Die Stadt ist ihr Revier, hier streifen sie umher, die jungen Leute dieser von der Wirtschaftskrise gebeutelten Gegend im äußersten Westen Irlands. Stets auf dem Sprung, stets bereit zu einer Schlägerei, dem rettenden Rausch oder der schnellen Nummer, ohne echtes Ziel, aber immer auf der Suche. Sie sind Türsteher, Kleinkriminelle oder Tankwarte, sie sind so rücksichtslos wie weichherzig, doch wenn es um Gefühle geht, lassen sie lieber Taten sprechen. Jungs wie Jimmy, der seine Liebeserklärung auf das umgeworfene Auto seines Rivalen malt, wie Tug, der Schrecken der Stadt, dem das Schicksal eines vermissten kleinen Jungen nicht aus dem Kopf geht. Oder wie die Gangster Arm und Dympna, deren Schicksal besiegelt ist, als sie einen Job so richtig vermasseln.Colin Barrett, so die New York Times, 'versteht sich blendend darauf, Momente einzufangen, in denen es bei jemandem richtig mies läuft' - und das tut er mit Mitgefühl und großem Spaß. In seinen gefeierten Erzählungen gehen schwarzerHumor, Gewalt und Zärtlichkeit eine unwiderstehliche Liaison ein.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Schuster bleib bloß bei deinen Leisten, warnt Rezensent Friedhelm Rathjen den jungen irischen Autor Colin Barrett, der nun mit "Junge Wölfe" sein Short-Story Debüt auch in Deutschland veröffentlicht hat. In Barretts Fall sind diese Leisten "meisterhafte" Short-Storys über die Lethargie des Lebens im abgeschiedenen Westen Irlands, die vor allem von einer außergewöhnlichen, präzisen Sprache, gleichzeitig anschmiegsam und rau, getragen werden. Weniger souverän kann Barrett mit komplexen Handlungsstrukturen umgehen, wie Rathjen bei einer der längeren Storys bemerkt. Er rät dem Autor, es bei Kurzgeschichten zu belassen, denn wirklich gut sei er immer da, wo die Erzählungen "skizzenhaft offen" bleiben. Das sind dann alles andere als nur Fingerübungen, meint der Rezensent und hofft auf eine Renaissance der irischen Short Story.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.05.2016Auf dem Treibholzweg im irischen Hinterland
Jung, heißblütig, melancholisch: Colin Barrett porträtiert eine Haudrauf-Generation, die nicht aus ihrer Haut kann
Jung sein und das Unglück kultivieren, das ist Arbeit. All die brummenden Bierschädel und gebrochenen Nasen, das muss man schon wollen. Wo es doch so viel bequemer wäre, ein schmieriger Yuppie zu werden: Banklehre, Pharmareferent, Bürokauffrau, das geht doch selbst in Irland. Aber im Kosmos von Colin Barett, dem gar nicht mehr so jungen irischen Jungtalent - vor seiner Autorenkarriere übrigens Mobilfunkfirmen-Yuppie in Dublin -, wird auf Buckelei und Hochschlafkarrieren gepfiffen, hält man sich lieber mit Türsteherjobs, Cannabis-Deals und Billard-Abzocke über Wasser (respektive Whiskey), auch wenn es dafür Hiebe setzt.
Das in seiner Konzentration auf postpubertär prätentiöses Herumhängen erstaunlich reife Debüt "Junge Wölfe" (im Original: "Young Skins") porträtiert in seinen locker verbundenen Erzählungen eine verlorene Generation im irischen Hinterland, mit Ironie, aber noch mehr mit Empathie. Es ist die Perspektive junger heißblütiger Männer, die der Autor einnimmt. Er heult mit den Wölfen nach Bier, Joints, Faustkampfselbstbestätigungen und Frauen, lässt seine Helden Sprüche klopfen, die jeden Spaghetti-Western zierten: "Ich schätze mal, nicht in der Stimmung zu sein ist die beste Stimmung, um mit diesen beschissenen Indianern fertig zu werden."
Und doch ist nicht der maskuline Kitsch das Hauptkennzeichen dieser fast zärtlichen Geschichten, sondern die erzählerische Volte, stets eine unerwartete Sensibilität, eine anrührende Verletzlichkeit unter der harten Schale sichtbar zu machen. Die Dosenbier-Jungs tragen schwer an der Tatsache, dass man sie zurückgelassen hat in ihrer Pose, dass die Welt sich weitergedreht hat, während sie blieben, wer sie waren. Die Stadt mag ihnen gehören, aber mit Mitte zwanzig beginnt den Protagonisten zu dämmern, dass es ein Außen gibt. Das treibt sie freilich nicht zum Aufbruch, sondern tiefer hinein ins Dunkel.
