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Jussif und Junis sind Brüder. Als Jungen waren sie beide in dasselbe Mädchen verliebt. Weil sie Jussif bevorzugte, gab Junis ihr einen Kuchen mit Nägeln zu essen. Sie starb, aber nicht Junis, sondern Jussif kam ins Gefängnis dafür. Seitdem ist das Verhältnis der Brüder ein Spiel mit Rollen und Masken, aus dem im Krieg tödlicher Ernst wird. Als Junis nach dem Aufstand gegen Saddam Hussein verschwindet, nimmt Jussif seinen Namen an. Viel zu spät erfährt er, dass sein Bruder alsHenker gesucht wird. Niemand will Jussif seine Geschichte und seine Unschuld glauben. Ein gefährlicher Kampf um Namen…mehr

Produktbeschreibung
Jussif und Junis sind Brüder. Als Jungen waren sie beide in dasselbe Mädchen verliebt. Weil sie Jussif bevorzugte, gab Junis ihr einen Kuchen mit Nägeln zu essen. Sie starb, aber nicht Junis, sondern Jussif kam ins Gefängnis dafür. Seitdem ist das Verhältnis der Brüder ein Spiel mit Rollen und Masken, aus dem im Krieg tödlicher Ernst wird. Als Junis nach dem Aufstand gegen Saddam Hussein verschwindet, nimmt Jussif seinen Namen an. Viel zu spät erfährt er, dass sein Bruder alsHenker gesucht wird. Niemand will Jussif seine Geschichte und seine Unschuld glauben. Ein gefährlicher Kampf um Namen und Identitäten entbrennt, den nur einer der Brüder gewinnen kann. Ein bewegender, dunkler, intensiver Roman über den Irak - märchenhaft, burlesk und voller politischer Anspielungen.
Autorenporträt
Najem Wali, 1956 im irakischen Basra geboren, flüchtete 1980 nach Ausbruch des Iran-Irak-Kriegs nach Deutschland. Heute lebt er als freier Autor und Journalist in Berlin. Er war lange Zeit Kulturkorrespondent der bedeutendsten arabischen Tageszeitung Al-Hayat und schreibt regelmäßig u.a. für die Süddeutsche Zeitung, die Neue Zürcher Zeitung und Die Zeit. Von Sept. 2016 bis Aug. 2017 war er Grazer Stadtschreiber. Bei Hanser erschienen zuletzt sein Roman Bagdad Marlboro (2014), für den er mit dem Bruno-Kreisky-Preis 2014 ausgezeichnet wurde, sowie Bagdad (Erinnerungen an eine Weltstadt, 2015) und Saras Stunde (Roman, 2018).

Imke Ahlf-Wien, 1974 in Hamburg geboren, studierte Islamwissenschaft, Arabistik, Iranistik und Geschichte in Heidelberg und Kairo. Sie übersetzte u. a. Werke von Leila Abouzeid, Latifa Baqa und Ahmed Toufiq. Sie lebt in der Nähe von Washington, D.C.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.10.2008

Bruder Folterknecht

Lässt sich über ein Blutbad etwas Gescheites sagen? Najem Wali zieht mit seinem Kriegsroman eine mehr als düstere Bilanz der Saddam-Hussein-Diktatur.

Eine harmlose Süßigkeit wird zur Mordwaffe und steht am Anfang eines Martyriums. Rettung im Kampf ums Überleben verspricht nur die Flucht in die Fälschung des eigenen Namens. Am Ende vermag der Gehetzte sich nicht mehr aus dem Netz aus Lügen zu befreien und läuft seinen Peinigern in die Arme. Wie Josef K. in Kafkas "Prozess" weiß er nicht, warum ihm das geschieht. Es wäre auch eine unerhörte Frage. Wir sind im Irak. Gott hatte das Zweistromland als Paradies erschaffen; als die Halbgötter kamen, allen voran der Diktator Saddam Hussein, ist der Allmächtige ausgewandert. Zurück blieb eine in ewiger Nacht bevölkerte Hölle.

