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Mit dem Aufstieg der Presse im 19. Jahrhundert bildete sich auch der Beruf des Journalisten heraus. Jörg Requate beschreibt diesen Vorgang vor allem in Deutschland, bezieht aber vergleichend die Entwicklung in den USA, in England und besonders in Frankreich ein. In allen vier Ländern wandelte sich der Journalismus, indem er sich aus der ganz unmittelbaren Verbindung mit der Politik, mit einzelnen politischen Strömungen löste und autonome Züge annahm, wobei der Journalistenberuf zugleich ein schärferes Profil erhielt. Tempo und Ausprägung dieses Prozesses waren jedoch sehr verschieden. Während…mehr

Produktbeschreibung
Mit dem Aufstieg der Presse im 19. Jahrhundert bildete sich auch der Beruf des Journalisten heraus. Jörg Requate beschreibt diesen Vorgang vor allem in Deutschland, bezieht aber vergleichend die Entwicklung in den USA, in England und besonders in Frankreich ein. In allen vier Ländern wandelte sich der Journalismus, indem er sich aus der ganz unmittelbaren Verbindung mit der Politik, mit einzelnen politischen Strömungen löste und autonome Züge annahm, wobei der Journalistenberuf zugleich ein schärferes Profil erhielt. Tempo und Ausprägung dieses Prozesses waren jedoch sehr verschieden. Während in den USA die Jagd nach immer neuen Nachrichten (notfalls auch mit rabiaten Methoden) schon früh die Arbeit des Journalisten und sein Selbstverständnis bestimmte, hat in Frankreich die Verbindung von Presse und Politik lange gehalten. Nicht in der Beschaffung von Informationen sahen die Journalisten dort ihre Hauptaufgabe, sondern in der politischen Auseinandersetzung.Vor diesem internationalen Hintergrund wird die Entstehung des Journalistenberufs in Deutschland untersucht. Konkret, erforderlichenfalls auch ins einzelne gehend stellt Jörg Requate diesen Professionalisierungsprozeß dar. Wer wurde Journalist? Welche Wege führten in den Beruf und wie akademisch war er geprägt? War Journalist zu sein ein Lebensberuf? Wie sahen Karrieremuster aus und wie war die materielle Situation der Journalisten? Was für ein Selbstverständnis entwickelten sie, wie hat es ihre Arbeit, wie ihre gesellschaftliche Funktion beeinflußt? Ähnlich wie in Frankreich verstanden sich die politischen Journalisten als Streiter für bestimmte politische Ideen und sahen ihre Ehre in ihrer "Gesinnungsfestigkeit". Hierher gehört auch die Frage, wie sich Zensur und andere Einschränkungen der Pressefreiheit auf die journalistische Arbeit und allgemein auf das Zeitungswesen ausgewirkt haben.Der Journalistenberuf gewann im Laufe des Jahrhunderts immer mehr an Bedeutung. Trotzdem gibt es darüber kaum Forschungsarbeiten. Dies Buch ist die erste Geschichte der Journalisten und des Journalismus im 19. Jahrhundert in Deutschland, geschrieben in international vergleichender Perspektive.
Autorenporträt
Dr. Jörg Requate ist Privatdozent für Allgemeine Geschichte an der Universität Bielefeld.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.01.1996

Redigieren macht wohlhabend
Jörg Requates Studie über den Journalistenberuf im 19. Jahrhundert

"Oh, Brittanien, von deiner Freiheit und deinem Homur (!) nur diesen Huth voll." So seufzte einer der frühen zensurgeplagten deutschen Journalisten, Christian Friedrich Daniel Schubart, 1774 in seiner Zeitschrift "Deutsche Chronik". Nicht Unvermögen war die Ursache für das relativ späte Entstehen eines autonomen Journalistenstandes in Deutschland. Vielmehr gab es, anders als im früh parlamentarisierten England und im revolutionären Frankreich, staatliche Zwänge, denen sich die Vertreter der schreibenden Zunft anpaßten oder durch den Wechsel in einen anderen der 38 deutschen Kleinstaaten und durch die Flucht ins Exil zu entziehen suchten.

