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Produktdetails
  • Verlag: Residenz
  • ISBN-13: 9783701708802
  • Artikelnr.: 27185316
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.03.2010

In Blau getränkt und bald schwindend
Ein Band mit Journalen und Tagebüchern macht sich um den dichtenden Sonderling Gerard Manley Hopkins verdient
Es grenzt an Tollkühnheit, wenn ein Verlag einen Band mit Journalen und Tagebüchern von Gerard Manley Hopkins, einem ebenso gerühmten wie zugleich unbekannten Dichter, vorlegt in einer Zeit, da alle Buchherstellung auf Verkauf sinnt. Hopkins (1844-1889) war ein Sonderling in seinem Leben wie in seinem Werk. Als Werk hat er seine Sprachspielereien, Sprachexperimente, Sprachforschungen und Gedichte ohnehin nie verstanden. Er machte sie denn auch zu Lebzeiten nur einem kleinen Freundeskreis bekannt.
Und auch dieser zögerte nach Hopkins’ Tod noch lange, das Hinterbliebene zu publizieren. Hopkins, der vom anglikanischen zum katholischen Glauben konvertierte, 1868 ein Noviziat bei den Jesuiten begann, 1877 die Priesterweihe empfing und von 1884 an bis zu seinem Tod einen Lehrstuhl für Griechisch am University College in Dublin innehatte, vernichtete ja selbst bei seinem Glaubenswechsel seine frühe Lyrik und verordnete sich poetische Askese. Erst 1875 begann er wieder zu dichten, als sein Ordensoberer ihm empfahl, das tragische Schicksal einiger Nonnen, die bei einem Schiffsunglück ertrunken waren, in Versen zu verewigen.
„Der Untergang der Deutschland” – dies der Name des verunglückten Schiffes – ist Hopkins erstes erhaltenes Gedicht. Aber auch dieses wurde erst 1918, dreißig Jahre nach seinem Tod, veröffentlicht. In Deutschland wurde Hopkins nicht vor 1935 bekannt, in eben dem Jahr, in dem auch in England seine Briefe erschienen und die kleinen Schriften und Tagebücher, die jetzt in einer Auswahl in diesem Band vorliegen.
Eine Dingwelt ohne Kontur – dies ist der Gegenstand aller Aufzeichnungen und Gedichte von Hopkins. Er ist ein leidenschaftlicher Wanderer, meist im Heimatland, aber auch auf Reisen in der Schweiz, der alles, was zu seinen Füßen liegt, Blumen, Schlänglein, Grashüpfer, mit verliebter Fasziniertheit betrachtet, und allem, was zu Häupten schwebt, Fahnen, Wolken, Winde, sehnsüchtig hinterherdenkt. Nur geradeaus schaut er selten; der Mensch ihm gegenüber kann höchstens einmal als schemenhafter Wegweiser zu einer unliebsamen Verpflichtung in Erscheinung treten.
Auch in Hopkins’ Journalen und Tagebüchern schlägt sich, nicht anders als in seinen Gedichten, die Entgrenzung der Wahrnehmungen und Gedanken nieder. Diese Prosatexte sind so gut Gedichte wie die Gedichte Tagebuchnotate sind. Die minutiösen Naturbeobachtungen scheinen wie in Trance niedergeschrieben zu sein – und in einen lyrischen Taumel versetzt ihre Lektüre auch den Leser. Hopkins hat keinen festen Stand, von dem aus er die Welt vermisst, er hat nur ein Auge, das sich in den Dingen verliert und sich mit den Wolken treiben lässt.
Romantische Wortmalerei
Die stets sich wandelnde Gestalt dieser Luftbildungen festzuhalten, ihr Changieren in Farbe und Gestalt zu beschreiben, erfindet Hopkins eine eigene Sprache, in der die Worte so wenig haltbar sind wie die Naturerscheinung selbst. Er entwirft ein Idiom, das die Grammatik nicht achtet, keine Wortgrenze, keine Kompositionsvorschriften kennt. Worte und Dinge zerfließen in eins. Die Schönheit der Wolkenszenarien reißt ihn so hin, dass sie nur wie stotternd beschrieben werden kann, die Augenweide, die er genießt, geht in Stammeln unter: „Nach sechs ein sehr mager-strukturierter und blasser Damm von Pferdeschwanz Wolken nach Nordosten und Südwesten, die Formation der Haare oder Fäden im rechten Winkel, und näher betrachtet wurde es erkennbar als gegliederte Zweige. Ebenso am Morgen blasse durchsichtige entballende weiß-rosa Wolke in Blau getränkt und bald schwindend.”
