Eine faszinierende Stadt jenseits von Tulpen, Grachten und Fahrrädern erschließt sich Reisenden und Daheimgebliebenen bei der Lektüre dieses Stadtführers der etwas anderen Art.Spaziert man durch Amsterdam, so entdeckt man bald in der ganzen Stadt Spuren jüdischen Lebens: geschlossene und offene Synagogen, das jüdische Museum, das Anne Frank Haus, koschere Cafes und zahlreiche Straßennamen zeugen ebenso von der reichen jüdischen Vergangenheit, wie auch von der pulsierenden jüdischen Gegenwart der Stadt. 'Das Jerusalem des Westens' entwickelte sich im 15. und 16. Jahrhundert nach der spanischen Inquisition und der Vertreibung der Juden aus Portugal zum Zentrum der europäischen Diaspora. Die kulturell, wie ökonomisch aufblühende Gemeinde wurde zum konstituierenden Bestandteil der Stadt, ihre Mitglieder zu bedeutenden Mitgestaltern ihrer Entwicklung. Doch der Nationalsozialismus änderte auch in Amsterdam alles. Zum Teil von ihren Mitbürgern denunziert, wurden beinahe 70.000 Amsterdamer Juden deportiert und - bis auf wenige Überlebende - in Konzentrationslagern ermordet. Das Schicksal der Anne Frank, versteckt und verraten in Amsterdam, ist zum Symbol der Unmenschlichkeit jener dunklen Zeit geworden.Die Autoren dieses Buches führen in Spaziergängen durch ihre Stadt und zeichnen dabei die Geschichte und Gegenwart der jüdischen Gemeinde mittels Geschichten, Anekdoten und historischen Aufnahmen nach. Mit ihrer Hilfe entdecken die Leser eine der schillernden Facetten Amsterdams.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.11.2007Orte und Menschen
Zwei exzellente Stadtführer zum Leben der Juden in Amsterdam und WienVon Eva-Elisabeth Fischer
Wer nichts weiß, den macht hier nichts heiß. Man geht über die Brücke des Donaukanals, lässt das Stadtzentrum und die Touristen hinter sich, hat dann irgendwo den Prater vor sich. Man schlägt sich ins graue Gewirr schmaler Gassen, denkt sich hinein in die unwirtlichsten Jahreszeiten, den kalten Januar und den heißen Juli und wie es da sein mag, zwischen den öden Häusern mit den wenigen Ladenlokalen und so gar keinem Grün. Man befindet sich in der Leopoldstadt, Wiens II. Bezirk, bekannt als Mazzes-Insel. Nichts Prägnantes deutet darauf hin, dass dies das Wohnviertel der Wiener Juden war und ist.
Da kommt es gelegen, einen kompetenten Führer dabei zu haben. Dieser hier misst nur 13 mal 20,5 Zentimeter, passt somit in jede Manteltasche und redet nicht ungefragt gescheit daher. Er ist bereits in der zweiten Auflage erschienen und leitet einen so übersichtlich wie kompetent durch das jüdische Wien. Der das Vorwort geschrieben hat zum Band „Jüdisches Wien”, gehört zum intellektuellen Inventar der Mazzes-Insel. Es ist Robert Schindel, der Schriftsteller und Dichter, Autor des Romans „Gebirtig”. Er nähert sich seinem Gegenstand mit dem beißenden Witz dessen, der selbst, noch im Kinderwagen, nur mit knapper Not als U-Boot überlebt hat: „. . . die seltsame Liebe der Herausgeschmissenen zu den Hinausschmeißern, wurzelt sie in dieser Heimeligkeit, in der Umarmung des wienerischen und des jüdischen Witzes, wobei bei diesem im Auge das Lächeln, bei jenem aber der Tod steht?”
Ganz früher einmal hieß die Leopoldstadt „Unterer Werd”. Im Dezember 1624 wurde es den Wiener Juden als Wohngebiet zugewiesen, was nicht hinderte, dass man sie 1670 das zweite Mal in der lokalen jüdischen Geschichte seit dem Mittelalter vertrieb. Die Reichen unter ihnen ließ Leopold I. schnell zurückholen, weil der kaiserliche Hof pleite war. Sie erlebten im späten 18. Jahrhundert die Toleranzpolitik Kaiser Josephs II., was ihnen allerdings keineswegs die bürgerliche Gleichstellung brachte. Niederlassen durften sich sowieso nur diejenigen, die Geld hatten. Die Betuchten machten späterhin an der Ringstraße Geschichte als Bankiers und Rentiers, als Ärzte, Psychoanalytiker und Künstler im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, wo sie ihre Salons in den feinen Palais des I. Bezirks unterhielten.
In so einem, dem Eskeles-Palais, befindet sich heute das Jüdische Museum der Stadt und erzählt auch davon, dass 65 000 von nahezu 200 000 Juden nach dem Anschluss 1938 ermordet wurden. Unweit davon verschließt sich Rachel Whitereads ehernes Buch auf dem Judenplatz für immer der Lektüre, ein weitaus sinnfälligeres Mahnmal als Alfred Hrdlickas naturalistisch degradierter pflasterschrubbender Jude vor der Albertina.
