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Produktdetails
  • Verlag: Springer, Basel
  • Seitenzahl: 285
  • Abmessung: 225mm
  • Gewicht: 538g
  • ISBN-13: 9783764360658
  • ISBN-10: 3764360658
  • Artikelnr.: 30836382
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.02.2000

Die goldene Nase
Farben kann man riechen: Die Briefe des Architekturhistorikers Julius Posener

Der erste Brief des Bandes ist eine Schilderung, die der fünfundzwanzigjährige Julius Posener seinen Eltern von einem Aufenthalt in der bretonischen Seefestung Saint-Malo gibt. Die Beschreibung der noch unzerstörten Stadt, mit atmosphärischen Bleistiftskizzen illustriert, würde man eher einem Literaten oder Maler in spe zuordnen als einem werdenden Architekten. Gekonnt, aber prätentiös beschwört der Text den Geruch des Wassers (nach Astern und Herbstblumen, nicht nach Tang), die Koloristik von Schloss und Kloster ("graubarock"), das "ganz zarte, windige Licht". Die Wichtigkeit, die Farbvaleurs annehmen, erinnert an den Beruf des Vaters, des Kunstmalers Moritz Posener.

Der letzte Brief, datiert von 1990, zeigt Posener in dem Status, den er sich in den sechzig Jahren dazwischen erworben hat. Jahrzehnte überaus erfolgreicher Lehrtätigkeit liegen hinter ihm. Der Nestor der deutschen Architekturkritik kümmert sich um die Baureste des Kinos Babylon, das sein Lehrer Hans Poelzig, der "Meester", errichtet hatte, und berichtet von Ausflügen in den wieder frei zugänglichen Teil Berlins. Es ist die Stadt, in der er 1904 geboren wurde und in die er nach vielen Wegen und Umwegen 1961 zurückkehrte, wenn auch mit Skrupeln. Die alte Stadtmitte sei trotz aller Verluste "wirklich sehr schön" und West-Berlin nur ein Ersatz gewesen.

Ein halber Abschied von Posener war schon die Autobiografie "Fast so alt wie das Jahrhundert", die er sechs Jahre vor seinem Tode 1996 veröffentlicht hatte (F.A.Z. vom 1. Februar 1991). So anschauungsgesättigt gelingt ein Lebensbericht nur, wenn trotz allen lebhaften Gegenwartsinteresses die Vergangenheit stärker geworden ist. Ein letzter, postumer Abschied ist jetzt die Auswahl, die Matthias Schirren und Sylvia Claus aus einem Nachlass von 15 000 Briefen getroffen haben. Die Herausgeber haben sie kompetent, aber nicht ausschweifend kommentiert und mit weiteren nützlichen Lesehilfen versehen.

Noch einmal verfolgt man, doch nun in der Augenblicksperspektive des Briefschreibers, die zahlreichen Etappen dieser Lebenswanderschaft. Erst die eigene Unternehmungslust und dann die politischen Umstände führten den Sohn aus kulturbürgerlicher, jüdischer Familie in den späten zwanziger und frühen dreißiger Jahren nach Paris und weiter nach Palästina, wo er als meist arbeitsloser Architekt und mäßig erfolgreicher Architekturschriftsteller lebte. Im Dienst der britischen Armee kehrte Posener als Besatzungsoffizier ins zerstörte Deutschland zurück. Es folgten Dozentenjahre in London und Malaysia.

Wer den herzenshöflichen Patriarchen Posener in Erinnerung hat, erlebt in den frühen Briefen einen durchaus selbstbewussten jungen Mann. Er, der noch nichts Bemerkenswertes entworfen hatte und auch nicht entwerfen würde, trat Älteren geradezu fordernd gegenüber. Von Thomas Mann, den er persönlich nicht kannte, verlangte er Auskunft und Rechtfertigung zu den Querelen des Dichters mit anderen Exilanten - und erhielt sie. Dem international renommierten Architekten Erich Mendelsohn, einem "gar nicht so sehr, sehr bedeutenden Architekten", der ihn in sein Atelier in Jerusalem geholt hatte, bekannte Posener, er habe sein Werk zwar bewundert, aber auch rechtschaffen gehasst.

