Korea in den 60er Jahren: In einem kleinen Hafenort bereitet sich ein junger Mann auf die Aufnahmeprüfung für die Universität vor. Nebenbei arbeitet er als Buchhalter für seinen Bruder, der in einem kleinen Kahn aus einem Fluss Sand baggert, um damit Geld zu machen. Er begegnet dem 'Geschwisterpaar aus der Villa' und freundet sich mit den beiden an. Als er aber erfährt, dass die Schwester die Mätresse eines reichen Mannes ist, der sie und ihren Bruder aushält, bringt er seine Prüfungen hinter sich und verlässt das Dorf. Er beginnt mit seinem Studium und gerät sehr schnell in Konflikte mit dem herrschenden gesellschaftlichen System. Ihm, dem mittelosen Student, begegnet in Seoul seine erste große Liebe, die aber an den bestehenden Standesschranken zerbricht. Daraufhin begibt er sich auf eine Reise durch Südkorea und sucht nach einer neuen Perspektive für sein Leben. Die Reise endet mit seiner Ankunft am Meer, von dem er sich eine Antwort erhofft.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.02.2005Parolen und Mondraketen
Erleuchtung garantiert: Yi Munyols koreanischer Bildungsroman
Korea, Anfang der sechziger Jahre: Die Präsidentenwahlen werden manipuliert, im April 1960 folgt eine Studentenrevolution mit ihrer Freiheitseuphorie; die zaghaften demokratischen Gehversuche der Zweiten Republik beendet der Militärputsch vom Mai 1961, der Parks achtzehnjährige Regierungszeit einleitete. Der 1948 geborene Autor Yi Munyol rekapituliert im Universum seiner Romane die Umbrüche jener Zeit. Seine in Korea 1987 erschienene Romantrilogie "Jugendjahre" trägt denn auch stark autobiographische Züge. In "Das Flußdelta" bereitet sich der Ich-Erzähler, ein "Schüler und Tagedieb", in einem Küstenort auf die Aufnahmeprüfung der Universität vor: "Ich tauschte meine unreifen Versuche, die Erwachsenenwelt nachzuäffen - eine Welt, die ich düsteren Romanen und Schriften nordeuropäischer Schriftsteller sowie pseudowissenschaftlichen Werken entnommen hatte -, gegen ein normales Leben ein."
Die zweite Episode, "Die schöne Jugendzeit", die im Universitätsmilieu von Seoul spielt, ist als tragikomisches Interludium im Soundtrack der sechziger Jahre zwischen Studentenprotesten und Mondlandung angelegt. Dabei baut der Erzähler vorbei an der rhetorischen Falle der Studentenromantik ein Spannungsverhältnis auf zwischen verklausulierter Wehmut und ironischer Distanz zum jugendlichen Idealismus: "An allen Ecken und Enden des Universitätscampus verspürte man den ideologischen Eifer, und die Erinnerungen an stolze Siege waren in jedem Vorlesungssaal präsent."
Doch in der Regel prägen alkoholische Eskapaden, Verschuldung und Isolation den Studienalltag. Der Held engagiert sich in politischen und literarischen Zirkeln, bis er die Vereinnahmung und Verselbständigung von Worten und Parolen und die Instrumentalisierung der Kunst bemerkt. Im ironischen Spiel mit der rückblickend verklärten Jugend tritt die Wirkmächtigkeit unterschwelliger Standesschranken, Lebenslügen und Ideologien deutlich zutage.
Der letzte Teil ist eine leise philosophische, mit märchenhaften Elementen angereicherte Reise des mittlerweile an der Universität gescheiterten Helden an das Meer. Subtil spielt Yi Munyol mit Übergängen und der Metaphorik von Aurora und Adoleszenz: "Richtig ist, daß ich in einer unredlichen Weise mit Ideen gespielt habe, doch meine Irrwege glichen dem Dunkel kurz vor Eintritt des Morgengrauens." Die Gedanken des Gestrandeten kreisen um Kunst, Askese und Ekstase. Beim Anblick des Meers kommt ihm dann eine Art Erleuchtung bei der schweren "Entscheidung, diesen bitteren Kelch wegzuwerfen oder ihn bis zur Neige zu leeren". Die "Jugendjahre" sind eine Parabel auf eine Zeit zwischen Anpassung und Aufbegehren, Wahn und Wahrheit, Vernunft und Verzweiflung, die sich im Zweifelsfall als reinste aller Seinsweisen entpuppt. Wirklichkeitssuche, echtes Künstlertum und der Konflikt zwischen apollinischen und dionysischen Kräften prägen dieses an die Tradition des deutschen Bildungsromans angelehnte Werk.
Yi Munyol publizierte den dritten Teil zunächst als eigenständigen Roman und fügte die ersten beiden Teile erst später hinzu. So hat die Trilogie leider nicht den ausgefeilten Aufbau und die psychologische Schärfe bei der Analyse von Machtstrukturen wie der ebenfalls bei Pendragon verlegte Roman "Der entstellte Held". Die kraftvollen Jugendreminiszenzen vermitteln aber atmosphärisch eindrucksvoll den Geist jener Wendezeiten.
