A bold, gripping history of the first month of World War I When an assassin gunned down Archduke Franz Ferdinand in late June 1914, no one could have imagined the shocking bloodshed that would soon follow. Indeed, as award-winning historian Sean McMeekin reveals in July 1914, World War I might have been avoided entirely had it not been for the actions of a small group of statesmen in the month after the assassination. Whether they plotted for war or rode the whirlwind nearly blind, these men sought to capitalize on the fallout from Ferdinand's murder, unwittingly leading Europe toward the greatest cataclysm it had ever seen. A deeply-researched account of the genesis of World War I, July 1914 tells the gripping story of the month that changed the course of the twentieth century.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.08.2014Berlins unbefristete Rückendeckung für Wien
Sean McMeekin zeigt, wie in der Juli-Krise 1914 die Verantwortlichen in Europa vor allem va banque spielten
Die Frage nach den Ursachen des Ersten Weltkriegs ist so etwas wie die älteste Kamelle im Gemischtwarenladen der Geschichtswissenschaft des 20. Jahrhunderts. Gegenwärtig wird sie mit erstaunlicher Giftigkeit wieder ins Schaufenster öffentlicher Debatten gestellt. Die einen vertrauen darauf, dass es 100 Jahre nach Kriegsbeginn möglich sein sollte, die Suche nach den Schuldigen hinter sich zu lassen und nicht mehr nach dem "Wer", sondern nach dem "Wie" zu fragen. Andere wittern hinter dieser Perspektivenverschiebung unlautere Exkulpationsabsichten. Insbesondere möchten sie an der These einer deutschen Hauptschuld aus gleichsam volkspädagogischen Absichten heraus festhalten, um zu verhindern, dass der Kontinent durch deutsche Schuld wieder in Krieg und Leid versinke.
Der amerikanische Historiker Sean McMeekin, der an der Koç-Universität in Istanbul arbeitet, nimmt in seiner brillanten Studie über Europas Countdown in den Krieg in dieser Frage eine Mittelposition ein. Wie der australische Historiker Christopher Clark ist er der Ansicht, dass man sich den Blick auf die entscheidenden Zusammenhänge der Juli-Krise verstellt, wenn man nur nach Berlin und nicht zugleich auch nach Belgrad, Wien, St. Petersburg, Paris und London blickt. McMeekin glaubt nicht, dass nur die deutschen Außenpolitiker und Militärs in ihrer Entscheidung frei waren, während die zivilen und militärischen Anführer in den anderen europäischen Hauptstädten auf die deutsche Herausforderung nur in einer bestimmten Weise - nämlich mit gebotener Gegenwehr - reagieren konnten. Stattdessen legt er dar, dass jede europäische Großmacht handfeste eigene Interessen hatte, im Sommer 1914 die Eskalation mitzumachen und nicht, wie so viele Male zuvor, den Krieg in letzter Minute doch noch zu vermeiden.
Die Serben hofften auf eine Vergrößerung ihres jungen Nationalstaates auf Kosten Österreich-Ungarns. Das Habsburgerreich sah sich im Existenzkampf um seine Stellung als Großmacht. Im Deutschen Reich fürchtete man den Verlust des letzten verbliebenen Bundesgenossen und eine weitere Verschlechterung der strategischen Lage gegenüber Frankreich und Russland. In St. Petersburg versprach man sich McMeekin zufolge von einem großen europäischen Krieg nicht zuletzt den Zugriff auf Konstantinopel und die Meerengen des Bosporus und der Dardanellen. Für Frankreich hatte ein Krieg, der vom Balkan ausging, den Vorzug, dass der russische Bündnispartner darin mit größerer Sicherheit involviert sein würde als etwa in einer Neuauflage der Kolonial-Konflikte um Marokko. Die britische Führung erwartete weniger Nachteile für ihre Stellung in Europa und der Welt, wenn sie an einem großen europäischen Krieg teilnahm, als wenn sie auf eine Intervention an der Seite Frankreichs und Russlands verzichtet hätte.
Die Juli-Krise, wie McMeekin sie schildert, folgte nicht einem abgefeimten Drehbuch, das in Berlin geschrieben wurde. Sie war das Ergebnis unterschiedlicher Interessen und kompliziertester politischer Wetterlagen, die sich zum perfekten Sturm zusammenbrauten. Trotzdem sind in seiner Darstellung nicht alle Katzen gleich grau. Anders als Clark stellt er ausdrücklich die "moralische Schlüsselfrage" nach den verschiedenen Graden der Verantwortung für den Kriegsbeginn. Zu diesem Zweck analysiert er anhand der edierten Akten und eigener Quellenfunde minutiös und überzeugend, was knapp hundert Entscheidungsträger in den verschiedenen europäischen Hauptstädten während der 38 Tage zwischen den Todesschüssen auf Erzherzog Franz Ferdinand und dem Einmarsch deutscher Truppen in Belgien gesagt und getan haben.