Von allen Korrespondenten, deren Briefe an Posener ebenfalls abgedruckt sind, wird die Person Mendelsohns am deutlichsten. Le Corbusier, zu dem Posener in Paris Kontakt aufgenommen hatte, scheint in dem Auswanderer nach Palästina einen möglichen Akquisiteur für Aufträge gesehen zu haben. Hans Poelzig äußert sich als der wohlwollende Lehrer, dem Poseners Lebenszeichen "sehr gefallen" haben. Nur Mendelsohn bringt sich ungeschützt ein, genialisch, verletzbar, ehrgeizig, hoffärtig, unbedingte Gefolgschaft erwartend, aber verlässlich und großherzig, auch wo ihm Gefolgschaft verweigert wird. Mendelsohn war es auch, der Poseners Stärken und Schwächen richtiger beurteilt hat als alle anderen. Von Anfang an sah er in ihm den Mann des ausgesprochenen und geschriebenen Wortes, den Interpreten und Vermittler, nicht den kreativen Baumeister.

Die Herausgeber haben Recht, wenn sie für den ungemeinen Erfolg, den Posener im letzten Drittel seines Lebens als Professor für Baugeschichte in Berlin hatte, auch die Gunst der Verhältnisse verantwortlich machen. Posener kam, als Geschichte an deutschen Architekturschulen noch wenig gelitten war. Er aber hatte fast alle handelnden Personen gekannt und konnte farbig von ihnen erzählen. Dass er schon früh, mit Hermann Muthesius und Hans Poelzig als Vorbildern, die Dogmen der Neuerer skeptisch aufgenommen hatte, kam ihm jetzt zupass, wo der große Frust über die etablierte Moderne aufbrach. Seine Kritik an Renditefunktionalismus und Berliner Baupolitik machten ihn auch unter den Achtundsechziger-Studenten zu einer respektierten Figur. Die alte Zuneigung zur großbürgerlichen Lebenskultur seiner Jugend, zu den schönen erhaltenswerten Villen im Grunewald sahen sie ihm gnädig nach.

Aber es war nicht nur die Zeitgunst, die Julius Posener zur Rolle des Doyens verhalf. Es war der Reichtum an Wissen, Bildung, Erfahrung und Erinnerung, aus dem er schöpfte. Architektur war für ihn nicht nur Architektur. Sie hatte auch etwas mit Land und Leuten zu tun, mit Bewohnerschicksalen und Lebensformen, mit Farben und Gerüchen, mit Dante, Shakespeare und Rilke.

WOLFGANG PEHNT

Matthias Schirren, Sylvia Claus (Hrsg.): "Julius Posener". Ein Leben in Briefen. Birkhäuser Verlag, Basel 1999. 285 S., 25 Abb., geb., 68,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.07.2000