STEFFEN GNAM
Yi Munyol: "Jugendjahre". Roman. Aus dem Koreanischen übersetzt von Christina Youn-Arnoldi und Cornelia Roth. Mit einem Nachwort von Christina Youn-Arnoldi. Pendragon Verlag, Bielefeld 2004. 248 S., geb., 18,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erleuchtung garantiert: Yi Munyols koreanischer Bildungsroman
Korea, Anfang der sechziger Jahre: Die Präsidentenwahlen werden manipuliert, im April 1960 folgt eine Studentenrevolution mit ihrer Freiheitseuphorie; die zaghaften demokratischen Gehversuche der Zweiten Republik beendet der Militärputsch vom Mai 1961, der Parks achtzehnjährige Regierungszeit einleitete. Der 1948 geborene Autor Yi Munyol rekapituliert im Universum seiner Romane die Umbrüche jener Zeit. Seine in Korea 1987 erschienene Romantrilogie "Jugendjahre" trägt denn auch stark autobiographische Züge. In "Das Flußdelta" bereitet sich der Ich-Erzähler, ein "Schüler und Tagedieb", in einem Küstenort auf die Aufnahmeprüfung der Universität vor: "Ich tauschte meine unreifen Versuche, die Erwachsenenwelt nachzuäffen - eine Welt, die ich düsteren Romanen und Schriften nordeuropäischer Schriftsteller sowie pseudowissenschaftlichen Werken entnommen hatte -, gegen ein normales Leben ein."
Die zweite Episode, "Die schöne Jugendzeit", die im Universitätsmilieu von Seoul spielt, ist als tragikomisches Interludium im Soundtrack der sechziger Jahre zwischen Studentenprotesten und Mondlandung angelegt. Dabei baut der Erzähler vorbei an der rhetorischen Falle der Studentenromantik ein Spannungsverhältnis auf zwischen verklausulierter Wehmut und ironischer Distanz zum jugendlichen Idealismus: "An allen Ecken und Enden des Universitätscampus verspürte man den ideologischen Eifer, und die Erinnerungen an stolze Siege waren in jedem Vorlesungssaal präsent."
Doch in der Regel prägen alkoholische Eskapaden, Verschuldung und Isolation den Studienalltag. Der Held engagiert sich in politischen und literarischen Zirkeln, bis er die Vereinnahmung und Verselbständigung von Worten und Parolen und die Instrumentalisierung der Kunst bemerkt. Im ironischen Spiel mit der rückblickend verklärten Jugend tritt die Wirkmächtigkeit unterschwelliger Standesschranken, Lebenslügen und Ideologien deutlich zutage.
Der letzte Teil ist eine leise philosophische, mit märchenhaften Elementen angereicherte Reise des mittlerweile an der Universität gescheiterten Helden an das Meer. Subtil spielt Yi Munyol mit Übergängen und der Metaphorik von Aurora und Adoleszenz: "Richtig ist, daß ich in einer unredlichen Weise mit Ideen gespielt habe, doch meine Irrwege glichen dem Dunkel kurz vor Eintritt des Morgengrauens." Die Gedanken des Gestrandeten kreisen um Kunst, Askese und Ekstase. Beim Anblick des Meers kommt ihm dann eine Art Erleuchtung bei der schweren "Entscheidung, diesen bitteren Kelch wegzuwerfen oder ihn bis zur Neige zu leeren". Die "Jugendjahre" sind eine Parabel auf eine Zeit zwischen Anpassung und Aufbegehren, Wahn und Wahrheit, Vernunft und Verzweiflung, die sich im Zweifelsfall als reinste aller Seinsweisen entpuppt. Wirklichkeitssuche, echtes Künstlertum und der Konflikt zwischen apollinischen und dionysischen Kräften prägen dieses an die Tradition des deutschen Bildungsromans angelehnte Werk.
Yi Munyol publizierte den dritten Teil zunächst als eigenständigen Roman und fügte die ersten beiden Teile erst später hinzu. So hat die Trilogie leider nicht den ausgefeilten Aufbau und die psychologische Schärfe bei der Analyse von Machtstrukturen wie der ebenfalls bei Pendragon verlegte Roman "Der entstellte Held". Die kraftvollen Jugendreminiszenzen vermitteln aber atmosphärisch eindrucksvoll den Geist jener Wendezeiten.
STEFFEN GNAM
Yi Munyol: "Jugendjahre". Roman. Aus dem Koreanischen übersetzt von Christina Youn-Arnoldi und Cornelia Roth. Mit einem Nachwort von Christina Youn-Arnoldi. Pendragon Verlag, Bielefeld 2004. 248 S., geb., 18,50 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Recht angetan zeigt sich Rezensent Steffen Gnam von diesem Bildungsroman des koreanischen Autors Yi Munyol. Angesiedelt im Korea der sechziger Jahre rekapituliere Munyol in seinem autobiografisch gefärbten Roman die Umbrüche jener Zeit. Die geschilderten Jahre an der Universität erscheinen Gnam als "tragikomisches Interludium im Soundtrack der sechziger Jahre zwischen Studentenprotesten und Mondlandung", dem eine philosophische, mit märchenhaften Elementen angereicherte Reise des mittlerweile an der Universität gescheiterten Helden an das Meer folge. Insgesamt versteht Gnam die "Jugendjahre" als eine "Parabel auf eine Zeit zwischen Anpassung und Aufbegehren, Wahn und Wahrheit, Vernunft und Verzweiflung, die sich im Zweifelsfall als reinste aller Seinsweisen entpuppt".
© Perlentaucher Medien GmbH
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