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Denton Welch, der Held dieses Romans, befindet sich in dem Alter des leichten Errötens und der vielen ersten Male. Nach den Sommerferien beschließt er, nicht mehr auf die Schulbank zurückzukehren. Statt in den Zug nach Derbyshire zu steigen nimmt er den Bus in die entgegengesetzte Richtung. Doch die Familie fällt das Urteil über den Ausreißer: er muß zurück in die Schule. Aber Denton hat Glück; sein Vater lädt ihn nach China ein. Das schöne, aufregende Jahr zwischen Kindheit und Erwachsensein verbringt er auf einer Entdeckungsreise durch die fernöstliche Welt.

Produktbeschreibung
Denton Welch, der Held dieses Romans, befindet sich in dem Alter des leichten Errötens und der vielen ersten Male. Nach den Sommerferien beschließt er, nicht mehr auf die Schulbank zurückzukehren. Statt in den Zug nach Derbyshire zu steigen nimmt er den Bus in die entgegengesetzte Richtung. Doch die Familie fällt das Urteil über den Ausreißer: er muß zurück in die Schule. Aber Denton hat Glück; sein Vater lädt ihn nach China ein. Das schöne, aufregende Jahr zwischen Kindheit und Erwachsensein verbringt er auf einer Entdeckungsreise durch die fernöstliche Welt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.1996

Vertrauensschüler tragen Blau
Denton Welch macht eine eine Reise an die Grenzen der Jugend / Von Michael Allmaier

Wohl jeder, der mit dem Zug zur Arbeit fahren muß, hat sich schon einmal gefragt, was wäre, wenn er den Zug in die andere Richtung genommen hätte, irgendwohin weit weg. Das läßt Bahnhöfe so bedeutsam erscheinen. Im Nebeneinander ihrer Gleise erkennt der Reisende, wie viele Wege sein Leben nehmen kann - oder könnte, denn meist beläßt man es ja doch beim Vorortzug. Und dann die Fahrt: Man kann aussteigen, aber nicht immer. Man kann nicht den Weg bestimmen oder das Tempo, aber man kann auf und ab gehen, seinen Platz wechseln und in jede beliebige Richtung schauen. Vielleicht ist das Leben ja eine Zugfahrt.

Der Roman "Jungfernfahrt" von Denton Welch beginnt mit einer solchen Weichenstellung. Es ist September 1931, das Ende der Sommerferien. Der Ich-Erzähler, Denton Welch, ein junger, oft sehr junger Mann von sechzehn Jahren, hat soeben den Entschluß gefaßt, nicht mehr in sein Internat zurückzukehren. Er kauft eine Fahrkarte in die Gegenrichtung und legt, in der wohligen Angst, man könne bereits nach ihm fahnden, die Reise im Waschraum des Zuges zurück.

"Jungfernfahrt" erschien zuerst 1943. Es war das erste Buch des 1915 geborenen Engländers Denton Welch und wie das wenige, das noch folgen sollte, streng autobiographisch. Zusammen mit seinem bekanntesten Werk "Freuden der Jugend" ist dieser Roman zuerst vor vierzehn Jahren bei Zweitausendeins auf deutsch erschienen. "Freuden der Jugend" endet, wo "Jungfernfahrt" beginnt, nämlich mit einer Zugfahrt, diesmal aber in die richtige Richtung. Der fünfzehnjährige Orvil Pym fährt widerwillig zurück an seine Schule.

In seinem Debüt benutzt Denton Welch noch die erste Person und seinen eigenen Namen. Das scheint auch die glücklichere Lösung für einen Erzähler, der gar nicht daran denkt, seinen Helden vorzustellen. Vieles muß sich der Leser aus dem eigentümlichen Betragen der anderen Figuren selbst zusammenreimen. So erfahren wir kaum etwas über seine Erscheinung (er sei, sagt er nur, klein für sein Alter), doch sie muß ungewöhnlich sein und ein Grund dafür, warum er von älteren Damen bemuttert und von Mitschülern als "Süßer" verspottet wird. Ebensowenig kommt zur Sprache, wovor er eigentlich flieht, was ihm das Internatsleben so verhaßt macht. Wenn er heimlich Frauenkleider anprobiert oder von muskulösen Männerrücken schwärmt, dürfen wir ahnen, daß Denton zur Homosexualität neigt. Aber niemals fällt auch nur ein Wort in diese Richtung.

