Es gilt, einen der einflussreichsten Publizisten und Denker des 19. Jahrhunderts wiederzuentdecken. Diese Biografie widmet sich Leben und Werk des großen Publizisten und Gelehrten Joseph Görres (1776-1848), eines ebenso außergewöhnlichen wie umstrittenen Mannes, der allen Widerständen zum Trotz für seine Ideale von Freiheit und Gerechtigkeit kämpfte. In seinem facettenreichen Leben spiegelt sich die Geschichte Deutschlands zwischen den Revolutionen von 1789 und 1848 wider. Joseph Görres gilt als Vordenker des politischen Katholizismus und als Repräsentant der Heidelberger Romantik. Doch er begann als radikaler Propagandist der Französischen Revolution. Als Stimme Deutschlands gegen Napoleon im von ihm begründeten »Rheinischen Merkur« wurde er berühmt, seine Kritik am preußischen Beamtenstaat brachte ihn ins Exil. Als Universitätsprofessor in München wurde er zum Vorkämpfer für die Unabhängigkeit der katholischen Kirche in Deutschland gegenüber staatlichen Übergriffen. Seine Kampfschrift "Athanasius" wurde ein Markstein in der Geschichte des deutschen Katholizismus. In vielen Disziplinen war er zu Hause, in den Naturwissenschaften, in der Philosophie, in der Geschichte. Er beschäftigte sich mit mittelalterlichen Handschriften, persischen Epen, mystischen und parapsychologischen Phänomenen, getrieben von rastloser Neugier und Begeisterung. In seinen wissenschaftlichen wie in seinen publizistischen Arbeiten faszinierte er durch eine lebendige bilderreiche und poetische Sprache. Sein Leben lang war er erfüllt von prophetischem Sendungsbewusstsein und kompromisslosem Kampfgeist. Dabei blieb er trotz aller Wandlungen sich selbst stets treu und ging unbeirrt seinen eigenen Weg. Nach ihm wurde die Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft benannt.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Auch wenn das Werk des eher unbekannten Romantikers Joseph Görres dem Rezensenten Thomas Meissner "unrettbar zeitgebunden" erscheint - die von Monika Fink-Lang laut Meissner sorgfältig und faktenreich erarbeitete Biografie des Zeitgenossen Eichendorffs und Brentanos hat es in sich. Für den Rezensenten liegt das an den permanenten politischen Umbrüchen, die Görres' Zeit und damit seinen Lebensweg vom Republikaner zum Katholiken geprägt haben. Atemlos folgt Meissner den Geschehnissen und staunt über Görres' Eifer und Sendungsbewusstsein als Publizist gegen Napoleon. Görres' spannungsreichen Weg von Koblenz über Heidelberg und Straßburg nach München vermag die Autorin für Meissner spannend genug nachzuzeichnen.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.01.2014Wenn Paris die hohen Hoffnungen enttäuscht, bleibt doch immer noch Rom
Vom "Rothen Blatt" zu Vielbändigem über die christliche Mystik: Monika Fink-Lang widmet dem Publizisten Joseph Görres eine exzellente Biographie
"Heidelberg ist selbst eine prächtige Romantik; da umschlingt der Frühling Haus und Hof und alles Gewöhnliche mit Reben und Blumen, und erzählen Burgen ein wunderbares Märchen der Vorzeit, als gäb es nichts Gemeines auf der Welt. Aber es trat gerade damals in Heidelberg noch eine ganz besondere Macht hinzu, um jene glückliche Stimmung zu vertiefen. Es hauste dort ein einsiedlerischer Zauberer, Himmel und Erde, Vergangenheit und Zukunft mit seinen magischen Kreisen umschreibend - das war Görres."
Joseph von Eichendorffs späte Erinnerungen an seine Studentenzeit in Heidelberg liefern nicht nur die klassische Beschreibung jener zwei Jahre, als Heidelberg zum Zentrum der literarischen Romantik avancierte, sondern enthalten auch das berühmteste Porträt von Joseph Görres. Innerhalb des Heidelberger Dreigestirns Clemens Brentano, Achim von Arnim und Joseph Görres ist Letzterer jedoch der große Unbekannte geblieben, trotz Eichendorffs hymnischer Worte. Dass hier ein ebenso spannender wie spannungsreicher Lebenslauf zu entdecken ist, der weit über jede epochale Vereinnahmung hinausgeht, zeigt Monika Fink-Lang in ihrer gründlichen Biographie, die einer Pionierleistung gleichkommt.
