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Warum haben wir die religiöse Sprache verloren? Was ist das Spezifikum religiöser Rede im Vergleich zur wissenschaftlichen Sprache? Das sind die tiefen Fragen, denen Bruno Latour in seinem wohl persönlichsten Buch nachgeht. Ausgehend von seiner eigenen religiösen Erfahrung, setzt er zu einer kritischen Reflexion an. Während in den Natur- und Sozialwissenschaften der Forscher die Aufgabe hat, seinen Beitrag zum großen Bau des Wissens zu leisten, zu entdecken und zu erfinden, geht es dem religiös Suchenden laut Latour um die Treue zum Wort, die Genauigkeit der Wiederholung. Er will nicht…mehr

Produktbeschreibung
Warum haben wir die religiöse Sprache verloren? Was ist das Spezifikum religiöser Rede im Vergleich zur wissenschaftlichen Sprache? Das sind die tiefen Fragen, denen Bruno Latour in seinem wohl persönlichsten Buch nachgeht. Ausgehend von seiner eigenen religiösen Erfahrung, setzt er zu einer kritischen Reflexion an. Während in den Natur- und Sozialwissenschaften der Forscher die Aufgabe hat, seinen Beitrag zum großen Bau des Wissens zu leisten, zu entdecken und zu erfinden, geht es dem religiös Suchenden laut Latour um die Treue zum Wort, die Genauigkeit der Wiederholung. Er will nicht entdecken, sondern wiederentdecken, nicht erfinden, sondern wiederfinden; er strebt nicht nach dem Neuen, sondern will erneuern. Das ist das Besondere religiöser Rede. Sie ist hierin der Sprache der Liebe verwandt, die mit jedem »Ich liebe dich« den Bund zu erneuern sucht. Bei dieser Verwandtschaft muß ansetzen, wer die Möglichkeit oder Unmöglichkeit religiöser Rede heute verstehen möchte. In einerfaszinierenden Mischung aus Analyse und Andacht spürt Latour ihr nach.
Autorenporträt
Bruno Latour, geboren 1947 in Beaune, Burgund, Sohn einer Winzerfamilie. Studium der Philosophie und Anthropologie. Bruno Latour war Professor am Sciences Politiques Paris. Für sein umfangreiches Werk hat er zahlreiche Preise und Ehrungen erhalten, darunter den Siegfried Unseld Preis und den Holberg-Preis. Latour verstarb am 09. Oktober 2022 in Paris.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.09.2011

