Judas Iskariot hat sich durch eine einzige Tat tief in das kollektive Gedächtnis der Christenheit und der abendländischen Kultur eingegraben. Er ist zum Inbegriff geworden für Verrat und Treulosigkeit, für Habgier und Falschheit. Judas, das ist der andere - und zugleich ein Teil von mir, die Gefahr von außen - und zugleich das, wozu ich selbst fähig bin. Der Band stellt Judas in den Zusammenhang dessen, was wir historisch über Jesus von Nazareth und seinen Jüngerkreis wissen können, und zeichnet dann die Geschichte der Deutung der Judasgestalt bis zum heutigen Tag nach, die bereits bei den neutestamentlichen Texten beginnt und auch problematische antijüdische Züge enthält.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Der Name Judas gilt als Metapher schlechthin für Verrat und ist aus diesem Grunde vom deutschen Namensgebungsgesetz untersagt, teilt Caroline Neubaur mit. Seit je habe der "Fall Judas" zu theologisch-moralischen Betrachtungen Anlass gegeben, das reiche von den Kirchenvätern bis zu Walter Jens, von Goethe bis Bulgakow, umreißt Neubaur die Interpretenriege. Spannend an Judas sei seine Doppelfunktion, schreibt Neubaur: dass er einerseits als Verräter galt, andererseits aber auch als göttliches Werkzeug. Daran haben sich vor allem die vier Evangelisten abgearbeitet, deren Sichtweise Martin Meiser in seiner verdienstvollen vergleichenden Judas-Abhandlung untersucht. Die Stärke des Buches sei zugleich seine Schwäche, fasst Neubaur zusammen; ihres Erachtens trägt Meiser eine Vielzahl von Judasbildern zusammen, "ohne die Figur als 'Denkfigur der Theologie' zu benutzen". Meiser vertrete die Position, dass wir im Grunde alle Judasse seien, eine existenzialistische Sichtweise, die Neubaur zwar sympathisch findet, die ihr aber letztlich inhaltlich zu wenig Position bezieht gegenüber der "heilsgeschichtlich rechtfertigenden" Variante beziehungsweise der "psychologisch verwerfenden" Interpretation.
© Perlentaucher Medien GmbH
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