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Die Verbürgerlichung der deutschen Juden: eine beispiellose Erfolgsgeschichte.
Im 19. Jahrhundert gelang den deutschen Juden ein wirtschaftlicher und sozialer Aufstieg, der in Europa ohnegleichen ist. Warum aber stellt sich die jüdische Geschichte gerade in Deutschland mit seiner zögerlichen Emanzipationspolitik als atemberaubende Erfolgsgeschichte dar?
Diese Frage bildet den Ausgangspunkt von Simone Lässigs Studie, in deren Zentrum die kulturell-religiöse Verbürgerlichung der Juden steht. Behandelt wird die Entwicklung eines modernen Bildungskonzepts und entsprechender Schulen, die
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Produktbeschreibung
Die Verbürgerlichung der deutschen Juden: eine beispiellose Erfolgsgeschichte.
Im 19. Jahrhundert gelang den deutschen Juden ein wirtschaftlicher und sozialer Aufstieg, der in Europa ohnegleichen ist. Warum aber stellt sich die jüdische Geschichte gerade in Deutschland mit seiner zögerlichen Emanzipationspolitik als atemberaubende Erfolgsgeschichte dar?
Diese Frage bildet den Ausgangspunkt von Simone Lässigs Studie, in deren Zentrum die kulturell-religiöse Verbürgerlichung der Juden steht. Behandelt wird die Entwicklung eines modernen Bildungskonzepts und entsprechender Schulen, die Ausformung einer - feminin aufgeladenen und historisch orientierten - »Religion des Bürgers« und die Entstehung einer jüdischen Öffentlichkeit, die sich im Spiegel der Publizistik und des Vereinswesens weniger als Subkultur denn als Laboratorium der Bürgerlichkeit darstellt.
Die breite Quellenbasis umfasst nicht nur programmatische Texte, sondern auch zahlreiche Memoiren, Briefe, Tagebücher und Lebensbeschreibungen, Quellen staatlicher und kommunaler Provenienz sowie Predigten, Periodika, Vereinsstatuten und statistische Materialien.
Es zeigt sich, wie das ursprünglich vom Staat auf die Minderheit projizierte Projekt einer »bürgerlichen Verbesserung« von den deutschen Juden angenommen, gebrochen, neu gedeutet und so weit verändert wurde, dass es zu einem originär jüdischen und überaus erfolgreichen Projekt der kulturellen Modernisierung sozialer Strukturen werden konnte.
Der Verband der Historikerinnen und Historiker Deutschlands zeichnete diese Arbeit als »eine inhaltlich und methodisch vorbildliche Studie, die in der Forschung für Aufsehen sorgen wird«, mit dem Habilitationspreis 2004 aus.
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Autorenporträt
Prof. Dr. Simone Lässig ist Direktorin des Deutschen Historischen Instituts Washington DC.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.11.2004

Der Wandel der Seele durch die neuen Formen
Simone Lässigs glänzende Studie über die jüdischen Wege in das deutsche Bürgertum

"Assimilation" ist ein häßliches Wort. Manche meinen sogar: ein schreckliches. Daß viele Deutsche jüdischer Herkunft im neunzehnten Jahrhundert energisch und mit erstaunlichem Erfolg danach strebten, die bürgerlichen Lebensformen und Anschauungen der christlichen Mehrheit zu übernehmen, kann im Rückblick als ein tragischer Irrtum erscheinen: als eine partielle Selbstaufgabe, ein Menetekel auf jene andere Auslöschung. Die Assimilation, so hört man mitunter, habe den Juden "nichts genutzt". Doch die sonderbare Mischung aus Mitleid und Häme, die aus solchen Bemerkungen tönt, macht mißtrauisch. Kann wahr sein, was so häßlich klingt? Schlägt das Pathos der Betroffenheit hier nicht in jenen Rassismus um, den es anzuklagen meint? Wer will bestimmen, was jene "jüdische Identität" ist, die ihre Träger angeblich aufgaben, als sie sich "deutschen", bürgerlichen Werten öffneten?

In ihrer Dresdner Habilitationsschrift sucht die Historikerin Simone Lässig einen Ausweg aus diesem alten Dilemma. Sie findet ihn, indem sie die Begriffe "Assimilation" oder "Akkulturation" verwirft und jenen Vorgang, den sie bezeichneten, als einen Prozeß forcierter "Verbürgerlichung" beschreibt. Dabei geht sie von der bekannten Tatsache aus, daß die jüdische Bevölkerung keines anderen europäischen Landes so geschlossen und erfolgreich "verbürgerlichte" wie die Deutschlands: daß die deutschen Juden in dieser Hinsicht zu "Pionieren eines modernen Judentums" wurden. Sie erklärt das aus dem Zwang: Nur in Deutschland war bürgerliche Gleichstellung kein Grundrecht, sondern ein Lohn für Wohlverhalten. Blieb es den Juden in England, Frankreich oder den Niederlanden selbst überlassen, ob sie an der gesellschaftlichen Modernisierung teilnehmen wollten oder nicht, so verlangten die deutschen Regierungen ihre "bürgerliche Verbesserung". Der Anpassungsdruck war hier höher als dort. Aber er enthielt ein verheißungsvolles Bündnisangebot. "Bürgerlichkeit", so argumentiert Lässig, war noch in den dreißiger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts keine soziale Realität. Sie war die Vision einer aufgeklärten Bürokratie, die davon träumte, alle Untertanen zu aktiven, loyalen Partnern der Regierung zu machen, eben zu Staatsbürgern. Dazu aber konnte nur Bildung führen.

