Am 4. September 1842 wurde in Anwesenheit König Friedrich Wilhelms IV. von Preußen und des Erzbischof-Koadjutors Johannes von Geissel die Grundsteinlegung zum Fortbau des gotischen Domes in Köln festlich begangen. Einer der wortmächtigsten Verfechter des Dombaus allerdings war bei dieser Feierlichkeit nicht anwesend, galt er doch in Preußen seit mehr als zwei Jahrzehnten als persona non grata. Dennoch ergriff Joseph Görres von München aus die Gelegenheit, sich zu Herkunft, Symbolik und Bedeutung des in Köln entstehenden "Allerteutschenhauses" aktuell zu äußern. "In seiner trümmerhaften Unvollendung, in seiner Verlassenheit, ist es ein Bild gewesen von Teutschland seit der Sprach- und Gedankenverwirrung; so werde es denn auch ein Symbol des neuen Reiches, das wir bauen wollen", hatte er in seinem berühmten Aufruf von 1814 geschrieben. Das sollte, nun aber entschieden katholisch akzentuiert, auch für die Zukunft gelten.
Das Buch, das - so Görres - die "Resultate meines Nachdenkens über die Kunst" präsentiert und seine wichtigsten Texte zum Thema enthält, hat bis heute weder in der Görres-Forschung noch der in Literatur zur Dombaubewegung des 19. Jh. wirkliche Aufmerksamkeit gefunden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Das Buch, das - so Görres - die "Resultate meines Nachdenkens über die Kunst" präsentiert und seine wichtigsten Texte zum Thema enthält, hat bis heute weder in der Görres-Forschung noch der in Literatur zur Dombaubewegung des 19. Jh. wirkliche Aufmerksamkeit gefunden.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.01.2007Gesamtdeutsche Ellipse
Die Betrachtungen von Joseph Görres über den Kölner Dom
Gäbe es ohne Joseph Görres keinen Dom in Köln? Im Jahr 1814 publizierte er einen Auftruf, die Kathedrale als Nationaldenkmal zu vollenden. Die Nation sollte aus dem "germanischen Styl", so Görres, wiedererstehen.
Die einzige Darstellung eines Nichtordinierten im gesamten Kölner Dom befindet sich im südlichen Querschiff. 1856 wurde hier "dem hochherzigen Verteidiger der katholischen Wahrheit in Deutschland" von seinen Freunden ein Denkmal in Form eines Kirchenfensters gesetzt: Joseph Görres kniet dort demütig, von seinem Namenspatron präsentiert, vor der Gottesmutter mit dem Christusknaben.
Die Ehre der bildlichen Anwesenheit im Hohen Dom wurde damit zu Recht demjenigen Manne zuteil, ohne dessen Initiative der Bau vielleicht nie vollendet worden wäre. Im Jahr 1814, noch im Rausch des Sieges über Napoleon, hatte Görres im "Rheinischen Merkur" vom 20. November 1814 einen anonymen Aufruf publiziert, den Kölner Dom als gesamtdeutsches Nationaldenkmal zu vollenden. Er griff damit eine Anregung Ernst Moritz Arndts auf, der im Juni 1814 in alttestamentlichem Donnerton megalomane Phantasien für ein potentielles Ruhmesmonument in Leipzig entwickelt hatte, das dem neu erwachten deutschen Nationalstolz ein Denkmal setzen sollte: "Das Denkmal muß draußen stehen, wo so viel Blut floß; es muß so stehen, daß es ringsum von allen Straßen gesehen werden kann, auf welchen die verbündeten Heere zur blutigen Schlacht der Entscheidung heranzogen. Soll es gesehen werden, so muß es groß und herrlich seyn, wie ein Koloß, eine Pyramide, ein Dom in Köln."
Neben dem Aufruf von 1814 hat Görres zwei weitere Schriften über den Kölner Dom verfasst: 1824/25 eine Rezension des berühmten "Domwerks" von Sulpiz Boisserée in den Heidelberger Jahrbüchern der Literatur; schließlich kurz vor der Grundsteinlegung zur Vollendung des Domes im Jahr 1842 ein Bändchen mit dem Titel "Der Dom von Köln und das Münster von Strassburg", dessen finanzieller Ertrag dem Dombau zugutekommen sollte.