Dabei kommt die serbische Führung in Belgrad vergleichsweise gut weg, weil sie nur auf den Konflikt mit Österreich konzentriert war und nicht die Absicht hatte, einen Weltkrieg zu entfesseln. Die britische Beteiligung sieht der Autor nicht im aktiven Tun, sondern im Unterlassen: Weil es Außenminister Grey über Wochen nicht gelang, klar Position zu beziehen, habe er Frankreich und Russland, aber auch Deutschland in der Erwartung gewiegt, die Entscheidung in London werde letztlich zu ihren Gunsten ausfallen.
Größere Verantwortung lastet McMeekin dem österreichischen Außenminister Graf Berchtold an. Dieser habe die Krise bis zu ihrem Kulminationspunkt am 23. Juli immer weiter vorangetrieben, um einen Vergeltungskrieg gegen Serbien vom Zaun zu brechen. Zugleich betont der Autor jedoch, dass Berchtolds verfehlte Politik Russland keineswegs zur Mobilisierung zwang. Entscheidend sei nicht der Befehl des russischen Zaren zur Generalmobilmachung am 29. Juli gewesen, sondern der Beschluss zur geheimen Teilmobilmachung fünf Tage zuvor. Dieser Schritt, in den zumindest der französische Botschafter in St. Petersburg eingeweiht war, habe es möglich gemacht, die Kriegsvorbereitungen energisch voranzutreiben und zugleich den Anschein diplomatischer Verbindlichkeit und Gesprächsbereitschaft aufrechtzuerhalten.
In gewisser Weise verhielten sich McMeekin zufolge die beiden feindlichen Allianzen in den letzten Tagen vor Kriegsbeginn spiegelverkehrt: In St. Petersburg und Paris vermied man, von Krieg zu reden, bereitete sich aber im Geheimen effektiv darauf vor. Die Deutschen hingegen drohten unverhohlen damit, zögerten die Mobilmachung jedoch lange hinaus. Dabei agierte die Reichsleitung nach den Schüssen von Sarajevo in McMeekins Deutung nicht aus einer Position der Stärke, sondern strategischer Schwäche heraus. Die Vorstellung, dass Berlins Position 1914 für einen Krieg besonders günstig gewesen sei, hält er für "absurd". Das Flottenwettrüsten mit England sei verloren gewesen. Russland habe seine Schwäche nach der Niederlage gegen Japan überwunden gehabt, und Frankreich habe mit dem Übergang zur dreijährigen Dienstzeit demonstriert, dass es nicht bereit war, sich kampflos zu unterwerfen.
Wenn der deutschen Führung in dieser Darstellung dennoch erheblicher Anteil an der Verantwortung für den Krieg zufällt, so nicht etwa, weil Kanzler Bethmann Hollweg übermütig oder größenwahnsinnig nach der Weltmacht griff, sondern wegen des unbedachten Blankoschecks für Österreich-Ungarn. Die unbefristete Rückendeckung für den Bundesgenossen habe die Eskalation der Balkankrise möglich gemacht und das Reich an die Wiener Politik gekettet, ohne sie kontrollieren zu können. Hinzu kam die Entscheidung des Generalstabschefs Moltke, gemäß den Planungen seines Vorgängers Schlieffen auf Lüttich zu marschieren: für McMeekin ein "politischer, diplomatischer, strategischer und moralischer Fehler ersten Ranges", auch wenn aus seiner Sicht die Verletzung von Belgiens Neutralität nicht den Ausschlag dafür gab, dass England auf der Seite Russlands und Frankreichs in den Krieg eintrat.
Insgesamt ergibt sich das Bild einer Krise, in der alle politisch Verantwortlichen va banque spielten. Fast überall wechselte die zivile Leitung der Außenpolitik aus dem Lager der Mäßigung an die Seite der militärischen Scharfmacher. Dabei hätten sich - so McMeekins Schlusspointe - die Führungen in Berlin und Wien verzockt. Der Krieg kam in einer für sie besonders ungünstigen Konstellation zustande, während St. Petersburg und Paris ihn aus der bestmöglichen Ausgangslage heraus führen konnten. Schlafwandler sind bei McMeekin nicht am Werk, eher Hasardeure, die ihre mehr oder weniger guten Karten mit unterschiedlichem Geschick ausspielten. Die Zeche mussten andere zahlen.