Gott lebt nicht im Jenseits
Als Einstimmung auf den Papstbesuch zu lesen: Bruno Latours Meditation „Jubilieren. Über religiöse Rede“
Auf dem Gebiet der Religion hätten wir Bruno Latour nicht unbedingt erwartet. Doch soll man diesen Soziologen, Wissenschaftstheoretiker, politischen Philosophen überhaupt an einem bestimmten Ort erwarten? Jedenfalls nicht in den Grenzbereichen. Dass an gewissen Stellen eine Sache aufhört und eine andere anfängt, dass die Welt also passgenau in Segmente aufteilbar ist, scheint diesem Denker ziemlich fremd zu sein. So fängt für ihn der religiöse Glaube keineswegs da an, wo das wissenschaftliche Wissen an seine Grenzen stößt. Zusammen mit manchen anderen wird dieses Denkschema zum Thema Religion in dieser Studie entschieden vom Tisch gefegt. Das ist das Interessante an diesem erstaunlich persönlichen Buch, das im französischen Original schon vor neun Jahren erschien. Auf der allerjüngsten Trendwelle zurück zur Religion kann Latour also nicht geritten sein.
Ausgangspunkt war für ihn die persönliche Gewissheit, weder den Kirchgängern drinnen in der Kirche noch den Religionsverächtern draußen sich zugehörig zu fühlen. Woher kommt unsere Schwierigkeit mit der Rede von der Religion? Sie entspringt aus der Sackgasse, antwortet Latour, in welche die starre Alternative zwischen Glauben und Nichtglauben geführt hat. War in früheren Zeiten die Anwesenheit Gottes oder der Götter selbstverständlich wie die Luft, die wir atmen, gilt heute etwa dasselbe für deren Nichtexistenz, zumindest insofern ein Gott unsere Gebete erhört und die Geschicke der Welt lenkt. Im Grund haben sich also nur die Vorzeichen geändert. Glauben bleibt ein anderes, ungewisseres Wissen. Und die Wissenschaften haben sich ihrerseits aus ihrer ursprünglich immer nur vorläufigen Hypothesendynamik zur Wissenschaft schlechthin verfestigt mit einem Wahrheitsanspruch nahe am Glaubensdogma. Latour nennt diesen Wechsel die „Doppelklick-Kommunikation“: ein doppelter Fingerdruck auf die Navigationsmaus und die Sache steht eindeutig vor uns, entweder - oder. Daraus müssen wir uns lösen, findet Latour. Wir müssen echte Agnostiker werden, weder gleichgültig noch skeptisch, und unseren „Glauben an den Glauben“ aufgeben.
Konkret bedeutet dies zunächst eine klarere Einsicht in das, was Wissenschaft von Religion unterscheidet. Die eine biete ein Transformationsmodell für Informationen, die andere eines für ständige Übersetzung und Neuübersetzung. Glaubst du an die globale Klimaerwärmung? – Diese Frage lässt sich nach Sichtung der verfügbaren Informationen und Hypothesen im einen oder anderen Sinn beantworten. Die Frage des Glaubens an Gott ist ganz anderer Art, Latour vergleicht sie mit dem Sprachspiel der Liebenden. „Liebst du mich?“ – Diese Frage zielt statt auf Information auf ritualhafte Wiederholung und Bestätigung der immer selben Aussage.
Das klingt einleuchtend und ist auch nicht neu, hat aber schwerwiegende Konsequenzen, die der Autor nur zögernd benennt. Er spricht der Religion nämlich jede kognitive Dimension ab. Sie antwortet auf keine offenen Fragen, offenbart keine Geheimnisse, ja „es gibt ebenso wenig ein Jenseits wie einen Glauben an ‚Gott‘“. Latour will nichts wissen von einer „geistigen“ Welt hinter der „materiellen“, an deren Grenzen man vom Vehikel der wissenschaftlichen Erkenntnis auf das einer anders gearteten Einsicht umsteigen müsste. Religion zielt für ihn nicht auf Welterfassung, sondern allein auf Lebensführung. Ob eine so radikale Kappung alles Kognitiven aus der Religion uns zu verstehen hilft, warum die Menschen angesichts der offenen Rätsel in der Welt sich stets aufs Neue an die Götter wandten, bleibt fraglich.
Hilfreich sind hingegen die zahlreichen Betrachtungen, die der Autor in die lose Kapitelfolge seines mehr essayistisch als systematisch gegliederten Buchs streut. Was sollen wir heute tun mit den angesammelten religiösen Reden, Bildern und Riten? Sie rationalisieren? Kritisch sichten? Entschlacken? Oder sie ästhetisieren? Nein, antwortet Latour, wer anfängt, alles Unzeitgemäße aus der Religionspraxis zu entfernen oder in ihr zu musealisieren, hat am Schluss nur noch einen „Kleiderständer für die Moral“ oder ein nettes Spektakel.
Die Religion kann so wenig „modernisiert“ wie in eine ursprüngliche Reinheit zurückgeführt werden, schreibt der Autor: Man könne nicht anders, als den unsicheren Prozess ständiger Übersetzung und Neuübersetzung mit den Effekten von Abnutzung, Sinnverlust, leerer Wiederholung und plötzlicher Neugestaltung einfach fortzusetzen. In diesem Zusammenhang zieht der Autor auch mit seiner eigenen Generation streng ins Gericht. Sie habe an der Modernisierungsfront im Namen der individuellen Freiheit für sich selbst und für ihre Kinder einen Jahrhundertfaden gekappt. Und was hat sie stattdessen in die Welt gesetzt? Intellektuelle Totgeburten. Ihre Sprösslinge sind frei, „oh ja, zum Verrecken frei“. Schluss also mit dem Modernisieren, die Stoßrichtung des Fortschritts muss geändert werden, fordert der Autor.
Was mitunter wie ein Zurückrückrudern zum Bestand des Katholischen aussieht, ist in Wirklichkeit eine anregende Meditation im ungläubigen Wissen und wissenden Unglauben. Es ist die Meditation eines Wissenschaftstheoretikers nicht über das religiöse Gefühl, nicht über das Faktum Religion, nicht über das Geistige an sich, sondern über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Rede darüber. Der Tonfall des Buchs gleicht mehr einem Flüstern der Selbstverständigung als dem Jubeln über eine gefundene Antwort. Achim Russer hat den Text so kundig wie elegant übersetzt und mit einigen nützlichen Fußnoten versehen. JOSEPH HANIMANN
BRUNO LATOUR: Jubilieren. Über religiöse Rede. Aus dem Französischen von Achim Russer. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 247 Seiten, 24,90 Euro.
Er spricht nicht über das religiöse Gefühl, sondern darüber, ob man darüber sprechen kann: Der französische Soziologe Bruno Latour. Foto: oh
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2011

Nach der Natur
Von heiklen Grenzen, bewegter Rede und verwandelten Bildern

Ein bekannter Primatologe und Professor für evolutionäre Anthropologie hat unlängst mit Nachdruck dafür plädiert, die Entgegensetzung von Kultur und Natur endlich aufzugeben. Diese Dichotomie möge zwar heuristisch nützlich sein, aber bei genauerer Betrachtung falle sie in sich zusammen. Zum einen nämlich seien Kategorien wie Natur und Kultur lediglich gesellschaftliche Konstrukte. Zum anderen würden die Diskurse, die diese Dichotomie stabilisieren, letztlich ja auch von und in Gehirnen erschaffen, die selbst evolutionär gewordene Organe und damit also Naturprodukte sind.

Als Argument wird man das nicht ansehen wollen. Lediglich als Beleg dafür, dass eine naturalistische Grundüberzeugung herauskommt, wenn man schlicht von ihr ausgeht. Dieser symptomatische Kurzschluss berührt allerdings nicht die durchaus triftige Einsicht, dass Grenzziehungen zwischen Natur und Kultur problematisch geworden sind. Bloß ist das Verfahren, einer der beiden Sphären, die lange so reinlich voneinander abtrennbar schienen, nunmehr das ganze Feld zu überlassen - die Natur hat dabei die Oberhand -, kaum ein Weg, die dahinterstehenden Entwicklungen wirklich in den Blick zu bekommen.

Besser schon, man hält sich an Neuerscheinungen in diesem Herbst. Der an der ETH in Zürich lehrende Philosoph Michael Hampe hat mit "Tunguska oder Das Ende der Natur" (Carl Hanser Verlag) ein Buch vorgelegt, das direkt auf unsere Verlegenheiten zusteuert, wenn "die Natur" auf den Plan tritt. Sei es, wenn wir versuchen, uns selbst als Kompositum natürlicher und kultureller Anteile zu bestimmen; oder sei es im Bezug auf äußere Natur als Inbegriff der unabhängig von uns und unseren Interventionen gegebenen Dinge und Phänomene.

Dass beides nicht überzeugend gelingen will, hängt natürlich eng damit zusammen, dass wir unsere eigene Naturgeschichte mittlerweile immer deutlicher vor Augen bekommen und unsere Verfügungsmöglichkeiten über "die Natur" weiter wachsen. Gleichzeitig zeigt uns die neuere Wissenschaftsforschung ganz konkret, wie viele künstliche, also kulturell geformte Verrichtungen es braucht, um die natürlichen Phänomene zu erzeugen, an deren Regularität sich anknüpfen lässt. Wir sind demnach immer schon und auch dort im Spiel, wo wir eigentlich gar nichts zu suchen haben sollten, wenn "die Natur" das schlichtweg andere unserer kulturell-sozialen Welt wäre.

Vor diesem Hintergrund stehen Hampes Überlegungen, was unter "natürlich", "der Natur" und ihren "Gesetzen" zu verstehen sein sollte. Sie sind Lockerungsübungen, um von der Vorstellung einer von sich aus auf genau gebahnten Wegen ablaufenden Natur loszukommen und damit die Auffassung von natürlichen Phänomenen als inhärent gesetzmäßigen auf Abstand zu bringen. Es geht in Richtung eines Verständnisses von Natur als Verkettung von, genaugenommen, unwiederholbaren Einzelereignissen, die eine durch und durch partikulare und historische Wirklichkeit aufspannen.

Kein kleines Unterfangen also, aber vor allem auch eines, bei dem sich der Autor abseits von akademischen Gepflogenheiten der Darstellung hält. In einer Anknüpfung an die Tradition des Totengesprächs bekommt es der Leser hier mit vier Stimmen zu tun, die sich in Debatten verstricken und dabei markante Positionen ohne alle abschreckende Philosophenterminologie ins Spiel bringen.

