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"Solange wir Joyce' Herausforderug ignorieren, können wir auch in Zukunft mit dem zufrieden sein, was die Welt gutes Schreiben nennt, mit Klassizismus-Parodien, gutem Betragen und dünnem Tee, dem aufgemotzten Journalismus, dem unsinnigen Schlichtgestrickten, den asthmatischen Krämpfen des Freiluftinvaliden, den phallischen Zuckungen des in Wahrheit Impotenten. Doch wenn wir ihn gelesen haben, kann weder die Literatur noch das Leben jemals wieder ganz so sein wie zuvor." (Anthony Burgess)

Produktbeschreibung
"Solange wir Joyce' Herausforderug ignorieren, können wir auch in Zukunft mit dem zufrieden sein, was die Welt gutes Schreiben nennt, mit Klassizismus-Parodien, gutem Betragen und dünnem Tee, dem aufgemotzten Journalismus, dem unsinnigen Schlichtgestrickten, den asthmatischen Krämpfen des Freiluftinvaliden, den phallischen Zuckungen des in Wahrheit Impotenten. Doch wenn wir ihn gelesen haben, kann weder die Literatur noch das Leben jemals wieder ganz so sein wie zuvor." (Anthony Burgess)
Autorenporträt
Anthony Burgess, geboren 1917 in Manchester, war als Sprachlehrer und Bildungsbeauftragter bei den Streitkräften in Malaysia und Brunei tätig, wurde 1959, nach einer diagnostizierten tödlichen Krankheit, Schriftsteller. Als er 1993 in London starb, hinterließ er ein rundes halbes Hundert Bücher, darunter das weltberühmte »Clockwork Orange«.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.03.1995

Schriftsteller für das Volk
All die guten, unmißverständlichen Dubliner Ausdrücke: Anthony Burgess entdeckt "Joyce für jedermann" Von Elias Torra

Existierte die Literaturwissenschaft nicht bereits, so müßte man sie erfinden, um das Werk von James Joyce zu erläutern. Nur die unerschrockensten Leser dürften es wagen, das unwegsame Gelände des "Ulysses" und von "Finnegans Wake" ganz ohne Kompaß und Wegbeschreibung zu betreten. An einschlägigen Lesehilfen herrscht zwar kein Mangel; einige darunter, wie Stuart Gilberts unter der Anleitung von Joyce verfaßte Studie "Das Rätsel Ulysses", sind mittlerweile selbst Klassiker. Aber die Masse der Sekundärliteratur ist auch imstande, die Schwellenangst vor dem Joyceschen Universum zu steigern.

Die vor dreißig Jahren erschienene Einführung von Anthony Burgess, die dem deutschen Leser jetzt in Friedhelm Rathjens eleganter Übersetzung vorliegt, besticht durch die unprätentiöse Haltung und den Kenntnisreichtum ihres Verfassers. Trotz ihres beachtlichen Alters hat sie nichts von ihrer Frische verloren. Burgess sollte nicht allein als der immens produktive Romancier oder als der Autor von "A Clockwork Orange" in Erinnerung bleiben. Er war auch ein glänzender Literaturwissenschaftler, der die Joycesche Sprache übrigens ein weiteres Mal in "Joyceprick" (1973) in Augenschein genommen hat.

Sein "Joyce für Jedermann" präsentiert sich jedoch nicht nur als das Werk eines souverän über seinen Gegenstand verfügenden Kenners. Es will vor allem einen kanonisierten Autor vor den Gebildeten unter seinen Verehrern retten. Man muß die Intention nicht unbedingt teilen, um für diesen Rettungsversuch empfänglich zu sein. Denn es handelt sich im Grunde um die kaum verborgene Liebeserklärung eines leidenschaftlichen Joyce-Lesers. Burgess berichtet, wie er schon als Schuljunge eine Ausgabe des "Ulysses" nach England schmuggelte, indem er sie zerschnitt und am ganzen Körper verteilte. Ein Porträt des Lesers als junger Held.

Der gut gewählte deutsche Titel ist keine pädagogisierende Marotte; er benennt die (etwas gewagte) Hauptthese des Buchs: "Der Anschein des Schwierigen ist Teil des großen Joyceschen Witzes; die Tiefgründigkeiten werden immer in guten, unmißverständlichen Dubliner Ausdrücken zur Sprache gebracht; Joyce' Helden sind anspruchslose Menschen. Wenn es jemals einen Schriftsteller für das Volk gegeben hat, war Joyce dieser Schriftsteller." Den ordinary reader will Burgess also erreichen; aber es werde wohl einer sein müssen, "der mit den Namen William Blake und Aldous Huxley etwas verbindet" - wie der Übersetzer vorsichtshalber anmerkt.

Ginge es gerecht zu, so könnten die beiden Grundzüge des "Ulysses", Komik und Humanität, sehr wohl eine breite Leserschaft mobilisieren. In diesem Zusammenhang macht Burgess die schöne Beobachtung, daß der "Ulysses" ein beinahe gewaltfreies Buch ist, und das, obwohl es den Anspruch hat, die Welt in ihrer Totalität darzustellen. Schlimmstenfalls wirft jemand Bloom eine Keksdose nach, die ihn auch noch verfehlt; und in der "Circe"-Episode erscheint Gewalt überwiegend in symbolisch gezügelter Form. In "Finnegans Wake" erkennt Burgess die "Erhebung des gewöhnlichen Menschen", und beinahe trotzig ruft er aus: "Was immer Finnegans Wake auch sein mag, es ist kein intellektuelles Buch. Oder vielmehr treiben seine intellektuellen Bestandteile an der Oberfläche wie Teeblätter: Das Gebräu ist es, was zählt." Den "Ulysses" nennt er gar ein "Buch für den Nachttisch", dessen räumliche Organisationsform jeden beliebigen Einstieg erlaube.

Gleichwohl hält sich Burgess in seiner Kommentierung streng an die Kapitelabfolge der beiden Hauptwerke und favorisiert damit offenbar doch die Linearität der Erzählung und deren narrative Geschlossenheit. Das Verfahren leuchtet eher für den "Ulysses" ein als für das spätere Traumbuch, dessen erzählbare "Handlung", soweit überhaupt vorhanden, im Detail wohl nicht endgültig zu klären ist. Immerhin sind die von Burgess vorgeschlagenen Rekonstruktionen stets erhellend. Das gilt für die Studie insgesamt: ob Burgess Verbindungen zwischen dem Früh- und Spätwerk herstellt, ob er das Geflecht der Leitmotive nachzeichnet, die vielschichtige Symbolik aufdeckt oder linguistische Vexierspiele auflöst. Nicht zuletzt in den lebendigen Paraphrasen verrät sich die Erzählkunst des Romanciers.

Anthony Burgess: "Joyce für jedermann". Eine Einführung in das Werk von James Joyce für den einfachen Leser. Aus dem Englischen übersetzt von Friedhelm Rathjen. Haffmans Verlag, Zürich 1994. 384 S., geb., 68,- DM.

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