Denton macht eine Ausnahme von der Regel, wonach Sechzehnjährige Tag und Nacht über sich selbst nachdenken. Er beobachtet, den Blick gewissermaßen gegen die Fahrtrichtung. Die Dinge kommen nicht auf ihn zu; sie sind plötzlich da, um dann langsam im Gesamtbild aufzugehen: "Bei dem Gedanken, all dem für immer entronnen zu sein, stieg eine freudige Erregung in mir auf. Ich setzte mich unter einen Baum und schaute hinauf zum Turm der Kathedrale. Die Sonne war untergegangen, und die Luft kühlte rasch ab. Ich dachte an die Menschen, die auf Parkbänken schliefen und sich mit Zeitungen zudeckten. Ich legte mich auf die nächste Bank, um zu sehen, wie es war, doch einige Leute kamen vorbei, und ich setzte mich schnell wieder hin."

So richtig gemütlich will es auch im Hotel nicht werden: "Ich stieg die dunkle Treppe hoch und knipste in meinem Zimmer das Licht an. Der rosa Lampenschirm verbreitete ein warmes Licht, das mich deprimierte." Ein warmes Licht, kein kaltes - solche Kleinigkeiten unterscheiden den guten Erzähler vom mittelmäßigen. Der hätte nun von der sterilen Einrichtung schwadroniert, den nichtssagenden Bildern an der Wand und den Gedanken an daheim, die sich quälend in die Ausreißerträume drängen. Denton Welch tut nichts dergleichen. Er beschreibt das leise Unbehagen, das sich einstellt, wenn man gewohnt ist, mit dem sauberen Geschmack geputzter Zähne einzuschlafen, es nun aber nicht kann.

Diese ersten Kapitel gehören zu den stillsten und schönsten des Romans. Zugabteile, Gästezimmer, die Übergänge von Rastlosigkeit und Ruhe beschreibt Denton Welch mit tiefer Hingabe. Er erwähnt nicht, daß er seit einem Verkehrsunfall in seinem zwanzigsten Lebensjahr schwerbehindert ist. In diesem Buch tutet es noch fröhlich zur versprochenen "Jungfernfahrt". Die Verwandtschaft nämlich beschließt, den widerspenstigen Jungen für ein Jahr in seine Geburtsstadt zu schicken, nach Shanghai, wo Vater Welch irgendwelche Geschäfte macht.

Das China der frühen dreißiger Jahre stellt sich dem Leser als gigantischer Flohmarkt für ausländische Händler dar. Jeder hier fühlt sich als Sammler, der gegen ein paar Dollar Antiquitäten erwirbt. Daß darunter zahllose Fälschungen sind, erhebt, statt sie zu hemmen, die Raffgier noch zum sportlichen Wettstreit. Im Herzen kleinbürgerlich, lebt man erst recht feudal: protzige Anwesen, steifer Ton und niemals weniger Bedienstete als Familienmitglieder im Haus.

Freilich steht das nicht so im Roman. Da heißt es anläßlich einer Peking-Reise leichthin: "Wir hatten nur selten Gäste, da es kaum Weiße in der Stadt gab." Denton ist, um es vorsichtig auszudrücken, kein politischer Kopf. Keine Einsicht hindert ihn, eine Gruppe chinesischer Bauern mit Kühen zu vergleichen. Nicht, daß er es rassistisch meinte. Er unterscheidet die Menschen allein danach, wie sie ihn ästhetisch berühren; ob sie sauber wirken oder schmutzig, weltoffen oder engstirnig, sinnlich oder fade. Sympathisch macht diesen Snobismus, daß der, der so gern die Nase rümpft über die Gewöhnlichkeiten der Welt, selbst ein Außenseiter bleibt. Zumal mit den Frauen hat er es nicht: "Bald tanzten alle außer meinem Vater und mir sowie einem kräftig gebauten Mädchen namens Belle. Sie saß steif neben mir. Ich wußte, daß ich sie eigentlich zum Tanzen auffordern sollte, aber ich brachte es nicht über mich. Sie war geradezu vierschrötig, und in ihrem türkisfarbenen Chiffonkleid sah sie aus wie ein Vertrauensschüler, der sich für die Theateraufführung am Ende des Schuljahres kostümiert hat. Ich fühlte mich gar nicht wohl in meiner Haut. ,Komm schon', sagte sie träge."