Im jüdischen Amsterdam, nahe dem Zentrum, das im gleichnamigen Führer eingängig beschrieben wird, offenbart heute wieder das alte jüdische Viertel seine Pracht. In der mächtigen sephardischen Synagoge wird noch gebetet. Gegenüber, in der aschkenasischen Synagoge, wurde das Museum eingebaut, das auch von der Schande der Kollaboration erzählt, von der Gleichgültigkeit, der anderen Seite der vielgepriesenen holländischen Toleranz. Nur 10 000 von den 70 000 Amsterdamer Juden haben den Krieg überlebt. Grete Weil, die wie Schindel untergetaucht war und überlebt hat, hielt den Schrecken der Deportationen in ihrem berühmten Roman „Tramhalte Beethovenstraat” fest.
Verglichen mit Wien siedelten sich Juden in Amsterdam relativ spät, nämlich erst zum Ende des 16. Jahrhunderts an. Es waren zunächst sephardische Kaufleute aus Portugal, die in ihrer Heimat von Inquisition und Zwangstaufe bedroht waren. In den Niederlanden genossen sie Grundfreiheiten und Bürgerrechte, wie sie den Juden nirgendwo sonst zugestanden wurden. Anfang des 17. Jahrhunderts wanderten Scharen von verarmten Aschkenasen ein, die für die inzwischen wohlhabenden Sepharden arbeiteten. Auch wenn sie sich in Sprache, Kultur und Sozialisation gravierend voneinander unterschieden, lebten beide Judenheiten in friedlicher und ungestörter Symbiose, gingen ihrem Tagwerk nach, zu dem seit Beginn des 20. Jahrhunderts die Diamantenindustrie gehörte.
Es ist in der Tat frappierend, dass die Juden in den Niederlanden erstmals mit dem Einmarsch der Nazis Unfreiheit erlebten: „Hier wurde zum ersten Mal in der Geschichte der Niederlande im alten jüdischen Viertel ein Ghetto eingerichtet und mit Stacheldraht umzäunt”, steht im Kapitel über „Die Zerstörung des jüdischen Amsterdam” zu lesen. Aber wie in anderen Städten Europas ist in Amsterdam eine neue jüdische Gemeinschaft voller Leben und Energie gewachsen. „Heute gibt es hier immer noch – oder vielleicht: wieder – ein jüdisches Amsterdam, ein Mokum.” Es zu entdecken, hat man ja, ganz frisch, den idealen Führer zur Hand.
Jan Stoutenbeek, Paul Vigeveno
Jüdisches Amsterdam
Mandelbaum Verlag, Wien 2007. 256 Seiten, 15,80 Euro.
Robert Schindel, Michaela Feurstein-Prasser, Gerhard Milchram
Jüdisches Wien
Mandelbaum Verlag, Wien 2007. 191 Seiten, 15,80 Euro.
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Zwei exzellente Stadtführer zum Leben der Juden in Amsterdam und WienVon Eva-Elisabeth Fischer
Wer nichts weiß, den macht hier nichts heiß. Man geht über die Brücke des Donaukanals, lässt das Stadtzentrum und die Touristen hinter sich, hat dann irgendwo den Prater vor sich. Man schlägt sich ins graue Gewirr schmaler Gassen, denkt sich hinein in die unwirtlichsten Jahreszeiten, den kalten Januar und den heißen Juli und wie es da sein mag, zwischen den öden Häusern mit den wenigen Ladenlokalen und so gar keinem Grün. Man befindet sich in der Leopoldstadt, Wiens II. Bezirk, bekannt als Mazzes-Insel. Nichts Prägnantes deutet darauf hin, dass dies das Wohnviertel der Wiener Juden war und ist.
Da kommt es gelegen, einen kompetenten Führer dabei zu haben. Dieser hier misst nur 13 mal 20,5 Zentimeter, passt somit in jede Manteltasche und redet nicht ungefragt gescheit daher. Er ist bereits in der zweiten Auflage erschienen und leitet einen so übersichtlich wie kompetent durch das jüdische Wien. Der das Vorwort geschrieben hat zum Band „Jüdisches Wien”, gehört zum intellektuellen Inventar der Mazzes-Insel. Es ist Robert Schindel, der Schriftsteller und Dichter, Autor des Romans „Gebirtig”. Er nähert sich seinem Gegenstand mit dem beißenden Witz dessen, der selbst, noch im Kinderwagen, nur mit knapper Not als U-Boot überlebt hat: „. . . die seltsame Liebe der Herausgeschmissenen zu den Hinausschmeißern, wurzelt sie in dieser Heimeligkeit, in der Umarmung des wienerischen und des jüdischen Witzes, wobei bei diesem im Auge das Lächeln, bei jenem aber der Tod steht?”