Würde es den Juden gelingen, diese Vorgabe zu erfüllen, sich zu aktiven Bürgern zu kultivieren - durften sie dann nicht zu Recht hoffen, aus beargwöhnten Außenseitern zu einer neuen Elite zu werden? Dazu aber genügte es nicht, daß sich nur ihre Spitzen in Bürger verwandelten. Weil gerade die jüdischen Unterschichten von christlichen Kritikern oft als abschreckende Beispiele für "das" Judentum vorgeführt wurden, mußten alle Mitglieder der Gemeinde mitziehen. Das war möglich. Denn "Bürgerlichkeit" hing im Vormärz-Deutschland nicht vorrangig vom Besitz ab, sondern von einem bestimmten Habitus und Wertehorizont, und sie war konfessionsneutral genug, daß ihrem Leitbild auch Orthodoxe ruhigen Gewissens folgen konnten. So gründete man allenthalben jüdische Reformschulen. Man modernisierte den Gottesdienst durch "Ästhetisierung und Historisierung" überkommener Formen. Man führte eine deutsche Predigt ein und setzte damit, so versichert die Autorin, selbst für Protestanten Maßstäbe. Man suchte die Rolle der Frau religiös wie gesellschaftlich aufzuwerten, aktivierte das Gemeindeleben und nutzte es, um jene moderne Lebenshaltung einzuüben, die von einer reichen, hochdifferenzierten jüdischen Publizistik propagiert wurde. So gelang es, tatsächlich alle Schichten der jüdischen Bevölkerung zu Bürgern zu machen, von der höchsten bis zur niedrigsten. Anders als in Westeuropa gab es in Deutschland kaum jüdische Arbeiter oder Bauern.

Dennoch wirkte in solchen Bestrebungen weit mehr als strategisches Kalkül. Wenn der Bunzlauer Rabbinersohn Israel Weiß Ende der dreißiger Jahre des achtzehnten Jahrhunderts neben dem Talmud eifrig Adelungs "Deutsche Sprachlehre" studierte; wenn der Dresdner Banklehrling Louis Lesser nächtelang Karten spielte, um sich mit den Gewinnen den zwölfbändigen "Brockhaus" kaufen zu können, oder wenn sich der Hamburger Arzt Daniel Warburg 1844 mit einer bescheidenen Wohnung begnügte, nur weil sie neben dem Theater lag - dann zeigt sich darin deutlich, wie tief und authentisch die allgemeine Bildungseuphorie die Zeitgenossen prägte.

Zugleich wird deutlich, wie wenig sich das, was hier geschah, mit "Assimilation" beschreiben läßt. Wenn deutsche Juden im frühen neunzehnten Jahrhundert nach Bildung strebten, paßten sie sich weder "den Christen" noch "den Deutschen", noch sonst bestehenden Vorbildern an. Vielmehr suchten sie das neue Leitbild "Bürgerlichkeit" ihrerseits vorbildlich zu prägen. Sie lebten vor, wie glänzend eine Gesellschaft vorankommen konnte, die sich gemeinsam am Ideal bürgerlicher Kultur orientierte und sie nicht etwa zur internen Ab- und Ausgrenzung benutzte. Sie erreichten, daß Bürgertum und Judentum geradezu miteinander verschmolzen. Seither allerdings konnten Ressentiments gegen die eine Gruppe leicht auf die andere übertragen werden. Repräsentanten und Außenseiter rückten in Deutschland nahe zusammen.

Sechzig klein bedruckte Seiten faßt die Liste der Quellen und Bücher, auf die Lässig ihre Argumentation stützt. Das wichtigste darunter war - ihr Untertitel bekennt es - Pierre Bourdieus Essay über die drei Sorten von "Kapital". Sie folgt ihm in kritischer Distanz. Anders als der Meister hält sie das ökonomische Kapital nicht für das wichtigste, sondern möchte dem kulturellen wenigstens in der Frühphase des deutschen Bürgertums ebenso große Macht zuschreiben. Bei der Emanzipation der deutschen Juden jedenfalls sei (so betont sie gegen Historikerkollegen wie Shulamit Volkov) Bildung dem wirtschaftlichen Aufstieg nicht gefolgt, sondern vorausgegangen. Aus dieser Perspektive gab es beides: die deutsche Kulturnation wie den deutschen Sonderweg.

Man mag das idealistisch nennen. Aber Lässig beweist die befreiende Kraft von Geist und Kultur anhand harter Fakten und durch eine Gesamtdeutung, die alte Ungereimtheiten plausibel auflöst. Unaufgelöst bleibt nur ein stilistisches Paradox: So ungeniert die Autorin die ideologischen Klischees der älteren Bielefelder Schule hinwegfegt, so ehrfürchtig pflegt sie deren Technokratenjargon. Arglos redet sie beispielsweise von "einer fortschreitenden Funktionsdifferenzierung und Professionalisierung im synagogalen Raum", vom "Vermessen" von "Geschlechterrollen", von der "Durchschlagskraft der Verbürgerlichungsoffensive". Anders als für ihre Helden war eine schöne Sprache für sie offenbar kein höchstes Ideal. Dennoch hat der Deutsche Historikerverband ihr Buch zu Recht ausgezeichnet. Denn es argumentiert klar und mutig, es beweist die Macht historischer Analyse über schiefe Apologetik und belehrt damit weit über sein Thema hinaus.

GERRIT WALTHER

Simone Lässig: "Jüdische Wege ins Bürgertum". Kulturelles Kapital und sozialer Aufstieg im 19. Jahrhundert. Bürgertum Neue Folge. Studien zur Zivilgesellschaft, herausgegeben von Manfred Hettling und Paul Nolte. Band 1. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2004. 784 S., geb., 69,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit ihrer fast 800 Seiten starken Habilitationsschrift "
'Simone Lässigs glänzende Studie über die jüdischen Wege in das deutsche Bürgertum' (Gerrit Walther in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung)