch heute, 25 Jahre nach seinem Tod, ein populärer, ein unvergessener Name. Der Kölner Kirchengeschichtler Norbert Trippen hat es unternommen, die große Biographie des Kölner Erzbischofs zu schreiben. Sie ist der Ertrag jahrelanger Forschungstätigkeit und - speziell für den rheinischen Raum - das Buchereignis dieses Herbstes. Josef Kardinal Frings, 1887 in Neuss geboren, erlebte und gestaltete die Zeitspanne zwischen dem Kaiserreich und der frühen Bundesrepublik. Nach dem Studium, das er wie sein Biograph in Innsbruck, Bonn und Köln absolvierte und nach der Priesterweihe 1910 war er ein Vierteljahrhundert Seelsorger in Köln, ehe er in der NS-Zeit 1937 zum Regens des Kölner Priesterseminars und 1942 zum Erzbischof ernannt wurde. Die Kölner Pfarrerjahre brachten Frings in Kontakt mit Konrad Adenauer. Die ersten Bischofsjahre in der schweren Endphase des Krieges und in der Besatzungszeit ließenden eher zurückhaltenden Frings zu dem mutig hervortretenden Oberhirten werden, als der er heute noch im Gedächtnis der Menschen lebt. Nach Ende des Krieges 1945 wurde er zum Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenzen gewählt und Anfang 1946 zum Kardinal erhoben. Er wurde in den regierungslosen Jahren 1945-49 zum Sprecher der notleidenden Bevölkerung bei den Besatzungsmächten und nahm auf die Neugestaltung von Staat und Gesellschaft intensiv Einfluss. In den fünfziger Jahren des 20.Jahrhunderts wurde Köln unter Kardinal Frings zum Zentrum modernen Kirchenbaues, vor allem aber großer weltkirchlicher Initiativen, aus denen die Hilfswerke Misereor und Adveniat hervorgingen, aber auch die Partnerschaft zwischen den Erzbistümern Köln und Tokio. Diese weltkirchlichen Initiativen und vor allem die Rolle, die Kardinal Frings (mit seinem Berater Ratzinger) auf dem II. Vatikanischen Konzil gespielt hat, werden in einem zweiten Band seiner Biographie eine umfassende Darstellung finden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2003Mit dem Schwert nach Bonn, warum, Eminenz?
Mit deutlicher Rede regierte der Reichsverweser das Kirchenvolk: Josef Kardinal Frings und der politische Katholizismus der Bundesrepublik / Von Patrick Bahners
Drei Zahlen führen vor Augen, daß das Leben von Josef Kardinal Frings einer abgeschlossenen Epoche angehört. Von siebenunddreißig Klassenkameraden, die mit ihm 1905 am staatlichen Gymnasium in Neuss das Abitur ablegten, wandten sich fünfzehn dem Studium der Theologie zu. Im Frühjahr 1924 bewarb sich Josef Frings, nach dem Studium in Köln, Bonn und Innsbruck und sieben Jahren als Hilfspfarrer in Köln-Fühlingen mittlerweile Religionslehrer in seiner Heimatstadt Neuss, erfolgreich um die Stelle des Pfarrers von Köln-Braunsfeld. Er war einer von dreiundzwanzig Bewerbern. Im März 1946 ließ die britische Besatzungsmacht das Elternvolk darüber abstimmen, ob die Bekenntnisschule wieder Regelschule werden sollte. In der Kölner Pfarrei St. Ursula votierten nur die Eltern von neun der mehr als zweihundertfünfzig Kinder nicht im Sinne der Kirche. Dem Papst legte der Erzbischof Jahr für Jahr einen Rechenschaftsbericht in Form eines Weihnachtsbriefes vor. Den "Ausfall der Elternabstimmung über den Charakter der Volksschulen" deutete Kardinal Frings 1946 als "Anzeichen" dafür, "daß der alte katholische Fonds im wesentlichen nicht verlorengegangen" war. Die optimistische Prognose über die Entwicklung der Zahl der Priesteramtskandidaten, die er im Weihnachtsbrief von 1950 wagte, mußte er allerdings drei Jahre später korrigieren.
Der sozialwissenschaftliche Name für das, was Frings Fonds nannte, ist Milieu. Denkungsart und Lebensweise dieses Milieus erhellt ein Zitat, mit dem Frings' Biograph Norbert Trippen die Quellen der Marienfrömmigkeit des Kardinals illustriert, der auf dem Katholikentag 1954 Deutschland dem Unbefleckten Herzen der Gottesmutter weihte. 1948 erinnerte ein Kölner Pfarrer den Erzbischof daran, "welch tiefen Eindruck wir Neusser Kapläne in Deinen Jugendjahren empfingen, wenn wir Euch wie überhaupt die ganze hl. Familie regelmäßig, besonders an den Muttergottesfesten, an der Kommunionbank vereinigt sahen". Die heilige Familie - in Neuss ein Spitzname für einen Kreis katholischer Industriellenfamilien. Wo der Anblick reicher Kirchgänger fromm stimmt - müssen da Himmlisches und Irdisches nicht heillos verquickt sein? Wenn der Pfarrer aber das Scherzwort gegenüber dem Erzbischof gebrauchen konnte, ohne sich der Blasphemie schuldig zu machen, dann setzt die bildhafte Vermischung der Sphären gerade geistige Klarheit über ihre Trennung voraus - oder allgemein gesagt, der rheinisch-katholische Humor die Festigkeit im Glauben.
