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Das Buch beginnt mit der Gründung des zweiten Jugoslawien und endet zwanzig Jahre nach dessen Zerfall. Untersucht werden Ereignisse, Akteure und Strukturen, die völkerrechtlichen Aspekte des Staatszerfalls, die Rolle des Auslands, die Gewalt in den 1990er Jahren sowie die Transformationsprozesse in den Nachfolgestaaten. Jugoslawien war ungewöhnlich komplex, aber die Menschen agierten und reagierten, wie sie es überall auf der Welt unter vergleichbaren Bedingungen tun.

Produktbeschreibung
Das Buch beginnt mit der Gründung des zweiten Jugoslawien und endet zwanzig Jahre nach dessen Zerfall. Untersucht werden Ereignisse, Akteure und Strukturen, die völkerrechtlichen Aspekte des Staatszerfalls, die Rolle des Auslands, die Gewalt in den 1990er Jahren sowie die Transformationsprozesse in den Nachfolgestaaten. Jugoslawien war ungewöhnlich komplex, aber die Menschen agierten und reagierten, wie sie es überall auf der Welt unter vergleichbaren Bedingungen tun.
Autorenporträt
Sundhaussen, Holm§Prof. Holm Sundhaussen war nach dem Studium in München und der Habilitation in Göttingen seit 1988 Professor für Südosteuropäische Geschichte am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin und seit 1998 Ko-Direktor des Berliner Kollegs für vergleichende Geschichte Europas. Er war (Mit)Herausgeber und Beiratsmitglied verschiedener Buchreihen und Zeitschriften sowie Verfasser einer Vielzahl von Arbeiten zur Geschichte Südosteuropas, insbesondere des ehemals jugoslawischen Raums, im 19. und 20. Jahrhundert, darunter einer »Geschichte Jugoslawiens 1918-1980« (Stuttgart 1982) und einer »Historischen Statistik Serbiens 1834-1914. Mit europäischen Vergleichsdaten« (München 1989).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Heiko Flottau lobt Holm Sundhausens Analyse des Balkankonfliktes der neunziger Jahre in den höchsten Tönen: der Autor sei unvoreingenommen und analytisch genau, der Text sei exzellent recherchiert, flüssig geschrieben und eine "Fundgrube an Informationen". Dem Professor für südosteuropäische Geschichte geht es in dem Buch vornehmlich um die Frage, wie es, wenige Jahrzehnte nach den Verbrechen des Zweiten Weltkrieges, innerhalb Europas zu einer solchen Katastrophe kommen konnte, berichtet der Rezensent. Besonders zwei Personen seien mit ihren "nationalistisch-ideologischen" Einflüssen bedeutsam gewesen: der Serbe Slobodan Milosevic und der Kroate Franjo Tudjman. Anhand eines Einzelschicksals, das von Borislav Herak, versucht Sundhausen auch, den Bruch im Sozialgefüge aufzuspüren, der aus Nachbarn Feinde gemacht hatte.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.2012

Ohnmächtig ist der böse Mann allein!

Jugoslawien ging nicht nur wegen seiner Eliten unter, sondern auch, weil sich der Vielvölkerstaat nach Titos Tod einfach selbst überlebt hatte.

Von Marie-Janine Calic

In seiner Geschichte Jugoslawiens beschäftigt Holm Sundhaussen vor allem eine Frage: Wer ist schuld, dass der Vielvölkerstaat unterging? Die Spurensuche beginnt im Jahr 1943, als Titos Partisanen einen sozialistischen Föderalstaat ausriefen. Der Autor erläutert die Schrecken des Zweiten Weltkrieges, er schildert Opfer-Diskurse und kommunistischen Vergeltungsterror. Der kriegsmüden Bevölkerung erschien das Zusammenleben in einem neuen Jugoslawien gleichwohl als das kleinere Übel. Das sozialistische Selbstverwaltungssystem deutet er als ein kühnes Experiment, das insoweit gelang, als Nationalitätenrechte, Blockfreiheit, Öffnung nach Westen und Industrialisierung zu Bezugspunkten einer gemeinsamen jugoslawischen Identifikation wurden. Aber auch innere Widersprüche taten sich auf. Verteilungskämpfe und unerfüllte nationale Forderungen schürten Konflikte und vereitelten grundlegende Reformen. Als Tito 1980 starb, war Jugoslawiens Wirtschaft marode.

Die finale Krise des Staates in den achtziger Jahren sieht der Autor in erster Linie durch wirtschaftliche Faktoren wie Schuldenkrise, Fehlinvestitionen und Reformstau verursacht. Dennoch: Jugoslawien hätte mit der Ende 1989 in Gang gesetzten Schocktherapie von Ministerpräsident Ante Markovic noch gerettet werden können, hätte die Politik das Projekt nicht absichtsvoll konterkariert. Entgegenzuhalten wäre (abgesehen von der Überlegung, dass dies möglicherweise gar nicht wünschbar gewesen wäre), dass der Staat bereits seit langem dabei war, sich auch politisch, institutionell und psychologisch zu verflüchtigen und dass die Maßnahmen ganz sicherlich viel zu spät kamen.

