Mit Recht wird Politik gemacht. Mit Gesetzen und Urteilen werden gesellschaftliche Hierarchien befestigt, werden Menschen beherrscht. Aber Recht ist zugleich auch ein Mittel zur Befreiung von Herrschaft, zur Emanzipation für Minderheiten, die sich damit gegenüber einer Mehrheit behaupten. Es ist ein Instrument, mit dem sich auch für Verbesserungen kämpfen lässt - wenn man weiß wie. Die Juraprofessorin Nora Markard und der Jurist und Journalist Ronen Steinke zeigen anhand von Beispielen aus zwölf zentralen Rechtsgebieten, wie Veränderungen mit den Mitteln des Rechts gemeinsam erkämpft werden können - vom Klimaschutz über die Geschlechterverhältnisse bis hin zu den Menschenrechten. Leicht verständlich und anschaulich geschrieben, laden sie damit alle, die sich für Politik interessieren, zur Einmischung ein. Denn Jura geht uns alle an.In zwölf Kapiteln behandelte Rechtsbereiche:Klimaschutzrecht - Können wir mit Jura den Planeten retten?Grundrechte - Wer kommt mit nach Karlsruhe?Demokratie - Wie stabil sind wir gegen eine Übernahme von rechts?Polizeirecht - Wie setzen wir der Staatsgewalt Grenzen?Strafrecht - Was hilft gegen sexistische Paragrafen?Eigentum - Was steht wem zu?Familienrecht - Wie ermöglichen wir Vielfalt?Arbeitsrecht - Wie kämpfen wir gegen Ausbeutung?Asylrecht - Was soll das mit den Grenzen?Sozialrecht - Wie geht Solidarität?Völkerrecht - Kann Recht gegen Macht gewinnen?Menschenrechte - Wie verteidigen wir einander weltweit?
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ein Buch, das Mut macht: So beschreibt Rezensentin Ulla Fölsing Nora Markard und Ronen Steinkes Arbeit über die Möglichkeiten von Einzelnen, auf das Recht Einfluss zu nehmen. Gesetze sind veränderbar, lernt Fölsing von den Autoren, die sich dafür Beispiele aus unterschiedlichen Bereichen, darunter Arbeitsrecht und Strafrecht herausgesucht haben. Fölsing konzentriert sich auf die Passagen, die mit Klimaschutz zu tun haben und zeichnet entlang der Argumentation des Buches unter anderem nach, wie ein Peruanischer Bergbauer RWE verklagte, weil der Klimawandel seinen Heimatort gefährdet. Wichtig ist, lernt Fölsing von der Juraprofessorin Markard und dem Journalist Steinke, dass man sich für seine Anliegen Verbündete sucht. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es, so das Fazit.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.04.2024Recht unter Veränderungsdruck
Wie Menschen vor Gericht die Welt verbessern wollen
Recht sei das Resultat des "Aushandelns zwischen Akteuren, die unterschiedliche Interessen haben und unterschiedlich stark, ehrlich und klug sind", sagen Nora Markard und Ronen Steinke in ihrem gemeinsam verfassten Buch "Jura not alone". Die Münsteraner Juraprofessorin und der Münchner Journalist und studierte Jurist definieren Recht als "Abbild eines momentanen Diskussionsstands" und deshalb "veränderbar, verbesserbar", auch weil es "nicht per se richtig und nicht immer gerecht" sei. Recht werde schließlich von Menschen gemacht, und wenn Veränderungsdruck spürbar sei, lasse sich etwas ändern. Dazu brauche es aber jemand, der aktiv wird.
Wie es funktionieren kann, die Welt mit den Mitteln des Rechts zu verändern, schildern die beiden Autoren in zwölf Kapiteln. Für jedes haben sie ein zentrales Rechtsgebiet gewählt, wo sie beispielhaft an Konfliktfeldern beschreiben, wie sich Einzelne dort gegen inhärente Interessen, Machtgefüge und unterschiedliche Wertvorstellungen erfolgreich zur Wehr gesetzt haben. Unter der Überschrift "Strafrecht" werden unter anderem Sexualdelikte verhandelt, beim "Polizeirecht" die Grenzen gegenüber der Staatsmacht, beim "Sozialrecht" die Probleme von Menschen mit Behinderungen, beim "Arbeitsrecht" der Kampf gegen Ausbeutung in prekären Jobs. In anderen Kapiteln geht es um Grund- und Menschenrechte, Demokratie und Völkerrecht, Umwelt, Asyl und Eigentum, Arbeit und Familie.