Der Ich-Erzähler streift an der Seite seines muskelbepackten, sensiblen Freundes Tug durch die Gegend, trifft auf die Jugendliebe Marlene, die ihn am Vorabend noch einmal rangelassen hat. Doch jetzt ist sie mit ihrem Kind unterwegs, auch der Vater ist dabei, ein Ring funkelt vielsagend an ihrem Finger. Wenig später liegt das malträtierte Auto des Verlobten wie ein hilfloser Käfer auf dem Rücken, ein Akt purer Muskelkraft, und so romantisch wie verzweifelt prangt ein "Heirate mich" auf der Beifahrertür. "Dreh die Zeit zurück" bedeutet dieser Hilferuf in Wahrheit. Mögen muss man sie einfach, die ungestümen Helden dieses Buches. So ist Tug, das reizbare "Riesenbaby", von der Geschichte eines verschwundenen kleinen Jungen so erschüttert, dass er kaum an etwas anderes denken kann. Bat, ein liebenswerter Außenseiter und Alkoholiker, seit er grundlos fast zu Tode geprügelt wurde, will ein guter Freund sein, nimmt eine Einladung in die Höhle der Löwen an, aber scheitert an seinen Dämonen.
Die einnehmendste Erzählung ist jene von den beiden Kleinkriminellen Dympna und Arm. Die Figurenkonstellation ähnelt jener der Eröffnungserzählung. Auch Arm(strong) ist ein sensibler Muskelprotz, ein ehemaliger Boxer, der vor allem als Dympnas Waffe fungiert, sollten Cannabis-Kunden nicht rechtzeitig zahlen. Ein nichtiger Anlass reicht, damit aus der brüchigen Handelspartnerschaft ein Privatkrieg wird, den der Autor in Tarantino-Manier auskostet. Während alles aus dem Ruder läuft, kommt Arm, der aus Dummheit Ungeheuerliches tut, beim therapeutischen Reiten seinem behinderten Sohn näher. Erstmals wird Arm selbst bei der Hand genommen, obwohl für ihn keine Rettung mehr möglich ist.
Barrett trifft den melancholischen Grundton solcher Lebensvergeudungen. Es ist kein depressiver Ton, eher ein lakonischer, der zu Herzen geht, wenn unaufgeregt erkennbar wird, dass der Weg dieser Figuren im Kreis führt, dass sie in einem Alter, in dem man für gewöhnlich zur Eroberung der Welt schreitet, schon am Ende sind. Wo der Fokus ein wenig verschoben wird, etwa auf die kurze romantische Affäre zweier Liebesversehrter, die sich bei den Anonymen Alkoholikern kennengelernt haben, lässt die Spannkraft der Erzählungen merklich nach, verheddert sich Barrett in gesucht wirkenden Bildern und Motiven ("Boatman Tavern" heißt die Spelunke, in der die Männer mit dem Bootsmann Tod hadern). Mit den übrigen Geschichten aber darf man einen Abend lang wieder ein bisschen jung und dumm sein.
OLIVER JUNGEN
Colin Barrett: "Junge Wölfe". Erzählungen.
Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. Steidl Verlag, Göttingen 2016. 224 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jung, heißblütig, melancholisch: Colin Barrett porträtiert eine Haudrauf-Generation, die nicht aus ihrer Haut kann
Jung sein und das Unglück kultivieren, das ist Arbeit. All die brummenden Bierschädel und gebrochenen Nasen, das muss man schon wollen. Wo es doch so viel bequemer wäre, ein schmieriger Yuppie zu werden: Banklehre, Pharmareferent, Bürokauffrau, das geht doch selbst in Irland. Aber im Kosmos von Colin Barett, dem gar nicht mehr so jungen irischen Jungtalent - vor seiner Autorenkarriere übrigens Mobilfunkfirmen-Yuppie in Dublin -, wird auf Buckelei und Hochschlafkarrieren gepfiffen, hält man sich lieber mit Türsteherjobs, Cannabis-Deals und Billard-Abzocke über Wasser (respektive Whiskey), auch wenn es dafür Hiebe setzt.