Über das Leben in dieser Hölle hat der 1956 im irakischen Basra geborene Najem Wali einen Roman geschrieben: ein verstörendes Buch, das mit Anspielungen auf zahlreiche ins Existentialistische überinterpretierte Werke der Weltliteratur von Dostojewski über Camus bis hin zu Kafka zuweilen den Bogen überspannt. Die Geschichte könnte auf diese literarische Koketterie sehr wohl verzichten, sie spricht in all ihrer Brutalität und Hoffnungslosigkeit für sich selbst.

Im Mittelpunkt steht ein Zweibrüdermärchen, Kain und Abel heißen hier Jussif und Junis. Jussif, noch Teenager, ist in die grünäugige, blonde Sarab verliebt. Unter dem Lotusbaum schauen sie sich ausländische Comics an, deren Sprechblasen sie nicht verstehen. Eines Tages bringt Jussif Sarab einen Kuchen, in den - was er nicht weiß - sein älterer Bruder Junis aus Eifersucht Nägel verbacken hat. Sarab stirbt, und Jussif geht für Jahre für seinen Bruder ins Gefängnis.

Das ist der Beginn einer düsteren Parabel über das Leben in Zeiten von Diktatur und Krieg. Gerechtigkeit ist eine Fiktion, Vergessen eine Verheißung. Nach seiner Freilassung wird Jussif zum Militär eingezogen - es herrscht mittlerweile Krieg mit Iran -, wo er in die Hände des Geheimdienstes gerät. Er hatte sich geweigert, der Regierungspartei beizutreten, wird nun gefoltert und später in eine Irrenanstalt eingeliefert. Weil er seinen Bruder für tot hält, nimmt er allzu naiv dessen Namen an, nicht wissend, dass sein Bruder dem Diktator als Folterknecht und Henker diente, noch am Leben ist und ihm nach dem Leben trachten wird, um unter dessen Namen im neuen Irak unbescholten weiterzuexistieren.

Jussif nimmt immer neue Namen an, darunter den des Dokumentenfälschers Josef Karmali (ebenjenes Josef K.) und den des Schriftstellers Harun Wali, der die oft verwirrende Geschichte erzählt. Er vertritt den Bruder im Bett seiner Schwägerin, den Vater bei dessen vier Töchtern, die der perfide Sadist nach den Hilfeschreien seiner Folteropfer benannte - Milde, Erbarmen, Gnade, Mitleid. Der erblindeten Tante gibt er vor, der verlorene Junis zu sein, und vor seiner heißgeliebten Frau verbirgt er sein Doppelleben eher schlecht als recht.

Am Ende verschwinden immer mehr der ihm vertrauten Personen, er hetzt mit seinem Koffer von Stadt zu Stadt, Job zu Job, spricht mit niemandem mehr. Seine letzte Zuflucht ist die Mekka-Bar mit ihrem Tisch der Hoffnungslosen, eine Hinterhausspelunke, in der die Männer ihre Erinnerungen mit Arrak hinunterspülen. Ein letztes, zur Schäbigkeit degradiertes Refugium der alten irakischen Kultur, "eine heilige Gebetsnische" für enttäuschte Existenzen.