DOMINIK GEPPERT
Sean McMeekin: Juli 1914. Der Countdown in den Krieg. Europa Verlag, Berlin 2014. 557 S., 29,99 [Euro].
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Sean McMeekin zeigt, wie in der Juli-Krise 1914 die Verantwortlichen in Europa vor allem va banque spielten
Die Frage nach den Ursachen des Ersten Weltkriegs ist so etwas wie die älteste Kamelle im Gemischtwarenladen der Geschichtswissenschaft des 20. Jahrhunderts. Gegenwärtig wird sie mit erstaunlicher Giftigkeit wieder ins Schaufenster öffentlicher Debatten gestellt. Die einen vertrauen darauf, dass es 100 Jahre nach Kriegsbeginn möglich sein sollte, die Suche nach den Schuldigen hinter sich zu lassen und nicht mehr nach dem "Wer", sondern nach dem "Wie" zu fragen. Andere wittern hinter dieser Perspektivenverschiebung unlautere Exkulpationsabsichten. Insbesondere möchten sie an der These einer deutschen Hauptschuld aus gleichsam volkspädagogischen Absichten heraus festhalten, um zu verhindern, dass der Kontinent durch deutsche Schuld wieder in Krieg und Leid versinke.
Der amerikanische Historiker Sean McMeekin, der an der Koç-Universität in Istanbul arbeitet, nimmt in seiner brillanten Studie über Europas Countdown in den Krieg in dieser Frage eine Mittelposition ein. Wie der australische Historiker Christopher Clark ist er der Ansicht, dass man sich den Blick auf die entscheidenden Zusammenhänge der Juli-Krise verstellt, wenn man nur nach Berlin und nicht zugleich auch nach Belgrad, Wien, St. Petersburg, Paris und London blickt. McMeekin glaubt nicht, dass nur die deutschen Außenpolitiker und Militärs in ihrer Entscheidung frei waren, während die zivilen und militärischen Anführer in den anderen europäischen Hauptstädten auf die deutsche Herausforderung nur in einer bestimmten Weise - nämlich mit gebotener Gegenwehr - reagieren konnten. Stattdessen legt er dar, dass jede europäische Großmacht handfeste eigene Interessen hatte, im Sommer 1914 die Eskalation mitzumachen und nicht, wie so viele Male zuvor, den Krieg in letzter Minute doch noch zu vermeiden.
Die Serben hofften auf eine Vergrößerung ihres jungen Nationalstaates auf Kosten Österreich-Ungarns. Das Habsburgerreich sah sich im Existenzkampf um seine Stellung als Großmacht. Im Deutschen Reich fürchtete man den Verlust des letzten verbliebenen Bundesgenossen und eine weitere Verschlechterung der strategischen Lage gegenüber Frankreich und Russland. In St. Petersburg versprach man sich McMeekin zufolge von einem großen europäischen Krieg nicht zuletzt den Zugriff auf Konstantinopel und die Meerengen des Bosporus und der Dardanellen. Für Frankreich hatte ein Krieg, der vom Balkan ausging, den Vorzug, dass der russische Bündnispartner darin mit größerer Sicherheit involviert sein würde als etwa in einer Neuauflage der Kolonial-Konflikte um Marokko. Die britische Führung erwartete weniger Nachteile für ihre Stellung in Europa und der Welt, wenn sie an einem großen europäischen Krieg teilnahm, als wenn sie auf eine Intervention an der Seite Frankreichs und Russlands verzichtet hätte.
Die Juli-Krise, wie McMeekin sie schildert, folgte nicht einem abgefeimten Drehbuch, das in Berlin geschrieben wurde. Sie war das Ergebnis unterschiedlicher Interessen und kompliziertester politischer Wetterlagen, die sich zum perfekten Sturm zusammenbrauten. Trotzdem sind in seiner Darstellung nicht alle Katzen gleich grau. Anders als Clark stellt er ausdrücklich die "moralische Schlüsselfrage" nach den verschiedenen Graden der Verantwortung für den Kriegsbeginn. Zu diesem Zweck analysiert er anhand der edierten Akten und eigener Quellenfunde minutiös und überzeugend, was knapp hundert Entscheidungsträger in den verschiedenen europäischen Hauptstädten während der 38 Tage zwischen den Todesschüssen auf Erzherzog Franz Ferdinand und dem Einmarsch deutscher Truppen in Belgien gesagt und getan haben.