Die Ursprünge von Görres liegen in Koblenz. 1776 als Sohn eines Holzhändlers geboren, war ihm die spätere Karriere nicht in die Wiege gelegt. Entscheidend für seine Prägung war Monika Fink-Lang zufolge weniger seine Familie, in der er sich früh als Außenseiter fühlte, sondern vielmehr das Gymnasium, wo er durch engagierte Lehrer mit den Ideen der Aufklärung in Kontakt kam und diese begierig in sich aufsog. Kein Wunder, dass er die Revolution im nahen Nachbarland Frankreich begeistert begrüßte und selbst zu republikanischen Idealen tendierte.
Neben seinen naturwissenschaftlichen Interessen wurde früh seine publizistische Begabung sichtbar, sei es bei Reden in der patriotischen Gesellschaft, sei es durch die Herausgabe einer eigenen Zeitung bereits im Jahr 1798. Hier, im "Rothen Blatt", verkündet er voller Enthusiasmus: "Ich glaube an ein immerwährendes Fortschreiten der Menschheit zum Ideale der Kultur und Humanität." Gleichzeitig war er aber nicht blind für politische Missstände und übte zum Beispiel scharfe Kritik an den französischen Beamten, die im Zuge der Expansion Frankreichs in die Region kamen.
Zum Wendepunkt seines Frankreich-Bildes wird das Jahr 1799. Görres ist Teil einer Delegation, die in Paris die schnelle Reunion der Rheinlande mit Frankreich und damit eine rechtliche Gleichstellung erreichen soll. Die Großstadt Paris wird zu einem Schockerlebnis, und an einen politischen Erfolg ist nicht zu denken - Napoleon putscht sich soeben an die Macht, und den Republikanern fehlt damit ein gleichgesinnter Ansprechpartner. "Alle meine Verhältnisse sind verrückt, alle meine Beziehungen geändert", befindet Görres frustriert und hält den "Zweck der Revolution" nun für "gänzlich verfehlt". Der Rückzug ins Privatleben und die Begründung einer bürgerlichen Existenz mit Heirat und Anstellung am Gymnasium sind seine persönlichen Antworten darauf. Gleichzeitig erscheinen seine ersten größeren Arbeiten, wie zum Beispiel "Glauben und Wissen", die sich allesamt durch bilderreichen Stil und einen umfassenden, die Fachgrenzen überschreitenden Anspruch auszeichnen - aus heutiger Sicht ein wenig wissenschaftlicher Ansatz, der nicht zuletzt Folge seiner fehlenden akademischen Ausbildung ist.
Die berühmte Heidelberger Zeit von 1806 bis 1808 ist, biographisch gesehen, nicht mehr als eine kurze Episode, die zudem mit dem Scheitern des Seiteneinsteigers im akademischen Betrieb endet. Lustvoll stürzt er sich in programmatische Scharmützel, etwa mit den Klassizisten um Voß, oder lässt sich von Arnims und Brentanos Liedersammlung "Des Knaben Wunderhorn" zu ähnlichen Projekten inspirieren, etwa zu seinen "Teutschen Volksbüchern". Gleichwohl kehrt er 1808 nach Koblenz ans Gymnasium zurück, und der Heidelberger Dekan empfiehlt seinem Nachfolger, er solle die Studenten "vernünftig denken" lehren - bei Görres kam das in seinen Augen offensichtlich zu kurz. Zahlreiche Buchprojekte begleiten die folgenden Jahre und sind eine Folge der inspirierenden Heidelberger Zeit, wovon die "Mythengeschichte der asiatischen Welt" am weitesten auf Görres' weitere Biographie vorausweist.
Das Jahr 1814 begründet mit der Herausgabe des "Rheinischen Merkur" endgültig Görres' überregionale Geltung. Voller Feuereifer und Sendungsbewusstsein wirft er sich publizistisch in den Kampf gegen Napoleon und rührt die nationale Trommel, was von Preußen so lange befördert wird, wie es für den Kriegserfolg hilfreich ist. Die Forderung nach völliger Zensurfreiheit, das Beharren auf den versprochenen landständischen Verfassungen, die Kritik am preußischen Umgang mit den eingegliederten katholischen Rheinprovinzen schließlich - das alles war sehr bald nicht mehr opportun und bringt dem wie stets spitzzüngigen Görres schließlich erst ein Verbot seiner Zeitung und 1819 schließlich einen Haftbefehl ein, dem er sich nur durch die Flucht nach Straßburg entziehen kann. Das wenig zuvor geschmähte Frankreich ist damit, anknüpfend an die Jugendjahre, wieder das Land der Freiheit gegenüber dem zunehmend restriktiven Heimatland. Die lange Exilzeit endet schließlich 1827 mit der Berufung in das München Ludwigs I., wo Görres nun als Universitätslehrer wirkt und sein inzwischen strikt katholisches Weltbild verbreitet. Bedeutendste Frucht dieser letzten Lebensperiode ist das mehrbändige Werk "Die Christliche Mystik".