Ganz früher einmal hieß die Leopoldstadt „Unterer Werd”. Im Dezember 1624 wurde es den Wiener Juden als Wohngebiet zugewiesen, was nicht hinderte, dass man sie 1670 das zweite Mal in der lokalen jüdischen Geschichte seit dem Mittelalter vertrieb. Die Reichen unter ihnen ließ Leopold I. schnell zurückholen, weil der kaiserliche Hof pleite war. Sie erlebten im späten 18. Jahrhundert die Toleranzpolitik Kaiser Josephs II., was ihnen allerdings keineswegs die bürgerliche Gleichstellung brachte. Niederlassen durften sich sowieso nur diejenigen, die Geld hatten. Die Betuchten machten späterhin an der Ringstraße Geschichte als Bankiers und Rentiers, als Ärzte, Psychoanalytiker und Künstler im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, wo sie ihre Salons in den feinen Palais des I. Bezirks unterhielten.
In so einem, dem Eskeles-Palais, befindet sich heute das Jüdische Museum der Stadt und erzählt auch davon, dass 65 000 von nahezu 200 000 Juden nach dem Anschluss 1938 ermordet wurden. Unweit davon verschließt sich Rachel Whitereads ehernes Buch auf dem Judenplatz für immer der Lektüre, ein weitaus sinnfälligeres Mahnmal als Alfred Hrdlickas naturalistisch degradierter pflasterschrubbender Jude vor der Albertina.
Im jüdischen Amsterdam, nahe dem Zentrum, das im gleichnamigen Führer eingängig beschrieben wird, offenbart heute wieder das alte jüdische Viertel seine Pracht. In der mächtigen sephardischen Synagoge wird noch gebetet. Gegenüber, in der aschkenasischen Synagoge, wurde das Museum eingebaut, das auch von der Schande der Kollaboration erzählt, von der Gleichgültigkeit, der anderen Seite der vielgepriesenen holländischen Toleranz. Nur 10 000 von den 70 000 Amsterdamer Juden haben den Krieg überlebt. Grete Weil, die wie Schindel untergetaucht war und überlebt hat, hielt den Schrecken der Deportationen in ihrem berühmten Roman „Tramhalte Beethovenstraat” fest.
Verglichen mit Wien siedelten sich Juden in Amsterdam relativ spät, nämlich erst zum Ende des 16. Jahrhunderts an. Es waren zunächst sephardische Kaufleute aus Portugal, die in ihrer Heimat von Inquisition und Zwangstaufe bedroht waren. In den Niederlanden genossen sie Grundfreiheiten und Bürgerrechte, wie sie den Juden nirgendwo sonst zugestanden wurden. Anfang des 17. Jahrhunderts wanderten Scharen von verarmten Aschkenasen ein, die für die inzwischen wohlhabenden Sepharden arbeiteten. Auch wenn sie sich in Sprache, Kultur und Sozialisation gravierend voneinander unterschieden, lebten beide Judenheiten in friedlicher und ungestörter Symbiose, gingen ihrem Tagwerk nach, zu dem seit Beginn des 20. Jahrhunderts die Diamantenindustrie gehörte.
Es ist in der Tat frappierend, dass die Juden in den Niederlanden erstmals mit dem Einmarsch der Nazis Unfreiheit erlebten: „Hier wurde zum ersten Mal in der Geschichte der Niederlande im alten jüdischen Viertel ein Ghetto eingerichtet und mit Stacheldraht umzäunt”, steht im Kapitel über „Die Zerstörung des jüdischen Amsterdam” zu lesen. Aber wie in anderen Städten Europas ist in Amsterdam eine neue jüdische Gemeinschaft voller Leben und Energie gewachsen. „Heute gibt es hier immer noch – oder vielleicht: wieder – ein jüdisches Amsterdam, ein Mokum.” Es zu entdecken, hat man ja, ganz frisch, den idealen Führer zur Hand.
Jan Stoutenbeek, Paul Vigeveno
Jüdisches Amsterdam
Mandelbaum Verlag, Wien 2007. 256 Seiten, 15,80 Euro.
Robert Schindel, Michaela Feurstein-Prasser, Gerhard Milchram
Jüdisches Wien
Mandelbaum Verlag, Wien 2007. 191 Seiten, 15,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Lobend äußert sich Rezensentin Eva-Elisabeth Fischer über diesen Stadtführer. Sie berichtet über die Geschichte des jüdischen Lebens in Amsterdam, wo Juden lange Zeit Grundrechte und Bürgerfreiheiten genossen, die ihnen sonst nirgendwo zugestanden wurden. Erst mit dem Einmarsch der Nazis in die Niederlande hätten die Juden Unfreiheit und Verfolgung auch in Amsterdam erlebt. Fischer unterstreicht, dass es heute wieder ein reiches jüdisches Leben in Amsterdam gibt und dass das alte jüdische Viertel nahe dem Zentrum in seiner alten Pracht strahlt. Dank des vorliegenden, "idealen" Stadtführers ist es zu ihrer Freude ganz leicht, das jüdische Amsterdam zu entdecken.
© Perlentaucher Medien GmbH
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