Ein Übermaß an Hass ist das Ende der Demokratie
Brandanschläge auf Synagogen. Hetze an Schulen. Ein Mob, der das Existenzrecht Israels verneint: Judenhass, in Deutschland.
Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel zeigt sich einmal mehr, wie wenig das Versprechen des »Nie wieder« gilt und wie sehr Antisemitismus von verschiedenen Seiten gesellschaftsfähig geworden ist.
Der renommierte Publizist Michel Friedman über das Versagen der Politik, die Ignoranz unserer Gesellschaft und darüber, wie wir verhindern können, dass die Gewalt gegen Jüdinnen und Juden weiter um sich greift. Denn es geht um alles: um unser aller Zukunft, um Freiheit und Demokratie.
»Ich bin nicht bereit, mich von Menschen, die hassen, beeinflussen zu lassen. Ich bin nicht bereit, ihnen dieses Machtgefühl zu schenken. Ich bin nicht bereit, einen Teil meiner Identität aufgrund von Drohungen zu löschen.
Ich verstehe nicht, warum Menschen, die selbst keine Juden sind, nicht bemerken, dass dort, wo die autoritäre Geisteshaltung ihren Platz gefunden hat, nicht nur die Minderheiten, sondern auch sie selbst ihre Lebensqualität verlieren. Die Schlinge des Autoritären schließt sich auch um ihr Leben. Ich bin nicht bereit zu akzeptieren, dass der Hass das letzte Wort hat.«
Brandanschläge auf Synagogen. Hetze an Schulen. Ein Mob, der das Existenzrecht Israels verneint: Judenhass, in Deutschland.
Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel zeigt sich einmal mehr, wie wenig das Versprechen des »Nie wieder« gilt und wie sehr Antisemitismus von verschiedenen Seiten gesellschaftsfähig geworden ist.
Der renommierte Publizist Michel Friedman über das Versagen der Politik, die Ignoranz unserer Gesellschaft und darüber, wie wir verhindern können, dass die Gewalt gegen Jüdinnen und Juden weiter um sich greift. Denn es geht um alles: um unser aller Zukunft, um Freiheit und Demokratie.
»Ich bin nicht bereit, mich von Menschen, die hassen, beeinflussen zu lassen. Ich bin nicht bereit, ihnen dieses Machtgefühl zu schenken. Ich bin nicht bereit, einen Teil meiner Identität aufgrund von Drohungen zu löschen.
Ich verstehe nicht, warum Menschen, die selbst keine Juden sind, nicht bemerken, dass dort, wo die autoritäre Geisteshaltung ihren Platz gefunden hat, nicht nur die Minderheiten, sondern auch sie selbst ihre Lebensqualität verlieren. Die Schlinge des Autoritären schließt sich auch um ihr Leben. Ich bin nicht bereit zu akzeptieren, dass der Hass das letzte Wort hat.«
»Ein Buch, das von Herzen kommt und ans Herz geht ... kurz, pointiert, eindringlich.« Joachim Käppner Süddeutsche Zeitung 20240131
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ein Hilfeschrei ist diese Schrift, die Michel Friedman nach dem Massaker der Hamas im israelischen Grenzgebiet zum Gazastreifen am 7. Oktober verfasst hat, so Rezensent Joachim Käppner. Friedman ist nicht nur von den Morden selbst, sondern vor allem von deren Grausamkeit entsetzt, spricht aus ihnen doch ein Vernichtungswillen, der auf alles Jüdische zielt und darin an antisemitische Gräueltaten der Vergangenheit anschließt, erkennt der Rezensent. Antisemiten gibt es laut Friedman nicht nur auf Seiten der Rechten, sondern auch unter Linken, die ihre antikapitalistischen und antiimperialistischen Fantasien sowie in Deutschland auch die eigene historische Schuld auf den Nahen Osten projizieren - heraus kommt dann ein Slogan wie "Free Palestine from German guilt". Käppner liest mit Bedauern, wie allein gelassen Friedman und viele andere Juden sich in Deutschland fühlen. Die zahlreichen Demonstrationen, die sich seit der Drucklegung gegen Rechtsextremismus, Rassismus und - so der Kritiker - auch gegen Antisemitismus formiert haben, lassen ihn allerdings Hoffnung schöpfen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.02.2024„Hasst nicht. Niemanden.“
Michel Friedman hat über jüdisches Leben nach den Hamas-Massakern, nein, kein Buch
geschrieben, sondern einen Hilfeschrei. Und doch gelingt ihm Zuversicht.
Im Französischen gibt es den Ausdruck cri de cœur, was sich mit „Schrei des Herzens“ nur unvollkommen übersetzen lässt. Vielleicht trifft es „ein Ruf um Hilfe“, der aus tiefstem Herzen kommt, etwas besser. Jedenfalls vermittelt Michel Friedmans neues Buch „Judenhass“ genau diesen Eindruck. Es ist ein Buch, das von Herzen kommt und ans Herz geht.
Friedman, Jahrgang 1956, Rechtsanwalt, Publizist, früher TV-Talkmaster und neuerdings sehr aktiv als Buchautor, setzt sich in diesem kurzen, aber pointiert und eindringlich geschriebenen Band mit einer Bedrohung auseinander, welche die meisten jüdischen Menschen heute wieder in einem Maße spüren, das viele von ihnen nicht mehr für möglich gehalten hätten. Aber der 7. Oktober 2023 und alles, was ihm folgte, hat das dramatisch und sehr rasch geändert. Was die islamistische Terrortruppe Hamas an diesem Tag im Süden Israels anrichtete, war ein Grauen, das man einst ein Pogrom nannte: 1200 Menschen wurden ermordet, nur weil sie – in den allermeisten Fällen – Juden waren, Bürgerinnen und Bürger des jüdischen Staates.
Natürlich kann man, wie es jetzt auch der Internationale Gerichtshof in Den Haag getan hat, auch deutliche Kritik an der Brutalität des israelischen Gegenschlages in Gaza äußern, der nun wohl schon 26 000 Menschenleben gefordert hat, darunter sehr viele Zivilisten (leider haben sich die Richter nicht auch mit den genozidalen Absichten der Hamas-Terroristen beschäftigt). Solche Kritik ist legitim, ändert aber nichts daran, wie sehr der Horror des 7. Oktober 2023 nicht allein bei Juden Erinnerungen an eine uralte Geschichte der Verfolgungen wachrufen muss. Michel Friedman, geboren 1956, ist Kind von Eltern, deren Verwandte fast sämtlich in den Vernichtungslagern Nazideutschlands ermordet wurden. Vater und Mutter selbst entgingen dem Tod nur knapp, dank des Unternehmers Oskar Schindler, der viele jüdische Menschen rettete.
„Ich denke an meine Familie, die die Shoah, die deutsche Mordmaschinerie erlebt und nicht überlebt hat“, schreibt Friedman nun: „Alle wurden ermordet, außer meiner Mutter, meinem Vater, meiner Großmutter. Auch die Nazis hatten die Menschen jüdischen Glaubens entmenschlicht. Sie nannten sie Ratten und Ungeziefer.“
Das Massaker im Süden Israels ruft diese Assoziationen notgedrungen wach im Kind der Überlebenden. Es sei ihm, während er fassungslos vor den Nachrichtensendungen saß, bald klar geworden, schreibt Friedman, dass „die Botschaft des Massakers vom 7. Oktober 2023 nicht nur das Töten an sich war, sondern das Wie. ... Verbrannte Menschen. Abgehackte Glieder. Vergewaltigte Frauen. Misshandelte Kinder. Tote Babys.“ Was die Mörder ausdrücken wollten, sei dies: „Juden sind keine Menschen. Das ist die Botschaft.“ Diese Sätze stehen gleich am Anfang des Buchs, der Titel des Kapitels heißt schlicht: „Wieder“.
Israel hat viel Solidarität erfahren, auch aus Deutschland. Und doch entfachte der neue Krieg einen Flächenbrand des Antisemitismus, der ja nichts anderes ist als eine besonders widerwärtige Form des Rassismus – wohin der Hass auf Juden führen kann, sieht man in den Gedenkstätten von Auschwitz oder Buchenwald. Antisemitismus findet sich, wie stets, auf der äußeren Rechten, unter Islamisten und auch auf der Linken. Wenn junge deutsche Akademiker auf den Straßen Berlins schreien: „Free Palestine from German guilt“, befreit Palästina von deutscher Schuld, ist das eine so dumme wie aggressive Form der Weigerung, Verantwortung für die deutsche Geschichte anzunehmen.
Für Friedman ist es schierer Antisemitismus: „Linksextremisten glauben, über den Nahen Osten und über den Staat Israel endlich ihre Themen wie Kapitalismus, Imperialismus, Kolonialismus in die Öffentlichkeit tragen zu können. ... Dass sie ausgerechnet in Deutschland versuchen, den Satz Free Palestine from the river to the sea, was nichts anderes bedeutet als die totale Vernichtung des Staates und seiner Bewohner, mit dem Wunsch Free Palestine from German guilt zu ergänzen, zeigt die Schnittmenge aller extremistischen Antisemiten.“
Schonungslos beschreibt Friedman das Gefühl vieler jüdischer Deutscher, im Grunde allein zu sein, ausgesetzt dem Hass der einen und der Gleichgültigkeit der anderen, die Solidarität zu fühlen von so wenigen. Dabei ist Antisemitismus doch immer auch ein Angriff auf die Demokratie, die Toleranz. Aber vielleicht gibt es doch mehr Hoffnung, als Michel Friedman zu glauben scheint, wenn er schreibt: „Viele von uns sind noch trauriger, noch verzweifelter geworden“, weil es „im öffentlichen Raum geisterhaft still ist.“ Aber das hat sich geändert, während das Buch noch im Druck war.
Hunderttausende sind in den vergangenen Wochen gegen Rechtsextremismus und Rassismus auf die Straße gegangen, auch ausdrücklich gegen Antisemitismus. Diese Gesellschaft, gerade diese deutsche Gesellschaft sollte alles dafür tun, damit Menschen wie Michel Friedman sich nicht plötzlich fremd fühlen.
Er selbst beendet sein Buch ja mit Worten der Zuversicht, sich dem Hass nicht beugen zu müssen. Gerichtet an seine Söhne schreibt er: „Denkt daran: Hass ist grenzenlos. Aber nichts von dem, was die Hassenden über Euch sagen werden, ist wahr oder hat irgendetwas mit Euch zu tun. Diejenigen, die sagen, dass Ihr ein Problem seid, sind das Problem. Befreit Euch von den Unglücklichen, die glauben, sie könnten glücklich werden, weil sie andere Menschen hassen. Hasst nicht. Niemanden.“
JOACHIM KÄPPNER
„Viele von uns sind noch
trauriger, noch
verzweifelter geworden.“
Eine beschmierte Hauswand in der Sonnenallee in Berlin-Neukölln.
Foto: Imago/Ipon
Michel Friedman:
Judenhass: 7. Oktober 2023. Berlin Verlag, Berlin 2024. 112 Seiten, 12 Euro.
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Michel Friedman hat über jüdisches Leben nach den Hamas-Massakern, nein, kein Buch
geschrieben, sondern einen Hilfeschrei. Und doch gelingt ihm Zuversicht.
Im Französischen gibt es den Ausdruck cri de cœur, was sich mit „Schrei des Herzens“ nur unvollkommen übersetzen lässt. Vielleicht trifft es „ein Ruf um Hilfe“, der aus tiefstem Herzen kommt, etwas besser. Jedenfalls vermittelt Michel Friedmans neues Buch „Judenhass“ genau diesen Eindruck. Es ist ein Buch, das von Herzen kommt und ans Herz geht.
Friedman, Jahrgang 1956, Rechtsanwalt, Publizist, früher TV-Talkmaster und neuerdings sehr aktiv als Buchautor, setzt sich in diesem kurzen, aber pointiert und eindringlich geschriebenen Band mit einer Bedrohung auseinander, welche die meisten jüdischen Menschen heute wieder in einem Maße spüren, das viele von ihnen nicht mehr für möglich gehalten hätten. Aber der 7. Oktober 2023 und alles, was ihm folgte, hat das dramatisch und sehr rasch geändert. Was die islamistische Terrortruppe Hamas an diesem Tag im Süden Israels anrichtete, war ein Grauen, das man einst ein Pogrom nannte: 1200 Menschen wurden ermordet, nur weil sie – in den allermeisten Fällen – Juden waren, Bürgerinnen und Bürger des jüdischen Staates.
Natürlich kann man, wie es jetzt auch der Internationale Gerichtshof in Den Haag getan hat, auch deutliche Kritik an der Brutalität des israelischen Gegenschlages in Gaza äußern, der nun wohl schon 26 000 Menschenleben gefordert hat, darunter sehr viele Zivilisten (leider haben sich die Richter nicht auch mit den genozidalen Absichten der Hamas-Terroristen beschäftigt). Solche Kritik ist legitim, ändert aber nichts daran, wie sehr der Horror des 7. Oktober 2023 nicht allein bei Juden Erinnerungen an eine uralte Geschichte der Verfolgungen wachrufen muss. Michel Friedman, geboren 1956, ist Kind von Eltern, deren Verwandte fast sämtlich in den Vernichtungslagern Nazideutschlands ermordet wurden. Vater und Mutter selbst entgingen dem Tod nur knapp, dank des Unternehmers Oskar Schindler, der viele jüdische Menschen rettete.
