Jürgen Habermas gehört zu den prägenden und international bedeutendsten Gestalten der deutschen Gegenwartsphilosophie. Seit seinen Anfängen in der Frankfurter Schule ist er eine maßgebliche Stimme in zahlreichen intellektuellen und politischen Diskussionen, vom Positivismusstreit über die Debatte über die Postmoderne hin zur aktuellen Eugenik-Diskussion. Mit seiner "Theorie des kommunikativen Handels" entwarf er eines der wichtigsten Konzepte der modernen Ethik. Alessandro Pinzanis einführender Überblick verfolgt die philosophische Entwicklung des weltberühmten Denkers und interpretiert die zentralen Werke seines vielseitigen uvres.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.09.2007Handfest und lösungsorientiert
Versöhnung der mit sich selbst zerfallenden Moderne: Eine Einführung in das Denken von Jürgen Habermas
Alles fließt: wenig ist reizvoller als ein Satz, der das Denken eines Philosophen und die Essenz der Welt auf den Punkt bringt. Auch Jürgen Habermas hat für sich einen solchen Satz ins Angebot gebracht: Seine grundlegende Intuition sei „die Versöhnung der mit sich selber zerfallenen Moderne”. Und bei diesem kanonisierungswürdigen Satz setzt Alessandro Pinzani in seiner Habermas-Einführung in der inzwischen unverzichtbaren Beck’schen Reihe „Denker” an.
Pinzani ist ein junger, aus Florenz stammender Philosoph, der bei Otfried Höffe in Tübingen seine Dissertation über Habermas geschrieben hat, Mitglied der Tübinger „Forschungsstelle Politische Philosophie” ist und seit 2004 als Professor im Brasilianischen Florianópolis lehrt. Pinzani setzt sich in seinem gut gemachten Habermas-Portrait mehrere Vorgaben und Ziele, an denen er gemessen werden will. Zum einen will er sich einer möglichst einfachen Sprache bedienen, was ihm ohne Zweifel gelungen ist. Dann will er das Denken von Habermas in seiner ganzen Vielfalt darstellen und – trotz der Gefahr der Paraphrase – auf eine kritische Auseinandersetzung mit Habermas’ Positionen verzichten. Es sei, schreibt er, „nicht Aufgabe einer solchen Einführung, kritische Stellungnahmen vorzunehmen, die zum einen die subjektive Meinung des Verfassers widerspiegeln können und zum anderen – um nicht manipulativ zu wirken – seitens der Leser eine kritische Haltung voraussetzen, die nur auf einer tieferen Kenntnis des dargestellten Denkens basieren kann.” In diesem selbstgeschneiderten Korsett bewegt sich Pinzani ziemlich frei und stellt Gehalt und Werden von Habermas’ Theorie instruktiv und klar dar; Pinzani schafft es auch, den Überblick zu behalten, was im Fall von Habermas bekanntlich nicht einfach ist. Habermas hat wie kein anderer Philosoph des 20. Jahrhunderts nicht nur seine Zeit in Gedanken gefasst, er ist auch ein außerordentlicher Katalysator, Transformierer und Essentialisierer der Gedanken seiner Zeit. Habermas hat in der Ausarbeitung seiner Theorie die Aufbereitung anschlussfähiger Punkte zur hohen Kunst gemacht.
Von Heidegger kommend, hat er sich 1956 in seinem FAZ-Artikel spektakulär von ihm distanziert – und doch das Wertvolle in Heideggers Denken weiter fruchtbar gemacht; Habermas hat das Erbe der Frankfurter Schule angetreten und anstelle von Adornos düster-selbstquälerischer wie aporetischer „Negativer Dialektik” seine handfeste und lösungsorientierte „Theorie des kommunikativen Handelns” gesetzt; Habermas hat sich intensiv mit den angloamerikanischen Theorien auseinandergesetzt; er hat in den „postmodernen” Gedankenentwicklungen in Frankreich früh den Fehdehandschuh gesehen und sich an seine Verteidigung des laufenden Projekts der Moderne gemacht.