Das bestätigt einmal mehr die Berliner Dissertation von Jörg Requate. Aus deutscher Perspektive vergleicht er die Entwicklung mit den "Vorreiterländern" Vereinigte Staaten, England und Frankreich, denen etwa ein Fünftel des Textes gewidmet ist. Der Titel variiert das wohl meistzitierte Werk Max Webers, "Politik als Beruf" (1919). Weber regte 1910 auf dem ersten Frankfurter Soziologenkongreß eine Journalisten-Erhebung an, die aber nicht zustande kam. Er wußte um die Vorarbeiten in der Dissertation von Hjalmar Schacht (1898) und die des 1909 in Tibet ermordeten Kölner Redakteurs Robert Brunhuber. Die Arbeiten des zeitweiligen Redakteurs der "Frankfurter Zeitung" Otto Groth (1875-1965), vor allem sein vierbändiges Standardwerk "Die Zeitung" (1928-30), stellten wichtige Vorstufen für die erste ernstzunehmende empirische Studie von Walter Hagemann "Die soziale Lage des deutschen Journalistenstandes" (Düsseldorf 1956) dar, die Requate nicht zitiert, da er sich auf das 19. Jahrhundert konzentriert.

Requate geht es um die Ursachen der funktionalen Unterschiede und das soziale Profil des Journalistenstandes in den verglichenen Ländern. "Der Weg in den Journalismus begann mit der Geburt", konstatiert er. Das Zahlenmaterial des empirischen Kapitels bezieht der Autor aus vier unterschiedlichen Quellenarten (Jubiläumsschriften, Listen des preußischen Innenministeriums über Berliner Redakteure, Berliner Polizeiakten, Nekrologe in Kölner Zeitungen). Die unterschiedliche Qualität der Dokumente läßt schon wegen der terminologischen Vielfalt (Zeitungsschreiber, Literat, Journalist, Redakteur usw.) präzise Angaben kaum zu, schon gar nicht über die Gesamtzahl. Requate möchte deshalb das, was er, methodisch nicht eindeutig, "Sample" nennt, in seiner Analyse "nicht überstrapazieren".

Ein statistisches Problem sind die wechselnden Grundgesamtheiten, mit denen Requate operiert. Aus den verschiedenen Tabellen, die zwischen 144 und 768 erfaßten Fällen schwanken, läßt sich jedoch herauslesen, daß die Journalisten zum großen Teil aus dem Bildungsbürgertum und der Beamtenschaft stammten. Der überwiegende Teil von ihnen hatte ein Hochschulstudium absolviert, gut jeder zweite davon war promoviert - ein Hinweis auch auf die große Zahl der in den Journalismus drängenden Akademiker, die in anderen Berufen keinen Erfolg hatten. Die weitaus meisten Journalisten blieben bei ihrem Beruf. Nur wenige wandten sich der reinen Schriftstellerei zu oder wurden Verleger.

Wer im Metier blieb, verdiente nicht schlecht. Die Gehälter waren zum Beispiel bei der "Kölnischen Zeitung" mit denen preußischer Regierungsräte vergleichbar. Der Berliner Handelskorrespondent der "Frankfurter Zeitung" erreichte um 1900 jährlich rund 19000 Mark, mehr als ein Regierungspräsident, und besaß ein Vermögen von 300000 Mark. Chefredakteure konnten es auf jährlich 30000 Mark bringen. Eine formalisierte Altersversorgung gab es erst seit 1893, mit Ausnahme der "Frankfurter Zeitung", bei der schon 1869 die Versorgungskasse für Drucker auf Redakteure ausgedehnt worden war. Mit der Festigung der sozialen Struktur ging die Professionalisierung einher.

Requate systematisiert sehr reflektiert den Inhalt der Sekundärliteratur und reichert sie sinnvoll mit dem Ergebnis von Aktenbefunden an. Als Historiker setzt er sich von der derzeit gängigen Massenkommunikationstheorie ab, der er für das 19. Jahrhundert nicht folgen will. Dies gilt besonders für die Hypothese einer spezifischen sozialen "Primärfunktion" des Journalismus gegenüber anderen, an der Öffentlichkeit orientierten Sozialsystemen. Er plädiert dafür festzustellen, "wie unabhängig der Journalismus von den Bereichen Politik und Wirtschaft tatsächlich war". Der Differenzierungsprozeß, in dem der Journalismus sich aus der engen Verbindung mit der Politik zu lösen begann, bewirkte, daß der Beruf schärfere Konturen bekam und sich spezialisierte. Dieser Prozeß ist keineswegs abgeschlossen und wird je nach Funktionswandel und technischen Neuerungen der Medien verlaufen. Requate ist zuzustimmen, daß dabei die im 19. Jahrhundert erkennbaren Prägungen der nationalen Öffentlichkeitsstrukturen bis in die Gegenwart wirksam sind: Journalismus bleibt ein integraler Bestandteil nationaler Medienkultur, auch im Zeitalter scheinbar übermächtig werdender Fernsehprogramme aus den Vereinigten Staaten. KURT KOSZYK

Jörg Requate: "Journalismus als Beruf". Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1995. 500 S., kt., 78,- DM.

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