Diese Textstufe, die die beiden erstgenannten in großen Teilen umfasst, ist Grundlage eines neuen Bandes der Joseph Görres Gesammelte Schriften. Bernd Wacker hat ihn kundig ediert und kommentiert und nicht nur eine beachtliche Rekonstruktionsleistung von Görres' Quellen erbracht, sondern auch die nicht übernommenen sowie die neu verfassten Textteile akribisch als Varianten nachgewiesen. Seine kenntnisreiche Einleitung bettet die görressche Domschrift in den Kontext der Gotikdiskussion der Zeit wie in ihr nationalgeschichtliches Umfeld ein.
Dieser stellenweise nur als kurios zu bezeichnende Text ist weniger als kunsthistorische Abhandlung von Interesse - vielmehr ist er ein brisantes Dokument für die Diskussionen um Nationalstil und für nationale Ideologeme der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. In welchem Stile zu bauen sei, war keine primär ästhetische, sondern eine politische Entscheidung. Das Bindeglied zwischen Stil- und Nationengeschichte stellte der Volksgeistgedanke dar, dem in aestheticis ein wabernder "Kunstgeist" entsprach. An kein deutsches Kunstwerk knüpften sich solche hochgesteckten Hoffnungen, ein Denkmal der wiederkehrenden Einheit Deutschlands werden zu können, wie an den Kölner Dom. Hatte Boisserée an die Wiedergeburt der Kunst aus dem Geiste der Gotik geglaubt, so hoffte Görres auf eine Wiedergeburt der Nation aus dem "germanischen Styl". An "teutscher Bauart" sollte das zerfallene und von Fremdherrschaft geknechtete Reich genesen. Diesen Glauben an die Gotik als deutschen Nationalstil sollte erst August Reichensperger 1845 erschüttern, als er den Grundriss der Kathedrale von Amiens als Vorbild für den Kölner Bau postulierte.
Görres' nationalistische Stilcharakterisierungen streifen bisweilen die Grenzen der Absurdität: Der genuin deutsche Ursprung der Gotik steht nicht zur Debatte, manifestiere sich doch im Gegensatz zum weichen, fließenden, effeminierten, dumpf erdgebundenen romanischen Baustil der Spitzbogenstil als scharf, aufwärts strebend, männlich, metaphysisch, erhaben und hoch. Die Tatsache, dass angeblich ein nicht mehr namentlich bekannter Deutscher die Gotik erfunden habe, ist ein erneutes Zeichen typisch deutscher Bescheidenheit. Nationale Vorurteile überblenden die Kunstbeschreibung, und die Absurdität solcher kulturalistischer Phänomene offenbart sich in dem Moment, in dem Görres sie auf die unterschiedlichen Volkssprachen überträgt: "Die ,lingua tedesca', selbst schon spitzbogig in ihrer ganzen Natur und Art, war keineswegs die Sprache des Pöbels, sie war die Sprache der Herren, die ganz Europa bezwungen hatten; sie war die der Kaiser, die weitgebietend das ganze Abendland beherrschten, und sie trat nicht farblos, blöde und bescheiden wie gegenwärtig auf; sondern ihre reich betonten, scharf accentuirten, bestimmt markirten Brustlaute wollten die Italiäner der damaligen Zeit, nach Aussage ihrer Chroniken, als die Sprache des drückendsten Hochmuthes bedünken."
Wolfgang Hardtwig hat die Debatten um den Kölner Dom in den vierziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts als Akt der Selbstbesinnung der Nation interpretiert: "Sie klärt ihre Vorstellung über ihre eigene Vergangenheit, ihre vermeintlichen Wesensmerkmale und ihre Zukunftsperspektiven; mit einem Wort: ihre Identität." Görres' nationalistisch eingefärbte Beschreibung des Kölner Domes, die weniger auf direkter Anschauung als auf der Projektion bildungsbürgerlicher Kunst- und Politikideale aus dem Geiste des Spätklassizismus beruht, propagiert für die deutsche Nation eine Vergemeinschaftung unter autoritären Vorzeichen im Sinne eines organischen Weltentwurfs neugewonnener Geschlossenheit: "Da nun die Dinge sich so hoffnungsvoll gestaltet, so findet fern und nahe jeder Geistesverwandte des Werkes sich aufgefordert, seinen Stein, in allen Kanten wohl gevieret, beizutragen, damit er willig sich in's Ganze füge."