Frings habe in seinen Ämtern das ausgeprägte Standesbewußtsein der Neusser Kaufmannschaft gezeigt, bemerkt sein Biograph, der selbst in einem dieser Ämter, als Regens des Kölner Priesterseminars, einer von Frings' Nachfolgern gewesen ist. Dies ist eine der ganz seltenen Aussagen des Autors über die Innenseite eines Lebens, das wir als ein öffentliches studieren, weil Frings es so geführt hat, wie es seinem Stand angemessen war - dem Stand eines Geistlichen, Bischofs und Fürsten der römischen Kirche. Ein eher gewissensängstlicher Mensch sei Frings gewesen - das ist fast die einzige psychologische Spekulation, die Trippen sich gestattet. Soviel muß dann doch gesagt sein, soll man das richtige Maß dieses Mannes nehmen, dessen Leben sich als ein Drama des Mutes darstellt.
Unvergessen ist der Freimut, mit dem Frings den Besatzungsmächten gegenübertrat, und großartig ist es, bei Trippen nachzulesen, wie listig er den Rang einzusetzen wußte, der einem Kardinalerzbischof im öffentlichen Recht der europäischen Völker gebührt. Man weiß nach Lektüre der Biographie nicht recht zu sagen, was den Überraschungskandidaten des Jahres 1942 eigentlich auf seine Führungsaufgabe vorbereitet hat, und muß sich mit der Feststellung begnügen, daß Amt und Person zusammentrafen. Was das Amt von seiner Person verlangte, das hat Frings wohl der Jubel gelehrt, der ihm auf seiner ersten Rundreise durch das Erzbistum entgegenschlug.
Als die Deutschen ohne Regierung waren, da sprach für sie der Erzbischof von Köln. Frings verwies im Rückblick auf seinen Vorgänger, den heiligen Anno, der als Reichsverweser amtiert hatte. Tatsächlich ist er auch als Bischof ein Staatsmann gewesen, wie ihn Joseph Teusch, sein Generalvikar, beschrieb, als er 1975 Norbert Feldhoff, den Generalvikar der Kardinäle Höffner und Meisner, in die Geheimnisse der Führungskunst einwies: "Wer regiert, muß auch hart sein können, das heißt, er muß ein positives Verhältnis haben zu Polizei, Justiz und Militär. Die staatliche Gewalt trägt nicht ohne Grund das Schwert."
Man muß sich heute ins Gedächtnis rufen, welche Schicksalsfrage der konfessionelle Charakter des öffentlichen Schulwesens für die katholische Kirche in Deutschland einmal markiert hat - erleben wir doch, daß Politiker die religiöse Neutralität der staatlichen Pflichtschule propagieren, die ihr Mandat der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands verdanken und häufig im Zentralkomitee der deutschen Katholiken engagiert sind. An der Gründung dieser beiden Vereinigungen, die das Verhältnis von Staat und Kirche in der Bundesrepublik maßgeblich beeinflußt haben, nahm Frings wesentlichen Anteil.
Sowohl die Partei, in der christlich denkende Politiker vereinigt sind, als auch die Standesorganisation der Laien, die katholische Grundsätze in der Öffentlichkeit zur Geltung bringen soll, haben Kompromißcharakter, vergleicht man sie mit ihren Vorgängerorganisationen oder mit Alternativmodellen in Ländern ohne konfessionelle Mischverhältnisse. Frings setzte seine Autorität für diese Kompromisse ein, in der Bischofskonferenz wie gegenüber Rom. Es ist freilich zu beachten, daß in sein Urteil über die der Zeit angemessenen institutionellen Lösungen neben prinzipiellen Erwägungen über das rechte Verhältnis von staatlicher und kirchlicher Gewalt oder Klerus und Laien entscheidend seine Annahme der unzerstörten Lebenskraft des alten katholischen Fonds einging.
Wenn der Erzbischof und seine Beamten Rekordmeldungen sammelten über die Teilnehmer am Domfest 1948, an den Wallfahrten des "marianischen Jahres" 1954 oder am Kölner Katholikentag 1956, so nahmen sie die Zahlen der Gläubigen als Zeichen des Glaubens. Obgleich in den Akten die Berichte von Pfarrern nicht fehlen, die darauf hinweisen, daß nach liturgischen Großereignissen der Gottesdienstbesuch nur kurzfristig zunahm, legt solche Bilanzenfrömmigkeit es nahe, von einer Mentalität des Wirtschaftswunderglaubens zu sprechen, die in der reichsten Diözese der Welt natürlich erscheinen mag.
Indem die Kirche vom Staat den Unterhalt der Bekenntnisschule verlangte, bestand sie auf der Garantie ungestörter Weitergabe des Glaubens. Die ungebrochene Gewißheit, im Besitz der Wahrheit zu sein, darf zur Erklärung dieser Forderung genügen. In der Einsicht, daß mit der Öffnung der Erziehung für nichtkatholische Einflüsse eine Erosion der Kirchlichkeit drohte, erkennt man aber auch einen soziologischen Realismus, der pragmatisch oder defensiv heißen mag. Der gute Hirte traf Vorkehrungen, damit die Herde beieinanderblieb. Ein umfangreiches Formular mußten die Eltern ausfüllen, die sich zur Bekenntnisschule bekennen wollten. In St. Ursula gab nur ein Zehntel der Eltern den Bogen von sich aus ab. Alle Familien, notiert die Pfarrchronik, "mußten besucht werden".