Im Herstellen von Bezügen schafft es Pinzani sogar, nicht nur auf die Anfänge mit Heidegger hinzuweisen, sondern er findet auch in Habermas’ Dissertation „Das Absolute und die Geschichte. Von der Zwiespältigkeit in Schellings Denken”, die dieser bei Erich Rothacker in Bonn geschrieben hatte, immer wieder Kernmotive, die in späteren Schriften zur Entfaltung gekommen sind.
Nur an wenigen Stellen bleibt Pinzanis Darstellung unbefriedigend – und man hat den Verdacht, dass es nicht immer nur am knappen Raum liegt. Dies mag bei der Habermas-Luhmann-Debatte der Fall sein, die einer noch verzeihlichen Kondensierung unterliegt. Aber schon die Absätze zu Habermas Positionierung zwischen Gehlen und Rothacker sind so kursorisch, dass die Aussagekraft fast völlig zwischen den Zeilen zerrinnt. Ganz deutlich werden die Grenzen der „unvoreingenommenen”, paraphrasierenden Darstellung in der relativ ausführlichen Deutung der „Zukunft der menschlichen Natur”, Habermas’ Beitrag zur bioethischen Debatte und seine Antwort auf Peter Sloterdijks „Regeln für den Menschenpark”.
Hier bringt Pinzani die Position von Habermas mit der Formel von der „ethischen Selbstauffassung der Gattung” auf den Punkt, die die Grundlage einer Moraltheorie für die bioethischen Grenzfragen sein müsse. Das ist zwar nicht falsch, aber Pinzani riskiert, dass mit der „ethischen Selbstauffassung der Gattung” eine alles andere als klare Formel stehen bleibt, die unter offenen Problemen zu ächzen scheint. Auch wenn die Probleme in Habermas’ Ansatz selbst liegen, in einem Ansatz, der, so klug er auch ist, viele Fragen offen lassen muss, kann man hier beobachten, wie die gezielte Vermeidung einer „kritischen Stellungnahme” ungewollt zu einem Beitrag zur Verschleierung der darzustellenden Gedanken wird.OLIVER MÜLLER
ALESSANDRO PINZANI: Jürgen Habermas. C.H. Beck, München 2007. 232 Seiten, 14,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Versöhnung der mit sich selbst zerfallenden Moderne: Eine Einführung in das Denken von Jürgen Habermas
Alles fließt: wenig ist reizvoller als ein Satz, der das Denken eines Philosophen und die Essenz der Welt auf den Punkt bringt. Auch Jürgen Habermas hat für sich einen solchen Satz ins Angebot gebracht: Seine grundlegende Intuition sei „die Versöhnung der mit sich selber zerfallenen Moderne”. Und bei diesem kanonisierungswürdigen Satz setzt Alessandro Pinzani in seiner Habermas-Einführung in der inzwischen unverzichtbaren Beck’schen Reihe „Denker” an.
Pinzani ist ein junger, aus Florenz stammender Philosoph, der bei Otfried Höffe in Tübingen seine Dissertation über Habermas geschrieben hat, Mitglied der Tübinger „Forschungsstelle Politische Philosophie” ist und seit 2004 als Professor im Brasilianischen Florianópolis lehrt. Pinzani setzt sich in seinem gut gemachten Habermas-Portrait mehrere Vorgaben und Ziele, an denen er gemessen werden will. Zum einen will er sich einer möglichst einfachen Sprache bedienen, was ihm ohne Zweifel gelungen ist. Dann will er das Denken von Habermas in seiner ganzen Vielfalt darstellen und – trotz der Gefahr der Paraphrase – auf eine kritische Auseinandersetzung mit Habermas’ Positionen verzichten. Es sei, schreibt er, „nicht Aufgabe einer solchen Einführung, kritische Stellungnahmen vorzunehmen, die zum einen die subjektive Meinung des Verfassers widerspiegeln können und zum anderen – um nicht manipulativ zu wirken – seitens der Leser eine kritische Haltung voraussetzen, die nur auf einer tieferen Kenntnis des dargestellten Denkens basieren kann.” In diesem selbstgeschneiderten Korsett bewegt sich Pinzani ziemlich frei und stellt Gehalt und Werden von Habermas’ Theorie instruktiv und klar dar; Pinzani schafft es auch, den Überblick zu behalten, was im Fall von Habermas bekanntlich nicht einfach ist. Habermas hat wie kein anderer Philosoph des 20. Jahrhunderts nicht nur seine Zeit in Gedanken gefasst, er ist auch ein außerordentlicher Katalysator, Transformierer und Essentialisierer der Gedanken seiner Zeit. Habermas hat in der Ausarbeitung seiner Theorie die Aufbereitung anschlussfähiger Punkte zur hohen Kunst gemacht.