In der Baugestalt des Domes, die er einer länglichen und mit zahlenmystischen Spekulationen durchzogenen Beschreibung unterzieht, sieht er dieses goetheanische Ideal der Einheit in der Mannigfaltigkeit in mathematisch abstrakten geometrischen Formen symbolisiert. Insbesondere die Ellipse wird ihm zur idealen Metapher einer politischen Wunschvorstellung, wenn er sie als "Vielheit in der Zweiheit, und diese wieder in der Einheit befassend" umschreibt. Der Erbauer des Kölner Domes aber muss ein Genie gewesen sein, ein "Meister aller Meister", dessen ingeniösem Geist der Gesamtplan dieses wohlgeordneten, symmetrischen, harmonischen, lebendig-plastischen, edlen, ernsterhabenen Kunstgebildes in einem "Zauberschlag" ganz und fertig vor dem geistigen Auge gestanden hat - "wie Minerva in voller Rüstung aus dem Haupte des Zeus hervorgesprungen, so aus dem Geiste seines Urhebers in ganzer Vollendung herausgegangen", "in einem Geiste gezeugt und empfangen und gezeitigt, und von vielen geschlechtslosen Arbeitsbienen am Tageslicht ausgeführt".
Die vergleichende Behandlung des Straßburger Münsters dient Görres primär dazu, diese creatio ex nihilo als umso strahlendere erstehen zu lassen. Denn während der Bau in Straßburg ein historisch gewachsener und somit notwendig mit Kompromissen behafteter sei, so "athmet" in Köln "ein Leben in dem Werke, ganz im Ganzen und ganz in jedem Gliede, in der Vielheit einfältig und in der Einfalt überreich".
Das Straßburger Münster wird damit zur Allegorie deutscher Geschichte, "wie sie in allen ihren Momenten sich begeben", der Kölner Dom aber zur "episch symbolischen Vorbildung dessen", was "Teutschland im Geiste und der Intention der alten Meister werden sollte, wäre nicht der böse Feind in die Bauherren hineingefahren, und hätte Zwietracht unter sie gesäet". Dieses organisch durchpulste Symbol deutschen Geistes ruinös zu belassen, wäre somit ein Vergehen gegen die göttliche wie die natürliche Ordnung. Der Aufruf zur Domvollendung wird damit zu einem gleichermaßen ästhetischen wie moralischen Imperativ, dem deutsche Tugend die kernige Tat folgen lassen muss.
CHRISTINE TAUBER
Joseph Görres: "Der Dom von Köln und das Münster von Strassburg". Gesammelte Schriften, Band XVII/3. Herausgegeben von Bernd Wacker. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2006. 304 S., geb., 44,- [Euro].
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Die Betrachtungen von Joseph Görres über den Kölner Dom
Gäbe es ohne Joseph Görres keinen Dom in Köln? Im Jahr 1814 publizierte er einen Auftruf, die Kathedrale als Nationaldenkmal zu vollenden. Die Nation sollte aus dem "germanischen Styl", so Görres, wiedererstehen.
Die einzige Darstellung eines Nichtordinierten im gesamten Kölner Dom befindet sich im südlichen Querschiff. 1856 wurde hier "dem hochherzigen Verteidiger der katholischen Wahrheit in Deutschland" von seinen Freunden ein Denkmal in Form eines Kirchenfensters gesetzt: Joseph Görres kniet dort demütig, von seinem Namenspatron präsentiert, vor der Gottesmutter mit dem Christusknaben.
Die Ehre der bildlichen Anwesenheit im Hohen Dom wurde damit zu Recht demjenigen Manne zuteil, ohne dessen Initiative der Bau vielleicht nie vollendet worden wäre. Im Jahr 1814, noch im Rausch des Sieges über Napoleon, hatte Görres im "Rheinischen Merkur" vom 20. November 1814 einen anonymen Aufruf publiziert, den Kölner Dom als gesamtdeutsches Nationaldenkmal zu vollenden. Er griff damit eine Anregung Ernst Moritz Arndts auf, der im Juni 1814 in alttestamentlichem Donnerton megalomane Phantasien für ein potentielles Ruhmesmonument in Leipzig entwickelt hatte, das dem neu erwachten deutschen Nationalstolz ein Denkmal setzen sollte: "Das Denkmal muß draußen stehen, wo so viel Blut floß; es muß so stehen, daß es ringsum von allen Straßen gesehen werden kann, auf welchen die verbündeten Heere zur blutigen Schlacht der Entscheidung heranzogen. Soll es gesehen werden, so muß es groß und herrlich seyn, wie ein Koloß, eine Pyramide, ein Dom in Köln."