Das in seiner Konzentration auf postpubertär prätentiöses Herumhängen erstaunlich reife Debüt "Junge Wölfe" (im Original: "Young Skins") porträtiert in seinen locker verbundenen Erzählungen eine verlorene Generation im irischen Hinterland, mit Ironie, aber noch mehr mit Empathie. Es ist die Perspektive junger heißblütiger Männer, die der Autor einnimmt. Er heult mit den Wölfen nach Bier, Joints, Faustkampfselbstbestätigungen und Frauen, lässt seine Helden Sprüche klopfen, die jeden Spaghetti-Western zierten: "Ich schätze mal, nicht in der Stimmung zu sein ist die beste Stimmung, um mit diesen beschissenen Indianern fertig zu werden."
Und doch ist nicht der maskuline Kitsch das Hauptkennzeichen dieser fast zärtlichen Geschichten, sondern die erzählerische Volte, stets eine unerwartete Sensibilität, eine anrührende Verletzlichkeit unter der harten Schale sichtbar zu machen. Die Dosenbier-Jungs tragen schwer an der Tatsache, dass man sie zurückgelassen hat in ihrer Pose, dass die Welt sich weitergedreht hat, während sie blieben, wer sie waren. Die Stadt mag ihnen gehören, aber mit Mitte zwanzig beginnt den Protagonisten zu dämmern, dass es ein Außen gibt. Das treibt sie freilich nicht zum Aufbruch, sondern tiefer hinein ins Dunkel.
Der Ich-Erzähler streift an der Seite seines muskelbepackten, sensiblen Freundes Tug durch die Gegend, trifft auf die Jugendliebe Marlene, die ihn am Vorabend noch einmal rangelassen hat. Doch jetzt ist sie mit ihrem Kind unterwegs, auch der Vater ist dabei, ein Ring funkelt vielsagend an ihrem Finger. Wenig später liegt das malträtierte Auto des Verlobten wie ein hilfloser Käfer auf dem Rücken, ein Akt purer Muskelkraft, und so romantisch wie verzweifelt prangt ein "Heirate mich" auf der Beifahrertür. "Dreh die Zeit zurück" bedeutet dieser Hilferuf in Wahrheit. Mögen muss man sie einfach, die ungestümen Helden dieses Buches. So ist Tug, das reizbare "Riesenbaby", von der Geschichte eines verschwundenen kleinen Jungen so erschüttert, dass er kaum an etwas anderes denken kann. Bat, ein liebenswerter Außenseiter und Alkoholiker, seit er grundlos fast zu Tode geprügelt wurde, will ein guter Freund sein, nimmt eine Einladung in die Höhle der Löwen an, aber scheitert an seinen Dämonen.
Die einnehmendste Erzählung ist jene von den beiden Kleinkriminellen Dympna und Arm. Die Figurenkonstellation ähnelt jener der Eröffnungserzählung. Auch Arm(strong) ist ein sensibler Muskelprotz, ein ehemaliger Boxer, der vor allem als Dympnas Waffe fungiert, sollten Cannabis-Kunden nicht rechtzeitig zahlen. Ein nichtiger Anlass reicht, damit aus der brüchigen Handelspartnerschaft ein Privatkrieg wird, den der Autor in Tarantino-Manier auskostet. Während alles aus dem Ruder läuft, kommt Arm, der aus Dummheit Ungeheuerliches tut, beim therapeutischen Reiten seinem behinderten Sohn näher. Erstmals wird Arm selbst bei der Hand genommen, obwohl für ihn keine Rettung mehr möglich ist.
Barrett trifft den melancholischen Grundton solcher Lebensvergeudungen. Es ist kein depressiver Ton, eher ein lakonischer, der zu Herzen geht, wenn unaufgeregt erkennbar wird, dass der Weg dieser Figuren im Kreis führt, dass sie in einem Alter, in dem man für gewöhnlich zur Eroberung der Welt schreitet, schon am Ende sind. Wo der Fokus ein wenig verschoben wird, etwa auf die kurze romantische Affäre zweier Liebesversehrter, die sich bei den Anonymen Alkoholikern kennengelernt haben, lässt die Spannkraft der Erzählungen merklich nach, verheddert sich Barrett in gesucht wirkenden Bildern und Motiven ("Boatman Tavern" heißt die Spelunke, in der die Männer mit dem Bootsmann Tod hadern). Mit den übrigen Geschichten aber darf man einen Abend lang wieder ein bisschen jung und dumm sein.
OLIVER JUNGEN
Colin Barrett: "Junge Wölfe". Erzählungen.
Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. Steidl Verlag, Göttingen 2016. 224 S., geb., 20,- [Euro].
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