Von Heidegger kommend, hat er sich 1956 in seinem FAZ-Artikel spektakulär von ihm distanziert – und doch das Wertvolle in Heideggers Denken weiter fruchtbar gemacht; Habermas hat das Erbe der Frankfurter Schule angetreten und anstelle von Adornos düster-selbstquälerischer wie aporetischer „Negativer Dialektik” seine handfeste und lösungsorientierte „Theorie des kommunikativen Handelns” gesetzt; Habermas hat sich intensiv mit den angloamerikanischen Theorien auseinandergesetzt; er hat in den „postmodernen” Gedankenentwicklungen in Frankreich früh den Fehdehandschuh gesehen und sich an seine Verteidigung des laufenden Projekts der Moderne gemacht.
Im Herstellen von Bezügen schafft es Pinzani sogar, nicht nur auf die Anfänge mit Heidegger hinzuweisen, sondern er findet auch in Habermas’ Dissertation „Das Absolute und die Geschichte. Von der Zwiespältigkeit in Schellings Denken”, die dieser bei Erich Rothacker in Bonn geschrieben hatte, immer wieder Kernmotive, die in späteren Schriften zur Entfaltung gekommen sind.
Nur an wenigen Stellen bleibt Pinzanis Darstellung unbefriedigend – und man hat den Verdacht, dass es nicht immer nur am knappen Raum liegt. Dies mag bei der Habermas-Luhmann-Debatte der Fall sein, die einer noch verzeihlichen Kondensierung unterliegt. Aber schon die Absätze zu Habermas Positionierung zwischen Gehlen und Rothacker sind so kursorisch, dass die Aussagekraft fast völlig zwischen den Zeilen zerrinnt. Ganz deutlich werden die Grenzen der „unvoreingenommenen”, paraphrasierenden Darstellung in der relativ ausführlichen Deutung der „Zukunft der menschlichen Natur”, Habermas’ Beitrag zur bioethischen Debatte und seine Antwort auf Peter Sloterdijks „Regeln für den Menschenpark”.
Hier bringt Pinzani die Position von Habermas mit der Formel von der „ethischen Selbstauffassung der Gattung” auf den Punkt, die die Grundlage einer Moraltheorie für die bioethischen Grenzfragen sein müsse. Das ist zwar nicht falsch, aber Pinzani riskiert, dass mit der „ethischen Selbstauffassung der Gattung” eine alles andere als klare Formel stehen bleibt, die unter offenen Problemen zu ächzen scheint. Auch wenn die Probleme in Habermas’ Ansatz selbst liegen, in einem Ansatz, der, so klug er auch ist, viele Fragen offen lassen muss, kann man hier beobachten, wie die gezielte Vermeidung einer „kritischen Stellungnahme” ungewollt zu einem Beitrag zur Verschleierung der darzustellenden Gedanken wird.OLIVER MÜLLER
ALESSANDRO PINZANI: Jürgen Habermas. C.H. Beck, München 2007. 232 Seiten, 14,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Gut gemacht findet Rezensent Oliver Müller das Habermas-Porträt Alessandro Pinzanis. Müller lobt die einfache Sprache, die Klarheit der Darstellung von "Gehalt und Werden" der Habermas'schen Theorie sowie Pinzanis Fähigkeit, auch über größere Entfernungen Bezüge im Werk herzustellen. Pinzanis Ansatz, ausdrücklich keine kritische Auseinandersetzung anzubieten, hält Müller allerdings für unzureichend. An manchen Stellen, findet er, führt die reine Darstellung dazu, "dass die Aussagekraft fast völlig zwischen den Zeilen zerrinnt". Für Müller eher ein Vorgang der Verschleierung als der Klärung Habermas'scher Gedanken.
© Perlentaucher Medien GmbH
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