Noch vieles könnte man erwähnen und an Monika Fink-Langs Studie loben, die akribisch und faktenreich einen Lebensweg nachzeichnet, der wie kaum ein zweiter seiner Zeit von den permanenten politischen Umbrüchen geprägt wurde. Nahezu atemlos verfolgt man die Wandlung des radikalen Republikaners zum kämpferischen Katholiken, wobei Görres scheinbar ein Gespür dafür hatte, sich stets in Minderheitspositionen behaupten zu müssen. Wenn man etwas kritisieren möchte, so Monika Fink-Langs allzu behutsame Wertung der Görresschen Werke, die wohl unrettbar zeitgebunden sind. Seine Biographie indes, so zeigt sich, lohnt die Beschäftigung unbedingt.
THOMAS MEISSNER
Monika Fink-Lang: "Joseph Görres". Die Biographie.
Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2013. 384 S., geb., 39,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vom "Rothen Blatt" zu Vielbändigem über die christliche Mystik: Monika Fink-Lang widmet dem Publizisten Joseph Görres eine exzellente Biographie
"Heidelberg ist selbst eine prächtige Romantik; da umschlingt der Frühling Haus und Hof und alles Gewöhnliche mit Reben und Blumen, und erzählen Burgen ein wunderbares Märchen der Vorzeit, als gäb es nichts Gemeines auf der Welt. Aber es trat gerade damals in Heidelberg noch eine ganz besondere Macht hinzu, um jene glückliche Stimmung zu vertiefen. Es hauste dort ein einsiedlerischer Zauberer, Himmel und Erde, Vergangenheit und Zukunft mit seinen magischen Kreisen umschreibend - das war Görres."
Joseph von Eichendorffs späte Erinnerungen an seine Studentenzeit in Heidelberg liefern nicht nur die klassische Beschreibung jener zwei Jahre, als Heidelberg zum Zentrum der literarischen Romantik avancierte, sondern enthalten auch das berühmteste Porträt von Joseph Görres. Innerhalb des Heidelberger Dreigestirns Clemens Brentano, Achim von Arnim und Joseph Görres ist Letzterer jedoch der große Unbekannte geblieben, trotz Eichendorffs hymnischer Worte. Dass hier ein ebenso spannender wie spannungsreicher Lebenslauf zu entdecken ist, der weit über jede epochale Vereinnahmung hinausgeht, zeigt Monika Fink-Lang in ihrer gründlichen Biographie, die einer Pionierleistung gleichkommt.
Die Ursprünge von Görres liegen in Koblenz. 1776 als Sohn eines Holzhändlers geboren, war ihm die spätere Karriere nicht in die Wiege gelegt. Entscheidend für seine Prägung war Monika Fink-Lang zufolge weniger seine Familie, in der er sich früh als Außenseiter fühlte, sondern vielmehr das Gymnasium, wo er durch engagierte Lehrer mit den Ideen der Aufklärung in Kontakt kam und diese begierig in sich aufsog. Kein Wunder, dass er die Revolution im nahen Nachbarland Frankreich begeistert begrüßte und selbst zu republikanischen Idealen tendierte.
Neben seinen naturwissenschaftlichen Interessen wurde früh seine publizistische Begabung sichtbar, sei es bei Reden in der patriotischen Gesellschaft, sei es durch die Herausgabe einer eigenen Zeitung bereits im Jahr 1798. Hier, im "Rothen Blatt", verkündet er voller Enthusiasmus: "Ich glaube an ein immerwährendes Fortschreiten der Menschheit zum Ideale der Kultur und Humanität." Gleichzeitig war er aber nicht blind für politische Missstände und übte zum Beispiel scharfe Kritik an den französischen Beamten, die im Zuge der Expansion Frankreichs in die Region kamen.