Das Strickmuster ist dabei stets ähnlich: Leicht verständlich und anschaulich wird die jeweilige Rechtslage geschildert, die zu neuen Fragen allerdings oft keine Antworten parat zu haben scheint und offenbar in hartnäckigem Bemühen an gesetzliche Veränderungen herangeführt werden muss. Fortschritte etwa im Klima- und Arbeitsschutz sowie im Umgang der Geschlechter miteinander zeigen jedoch, dass sich zeitgemäße Entwicklungen erkämpfen lassen, wenn es Einzelnen gelingt, sich mit anderen zu solidarisieren. Nicht umsonst stellen Markard und Steinke dem ersten Kapitel ein universell gültiges Zitat der kürzlich verstorbenen langjährigen Richterin am Obersten US-Gerichtshof Ruth Bader Ginsburg voran, in dem es heißt: "Kämpfe für Dinge, die dir wichtig sind. Aber tue es auf eine Weise, die andere dazu bringt, sich dir anzuschließen." Der Buchtitel "Jura not alone" klingt deshalb wohl auch absichtsvoll ganz nach "You're not alone". Er lässt sich so als bewusstes Wortspiel und Appell zur Tat verstehen: Bleib mit deinem Problem nicht allein, es ist nicht nur deines!
Für die globale Bedrohung durch den Klimawandel gilt das allemal. Nicht von ungefähr starten Markard und Steinke ihre bunte Gesetzes-Durchmusterung mit dem Klimaschutz und der Frage: Können wir mit Jura den Planeten retten? Beschrieben werden auf den folgenden zwanzig Seiten die sattsam bekannten Aktionen von zivilem Ungehorsam, etwa Sitzblockaden oder Kunstattacken. Und die Frage, wie Gerichte und Öffentlichkeit darauf reagieren. Offenbar wächst die Tendenz zur Nachsicht, solange die Aktionen "unangenehm, aber nicht gefährlich sind und zudem das verfassungsmäßig anerkannte Ziel Klimaschutz verfolgen".
Thematisiert wird auch der "Klima-Beschluss" des Bundesverfassungsgerichts von 2021. Es ging dort um den steigenden Meeresspiegel der Nordsee und die künftige Bewohnbarkeit von Inseln wie Pellworm und Langeoog. Im Anschluss an die Klage ortsansässiger Jugendlicher zwang das Gericht den Bundestag, sein Klimaschutzgesetz von 2019 zu verschärfen. Markard und Steinke sehen den Gang der jungen Kläger nach Karlsruhe als großen Erfolg, "weil er der Politik Beine machte". Sie verweisen darauf, dass auch anderswo Klimaklagen "strukturell perfekte Fragen für Verfassungsgerichte liefern können". Denn diese seien reaktive Institutionen, die nur zu Antworten in der Lage seien, wenn Menschen die richtigen Fragen stellen.
Einen richtungsweisenden Fall sehen die Verfasser auch in dem noch nicht entschiedenen, irgendwie irritierenden Prozess eines peruanischen Bergbauern, der 2015 mithilfe von NGOs und einer Hamburger Klimaschutzanwältin gegen den Energieriesen RWE vor das Oberlandesgericht Hamm zog. Mit Verweis auf Paragraph 1004 BGB prangerte der Südamerikaner in einer Art globaler Nachbarschaftsklage an, dass sein Haus, 10.000 Kilometer Luftlinie entfernt in einem Andendorf, durch das Überlaufen eines nahen Gletschersees unbewohnbar zu werden droht. Er argumentierte, dass Deutschland zu den 20 größten Wirtschaftsnationen gehört, die mehr als 80 Prozent aller CO2-Emissionen produzieren, wodurch Klimaschäden am anderen Ende der Welt zu erwarten seien. Dort, wo Menschen leben, die kaum zum Klimawandel beigetragen haben. Solche Klagen können offenbar Wirkung zeigen. In den Niederlanden habe Shell seine Emissionen nach einem ähnlichen Prozess um 45 Prozent senken müssen, sagen die Autoren.
"Lernende Gesetzgebung" lautet ein beliebtes Schlagwort für modernes, effizientes Regieren. Auch die Bundesregierung lässt Gesetze regelmäßig überprüfen, ob sie bewirken, was sie beabsichtigen. Der Wunsch nach nötiger Veränderung im Recht sollte allerdings schon früher kommen - und das auf Initiative von unten. Markard und Steinke machen Mut dazu. ULLA FÖLSING
Nora Markard, Ronen Steinke: Jura not alone. 12 Ermutigungen, die Welt mit den Mitteln des Rechts zu verändern, Campus- Verlag, Frankfurt 2024, 282 Seiten, 25 Euro.
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Wie Menschen vor Gericht die Welt verbessern wollen
Recht sei das Resultat des "Aushandelns zwischen Akteuren, die unterschiedliche Interessen haben und unterschiedlich stark, ehrlich und klug sind", sagen Nora Markard und Ronen Steinke in ihrem gemeinsam verfassten Buch "Jura not alone". Die Münsteraner Juraprofessorin und der Münchner Journalist und studierte Jurist definieren Recht als "Abbild eines momentanen Diskussionsstands" und deshalb "veränderbar, verbesserbar", auch weil es "nicht per se richtig und nicht immer gerecht" sei. Recht werde schließlich von Menschen gemacht, und wenn Veränderungsdruck spürbar sei, lasse sich etwas ändern. Dazu brauche es aber jemand, der aktiv wird.
Wie es funktionieren kann, die Welt mit den Mitteln des Rechts zu verändern, schildern die beiden Autoren in zwölf Kapiteln. Für jedes haben sie ein zentrales Rechtsgebiet gewählt, wo sie beispielhaft an Konfliktfeldern beschreiben, wie sich Einzelne dort gegen inhärente Interessen, Machtgefüge und unterschiedliche Wertvorstellungen erfolgreich zur Wehr gesetzt haben. Unter der Überschrift "Strafrecht" werden unter anderem Sexualdelikte verhandelt, beim "Polizeirecht" die Grenzen gegenüber der Staatsmacht, beim "Sozialrecht" die Probleme von Menschen mit Behinderungen, beim "Arbeitsrecht" der Kampf gegen Ausbeutung in prekären Jobs. In anderen Kapiteln geht es um Grund- und Menschenrechte, Demokratie und Völkerrecht, Umwelt, Asyl und Eigentum, Arbeit und Familie.
Das Strickmuster ist dabei stets ähnlich: Leicht verständlich und anschaulich wird die jeweilige Rechtslage geschildert, die zu neuen Fragen allerdings oft keine Antworten parat zu haben scheint und offenbar in hartnäckigem Bemühen an gesetzliche Veränderungen herangeführt werden muss. Fortschritte etwa im Klima- und Arbeitsschutz sowie im Umgang der Geschlechter miteinander zeigen jedoch, dass sich zeitgemäße Entwicklungen erkämpfen lassen, wenn es Einzelnen gelingt, sich mit anderen zu solidarisieren. Nicht umsonst stellen Markard und Steinke dem ersten Kapitel ein universell gültiges Zitat der kürzlich verstorbenen langjährigen Richterin am Obersten US-Gerichtshof Ruth Bader Ginsburg voran, in dem es heißt: "Kämpfe für Dinge, die dir wichtig sind. Aber tue es auf eine Weise, die andere dazu bringt, sich dir anzuschließen." Der Buchtitel "Jura not alone" klingt deshalb wohl auch absichtsvoll ganz nach "You're not alone". Er lässt sich so als bewusstes Wortspiel und Appell zur Tat verstehen: Bleib mit deinem Problem nicht allein, es ist nicht nur deines!
Für die globale Bedrohung durch den Klimawandel gilt das allemal. Nicht von ungefähr starten Markard und Steinke ihre bunte Gesetzes-Durchmusterung mit dem Klimaschutz und der Frage: Können wir mit Jura den Planeten retten? Beschrieben werden auf den folgenden zwanzig Seiten die sattsam bekannten Aktionen von zivilem Ungehorsam, etwa Sitzblockaden oder Kunstattacken. Und die Frage, wie Gerichte und Öffentlichkeit darauf reagieren. Offenbar wächst die Tendenz zur Nachsicht, solange die Aktionen "unangenehm, aber nicht gefährlich sind und zudem das verfassungsmäßig anerkannte Ziel Klimaschutz verfolgen".
Thematisiert wird auch der "Klima-Beschluss" des Bundesverfassungsgerichts von 2021. Es ging dort um den steigenden Meeresspiegel der Nordsee und die künftige Bewohnbarkeit von Inseln wie Pellworm und Langeoog. Im Anschluss an die Klage ortsansässiger Jugendlicher zwang das Gericht den Bundestag, sein Klimaschutzgesetz von 2019 zu verschärfen. Markard und Steinke sehen den Gang der jungen Kläger nach Karlsruhe als großen Erfolg, "weil er der Politik Beine machte". Sie verweisen darauf, dass auch anderswo Klimaklagen "strukturell perfekte Fragen für Verfassungsgerichte liefern können". Denn diese seien reaktive Institutionen, die nur zu Antworten in der Lage seien, wenn Menschen die richtigen Fragen stellen.