Mit seiner zentralen These gibt sich Sundhaussen als Intentionalist der alten Schule zu erkennen: Es waren die Eliten, die in den achtziger Jahren den Staat zugrunde richteten und das Volk manipulierten. Folgt man dem Autor, der ein verbreitetes Narrativ aufnimmt, lag der Ursprung allen Übels in Serbien, wo der Kosovo-Konflikt dräute, alte Feindbilder und nationale Hysterien florierten, und wo sich Slobodan Milosevic 1987 an die Spitze der Parteinomenklatur putschte, um später die Autonomie Kosovos und der Wojwodina abzuschaffen. Danach wollte er eventuell Slowenien aus dem Gesamtstaat herausdrängen, spielte aber auch mit der Option eines Militärputsches. Zu beidem kam es jedoch nicht. Stets trieben ihn keine ideologischen Motive, sondern Psychopathologie und Machtinstinkt. Durch die Kontrolle der Medien und Massenmeetings nahm er die Bevölkerung für sich ein, und Sundhaussen meint, dass dadurch die mentale Grundlage zur Führung eines gerechten Krieges in der Bevölkerung gelegt worden sei. Serbien "an sich" sei das zentrale Problem gewesen. Doch überall auf der Welt ließen sich Menschen durch manipulative Machenschaften für alles Mögliche begeistern. Große Teile der (serbischen) Gesellschaft hätten unter dem propagandistischen Beschuss ihrer Führer schließlich kollektiv den Verstand aufgegeben.

Nun mag niemand bezweifeln, dass serbische Politik in den achtziger Jahren maßgeblich für die Zerrüttung der Beziehungen zwischen den Republiken verantwortlich war. Aber diese Art der Entdifferenzierung wirkt in einem wissenschaftlichen Werk verstörend. Denn keineswegs war die ganze Gesellschaft einem dumpfen Nationalismus und Hurrapatriotismus verfallen, und das Buch gibt hierauf auch Hinweise. In allen Landesteilen nahm in den 1980er Jahren der Nationalismus zu. Das durch den Zusammenbruch des Sozialismus entstandene Vakuum wurde mit neuen Identitäts-, Deutungs- und Sinngehalten gefüllt.

Der Spaltpilz wucherte in allen Regionen. Sofern hiervon die Rede ist, liest es sich so, als handele es sich lediglich um eine Antwort auf die serbische Herausforderung. Sundhaussen konzipiert die sozialistische Periode bis auf die unmittelbare Vorgeschichte des Krieges ganz aus der Vogelperspektive des Gesamtstaats, so dass die Nachfolgestaaten, denen der letzte Teil des Buches gewidmet ist, als reine Produkte des Zerfallskrieges, nicht als historische Subjekte mit einer eigenen (prä-)jugoslawischen Vergangenheit erscheinen. Man hätte auf über 500 Seiten einiges straffen können, um den Landesgeschichten mehr Raum zu geben.

Befremdlich wirkt das Kapitel über die Jungen Muslime, denen auch der spätere bosnische Präsident Alija Izetbegovic angehörte. Dessen "Islamische Deklaration" deutet Sundhaussen ausschließlich als religiöse Erneuerungsschrift. Dabei handelte es sich auch um ein politisches Pamphlet, das einen großen panislamischen Staat forderte und die Devise "glauben und kämpfen" ausgab. Andere hetzten gegen gemischt-ethnische Ehen und forderten die Verschleierung der Frauen - was nicht erwähnt wird, aber zweifellos eines von vielen Indizien für die vielerorts wachsende Radikalisierung im Vielvölkerstaat darstellte.

Mit fortschreitender Erzählung konzentriert sich Sundhaussen immer stärker auf die Verführungsthese. Im Kapitel über den Zerfallskrieg folgt er bekannten Darstellungen, um dann in einem längeren Exkurs über die ältere NS-Täter-Literatur zu zeigen, dass Menschen aufgrund normaler psychologischer Prädispositionen zu Vollstreckern von Massengewalt werden können (was stimmt). Die neuere Forschung kann diesem Befund allerdings weitere Einsichten hinzufügen. Zehntausende zivile und militärische Entscheidungsträger der mittleren Ebene müssen bewusst und aus ureigensten Motiven gehandelt haben, damit es zu Staatszerfall, zu Krieg und zu "ethnischen Säuberungen" kommen konnte. Aber diese Schicht fällt aus der Erzählung von Verführern und Verführten vollständig heraus.

Die politisch relevanten Eliten in den Teilrepubliken trugen eine ganz maßgebliche Verantwortung für den gewaltsamen Zerfall Jugoslawiens - das ist gänzlich unbestritten. Jedoch hätte man gerne mehr über die eigentlichen Interessen der handelnden Akteure und ihrer Klientel erfahren, damit man ihre Ziele, Optionen und Machtkalküle besser verstehen könnte. Zudem: Manipulation und Massenmobilisierung können nur Erfolg haben, wenn sie auch konkrete, als wesentlich angesehene Interessen oder Gefühlswelten der Adressaten ansprechen. Und diese ergeben sich nicht nur aus psychologischen Befindlichkeiten, sondern auch aus konkreten Lebensumständen, die sowohl strukturell-historische als auch situative Ursachen haben. Das Zerstörungswerk - wie Sundhaussen es nennt - wäre nie geglückt, hätten nicht große Teile der Bevölkerung den Glauben an die Legitimität des politischen Systems und schließlich das Vertrauen in ihren Staat beizeiten verloren. Jugoslawien ist nicht primär deshalb untergegangen, weil böse Männer es so wollten. Es hatte sich in vieler Hinsicht einfach überlebt.

Holm Sundhaussen: Jugoslawien und seine Nachfolgestaaten 1943-2011. Eine ungewöhnliche Geschichte des Gewöhnlichen.

Böhlau Verlag, Wien 2012. 567 S., 59,- [Euro].

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