Anders, als der Titel vermuten ließe, macht Denton in diesem Buch keine sexuellen Erfahrungen, jedenfalls nicht von der Art, die man sich gemeinhin vorstellt. Ihn treibt eine merkwürdige Lust an Schmerz und Schmutz. Doch was er schildert, bleibt im Grunde alltäglich: Züchtigungen im Internat, eine Rangelei mit Kameraden, eine Rasur, ein Streich, bei dem einem Unglücklichen das Schamhaar mit Kaugummi verklebt wird, und wie er einmal eine Katze in Todesangst versetzt. Nur einmal bringt ihn ein Mann ins Schwärmen, und das ist ein robuster Stallknecht, der mit Dung hantiert.

Einen "Hang zu gruseligen Dingen" bescheinigt Denton sich selbst; aber für das Gruselige dürfen wir getrost ein "eklig" lesen. Ausführlich schildert er etwa seinen Fund eines Pilzes namens Stinkhorn, der seinem Namen alle Ehre macht: "Ich hielt ihn mir unter die Nase und sog seinen Gestank ein. Wellen von Übelkeit stiegen in mir hoch, doch gierig atmete ich noch mehr davon ein. Dann warf ich ihn ins dunkle Gras, und er lag da wie eine große weiße hilflose Made."

Man ahnt, was William Burroughs, der Welch sein Vorbild nannte, an diesem Schriftsteller gefiel: das Bild vom adretten Schuljungen mit der schmutzigen Phantasie. Aber es ist nicht ratsam, Denton Welch nach Stellen zu lesen, nach welchen auch immer. Er ist ein Erzähler, kein Bekenner; und wenn man sich schon ein Bild von ihm machen will, dann lieber eins von denen, die er selbst anbietet; den jugendlichen Narziß vielleicht, der mit seinem Picknickkorb auf einem chinesischen Grabhügel hockt und von Brandopfern träumt, die ihm nach seinem Tod dargebracht würden.

Denton Welch sei "ein geborener Schriftsteller", schreibt Edith Sitwell, der dieser Roman gewidmet ist, im Vorwort. So etwas steht oft in Vorworten, hier stimmt es. Man staunt, wie viele Einzelheiten man nach der Lektüre im Kopf behält, wie viele Sätze man beinah rezitieren kann. Es stimmt auch in seinem Vorbehalt: Einen konzeptionell durchdachten, "modernen" Roman sollte man von Denton Welch nicht erwarten. Auf die Frage, warum der Schluß so abrupt kommt wie Dentons Abreise aus Shanghai, hätte er wohl nur erwidert, daß es sich so eben zugetragen hat. Immerhin: Man möchte auch nach 440 Seiten noch weiterlesen, weiter dem unaufgeregt abenteuerlichen Klang seiner Prosa folgen, die einen wie das Rattern der alten Züge behutsam an entlegene Orte trägt.

Leider gibt es dazu nicht mehr viel Gelegenheit. 1948, im Alter von dreiunddreißig Jahren, starb Denton Welch an den Spätfolgen seines Unfalls. Sein dritter Roman, der die letzten Jahre seiner Jugend behandeln sollte, blieb unvollendet: "Jetzt, da ich dies schreibe, wünschte ich, ich könnte" - damit bricht er ab. Ob ein paar Jahre, ein paar Bücher mehr genügt hätten, aus dem ewigen Geheimtip einen anerkannten Dichter zu machen? Wahrscheinlich nicht. Jetzt, da wir dies lesen, können wir ihm nichts anderes wünschen als seine Förderer vor einem halben Jahrhundert: daß sein Werk die Achtung findet, die es verdient.

Denton Welch: "Jungfernfahrt". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Carl Weissner. Steidl Verlag, Göttingen 1996. 444 S., geb., 38,- DM.

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