Magistraler zwar, doch trotzdem elegant widmet sich Philippe Descola in "Jenseits von Natur und Kultur" (Suhrkamp Verlag) unserem eingefahrenen Naturbegriff. Der Inhaber eines Lehrstuhls für die "Ethnologie der Natur" am Collège de France geht es dabei vor allem um die basale Grenzziehung, mit der "die Natur" vom kulturell geformten Reich der sozialen Beziehungen, in dem wir uns bewegen, abgetrennt wird. Natur ist dann, wohin diese sozialen Relationen nicht reichen, weil in ihr die Voraussetzungen für sie gänzlich fehlen: Geist, Subjektivität, Formen des Bewusstseins und der Intentionalität. Sie mag lebendig sein, ist es in den Pflanzen und Tieren offenkundig. Aber das ändert nichts daran, dass diese Formen des Lebens grundsätzlich auf der anderen Seite der großen Auftrennung in Kultur und Natur zu stehen kommen - und also unter unseren Anspruch auf den Gebrauch der essentiell nichtmenschlicher Natur fallen.

Descola weiß natürlich, dass diese geläufige Auftrennung an bestimmten Stellen attackiert wird, vor allem mit Blick auf Tiere. Man denke nur an die regen Debatten darüber, ob und welche Kultur unseren nächsten Verwandten unter den Primaten zuzusprechen ist. Aber als Ethnologe - und Schüler von Claude Levi-Strauss - geht er einen anderen Weg. Sein Anspruch ist, die Abtrennung einer natürlichen, unseren menschlichen Verhältnissen inkompatiblen Sphäre als nur eine unter mehreren Möglichkeiten vor Augen zu führen, wie Gesellschaften sich die Welt zurechtlegen.

Das mag ein wenig abgehoben klingen, führt aber mitten hinein in einen überaus anregenden ethnologischen Parcours rund um die Erde - und in eine Fülle von Erzählungen, in denen Menschen vorkommen und Tiere, Pflanzen und Dinge, aber nicht unsere Grenzziehung zwischen ihnen. Zumindest nicht in der uns vertrauten Form. Da steht die Natur unter der Obhut kultivierender Geister, sind Tiere ebenso sozial organisiert wie die Menschen, haben auch Pflanzen an Personen gemahnende innere Eigenschaften. Wobei diese Beispiele allesamt für die von Descola "animistisch" genannte Konzeption der Welt stehen.

Sie erweist sich für ihn als eine von vier grundlegenden Weisen, wie Gesellschaften die Beziehungen zwischen menschlichem und nichtmenschlichem Bereich organisieren. Und Descolas Pointe ist, dass die für unsere westliche Welt bestimmende "naturalistische" Variante, gemessen an der Zahl von bestehenden Gesellschaften, der seltene Sonderfall ist.

Es liegt nicht auf der Hand, was aus einer solchen Diagnose zu machen ist. Aber wenn auch der ethnologisch entzauberten Notwendigkeit einer bestimmten kulturellen Organisation kein neu eröffneter Spielraum gesellschaftlicher Möglichkeiten entspricht - eine geschärfte Aufmerksamkeit für die auch auf naturalistischem Terrain anzutreffenden Spuren der anderen Varianten kann sie doch bewirken.

So zurückhaltend agiert Hans-Peter Dürr in seinem neuen Buch "Das Lebende lebendiger werden lassen" (Oekom Verlag) gerade nicht. Auch er nimmt die naturalistische Grenzziehung ins Visier, doch gleich mit einer kulturkritisch geläufigeren Vokabel, indem er auf einen falschen Materialismus zielt. Jenen nämlich, den er mit der Vorstellung verknüpft sieht, von der auch Hampe uns auf ganz grundsätzliche Weise entwöhnen möchte: von einer determinierten, maschinenhaft ablaufenden Natur.

Was der Physiker Dürr dagegen aufbietet, ist eine Erinnerung an die Quantentheorie: an ihren irreduziblen Wahrscheinlichkeitcharakter und den Abschied vom Konzept letzter Bausteine der Wirklichkeit, die sich immer noch wie kleine Stückchen von Materie verhielten. Statt dessen gelte es einzusehen, dass auf der untersten Ebene nur Form, Gestalt und Symmetrien anzutreffen sind. Und mit einem entschiedenen Schritt wird daraus die Versicherung, dass also im Grunde und überall etwas Geistiges webt, die Materie dagegen, recht betrachtet, nur als Schlacke anfällt in einer Welt, die sich in jedem Augenblick neu und im Horizont einer offenen Zukunft ereignet. Ein Anklang an religiös bewegte Rede - samt gnostischem Seitenhieb auf die schale Materie - wird einem dabei nicht entgehen.