Najem Wali konnte den Irak 1980 verlassen. Zuvor war er den Schergen Saddam Husseins in die Hände gefallen. Auch er wollte, wie sein Held, nach seinem Militärdienst nicht in den machtstrategischen, brutalen Krieg, den der irakische Diktator gegen Iran führte, ziehen. In Hamburg und Madrid studierte Wali deutsche und spanische Literatur. Er schreibt für arabische Zeitungen, seine Bücher werden im arabischen Original in Kairo und Damaskus verlegt. 2004 erschien sein Roman "Die Reise nach Tell al-Lahm" auf Deutsch. Im selben Jahr kehrte er nach fast einem Vierteljahrhundert besuchsweise in den Irak zurück. Heute lebt er in Berlin. Allein schon diese biographischen Details legen nahe, dass es sich hier nicht um eine naturalistische Beschreibung von Diktatur und Krieg im Irak handelt. In einer Art Metafiktion lässt Wali seinen Helden zu Beginn die Geschichte in groben Zügen vorwegnehmen und sich dafür entschuldigen, dass der Leser sich im Labyrinth der Namens- und Identifikationsfälschungen verlieren könnte. Das Erzählen gerät assoziativ und sprunghaft, der Zusammenhang von Raum und Zeit ist nur mühsam herzustellen, Erzählperspektiven wechseln, gebetsmühlenartig werden Motive und Namen wiederholt und bieten im Chaos eine nur trügerische Orientierung. Wie ein Refrain durchziehen die Worte vom "Land der Gedemütigten und der Siegreichen" diese von tiefem Pessimismus getragene Antikriegsfabel. In einer atemlosen Odyssee durchstreift der Erzähler mit seinem Helden immer wieder seine bis zur Unkenntlichkeit zerstörte Heimatstadt, um Geschichten festzuhalten, die jene, denen sie widerfahren sind, nur allzu gern vergessen möchten oder nicht mehr erzählen können.

Abgeschnittene Ohren, Apparate, die unglückliche Erinnerungen löschen, Kuchen mit Nägeln, Leichen und Irrenhäuser als Orte geselligen Zusammenseins - das alles wirkt surreal und absurd, doch, so meinte schon Kurt Vonnegut in der Ouvertüre zu seinem "Schlachthof 5": Über ein Blutbad lässt sich nichts Gescheites sagen.

SABINE BERKING

Najem Wali: "Jussifs Gesichter". Roman aus der Mekka-Bar. Aus dem Arabischen übersetzt von Imke Ahlf-Wien. Carl Hanser Verlag, München 2008. 270 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

So richtig anfreunden kann sich Volker Breidecker mit dem Roman des im deutschen Exil lebenden irakischen Autors Najem Wali nicht, auch wenn ihn das Buch offensichtlich nicht völlig kalt gelassen hat. Mittelpunkt ist die Mekka-Bar, in der sich Tag für Tag Männer am "Tisch der Hoffnungslosen" einfinden, um sich Geschichten über Krieg, Folter und Gewalt zu erzählen, teilt der Rezensent mit, dem dieser geheimnisvolle Ort eine Spur zu "existentialistisch" daherkommt, zumal hier auch ständig Figuren von Kafka, Dostojewski oder Camus in Erscheinung treten. Als zentrale Handlung wird aber von Jussif erzählt, dessen Geliebte von seinem Bruder ermordet wird; Jussif wird dafür zur Verantwortung gezogen, der Bruder Junis dagegen steigt zum Folterknecht Saddams auf und kann sich auch nach dessen Sturz in mächtiger Position halten, fasst der Rezensent zusammen. Mühevoll findet er die mäandernde Erzählweise Walis und das komplizierte Konstrukt der Geschichte und zudem sieht er den Roman durch allegorische und parabolische Bedeutungsebenen etwas überfrachtet. Dafür hat ihn das Kapitel mit Jussif im Leichenschauhaus, wo ihm von "Stimmen" Erinnerungen sowie Apparate angeboten werden, die Erinnerungen zu löschen imstande sind, offenbar doch ziemlich beeindruckt.

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"Ein grosser Vexierspiegel, in dem das entstellte Abbild eines verwundeten und verwirrten Landes deutlich wird. ... - verwirrend, verunsichernd, aber auch irgendwie verführerisch." Irene Binal, Neue Zürcher Zeitung, 24.05.08

"Eine düstere Parabel über das Leben in Zeiten von Diktatur und Krieg." Sabine Berking, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.10.08

"Der Triumph des Menschlichen wird allen Widrigkeiten zum Trotz als Möglichkeit erahnbar, und die Liebe ist stets eine schlagende Option." Andreas Pflitsch, Der Tagesspiegel, 01.06.08