Zum Wendepunkt seines Frankreich-Bildes wird das Jahr 1799. Görres ist Teil einer Delegation, die in Paris die schnelle Reunion der Rheinlande mit Frankreich und damit eine rechtliche Gleichstellung erreichen soll. Die Großstadt Paris wird zu einem Schockerlebnis, und an einen politischen Erfolg ist nicht zu denken - Napoleon putscht sich soeben an die Macht, und den Republikanern fehlt damit ein gleichgesinnter Ansprechpartner. "Alle meine Verhältnisse sind verrückt, alle meine Beziehungen geändert", befindet Görres frustriert und hält den "Zweck der Revolution" nun für "gänzlich verfehlt". Der Rückzug ins Privatleben und die Begründung einer bürgerlichen Existenz mit Heirat und Anstellung am Gymnasium sind seine persönlichen Antworten darauf. Gleichzeitig erscheinen seine ersten größeren Arbeiten, wie zum Beispiel "Glauben und Wissen", die sich allesamt durch bilderreichen Stil und einen umfassenden, die Fachgrenzen überschreitenden Anspruch auszeichnen - aus heutiger Sicht ein wenig wissenschaftlicher Ansatz, der nicht zuletzt Folge seiner fehlenden akademischen Ausbildung ist.
Die berühmte Heidelberger Zeit von 1806 bis 1808 ist, biographisch gesehen, nicht mehr als eine kurze Episode, die zudem mit dem Scheitern des Seiteneinsteigers im akademischen Betrieb endet. Lustvoll stürzt er sich in programmatische Scharmützel, etwa mit den Klassizisten um Voß, oder lässt sich von Arnims und Brentanos Liedersammlung "Des Knaben Wunderhorn" zu ähnlichen Projekten inspirieren, etwa zu seinen "Teutschen Volksbüchern". Gleichwohl kehrt er 1808 nach Koblenz ans Gymnasium zurück, und der Heidelberger Dekan empfiehlt seinem Nachfolger, er solle die Studenten "vernünftig denken" lehren - bei Görres kam das in seinen Augen offensichtlich zu kurz. Zahlreiche Buchprojekte begleiten die folgenden Jahre und sind eine Folge der inspirierenden Heidelberger Zeit, wovon die "Mythengeschichte der asiatischen Welt" am weitesten auf Görres' weitere Biographie vorausweist.
Das Jahr 1814 begründet mit der Herausgabe des "Rheinischen Merkur" endgültig Görres' überregionale Geltung. Voller Feuereifer und Sendungsbewusstsein wirft er sich publizistisch in den Kampf gegen Napoleon und rührt die nationale Trommel, was von Preußen so lange befördert wird, wie es für den Kriegserfolg hilfreich ist. Die Forderung nach völliger Zensurfreiheit, das Beharren auf den versprochenen landständischen Verfassungen, die Kritik am preußischen Umgang mit den eingegliederten katholischen Rheinprovinzen schließlich - das alles war sehr bald nicht mehr opportun und bringt dem wie stets spitzzüngigen Görres schließlich erst ein Verbot seiner Zeitung und 1819 schließlich einen Haftbefehl ein, dem er sich nur durch die Flucht nach Straßburg entziehen kann. Das wenig zuvor geschmähte Frankreich ist damit, anknüpfend an die Jugendjahre, wieder das Land der Freiheit gegenüber dem zunehmend restriktiven Heimatland. Die lange Exilzeit endet schließlich 1827 mit der Berufung in das München Ludwigs I., wo Görres nun als Universitätslehrer wirkt und sein inzwischen strikt katholisches Weltbild verbreitet. Bedeutendste Frucht dieser letzten Lebensperiode ist das mehrbändige Werk "Die Christliche Mystik".
Noch vieles könnte man erwähnen und an Monika Fink-Langs Studie loben, die akribisch und faktenreich einen Lebensweg nachzeichnet, der wie kaum ein zweiter seiner Zeit von den permanenten politischen Umbrüchen geprägt wurde. Nahezu atemlos verfolgt man die Wandlung des radikalen Republikaners zum kämpferischen Katholiken, wobei Görres scheinbar ein Gespür dafür hatte, sich stets in Minderheitspositionen behaupten zu müssen. Wenn man etwas kritisieren möchte, so Monika Fink-Langs allzu behutsame Wertung der Görresschen Werke, die wohl unrettbar zeitgebunden sind. Seine Biographie indes, so zeigt sich, lohnt die Beschäftigung unbedingt.
THOMAS MEISSNER
Monika Fink-Lang: "Joseph Görres". Die Biographie.
Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2013. 384 S., geb., 39,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main