Ein ähnlicher Einsatz wurde vom Klerus auch in den Wahlkämpfen erwartet. Jedenfalls von Konrad Adenauer, der sich im November 1948 bei Frings darüber beschwerte, "daß, als ich in Honnef als Redner auftrat, die katholische Geistlichkeit in auffälliger Weise fehlte". Als Kölner Oberbürgermeister hatte Adenauer vor 1933, obwohl er nicht in Braunsfeld wohnte, die Sonntagsmesse in St. Joseph besucht. 1945 waren der Erzbischof und der von den Amerikanern wiedereingesetzte Oberbürgermeister Nachbarn in einem als Notunterkunft hergerichteten Krankenhaus. Die erste Denkschrift, die Frings im Juni 1945 Adenauer zuleitete, betraf die Schule.
Als Metropolit des Herzlandes des politischen Katholizismus, in dessen Diözese die Hauptstädte des neuen Bundes und des wichtigsten Landes lagen, und als Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenzen trug Frings dafür Sorge, daß die Bischöfe mehrheitlich der neugegründeten, überkonfessionellen CDU ihren Segen gaben und nicht den Versuchen, die 1933 untergegangene Zentrumspartei zu restaurieren. Wie ein doppelter Rückzug der Geistlichkeit aus der hohen Politik nimmt sich dieser Akt aus. Christliche Werte standen auf den Fahnen der neuen Partei, die um des konfessionellen Friedens willen nicht mit römischen Dogmen identisch sein konnten. Und einer Rückkehr des politischen Prälaten, wie er in der Zentrumsführung die Linie bestimmt hatte, stand schon der Buchstabe des Reichskonkordats entgegen. Der Siegeszug der christlichen Demokratie im Nachkriegsdeutschland ist untrennbar vom Vormarsch der Laien auch innerhalb der Kirche. Deshalb ist der Ökumenismus hierzulande ein politisches Projekt: Wenn ZdK-Funktionäre verlauten lassen, im Alltag sei die Einheit doch längst verwirklicht, könnte man meinen, sie wollten die Kirche nach dem Bild der CDU reformieren. Frings waren Schlagworte wie "Wir glauben ja doch alle an einen Gott" schon 1954 Anlaß, vor den "Gefahren" zu warnen, "die dem relativ guten Verhältnis zwischen den Konfessionen mitgegeben sind". Er dachte sich die Union als ein Zweckbündnis, das die Stabilität der konfessionellen Identitäten voraussetzte: Auch die Protestanten hatten ein Interesse an der Bekenntnisschule.
Die Anerkennung des Eigensinns der politischen Sphäre war für Frings und seine Berater nur eine Sache der Klugheit - einer Klugheit, deren Regeln der Kardinal im Übereifer vergessen konnte, wie eine nur scheinbar kuriose Episode zeigt. Die Antwort auf Adenauers Protest gegen den Boykott seiner Reden erfolgte postwendend. Mit Schreiben vom 2. November 1948 bat Frings darum, ihn "persönlich als Mitglied der CDU zu führen". Vom "Kardinalfehler" war die Rede: Während der Parlamentarische Rat über die Fortgeltung des Reichskonkordats stritt, an der die Kirche vor allem wegen der Schulbestimmungen nicht rütteln ließ, tat der Erzbischof von Köln so, als wäre er an das Verbot parteipolitischer Betätigung von Klerikern nicht gebunden. Die Bekanntgabe des von Rom befohlenen Austritts zögerte Frings bis nach Verabschiedung des Grundgesetzes hinaus. Nicht als Versuch klerikaler Einflußnahme ist die Geste bezeichnend, die den Usancen einer Honoratiorengesellschaft entsprach. Gerade umgekehrt macht sie deutlich, daß solche Einflußnahme entbehrlich war: Aus Gefälligkeit konnte Frings beitreten, weil er nicht befürchten mußte, durch einen Beschluß der Parteigremien kompromittiert zu werden und sich plötzlich auf der falschen Seite wiederzufinden.
Als politischer Berater des Erzbischofs wirkte Domkapitular Wilhelm Böhler, der seine Sporen in den Schulkämpfen der zwanziger Jahre verdient hatte. Wenn Böhler 1948 im Rahmen informeller Verhandlungen über die nordrhein-westfälische Landesverfassung ausführte, Pflicht der Kirche sei es, Grundsätze deutlich zu machen, Aufgabe der Politiker, die praktischen Folgerungen zu ziehen, so hätte sich diesen Satz auch die derzeitige Vorsitzende der CDU im Irak-Krieg zu eigen machen können. Aber Frings und seine Mitbrüder konnten sich deshalb auf die Verdeutlichung von Grundsätzen beschränken, weil sie glauben durften, daß sich aus wahren Sätzen nicht Beliebiges folgern läßt. Die katholische Lehre von der objektiven Natur des Sittengesetzes konnte in den Jahren nach 1945 als Erfahrungssatz gelten: Die Kirche hatte die Tyrannei überlebt, weil sie der Umwertung aller Werte widerstanden hatte.
An den Mahnungen, die Frings an den Präsidenten des Parlamentarischen Rates richtete, frappiert, daß der Erzbischof im Namen nicht nur der geoffenbarten Wahrheit, sondern auch einer verborgenen Mehrheit sprach. Die Legitimität politischer Repräsentation zog der Kardinal in Zweifel, wo sie die einfachen Forderungen des Gemeinsinns verdunkelte: "Wie kann eine Verfassung Sache eines ganzen Volkes werden, wenn sie von einem Gremium beschlossen wird, das sich höchstens auf einen nur indirekten und nur einschlußweisen Auftrag des Volkes berufen könnte, während das Volk selber sich dieses Auftrags nicht bewußt ist? Wie kann unser Volk zu einer wahren Demokratie erzogen werden, wenn man so über sein erstes Recht einfach hinwegschreitet?" Frings nahm also an, daß das Elternrecht wie auch die Definition der Ehe als rechtmäßiger dauernder Lebensgemeinschaft von Mann und Frau, die im Parlamentarischen Rat einem gremienüblichen Kompromiß geopfert wurden, bei einer Volksabstimmung obsiegt hätten. Der alte katholische Fonds bildete eine latente Mehrheit, weil das Sittengesetz auch der natürlichen Vernunft einleuchtete.
Daß die CSU die Verfassung ablehnte, weiß man wohl noch. Vergessen ist, daß die Bischöfe nach der Verabschiedung feierliche Rechtsverwahrung einlegten gegen die Schulbestimmungen und gegen die aus Weimar übernommenen Religionsartikel, insofern sie "mit der Stellung der Kirche als einer vom Staat unabhängigen geistlichen Gewalt unvereinbar" sind. Der Bundeskanzler beschränkte sich darauf, den Eingang des Protestes zu bestätigen. Dreiundfünfzig Jahre später sollte es der Vorsitzende der CDU Nordrhein-Westfalens für richtig halten, eine römische Erinnerung an die Definition der Ehe als Einmischung in innere Angelegenheiten zurückzuweisen.
Prälat Böhler, der die Bischöfe davon abhielt, die christlichen Parteien zur Ablehnung des Grundgesetzes aufzufordern, war auch der Architekt der Dachorganisation der organisierten Laienschaft. Die Bischöfe wünschten keine Wiederbegründung des Volksvereins für das katholische Deutschland, den seine Unabhängigkeit anfällig gemacht hatte für liberale Anwandlungen in der Schulpolitik. Andererseits schien es angeraten, den Laien größere Eigenständigkeit einzuräumen, als sie im Rahmen der "Katholischen Aktion", der "Teilnahme der Laien am hierarchischen Apostolat", in anderen Ländern üblich war. Sowohl auf die gemischtkonfessionelle Öffentlichkeit galt es Rücksicht zu nehmen als auch auf das Selbstbewußtsein einer katholischen Führungsschicht, die es gewohnt war, in ihrer konfessionell homogenen Lebenswelt den Ton anzugeben. Böhlers Lösung war eine Art synodaler Parallelhierarchie. Die deutsche Kirche erhielt einen zweiten Turm: Das Fundament bildeten örtliche Katholikenausschüsse, über denen sich Diözesankomitees erhoben, gekrönt von der Spitze, dem Zentralkomitee.
Genau wie der Rückzug der Prälaten aus den Parteivorständen setzte die institutionelle Verselbständigung des Laienelements eine Übereinstimmung im Grundbegrifflichen voraus, die steuernde Eingriffe des Lehramts zu erübrigen schien, ist doch der Begriff der katholischen Kirche nur vom Lehramt her zu verstehen. "Ein Verein von Katholiken, der jeden hierarchischen Einfluß ablehnt, ist selbstverständlich an sich möglich", schrieb Böhler 1948 an Adenauer. "Er würde aber in der heutigen Zeit nur eine beschränkte Wirkmöglichkeit haben." Es lag jenseits des Horizonts dieser Zeit, daß sich aus der Mitte von Böhlers Zentralkomitee einmal ein Verein mit dem Zweck bilden sollte, etwas zu tun, das der Papst den Bischöfen untersagt hatte.
Eindringlich warnte Böhler im Januar 1951 seinen Erzbischof, die Hoffnung der Laien auf eine Sphäre freierer Wirksamkeit nicht zu enttäuschen: "Es besteht die Gefahr, daß einmal keine Laien mehr da sind, die geeignet und gewillt sind, für katholische Grundsätze in der Öffentlichkeit einzutreten." Ob diese Gefahr durch die Gründung des ZdK dauerhaft abgewendet worden ist, hängt davon ab, was man unter katholischen Grundsätzen versteht. Heute nehmen sich die Komiteemitglieder unter Einsatz ihres bürokratischen Quasi-Amtscharismas das Recht, solche Grundsätze gegen das Lehramt selbst zu definieren. Mit dem Rückgang der Kirchlichkeit ist die soziale Basis für geborene Sprecher des Laienstandes entfallen. Wenn die Vorsitzende des Vereins "Donum Vitae" im Sinne der Mehrheit der deutschen Bischöfe zu handeln beansprucht, so stellt sie sich auf ihre Weise auf den Boden katholischer Laienarbeit, wie ihn Böhler 1950 umriß: "nie gegen die Hierarchie, nie ohne die Hierarchie, sondern stets mit der Hierarchie".
Doch wenn es Grund zum Protest der Laien gegen die Hierarchie gäbe, dann müßte er Bischöfe treffen, die mit zwei Zungen sprächen und hinterrücks ermutigten, was sie vor Papst und Welt verurteilten. Der Kardinal, der uns in den von Trippen gesichteten Akten begegnet, redet nicht anders als der Erzbischof, den die Kölner auf der Kanzel gehört haben. Es ist die erfrischende Deutlichkeit des Wortes, die dem Leser von Trippens Buch den Gedanken eingibt, dieses Verständnis des Bischofsamtes sei hoffentlich doch noch nicht Geschichte.