Dabei kommt die serbische Führung in Belgrad vergleichsweise gut weg, weil sie nur auf den Konflikt mit Österreich konzentriert war und nicht die Absicht hatte, einen Weltkrieg zu entfesseln. Die britische Beteiligung sieht der Autor nicht im aktiven Tun, sondern im Unterlassen: Weil es Außenminister Grey über Wochen nicht gelang, klar Position zu beziehen, habe er Frankreich und Russland, aber auch Deutschland in der Erwartung gewiegt, die Entscheidung in London werde letztlich zu ihren Gunsten ausfallen.
Größere Verantwortung lastet McMeekin dem österreichischen Außenminister Graf Berchtold an. Dieser habe die Krise bis zu ihrem Kulminationspunkt am 23. Juli immer weiter vorangetrieben, um einen Vergeltungskrieg gegen Serbien vom Zaun zu brechen. Zugleich betont der Autor jedoch, dass Berchtolds verfehlte Politik Russland keineswegs zur Mobilisierung zwang. Entscheidend sei nicht der Befehl des russischen Zaren zur Generalmobilmachung am 29. Juli gewesen, sondern der Beschluss zur geheimen Teilmobilmachung fünf Tage zuvor. Dieser Schritt, in den zumindest der französische Botschafter in St. Petersburg eingeweiht war, habe es möglich gemacht, die Kriegsvorbereitungen energisch voranzutreiben und zugleich den Anschein diplomatischer Verbindlichkeit und Gesprächsbereitschaft aufrechtzuerhalten.
In gewisser Weise verhielten sich McMeekin zufolge die beiden feindlichen Allianzen in den letzten Tagen vor Kriegsbeginn spiegelverkehrt: In St. Petersburg und Paris vermied man, von Krieg zu reden, bereitete sich aber im Geheimen effektiv darauf vor. Die Deutschen hingegen drohten unverhohlen damit, zögerten die Mobilmachung jedoch lange hinaus. Dabei agierte die Reichsleitung nach den Schüssen von Sarajevo in McMeekins Deutung nicht aus einer Position der Stärke, sondern strategischer Schwäche heraus. Die Vorstellung, dass Berlins Position 1914 für einen Krieg besonders günstig gewesen sei, hält er für "absurd". Das Flottenwettrüsten mit England sei verloren gewesen. Russland habe seine Schwäche nach der Niederlage gegen Japan überwunden gehabt, und Frankreich habe mit dem Übergang zur dreijährigen Dienstzeit demonstriert, dass es nicht bereit war, sich kampflos zu unterwerfen.
Wenn der deutschen Führung in dieser Darstellung dennoch erheblicher Anteil an der Verantwortung für den Krieg zufällt, so nicht etwa, weil Kanzler Bethmann Hollweg übermütig oder größenwahnsinnig nach der Weltmacht griff, sondern wegen des unbedachten Blankoschecks für Österreich-Ungarn. Die unbefristete Rückendeckung für den Bundesgenossen habe die Eskalation der Balkankrise möglich gemacht und das Reich an die Wiener Politik gekettet, ohne sie kontrollieren zu können. Hinzu kam die Entscheidung des Generalstabschefs Moltke, gemäß den Planungen seines Vorgängers Schlieffen auf Lüttich zu marschieren: für McMeekin ein "politischer, diplomatischer, strategischer und moralischer Fehler ersten Ranges", auch wenn aus seiner Sicht die Verletzung von Belgiens Neutralität nicht den Ausschlag dafür gab, dass England auf der Seite Russlands und Frankreichs in den Krieg eintrat.
Insgesamt ergibt sich das Bild einer Krise, in der alle politisch Verantwortlichen va banque spielten. Fast überall wechselte die zivile Leitung der Außenpolitik aus dem Lager der Mäßigung an die Seite der militärischen Scharfmacher. Dabei hätten sich - so McMeekins Schlusspointe - die Führungen in Berlin und Wien verzockt. Der Krieg kam in einer für sie besonders ungünstigen Konstellation zustande, während St. Petersburg und Paris ihn aus der bestmöglichen Ausgangslage heraus führen konnten. Schlafwandler sind bei McMeekin nicht am Werk, eher Hasardeure, die ihre mehr oder weniger guten Karten mit unterschiedlichem Geschick ausspielten. Die Zeche mussten andere zahlen.
DOMINIK GEPPERT
Sean McMeekin: Juli 1914. Der Countdown in den Krieg. Europa Verlag, Berlin 2014. 557 S., 29,99 [Euro].
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"Almost impossible to put down...A punchy and riveting narrative."-R.J.W. Evans, New York Review of Books