Der Soziologe auf dem Feld der Wissenschaften Bruno Latour, an dessen Diagnose einer beständig an Hybridisierungen von Kultur und Natur arbeitenden Moderne sowohl Hampe als auch Descola anknüpfen, widmet sich in seinem Buch "Jubilieren" (Suhrkamp Verlag) gleich der Vollform solcher Rede. Oder vielmehr seiner Verlegenheit, zu ihr zu finden. Im Zentrum steht bei ihm die eher elementare Einsicht, dass religiöses Sprechen als eines, das gar keine direkte Referenz auf Dinge in der Welt hat, nicht aufgerechnet werden kann mit Diskursen, die ohne solche Referenzen leer liefen - also insbesondere jenen der Wissenschaften, die freilich auch nicht so einfach mit den Dingen verknüpft sind wie gern angenommen.

Von theologischer Programmatik, die sehr direkt mit weltlichen, nämlich mit römisch-kirchlichen Dingen verknüpft ist, handelt dafür der Kunsthistoriker Willibald Sauerländer. Er widmet sich einem Maler, der einem dabei wohl gar nicht gleich in den Sinn kommt, obwohl die Zahl seiner für Kirchen geschaffenen Werke groß ist. Sauerländer insistiert darauf, diesen "katholischen Rubens" (C. H. Beck Verlag) in den Blick zu nehmen: den europäischen Malerstar mit florierender Werkstatt, der in Zeiten der Religionskonflikte so grandios wie kaum ein anderer gegenreformatorische Bildprogramme verwirklichte.

Wohl ist Sauerländer nicht, wenn er Rubens der triumphierenden Kirche beispringen sieht. Und diese Reserve des Autors, der sich dem Leser als Agnostiker protestantischer Herkunft vorstellt, bekommt der Darstellung ausgezeichnet, zollt sie doch ihrerseits noch Rubens' ungeheurer malerischer Überzeugungskraft Tribut. Zu ihren Verfahren zählt nicht zuletzt, antike Vorlagen ins Christliche hinüberzuspielen (und manchmal auch wieder zurück).

In solche Spiele im Umgang mit Vorlagen führt auch das Buch eines anderen Kunsthistorikers ganz wunderbar hinein. Werner Busch widmet sich in "Great wits jump" (Wilhelm Fink Verlag) dem Umgang von Laurence Sterne mit Werken der bildenden Kunst. Nicht nur sind die Funde beachtlich, die Busch im "Tristram Shandy" macht. Es ist auch äußerst vergnüglich, ihm auf verzweigten Wegen durch all die Übernahmen, Abwandlungen und gewitzten Bedeutungsverschiebungen zu folgen, die Texte und Bilder verknüpfen.

Bestimmte Gaben der Natur, die mit der Anziehung der Geschlechter eng zusammenhängen, sind bei Sterne bekanntlich immer mit im Spiel. Eine moderne, wenn auch etwas wackelige Behandlung einiger solcher Gaben lässt sich im Buch der Soziologin Catherine Hakim über das "Erotische Kapital" (Campus Verlag) nachlesen. Und wer auf diesem Terrain Kultur von Natur scheiden möchte, der sollte ohnehin schnell eines Besseren belehrt werden können.

HELMUT MAYER

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Der Rezensent kratzt sich am Kopf: Die Religion soll mit dem Glauben nichts zu tun haben? Aber mit der Liebe sehr wohl? Claude Haas hat sich Bruno Latours neueste Schrift gearbeitet, in immer neuen Kapiteln erklärt "gebetsmühlenartig" bekommen, dass Religion und Liebe von Behauptung und Wiederholung leben, während Wissenschaft und Glauben nach der festen Bezugsgröße suchen. Allein, er lässt sich nicht überzeugen. Oft hat Haas nach eigenem Bekunden nicht mal verstanden, wovon Latour eigentlich spricht. Und worauf will er hinaus, wenn er die religiöse Rede als "emphatischen Nullpunkt" beschwört? Dass der Mensch sich auch die Liebe nicht selbst ausgedacht hat? Ratlosigkeit beim Rezensenten. Aber auch bei seiner Leserin.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Latours Buch über die Dialektik der religiösen Rede ist eine Anrufung, eine Beschwörung des Lesers, Hilferuf und Mahnung zugleich. Zweifellos ein höchst origineller Wurf, der wirklich neues Licht auf diese No Go - Area der säkularen Vernunft wirft."
Manuel Gogos, WDR 3 19.07.2011