Keine Heimat im vollen Sinne
Fast so alt wie sein Jahrhundert – Briefe des kritischen Architekten Julius Posener
Ein Leben auf Wanderung, auf Reisen, nirgends beheimatet, nirgends zu Hause. Und weil der Betreffende, Julius Posener, gern und gut schreibt, hat er - logische Konsequenz – eine riesige Menge von Briefen hinterlassen. 15 000, an rund 1500 Briefpartner sind im Nachlass erhalten, über 100 (zwischen 1929 und 1990 geschrieben) in diesem Band abgedruckt und vorzüglich kommentiert.
Julius Posener (1904–1996), Architekturkritiker, Weltbürger, Flaneur, heimatloser Jude. Viele Themen reflektiert er in seinen Briefen, die er ab 1933, nach seiner Emigration aus Berlin, zunächst an seine Familie schreibt. Seine erste Station ist Frankreich, wo er bei einigen Architekturzeitschriften mitarbeitet. 1935 erfolgt die Auswanderung nach Palästina. Viel Glück ist ihm nicht beschieden, denn die Gründung einer Akademie durch seinen Mentor Erich Mendelsohn, die er in Jerusalem vorantreiben soll, scheitert, ebenso die einer kritischen Architekturzeitschrift. Sein Plan war es, zunächst die bestehende Architektur in dem neu besiedelten Palästina durch Pläne, Luftbilder und Fotos zu dokumentieren und Folgerungen daraus zu ziehen: „Wie ist es nur möglich, dass man auf dem jungfräulichen Boden Palästinas Städte hat entstehen lassen, die sich geradezu bemühen, alle Fehler der europäischen Großstädte zu kopieren?”
Für einen vorzüglichen und hochgebildeten Kenner der europäischen Architektur, Freund und Briefpartner von seinem berühmten Lehrer Hans Poelzig, von Mendelsohn und Le Corbusier, von Thomas Mann und der deutsch-jüdischen Architektin Lotte Cohn, ist es quälend und nur schwer zu ertragen, wie in seiner neuen Heimat gebaut wird, wie sich all seine Visionen einer revolutionären, einer avantgardistischen Architektur zerschlagen. Es sind zudem Zeiten der persönlichen Bitterkeit und Armut.
Es folgen lange Jahre in der britischen Armee, zunächst in Ägypten, erst 1944 wird er nach Deutschland versetzt. Posener erlebt hier das Kriegsende und schreibt an einen seiner Brüder: „Was ich heute empfinde, ist so gemischt aus Erlösung, Furcht, Hoffnung, Schmerz, dass ich es nicht beschreiben kann . . . Ich, fremder Soldat im Geburtsland, habe nicht Heimat im vollen Sinne, die mich nach all dem aufnehmen wird. Ich gehöre nur zu Euch. ”
Diese Erfahrung, dieser melancholisch bis beißende Grundton wiederholt sich in seinen Briefen, denn er verlängert freiwillig seinen Dienst, um als politischer Beobachter den Neuanfang in Deutschland zu kommentieren – aber auch um zu helfen. Schließlich muss er feststellen, dass niemand von außen den Deutschen helfen kann: „Nichts, was man nun Deutschland tut, kann genug Strafe sein. ” Trotz oder wegen dieser Hassliebe versucht er in Deutschland eine Tätigkeit zu finden. Dieser Wunsch bleibt unerfüllt, auch eine kurzzeitige Rückkehr nach Palästina scheitert, weswegen er von 1948 bis 1956 in England als Dozent für Architektur und bis 1961 beim Aufbau der Universität in Kuala Lumpur in Malaysia mitwirkt.
Auch danach wieder die (weltweite) Suche und die quälende Frage nach einem Ort zum Leben und zum Arbeiten. Gegen den massiven Widerstand von jüdischen Freunden nimmt er schließlich in Berlin an der Hochschule für Bildende Künste eine Berufung an und beginnt zu publizieren. Schon 1946 hatte Erich Mendelsohn ihm in einem seiner witzig-lakonischen Briefe geraten, sich dem Wort und nicht der praktizierten Architektur hinzugeben: „Ich bin überzeugt davon, dass dort Ihr Schlacht- und Siegesfeld liegt, Ihr magnetisches Feld, in dem sich Ihre Energie im Rahmen Ihrer Möglichkeiten entfalten kann und, indem Sie sich entwickeln, auch jenseits dieser Grenzen. ” Der Rat war goldrichtig – und es folgen viele Veröffentlichungen, zahlreiche Ehrungen. 1979 erscheint sein opus magnum, Berlin auf dem Weg zu einer neuen Architektur: Das Zeitalter Wilhelms II, und 1990 sein Lebensrückblick Fast so alt wie das Jahrhundert.
Unermüdlich beteiligt er sich an den politischen Diskussionen der Zeit: 1977 kondoliert er dem Vater von Gudrun Ensslin, er korrespondiert mit Helmut Gollwitzer, nimmt in einem Brief an Egon Bahr Stellung zu Fragen der deutschen Schuld. Mit 92 Jahren stirbt er in Berlin, seinem Geburtsort.
Die Briefe von Julius Posener und die Antworten von einigen der bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts sind eine Fundgrube für Architekturliebhaber und sind gleichzeitig Zeugen von den Wirren des vergangenen Jahrhunderts, welches nicht nur die überlebenden Juden zwang, sich immer wieder neu zu orientieren, neu zu orten und neu zu beginnen.
ASTRID VON FRIESEN
MATTHIAS SCHIRREN, SYLVIA CLAUS (Hrsg. ): Julius Posener. Ein Leben in Briefen. Ausgewählte Korrespondenz 1929–1990. Birkhäuser Verlag, Basel, Berlin, Boston 1999. 285 S. , 68 Mark.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Über hundert Briefe von einem, der seit seiner Vertreibung 1933 aus Deutschland in vielen Ländern, am Ende auch wieder in Deutschland, zu Hause war, der reiste, flanierte, las und hinsah: da finden sich die "Wirren des vergangenen Jahrhunderts" ebenso wieder wie kluge Bemerkungen zu Architektur und Kultur, schreibt Astrid von Friesen. Ganz offensichtlich ist sie hellauf begeistert von diesem Band, aus dem sie in ihrer Besprechung immer wieder zitiert, u.a. aus einem Brief seines frühen Mentors Erich Mendessohn, der ihm riet, "sich dem Wort hinzugeben" und nicht unbedingt "Architektur zu praktizieren". Die Rezensentin lobt zudem die "vorzüglichen" Kommentare der Herausgeber. Eine wunderbare "Fundgrube für Architekturliebhaber", meint von Friesen. Und man hat den Eindruck: es ist eine Fundgrube nicht nur für sie!

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