Norbert Trippen: "Josef Kardinal Frings (1887-1978)". Band I: Sein Wirken für das Erzbistum Köln und für die Kirche in Deutschland. Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen, Band 94. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2003. 676 S., Abb., geb., 34,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit deutlicher Rede regierte der Reichsverweser das Kirchenvolk: Josef Kardinal Frings und der politische Katholizismus der Bundesrepublik / Von Patrick Bahners
Drei Zahlen führen vor Augen, daß das Leben von Josef Kardinal Frings einer abgeschlossenen Epoche angehört. Von siebenunddreißig Klassenkameraden, die mit ihm 1905 am staatlichen Gymnasium in Neuss das Abitur ablegten, wandten sich fünfzehn dem Studium der Theologie zu. Im Frühjahr 1924 bewarb sich Josef Frings, nach dem Studium in Köln, Bonn und Innsbruck und sieben Jahren als Hilfspfarrer in Köln-Fühlingen mittlerweile Religionslehrer in seiner Heimatstadt Neuss, erfolgreich um die Stelle des Pfarrers von Köln-Braunsfeld. Er war einer von dreiundzwanzig Bewerbern. Im März 1946 ließ die britische Besatzungsmacht das Elternvolk darüber abstimmen, ob die Bekenntnisschule wieder Regelschule werden sollte. In der Kölner Pfarrei St. Ursula votierten nur die Eltern von neun der mehr als zweihundertfünfzig Kinder nicht im Sinne der Kirche. Dem Papst legte der Erzbischof Jahr für Jahr einen Rechenschaftsbericht in Form eines Weihnachtsbriefes vor. Den "Ausfall der Elternabstimmung über den Charakter der Volksschulen" deutete Kardinal Frings 1946 als "Anzeichen" dafür, "daß der alte katholische Fonds im wesentlichen nicht verlorengegangen" war. Die optimistische Prognose über die Entwicklung der Zahl der Priesteramtskandidaten, die er im Weihnachtsbrief von 1950 wagte, mußte er allerdings drei Jahre später korrigieren.
Der sozialwissenschaftliche Name für das, was Frings Fonds nannte, ist Milieu. Denkungsart und Lebensweise dieses Milieus erhellt ein Zitat, mit dem Frings' Biograph Norbert Trippen die Quellen der Marienfrömmigkeit des Kardinals illustriert, der auf dem Katholikentag 1954 Deutschland dem Unbefleckten Herzen der Gottesmutter weihte. 1948 erinnerte ein Kölner Pfarrer den Erzbischof daran, "welch tiefen Eindruck wir Neusser Kapläne in Deinen Jugendjahren empfingen, wenn wir Euch wie überhaupt die ganze hl. Familie regelmäßig, besonders an den Muttergottesfesten, an der Kommunionbank vereinigt sahen". Die heilige Familie - in Neuss ein Spitzname für einen Kreis katholischer Industriellenfamilien. Wo der Anblick reicher Kirchgänger fromm stimmt - müssen da Himmlisches und Irdisches nicht heillos verquickt sein? Wenn der Pfarrer aber das Scherzwort gegenüber dem Erzbischof gebrauchen konnte, ohne sich der Blasphemie schuldig zu machen, dann setzt die bildhafte Vermischung der Sphären gerade geistige Klarheit über ihre Trennung voraus - oder allgemein gesagt, der rheinisch-katholische Humor die Festigkeit im Glauben.
Frings habe in seinen Ämtern das ausgeprägte Standesbewußtsein der Neusser Kaufmannschaft gezeigt, bemerkt sein Biograph, der selbst in einem dieser Ämter, als Regens des Kölner Priesterseminars, einer von Frings' Nachfolgern gewesen ist. Dies ist eine der ganz seltenen Aussagen des Autors über die Innenseite eines Lebens, das wir als ein öffentliches studieren, weil Frings es so geführt hat, wie es seinem Stand angemessen war - dem Stand eines Geistlichen, Bischofs und Fürsten der römischen Kirche. Ein eher gewissensängstlicher Mensch sei Frings gewesen - das ist fast die einzige psychologische Spekulation, die Trippen sich gestattet. Soviel muß dann doch gesagt sein, soll man das richtige Maß dieses Mannes nehmen, dessen Leben sich als ein Drama des Mutes darstellt.
Unvergessen ist der Freimut, mit dem Frings den Besatzungsmächten gegenübertrat, und großartig ist es, bei Trippen nachzulesen, wie listig er den Rang einzusetzen wußte, der einem Kardinalerzbischof im öffentlichen Recht der europäischen Völker gebührt. Man weiß nach Lektüre der Biographie nicht recht zu sagen, was den Überraschungskandidaten des Jahres 1942 eigentlich auf seine Führungsaufgabe vorbereitet hat, und muß sich mit der Feststellung begnügen, daß Amt und Person zusammentrafen. Was das Amt von seiner Person verlangte, das hat Frings wohl der Jubel gelehrt, der ihm auf seiner ersten Rundreise durch das Erzbistum entgegenschlug.
Als die Deutschen ohne Regierung waren, da sprach für sie der Erzbischof von Köln. Frings verwies im Rückblick auf seinen Vorgänger, den heiligen Anno, der als Reichsverweser amtiert hatte. Tatsächlich ist er auch als Bischof ein Staatsmann gewesen, wie ihn Joseph Teusch, sein Generalvikar, beschrieb, als er 1975 Norbert Feldhoff, den Generalvikar der Kardinäle Höffner und Meisner, in die Geheimnisse der Führungskunst einwies: "Wer regiert, muß auch hart sein können, das heißt, er muß ein positives Verhältnis haben zu Polizei, Justiz und Militär. Die staatliche Gewalt trägt nicht ohne Grund das Schwert."