Wie der Dichter lässt sich auch der Philologe Hopkins durch die Sprachen aller Zeiten und Völker gleiten. An eine Szene aus „Macbeth” schließen sich sprachgeschichtliche Assoziationen an, die sich wie konkrete Poesie anhören: „Bis Hunger dich klinkt. Es gibt ein nordregionales Wort clam, Clem / klemmen, welches verhungern bedeutet” – über „clammy/klamm” gelangt er zu „claudere, Klause”, zu „kleben”, zu „klamm, Schleim, Leim. Schlamm wahrscheinlich verbunden mit Schleim”. Man braucht, um das Kauzige als Poesie zu erkennen, eine Phase des Einlesens. Danach aber wird der Leser diesen gottesfürchtigen Dichter schätzen, der den menschlichen Ton an die Schöpfung anzupassen sucht.
Das Ungewöhnliche von Hopkins’ Sprache, den Surrealismus seiner Dingwelt in ihrer Bedeutung zu würdigen, wird der Dichter stets als geheimer Vorläufer der allermodernsten Poesie – eines Joyce, Yeats, Ezra Pound – ausgegeben. Tatsächlich aber bezieht Hopkins’ Poesie ihren Reiz aus der Vergangenheit. Viel besser als durch den Hinweis auf seine Modernität lässt sich das Werk aus der Tradition einer spezifisch englischen Romantik verstehen.
Die Begründer der englischen Romantik, Wordsworth, Turner, Ruskin, sind Dichter, Künstler und Gelehrte, denen gerade die Poesie zur genaueren Beschreibung naturwissenschaftlicher Beobachtungen besonders geeignet zu sein schien. Wo aber das Wort nicht zu fassen vermag, was das scharfe Auge sieht, muss die Hand zu Hilfe kommen. Der vorliegende Band enthält denn auch 16 Abbildungen von Hopkins’ Zeichnungen. Ihre Ähnlichkeit mit den Skizzen Ruskins ist auffällig. Die religiöse Faszination dieser englischen Romantiker vor dem kleinsten Detail ist der Naturanbetung der deutschen Romantik gänzlich entgegengesetzt, die vor der Erhabenheit weiter Landschaftspanoramen erschauert.
Die größte Herausforderung erfährt die Kunst dieser dichtenden und malenden Naturwissenschaftler bei der Beobachtung der Wolken. „Wolkendienst” nannten sie die Übersetzung des Naturphänomens in das Medium ihrer Kunst. Wer Turner bewundert, hat es mit dem irischen Mönch leichter: ihm werden seine Gedichte und Journale wie Bildbeschreibungen des englischen Malers vorkommen. Manchmal nimmt sich die Lektüre aus wie eine Wanderung durch die Tate Britain, das Londoner Museum der Turner-Sammlung.
Hopkins’ Übersetzung von Naturbeobachtungen in Dichtung noch einmal in eine Fremdsprache zu transponieren, scheint kaum möglich zu sein, ein Grund für die geringe Bekanntheit dieses Autors außerhalb Englands. Der Übersetzung von Peter Waterhouse ist das schier Unmögliche jedoch gelungen. Hingegen ist das Nachwort von Gerhard Grössing und Camilla Miglio ein Beispiel für jene ärgerliche Kunstkritik, der die „Fortschrittlichkeit” eines Werkes genügt, um seine Qualität zu erweisen. Dieses Nachwort überbietet alle Behauptungen über Hopkins zukunftsweisende Dichtung, indem es in ihr hirnphysiologische Erkenntnisse wiederfindet. Hilfreich ist dagegen die „Editorische Notiz” des Übersetzers, in der es ihm gelingt, auf nur wenigen Seiten dem mit Hopkins nicht vertrauten Leser ein einprägsames Bild von dessen Stil und Charakter zu verschaffen.
HANNELORE SCHLAFFER
GERARD MANLEY HOPKINS: Journal. Aus dem Englischen von Peter Waterhouse. Verlag Jung und Jung, Salzburg 2009. 279 Seiten, 28 Euro.
Er war ein zum Katholizismus konvertierter Jesuitenpater, Philologe, Professor in Dublin und als Poet ebenso sehr Nachfahre der englischen Romantik wie Vorläufer der modernen Lyrik: Gerard Manley Hopkins (1844-1889). Foto: Hulton Archive/Getty Images
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