Neben dem Aufruf von 1814 hat Görres zwei weitere Schriften über den Kölner Dom verfasst: 1824/25 eine Rezension des berühmten "Domwerks" von Sulpiz Boisserée in den Heidelberger Jahrbüchern der Literatur; schließlich kurz vor der Grundsteinlegung zur Vollendung des Domes im Jahr 1842 ein Bändchen mit dem Titel "Der Dom von Köln und das Münster von Strassburg", dessen finanzieller Ertrag dem Dombau zugutekommen sollte.
Diese Textstufe, die die beiden erstgenannten in großen Teilen umfasst, ist Grundlage eines neuen Bandes der Joseph Görres Gesammelte Schriften. Bernd Wacker hat ihn kundig ediert und kommentiert und nicht nur eine beachtliche Rekonstruktionsleistung von Görres' Quellen erbracht, sondern auch die nicht übernommenen sowie die neu verfassten Textteile akribisch als Varianten nachgewiesen. Seine kenntnisreiche Einleitung bettet die görressche Domschrift in den Kontext der Gotikdiskussion der Zeit wie in ihr nationalgeschichtliches Umfeld ein.
Dieser stellenweise nur als kurios zu bezeichnende Text ist weniger als kunsthistorische Abhandlung von Interesse - vielmehr ist er ein brisantes Dokument für die Diskussionen um Nationalstil und für nationale Ideologeme der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. In welchem Stile zu bauen sei, war keine primär ästhetische, sondern eine politische Entscheidung. Das Bindeglied zwischen Stil- und Nationengeschichte stellte der Volksgeistgedanke dar, dem in aestheticis ein wabernder "Kunstgeist" entsprach. An kein deutsches Kunstwerk knüpften sich solche hochgesteckten Hoffnungen, ein Denkmal der wiederkehrenden Einheit Deutschlands werden zu können, wie an den Kölner Dom. Hatte Boisserée an die Wiedergeburt der Kunst aus dem Geiste der Gotik geglaubt, so hoffte Görres auf eine Wiedergeburt der Nation aus dem "germanischen Styl". An "teutscher Bauart" sollte das zerfallene und von Fremdherrschaft geknechtete Reich genesen. Diesen Glauben an die Gotik als deutschen Nationalstil sollte erst August Reichensperger 1845 erschüttern, als er den Grundriss der Kathedrale von Amiens als Vorbild für den Kölner Bau postulierte.
Görres' nationalistische Stilcharakterisierungen streifen bisweilen die Grenzen der Absurdität: Der genuin deutsche Ursprung der Gotik steht nicht zur Debatte, manifestiere sich doch im Gegensatz zum weichen, fließenden, effeminierten, dumpf erdgebundenen romanischen Baustil der Spitzbogenstil als scharf, aufwärts strebend, männlich, metaphysisch, erhaben und hoch. Die Tatsache, dass angeblich ein nicht mehr namentlich bekannter Deutscher die Gotik erfunden habe, ist ein erneutes Zeichen typisch deutscher Bescheidenheit. Nationale Vorurteile überblenden die Kunstbeschreibung, und die Absurdität solcher kulturalistischer Phänomene offenbart sich in dem Moment, in dem Görres sie auf die unterschiedlichen Volkssprachen überträgt: "Die ,lingua tedesca', selbst schon spitzbogig in ihrer ganzen Natur und Art, war keineswegs die Sprache des Pöbels, sie war die Sprache der Herren, die ganz Europa bezwungen hatten; sie war die der Kaiser, die weitgebietend das ganze Abendland beherrschten, und sie trat nicht farblos, blöde und bescheiden wie gegenwärtig auf; sondern ihre reich betonten, scharf accentuirten, bestimmt markirten Brustlaute wollten die Italiäner der damaligen Zeit, nach Aussage ihrer Chroniken, als die Sprache des drückendsten Hochmuthes bedünken."
Wolfgang Hardtwig hat die Debatten um den Kölner Dom in den vierziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts als Akt der Selbstbesinnung der Nation interpretiert: "Sie klärt ihre Vorstellung über ihre eigene Vergangenheit, ihre vermeintlichen Wesensmerkmale und ihre Zukunftsperspektiven; mit einem Wort: ihre Identität." Görres' nationalistisch eingefärbte Beschreibung des Kölner Domes, die weniger auf direkter Anschauung als auf der Projektion bildungsbürgerlicher Kunst- und Politikideale aus dem Geiste des Spätklassizismus beruht, propagiert für die deutsche Nation eine Vergemeinschaftung unter autoritären Vorzeichen im Sinne eines organischen Weltentwurfs neugewonnener Geschlossenheit: "Da nun die Dinge sich so hoffnungsvoll gestaltet, so findet fern und nahe jeder Geistesverwandte des Werkes sich aufgefordert, seinen Stein, in allen Kanten wohl gevieret, beizutragen, damit er willig sich in's Ganze füge."