Man muß sich heute ins Gedächtnis rufen, welche Schicksalsfrage der konfessionelle Charakter des öffentlichen Schulwesens für die katholische Kirche in Deutschland einmal markiert hat - erleben wir doch, daß Politiker die religiöse Neutralität der staatlichen Pflichtschule propagieren, die ihr Mandat der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands verdanken und häufig im Zentralkomitee der deutschen Katholiken engagiert sind. An der Gründung dieser beiden Vereinigungen, die das Verhältnis von Staat und Kirche in der Bundesrepublik maßgeblich beeinflußt haben, nahm Frings wesentlichen Anteil.
Sowohl die Partei, in der christlich denkende Politiker vereinigt sind, als auch die Standesorganisation der Laien, die katholische Grundsätze in der Öffentlichkeit zur Geltung bringen soll, haben Kompromißcharakter, vergleicht man sie mit ihren Vorgängerorganisationen oder mit Alternativmodellen in Ländern ohne konfessionelle Mischverhältnisse. Frings setzte seine Autorität für diese Kompromisse ein, in der Bischofskonferenz wie gegenüber Rom. Es ist freilich zu beachten, daß in sein Urteil über die der Zeit angemessenen institutionellen Lösungen neben prinzipiellen Erwägungen über das rechte Verhältnis von staatlicher und kirchlicher Gewalt oder Klerus und Laien entscheidend seine Annahme der unzerstörten Lebenskraft des alten katholischen Fonds einging.
Wenn der Erzbischof und seine Beamten Rekordmeldungen sammelten über die Teilnehmer am Domfest 1948, an den Wallfahrten des "marianischen Jahres" 1954 oder am Kölner Katholikentag 1956, so nahmen sie die Zahlen der Gläubigen als Zeichen des Glaubens. Obgleich in den Akten die Berichte von Pfarrern nicht fehlen, die darauf hinweisen, daß nach liturgischen Großereignissen der Gottesdienstbesuch nur kurzfristig zunahm, legt solche Bilanzenfrömmigkeit es nahe, von einer Mentalität des Wirtschaftswunderglaubens zu sprechen, die in der reichsten Diözese der Welt natürlich erscheinen mag.
Indem die Kirche vom Staat den Unterhalt der Bekenntnisschule verlangte, bestand sie auf der Garantie ungestörter Weitergabe des Glaubens. Die ungebrochene Gewißheit, im Besitz der Wahrheit zu sein, darf zur Erklärung dieser Forderung genügen. In der Einsicht, daß mit der Öffnung der Erziehung für nichtkatholische Einflüsse eine Erosion der Kirchlichkeit drohte, erkennt man aber auch einen soziologischen Realismus, der pragmatisch oder defensiv heißen mag. Der gute Hirte traf Vorkehrungen, damit die Herde beieinanderblieb. Ein umfangreiches Formular mußten die Eltern ausfüllen, die sich zur Bekenntnisschule bekennen wollten. In St. Ursula gab nur ein Zehntel der Eltern den Bogen von sich aus ab. Alle Familien, notiert die Pfarrchronik, "mußten besucht werden".
Ein ähnlicher Einsatz wurde vom Klerus auch in den Wahlkämpfen erwartet. Jedenfalls von Konrad Adenauer, der sich im November 1948 bei Frings darüber beschwerte, "daß, als ich in Honnef als Redner auftrat, die katholische Geistlichkeit in auffälliger Weise fehlte". Als Kölner Oberbürgermeister hatte Adenauer vor 1933, obwohl er nicht in Braunsfeld wohnte, die Sonntagsmesse in St. Joseph besucht. 1945 waren der Erzbischof und der von den Amerikanern wiedereingesetzte Oberbürgermeister Nachbarn in einem als Notunterkunft hergerichteten Krankenhaus. Die erste Denkschrift, die Frings im Juni 1945 Adenauer zuleitete, betraf die Schule.
Als Metropolit des Herzlandes des politischen Katholizismus, in dessen Diözese die Hauptstädte des neuen Bundes und des wichtigsten Landes lagen, und als Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenzen trug Frings dafür Sorge, daß die Bischöfe mehrheitlich der neugegründeten, überkonfessionellen CDU ihren Segen gaben und nicht den Versuchen, die 1933 untergegangene Zentrumspartei zu restaurieren. Wie ein doppelter Rückzug der Geistlichkeit aus der hohen Politik nimmt sich dieser Akt aus. Christliche Werte standen auf den Fahnen der neuen Partei, die um des konfessionellen Friedens willen nicht mit römischen Dogmen identisch sein konnten. Und einer Rückkehr des politischen Prälaten, wie er in der Zentrumsführung die Linie bestimmt hatte, stand schon der Buchstabe des Reichskonkordats entgegen. Der Siegeszug der christlichen Demokratie im Nachkriegsdeutschland ist untrennbar vom Vormarsch der Laien auch innerhalb der Kirche. Deshalb ist der Ökumenismus hierzulande ein politisches Projekt: Wenn ZdK-Funktionäre verlauten lassen, im Alltag sei die Einheit doch längst verwirklicht, könnte man meinen, sie wollten die Kirche nach dem Bild der CDU reformieren. Frings waren Schlagworte wie "Wir glauben ja doch alle an einen Gott" schon 1954 Anlaß, vor den "Gefahren" zu warnen, "die dem relativ guten Verhältnis zwischen den Konfessionen mitgegeben sind". Er dachte sich die Union als ein Zweckbündnis, das die Stabilität der konfessionellen Identitäten voraussetzte: Auch die Protestanten hatten ein Interesse an der Bekenntnisschule.
Die Anerkennung des Eigensinns der politischen Sphäre war für Frings und seine Berater nur eine Sache der Klugheit - einer Klugheit, deren Regeln der Kardinal im Übereifer vergessen konnte, wie eine nur scheinbar kuriose Episode zeigt. Die Antwort auf Adenauers Protest gegen den Boykott seiner Reden erfolgte postwendend. Mit Schreiben vom 2. November 1948 bat Frings darum, ihn "persönlich als Mitglied der CDU zu führen". Vom "Kardinalfehler" war die Rede: Während der Parlamentarische Rat über die Fortgeltung des Reichskonkordats stritt, an der die Kirche vor allem wegen der Schulbestimmungen nicht rütteln ließ, tat der Erzbischof von Köln so, als wäre er an das Verbot parteipolitischer Betätigung von Klerikern nicht gebunden. Die Bekanntgabe des von Rom befohlenen Austritts zögerte Frings bis nach Verabschiedung des Grundgesetzes hinaus. Nicht als Versuch klerikaler Einflußnahme ist die Geste bezeichnend, die den Usancen einer Honoratiorengesellschaft entsprach. Gerade umgekehrt macht sie deutlich, daß solche Einflußnahme entbehrlich war: Aus Gefälligkeit konnte Frings beitreten, weil er nicht befürchten mußte, durch einen Beschluß der Parteigremien kompromittiert zu werden und sich plötzlich auf der falschen Seite wiederzufinden.
Als politischer Berater des Erzbischofs wirkte Domkapitular Wilhelm Böhler, der seine Sporen in den Schulkämpfen der zwanziger Jahre verdient hatte. Wenn Böhler 1948 im Rahmen informeller Verhandlungen über die nordrhein-westfälische Landesverfassung ausführte, Pflicht der Kirche sei es, Grundsätze deutlich zu machen, Aufgabe der Politiker, die praktischen Folgerungen zu ziehen, so hätte sich diesen Satz auch die derzeitige Vorsitzende der CDU im Irak-Krieg zu eigen machen können. Aber Frings und seine Mitbrüder konnten sich deshalb auf die Verdeutlichung von Grundsätzen beschränken, weil sie glauben durften, daß sich aus wahren Sätzen nicht Beliebiges folgern läßt. Die katholische Lehre von der objektiven Natur des Sittengesetzes konnte in den Jahren nach 1945 als Erfahrungssatz gelten: Die Kirche hatte die Tyrannei überlebt, weil sie der Umwertung aller Werte widerstanden hatte.
An den Mahnungen, die Frings an den Präsidenten des Parlamentarischen Rates richtete, frappiert, daß der Erzbischof im Namen nicht nur der geoffenbarten Wahrheit, sondern auch einer verborgenen Mehrheit sprach. Die Legitimität politischer Repräsentation zog der Kardinal in Zweifel, wo sie die einfachen Forderungen des Gemeinsinns verdunkelte: "Wie kann eine Verfassung Sache eines ganzen Volkes werden, wenn sie von einem Gremium beschlossen wird, das sich höchstens auf einen nur indirekten und nur einschlußweisen Auftrag des Volkes berufen könnte, während das Volk selber sich dieses Auftrags nicht bewußt ist? Wie kann unser Volk zu einer wahren Demokratie erzogen werden, wenn man so über sein erstes Recht einfach hinwegschreitet?" Frings nahm also an, daß das Elternrecht wie auch die Definition der Ehe als rechtmäßiger dauernder Lebensgemeinschaft von Mann und Frau, die im Parlamentarischen Rat einem gremienüblichen Kompromiß geopfert wurden, bei einer Volksabstimmung obsiegt hätten. Der alte katholische Fonds bildete eine latente Mehrheit, weil das Sittengesetz auch der natürlichen Vernunft einleuchtete.
Daß die CSU die Verfassung ablehnte, weiß man wohl noch. Vergessen ist, daß die Bischöfe nach der Verabschiedung feierliche Rechtsverwahrung einlegten gegen die Schulbestimmungen und gegen die aus Weimar übernommenen Religionsartikel, insofern sie "mit der Stellung der Kirche als einer vom Staat unabhängigen geistlichen Gewalt unvereinbar" sind. Der Bundeskanzler beschränkte sich darauf, den Eingang des Protestes zu bestätigen. Dreiundfünfzig Jahre später sollte es der Vorsitzende der CDU Nordrhein-Westfalens für richtig halten, eine römische Erinnerung an die Definition der Ehe als Einmischung in innere Angelegenheiten zurückzuweisen.
Prälat Böhler, der die Bischöfe davon abhielt, die christlichen Parteien zur Ablehnung des Grundgesetzes aufzufordern, war auch der Architekt der Dachorganisation der organisierten Laienschaft. Die Bischöfe wünschten keine Wiederbegründung des Volksvereins für das katholische Deutschland, den seine Unabhängigkeit anfällig gemacht hatte für liberale Anwandlungen in der Schulpolitik. Andererseits schien es angeraten, den Laien größere Eigenständigkeit einzuräumen, als sie im Rahmen der "Katholischen Aktion", der "Teilnahme der Laien am hierarchischen Apostolat", in anderen Ländern üblich war. Sowohl auf die gemischtkonfessionelle Öffentlichkeit galt es Rücksicht zu nehmen als auch auf das Selbstbewußtsein einer katholischen Führungsschicht, die es gewohnt war, in ihrer konfessionell homogenen Lebenswelt den Ton anzugeben. Böhlers Lösung war eine Art synodaler Parallelhierarchie. Die deutsche Kirche erhielt einen zweiten Turm: Das Fundament bildeten örtliche Katholikenausschüsse, über denen sich Diözesankomitees erhoben, gekrönt von der Spitze, dem Zentralkomitee.