Einen richtungsweisenden Fall sehen die Verfasser auch in dem noch nicht entschiedenen, irgendwie irritierenden Prozess eines peruanischen Bergbauern, der 2015 mithilfe von NGOs und einer Hamburger Klimaschutzanwältin gegen den Energieriesen RWE vor das Oberlandesgericht Hamm zog. Mit Verweis auf Paragraph 1004 BGB prangerte der Südamerikaner in einer Art globaler Nachbarschaftsklage an, dass sein Haus, 10.000 Kilometer Luftlinie entfernt in einem Andendorf, durch das Überlaufen eines nahen Gletschersees unbewohnbar zu werden droht. Er argumentierte, dass Deutschland zu den 20 größten Wirtschaftsnationen gehört, die mehr als 80 Prozent aller CO2-Emissionen produzieren, wodurch Klimaschäden am anderen Ende der Welt zu erwarten seien. Dort, wo Menschen leben, die kaum zum Klimawandel beigetragen haben. Solche Klagen können offenbar Wirkung zeigen. In den Niederlanden habe Shell seine Emissionen nach einem ähnlichen Prozess um 45 Prozent senken müssen, sagen die Autoren.
"Lernende Gesetzgebung" lautet ein beliebtes Schlagwort für modernes, effizientes Regieren. Auch die Bundesregierung lässt Gesetze regelmäßig überprüfen, ob sie bewirken, was sie beabsichtigen. Der Wunsch nach nötiger Veränderung im Recht sollte allerdings schon früher kommen - und das auf Initiative von unten. Markard und Steinke machen Mut dazu. ULLA FÖLSING
Nora Markard, Ronen Steinke: Jura not alone. 12 Ermutigungen, die Welt mit den Mitteln des Rechts zu verändern, Campus- Verlag, Frankfurt 2024, 282 Seiten, 25 Euro.
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»Ein optimistisches und streitbares Buch. Und es passt in die Zeit.« Ben Mendelson, Handelsblatt, 12.04.2024 »'Lernende Gesetzgebung' lautet ein beliebtes Schlagwort für modernes, effizientes Regieren. Auch die Bundesregierung lässt Gesetze regelmäßig überprüfen, ob sie bewirken, was sie beabsichtigen. Der Wunsch nach nötiger Veränderung im Recht sollte allerdings schon früher kommen- und das auf Initiative von unten. Markard und Steinke machen Mut dazu.« Ulla Fölsing, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.04.2024 »Hochaktuell und lesenswert.« Dr. Max Kolter, Legal Tribune Online, 20.04.2024 »Sehr klar, sehr zugänglich geschrieben. Mit Witz und ohne Wortballast.« Natascha Freundel, rbb radio3, 22.04.2024 »In einer Zeit, in der gesellschaftliche Fragen immer komplexer werden und politische Debatten oft polarisiert geführt werden, erweist sich das Buch 'Jura not alone' von Nora Markard und Ronen Steinke als Quelle der Ermutigung und Inspiration.« Luzia Wandinger, Katzenkönig, 18.04.2024 »Mit seiner Mischung aus erzählendem Sachbuch und Fachwissen ist das Buch nicht nur erhellend, sondern lässt auch ein Gefühl von Handlungsfähigkeit entstehen: Wenn man weiß wie, steht das Recht einem im Kampf für eine gerechtere Welt überraschend oft zur Seite. Jura not alone eben.« Lore Graf, Der Freitag, 02.05.2024 »In 'Jura not alone' stecken viele inspirierende Geschichten von Menschen, die sich gegen Staaten oder Konzerne wehren.« Amnesty International, 17.05.2024 »Ein gut lesbarer Einblick in spannende Themengebiete.« Okan Bellikli, Berlin.Table, 28.04.2024 »Das Buch ist spannend zu lesen und vermittelt einen guten Eindruck von juristischem Denken. [...] Wer das Buch von Markard und Steinke aufmerksam studiert, versteht, wie Recht funktioniert und wie es vor willkürlicher Herrschaft schützt. Recht ist veränderbar, doch, so ihre Botschaft: Demokratisch bleibt es dabei nur, wenn viele Menschen es mitgestalten; wie es der titelgebende Ohrwurm formuliert: 'Jura geht nicht allein.'« Katja Maria Engel, Spektrum der Wissenschaft, 26.09.2024