In der Baugestalt des Domes, die er einer länglichen und mit zahlenmystischen Spekulationen durchzogenen Beschreibung unterzieht, sieht er dieses goetheanische Ideal der Einheit in der Mannigfaltigkeit in mathematisch abstrakten geometrischen Formen symbolisiert. Insbesondere die Ellipse wird ihm zur idealen Metapher einer politischen Wunschvorstellung, wenn er sie als "Vielheit in der Zweiheit, und diese wieder in der Einheit befassend" umschreibt. Der Erbauer des Kölner Domes aber muss ein Genie gewesen sein, ein "Meister aller Meister", dessen ingeniösem Geist der Gesamtplan dieses wohlgeordneten, symmetrischen, harmonischen, lebendig-plastischen, edlen, ernsterhabenen Kunstgebildes in einem "Zauberschlag" ganz und fertig vor dem geistigen Auge gestanden hat - "wie Minerva in voller Rüstung aus dem Haupte des Zeus hervorgesprungen, so aus dem Geiste seines Urhebers in ganzer Vollendung herausgegangen", "in einem Geiste gezeugt und empfangen und gezeitigt, und von vielen geschlechtslosen Arbeitsbienen am Tageslicht ausgeführt".
Die vergleichende Behandlung des Straßburger Münsters dient Görres primär dazu, diese creatio ex nihilo als umso strahlendere erstehen zu lassen. Denn während der Bau in Straßburg ein historisch gewachsener und somit notwendig mit Kompromissen behafteter sei, so "athmet" in Köln "ein Leben in dem Werke, ganz im Ganzen und ganz in jedem Gliede, in der Vielheit einfältig und in der Einfalt überreich".
Das Straßburger Münster wird damit zur Allegorie deutscher Geschichte, "wie sie in allen ihren Momenten sich begeben", der Kölner Dom aber zur "episch symbolischen Vorbildung dessen", was "Teutschland im Geiste und der Intention der alten Meister werden sollte, wäre nicht der böse Feind in die Bauherren hineingefahren, und hätte Zwietracht unter sie gesäet". Dieses organisch durchpulste Symbol deutschen Geistes ruinös zu belassen, wäre somit ein Vergehen gegen die göttliche wie die natürliche Ordnung. Der Aufruf zur Domvollendung wird damit zu einem gleichermaßen ästhetischen wie moralischen Imperativ, dem deutsche Tugend die kernige Tat folgen lassen muss.
CHRISTINE TAUBER
Joseph Görres: "Der Dom von Köln und das Münster von Strassburg". Gesammelte Schriften, Band XVII/3. Herausgegeben von Bernd Wacker. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2006. 304 S., geb., 44,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Die Schriften zum Kölner Dom von Joseph Görres scheinen es in sich zu haben. Halb entsetzt, halb amüsiert beschreibt Rezensentin Christine Tauber, mit welch nationalistischer Verve der Hochschullehrer und katholische Publizist Görres die Fertigstellung des Doms 1814 als Symbol für die Wiedergeburt der deutschen Nation aus dem "germanischen Styl" forderte. Klarer Fall für Görres, dass die Gotik in Deutschland erfunden wurde und dem Erbauer des Doms, ein "Meister aller Meister", das ganze erhabene Bauwerk aus dem Kopfe gesprungen ist wie "Minerva in voller Rüstung aus dem Haupte des Zeus", zitiert Tauber. Der Vergleich mit dem Straßburger Münster diene Görres denn auch nur dazu, ihn als eine Art gemeinschaftliches Stückelwerk - wie es lange Zeit ja auch Deutschland war - darzustellen, von dem sich der vollendete Dom glanzvoll abhebt. Absurd findet die Rezensentin diese Schriften oft, aber als "brisantes Dokument für die Diskussionen um Nationalstil und nationale Ideologeme" im 19. Jahrhunderts kann sie sie durchaus empfehlen. Zumal der Band von Bernd Wacker "kundig" editiert und "kenntnisreich" eingeleitet worden sei.
© Perlentaucher Medien GmbH
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