„Ich denke an meine Familie, die die Shoah, die deutsche Mordmaschinerie erlebt und nicht überlebt hat“, schreibt Friedman nun: „Alle wurden ermordet, außer meiner Mutter, meinem Vater, meiner Großmutter. Auch die Nazis hatten die Menschen jüdischen Glaubens entmenschlicht. Sie nannten sie Ratten und Ungeziefer.“
Das Massaker im Süden Israels ruft diese Assoziationen notgedrungen wach im Kind der Überlebenden. Es sei ihm, während er fassungslos vor den Nachrichtensendungen saß, bald klar geworden, schreibt Friedman, dass „die Botschaft des Massakers vom 7. Oktober 2023 nicht nur das Töten an sich war, sondern das Wie. ... Verbrannte Menschen. Abgehackte Glieder. Vergewaltigte Frauen. Misshandelte Kinder. Tote Babys.“ Was die Mörder ausdrücken wollten, sei dies: „Juden sind keine Menschen. Das ist die Botschaft.“ Diese Sätze stehen gleich am Anfang des Buchs, der Titel des Kapitels heißt schlicht: „Wieder“.
Israel hat viel Solidarität erfahren, auch aus Deutschland. Und doch entfachte der neue Krieg einen Flächenbrand des Antisemitismus, der ja nichts anderes ist als eine besonders widerwärtige Form des Rassismus – wohin der Hass auf Juden führen kann, sieht man in den Gedenkstätten von Auschwitz oder Buchenwald. Antisemitismus findet sich, wie stets, auf der äußeren Rechten, unter Islamisten und auch auf der Linken. Wenn junge deutsche Akademiker auf den Straßen Berlins schreien: „Free Palestine from German guilt“, befreit Palästina von deutscher Schuld, ist das eine so dumme wie aggressive Form der Weigerung, Verantwortung für die deutsche Geschichte anzunehmen.
Für Friedman ist es schierer Antisemitismus: „Linksextremisten glauben, über den Nahen Osten und über den Staat Israel endlich ihre Themen wie Kapitalismus, Imperialismus, Kolonialismus in die Öffentlichkeit tragen zu können. ... Dass sie ausgerechnet in Deutschland versuchen, den Satz Free Palestine from the river to the sea, was nichts anderes bedeutet als die totale Vernichtung des Staates und seiner Bewohner, mit dem Wunsch Free Palestine from German guilt zu ergänzen, zeigt die Schnittmenge aller extremistischen Antisemiten.“
Schonungslos beschreibt Friedman das Gefühl vieler jüdischer Deutscher, im Grunde allein zu sein, ausgesetzt dem Hass der einen und der Gleichgültigkeit der anderen, die Solidarität zu fühlen von so wenigen. Dabei ist Antisemitismus doch immer auch ein Angriff auf die Demokratie, die Toleranz. Aber vielleicht gibt es doch mehr Hoffnung, als Michel Friedman zu glauben scheint, wenn er schreibt: „Viele von uns sind noch trauriger, noch verzweifelter geworden“, weil es „im öffentlichen Raum geisterhaft still ist.“ Aber das hat sich geändert, während das Buch noch im Druck war.
Hunderttausende sind in den vergangenen Wochen gegen Rechtsextremismus und Rassismus auf die Straße gegangen, auch ausdrücklich gegen Antisemitismus. Diese Gesellschaft, gerade diese deutsche Gesellschaft sollte alles dafür tun, damit Menschen wie Michel Friedman sich nicht plötzlich fremd fühlen.
Er selbst beendet sein Buch ja mit Worten der Zuversicht, sich dem Hass nicht beugen zu müssen. Gerichtet an seine Söhne schreibt er: „Denkt daran: Hass ist grenzenlos. Aber nichts von dem, was die Hassenden über Euch sagen werden, ist wahr oder hat irgendetwas mit Euch zu tun. Diejenigen, die sagen, dass Ihr ein Problem seid, sind das Problem. Befreit Euch von den Unglücklichen, die glauben, sie könnten glücklich werden, weil sie andere Menschen hassen. Hasst nicht. Niemanden.“
JOACHIM KÄPPNER
„Viele von uns sind noch
trauriger, noch
verzweifelter geworden.“
Eine beschmierte Hauswand in der Sonnenallee in Berlin-Neukölln.
Foto: Imago/Ipon
Michel Friedman:
Judenhass: 7. Oktober 2023. Berlin Verlag, Berlin 2024. 112 Seiten, 12 Euro.
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