Genau wie der Rückzug der Prälaten aus den Parteivorständen setzte die institutionelle Verselbständigung des Laienelements eine Übereinstimmung im Grundbegrifflichen voraus, die steuernde Eingriffe des Lehramts zu erübrigen schien, ist doch der Begriff der katholischen Kirche nur vom Lehramt her zu verstehen. "Ein Verein von Katholiken, der jeden hierarchischen Einfluß ablehnt, ist selbstverständlich an sich möglich", schrieb Böhler 1948 an Adenauer. "Er würde aber in der heutigen Zeit nur eine beschränkte Wirkmöglichkeit haben." Es lag jenseits des Horizonts dieser Zeit, daß sich aus der Mitte von Böhlers Zentralkomitee einmal ein Verein mit dem Zweck bilden sollte, etwas zu tun, das der Papst den Bischöfen untersagt hatte.
Eindringlich warnte Böhler im Januar 1951 seinen Erzbischof, die Hoffnung der Laien auf eine Sphäre freierer Wirksamkeit nicht zu enttäuschen: "Es besteht die Gefahr, daß einmal keine Laien mehr da sind, die geeignet und gewillt sind, für katholische Grundsätze in der Öffentlichkeit einzutreten." Ob diese Gefahr durch die Gründung des ZdK dauerhaft abgewendet worden ist, hängt davon ab, was man unter katholischen Grundsätzen versteht. Heute nehmen sich die Komiteemitglieder unter Einsatz ihres bürokratischen Quasi-Amtscharismas das Recht, solche Grundsätze gegen das Lehramt selbst zu definieren. Mit dem Rückgang der Kirchlichkeit ist die soziale Basis für geborene Sprecher des Laienstandes entfallen. Wenn die Vorsitzende des Vereins "Donum Vitae" im Sinne der Mehrheit der deutschen Bischöfe zu handeln beansprucht, so stellt sie sich auf ihre Weise auf den Boden katholischer Laienarbeit, wie ihn Böhler 1950 umriß: "nie gegen die Hierarchie, nie ohne die Hierarchie, sondern stets mit der Hierarchie".
Doch wenn es Grund zum Protest der Laien gegen die Hierarchie gäbe, dann müßte er Bischöfe treffen, die mit zwei Zungen sprächen und hinterrücks ermutigten, was sie vor Papst und Welt verurteilten. Der Kardinal, der uns in den von Trippen gesichteten Akten begegnet, redet nicht anders als der Erzbischof, den die Kölner auf der Kanzel gehört haben. Es ist die erfrischende Deutlichkeit des Wortes, die dem Leser von Trippens Buch den Gedanken eingibt, dieses Verständnis des Bischofsamtes sei hoffentlich doch noch nicht Geschichte.
Norbert Trippen: "Josef Kardinal Frings (1887-1978)". Band I: Sein Wirken für das Erzbistum Köln und für die Kirche in Deutschland. Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen, Band 94. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2003. 676 S., Abb., geb., 34,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Vor allem eines macht Patrick Bahners in seiner voraussetzungsreichen Rezension dieses bereits sehr umfassenden ersten Bandes der Biografie des Kardinals Josef Frings deutlich: es waren wahrlich andere Zeiten, in denen der Katholizismus Figuren wie ihn hervorbringen konnte. Von keinem Zweifel angekränkelt - und ja durchaus nicht unberechtigt - ist die Überzeugung von der festen Verwurzelung des Glaubens im Volk: entsprechend konnte Frings zum Sprecher der Deutschen nach dem Krieg werden, zur moralischen Autorität. Die Liberalität in der Trennung von Kirche und Staat und auch im Verhältnis zwischen Klerus und Laien ruhte noch ganz auf dem Fundament der "Annahme der unzerstörten Lebenskraft des alten katholischen Fonds". Das zeigt sich nicht zuletzt im Verhältnis zur säkularisierten Christenpartei CDU, deren Mitglied Frings trotz des Verbots "parteipolitischer Betätigung von Klerikern" werden wollte. Gerade im Wandel des Selbstverständnisses der katholischen Laien sieht der Rezensent ein deutliches Symptom der veränderten Verhältnisse: So ist aus der "synodalen Parallellhierarchie", die im Zentralkomitee gipfelt, längst eine Konkurrenzveranstaltung zur Kirche geworden - zu Frings' Zeiten noch undenkbar. Patrick Bahners verhandelt in seiner Besprechung viele Details des nachkriegsdeutschen Verhältnisses von Kirche und Staat, über die Biografie selbst hat er vor allem zu sagen, dass sie sich "psychologischer Spekulation" weitestgehend enthält und das öffentlich geführte Leben als öffentliches Leben schildert.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Zu Band 1: "... eine hervorragende, quellenmäßig ungemein umfangreiche Aufarbeitung... Das Buch ist weit mehr als eine Biographie; es zeichnet ein kirchen- und zeitgeschichtliches Porträt der deutschen Kirche im 20. Jahrhundert."
Katholische Nachrichtenagentur
Katholische Nachrichtenagentur