Marktplatzangebote
5 Angebote ab € 3,95 €
Produktdetails
  • Blaue Aktuelle Reihe
  • Verlag: Mut-Verlag
  • Seitenzahl: 64
  • Deutsch
  • Abmessung: 205mm
  • Gewicht: 98g
  • ISBN-13: 9783891820742
  • Artikelnr.: 25107552
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.09.1999

Ohne Wenn und Aber
Ungeschönte Erinnerungen an die Jugendzeit im Dritten Reich

Günter Spendel: Jugend in einer Diktatur. Erinnerungen eines Zeitzeugen 1933-1945. Blaue Aktuelle Reihe, Band 32. Mut-Verlag, Asendorf 1998. 64 Seiten, 14,80 Mark.

Ein emeritierter Ordinarius des Strafrechts erzählt, vorwiegend für jüngere Leser bestimmt, aus seiner Jugend unter dem Nationalsozialismus. Besonders Aufregendes hat er nicht erlebt, weder war er Opfer noch Täter, aber gerade deshalb hebt sich die kleine Schrift aus der Menge der Erlebnisliteratur heraus. Die Absicht des Buches ist, einebnenden Relativierungen entgegenzuwirken und zu zeigen, dass der NS-Staat auch für nicht unmittelbar betroffene junge Menschen "als Gewaltherrschaft und Unrechtsregime erkennbar" war. Das geschieht ohne Rechthaberei und ist umso wirkungsvoller.

Gewiss war es auch das Elternhaus, in dem er schon vor und nach der NS-Machtergreifung die kompromisslose Ablehnung einer Partei erleben konnte, deren Herrschaftsprinzipien Lüge und Gewalt waren; eindrucksvoll schildert er einen politischen Mord des Jahres 1933, dessen Spuren seine Eltern und er nachgehen konnten. Hinzu kam aber auch seine eigene politisch-moralische Sensibilität. So erlebte er offenen Auges, wie mit seinen jüdischen und halbjüdischen Klassenkameraden umgesprungen wurde, so schildert er regimetreues, angepasstes und oppositionelles Verhalten seiner Lehrer.

Bewusstseinslagen

Es gelang ihm, nicht in die Hitlerjugend eintreten zu müssen, zudem durfte er, wegen mangelnder Tauglichkeit, im Krieg studieren, und auch hier konnte er in großer Deutlichkeit das unterschiedliche Verhalten seiner Professoren in Freiburg und Frankfurt beobachten. Unauslöschlichen Eindruck machte auf ihn die grausame politische Strafjustiz während des Krieges, aber auch das Wirken eines anständigen Richters, der nicht ohne eigene Gefährdung eine mehrjährige Freiheitsstrafe statt der Todesstrafe erreichen konnte.

Spendel erkennt andere Bewusstseinslagen als die seine in ihrer subjektiven Berechtigung durchaus an. Von dem von ihm verehrten Strafrechtler Gustav Radbruch sagt er, dieser habe sich "in seiner redlichen Gesinnung das ganze Ausmaß der Verbrechen, zu denen das NS-System fähig war, nicht vorzustellen vermocht", und er spricht von der "tiefen Tragik" der NS-Gegner, weder den Verlust des Krieges noch den Erhalt der Tyrannei gewünscht haben zu können. Trotzdem beharrt er darauf, dass die Tyrannei als solche erkennbar war, und er referiert mit deutlicher Skepsis Äußerungen des früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt, der für sich in Anspruch nahm, hinsichtlich der Berechtigung des Polenfeldzuges gutgläubig gewesen zu sein. Ohne Wenn und Aber wendet er sich gegen Versuche, die NS-Zeit in apologetischer Weise zu schönen.

Die Grenze

Gewiss lehrt die Erfahrung, dass es die unterschiedlichsten Arten der Wahrnehmung gerade des Lebens unter einer Diktatur gibt ebenso wie die verschiedensten Reaktionsweisen auf das Wahrgenommene. Das unvoreingenommene Sehen ist das Seltenere, noch seltener die Empfindung jenseits aller Relativierung, dass es eine moralische Grenze gibt, die nicht überschritten werden kann. Dass Günter Spendel zu der Minderheit gehört, die so denkt, zeigt auch seine Position in einer aktuellen juristisch-politischen Streitfrage. In der Vergangenheit hatte Spendel sich scharf gegen die restriktive Rechtsprechung zur Rechtsbeugung von NS-Richtern gewandt, die bewirkt hatte, dass es kaum zu Verurteilungen kam. Dass hinter dieser Position nichts anderes als ein unbedingter Gerechtigkeitssinn stand, zeigt die Tatsache, dass er sich mit derselben Schärfe dagegen wendet, dass heute SED-Richter in ähnlicher Weise unverhältnismäßig milde angefasst werden. All das ist begründet in den Erfahrungen, die die kleine Schrift "Jugend in einer Diktatur" so plastisch schildert.

WOLFGANG SCHULLER

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr