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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.02.2013Typographie ist zweidimensionale Architektur
Alles so schön Arial hier - oder doch lieber Helvetica? Simon Garfield entführt uns in die allgegenwärtige, aber unbekannte Welt der Schrift. Vorsicht, es droht die Gefahr von Grabenkämpfen.
Was unterscheidet die Fußballspieler Rooney, Ronaldo und Messi? Die Schrift auf ihrem Trikot: Antique Olive, Univers und ITC Bauhaus. Darüber macht sich normalerweise kein Fan Gedanken - und ist damit in bester Gesellschaft mit dem größten Teil der Menschheit. Obwohl uns, wo wir auch hinsehen, Schrift umgibt. Man nimmt sie wahr, ohne über sie nachzudenken. Das ist legitim, denn sie ist dazu gemacht, Inhalte zu transportieren. Je unauffälliger und komfortabler das geschieht, desto besser hat die Schrift ihren Zweck erfüllt.
Diese hier zum Beispiel, die Sie jetzt gerade lesen, ist eine Times Ten Light. Sie basiert auf der Times TenTM, die der legendäre Schriftgestalter Stanley Morison Anfang der dreißiger Jahre entwickelt hat. Morison schuf auch die Times New Roman, eine der am weitesten verbreiteten Schriften. Dennoch scheint im Computerzeitalter das Bewusstsein verlorengegangen zu sein, dass Schrift von Menschenhand gemacht ist: "Für die meisten ist Schrift Teil einer Software, eine Art Geistererscheinung."
Zu diesem Befund kommt jedenfalls der englische Journalist Simon Garfield, Jahrgang 1960, in seinem Buch "Just My Type". Und er stellt sich die Frage, warum es mehr als hunderttausend verschiedene Schriften gibt, wenn man sich doch auf einige wenige Standardschriften - neben der Times New Roman nennt er die Garamond, Helvetica, Gill Sans, Frutiger, Palatino und den derzeitigen Star, die Calibri - beschränken könnte? Die Antwort gibt er implizit mit einem Streifzug durch Geschichte und Gegenwart der Typographie. Er zeigt, wie lebendig diese Szene ist und mit welch harten ideologischen Bandagen diese Gemeinde kämpft. Denn für Typomanen ist Schrift etwas Heiliges, ein Mysterium, die einzige wirkliche Verbindung zwischen Wissenschaft und Kunst, ein lebendiges Wesen mit verschiedenen Geschlechtern.
Die Geschichte beginnt vor 560 Jahren bei Gutenberg, auch wenn Garfield als Brite den Schwerpunkt danach häufig auf die englischsprachige Welt legt, weswegen manche deutsche Erfolgsgeschichte - etwa die von Hermann Zapf - ein wenig zu kurz kommt. Das heute gebräuchliche Wort "Font" für Schriftsatz stand ursprünglich für "gegossene Form einer Schrift", heute steht sie im Deutschen nur noch für "die elektronische Form eines Schriftsatzes". Der Einfachheit halber bietet Garfield einen Grundkurs in Schriftgestaltung an und führt anhand ausgewählter Schrift-Biographien durch die Jahrhunderte.
Das Buch ist optisch sehr abwechslungsreich: Die Hauptkapitel sind in der in den sechziger Jahren von Jan Tschichold entworfenen Sabon MT gesetzt, darüber hinaus sind die mehr als zweihundert erwähnten Schriften in der Originaltype gesetzt. Und diese Typen haben ihr Schicksal: Die "eher geschlechtslose" Gill Sans des von Sexskandalen umflorten Gestalters Eric Gill machte von Mitte der zwanziger Jahre an eine erstklassige Karriere als Schrift der BBC, des Penguin Verlags, der British Railways - und der Church of England. Gill war ein Schriftgestalter vom alten Schlag, der vom Bronzeguss herkam. Der Autor arbeitet anschaulich heraus, welche zentrale Rolle Schrift beim Aufbau einer Markenidentität zu spielen begann, als man erst einmal die Tragweite des Schriftbildes erkannt hatte.
Prominentes Beispiel vom "Schlachtfeld des Schriftkriegs": Als Ikea 2009 die Futura zugunsten der Verdana aufgab, brach ein internationaler Proteststurm los. Die "New York Times" spottete, es handele sich um "die größte Kontroverse, die Schweden je hervorgebracht habe". Dabei war der Wechsel strategisch geplant. Die von Matthew Carter gezeichnete Verdana ist die Standardschrift von Microsoft und Google - und also durch die Verbreitung auf den Computern die vermutlich meistgenutzte Schrift der Welt.
Die Viktorianer, verfügt Simon Garfield apodiktisch, "scherten sich einen Dreck um Typographie". Grundstürzende technische Neuerungen erlebt dafür das zwanzigste Jahrhundert. Der Übergang von Blei- auf Fotosatz, das Aufkommen von Letraset, die Kugelkopfschreibmaschine, der PC, das mobile Internet - jede Technologie bedurfte anderer Schriften, das Lesen am Bildschirm sowieso. Besonders gut bewährt haben sich dabei jene serifenlosen Schriften, die vor hundert Jahren aufkamen. Edward Johnston beschriftete von 1916 an mit seiner Underground die Londoner U-Bahn; Paul Renner entwickelte zehn Jahre später in Frankfurt am Main die Futura.
1957 kommen die Schweizer Eduard Hoffmann und Max Miedinger mit einer Weiterentwicklung der Akzidenz Grotesk aus dem Jahr 1898 ganz groß heraus - die Helvetica erobert den Planeten im Handstreich. Der Schweizer Adrian Frutiger, den Garfield als "den größten Theoretiker der Typographie" bezeichnet, macht mit der Univers, später mit der Frutiger Furore. Er ist der Erste, der die Wirkung von Schriften unter Laborsituationen wissenschaftlich testet.
Bei aller patriotischen Konzentration auf die Gestalter des Vereinigten Königreichs, denen die DIN-Schrift der deutschen Autobahnschilder "zu grob" vorkam, ist Garfield doch voller Sympathie für die wechselvolle Geschichte der gebrochenen deutschen Schrift, der Fraktur. Dass die Nationalsozialisten die von ihnen zunächst als Propagandaschrift verwendete Fraktur (Spitzname ihrer Gegner: "Schaftstiefelgrotesk") im Januar 1941 als "Schwabacher Judenlettern" verteufelten und abschafften, ist nicht neu - muss aber immer wieder erzählt werden, da sich die Mär von der Nazi-Schrift zäh hält.
Auch das zeitgenössische Deutschland kommt vor: In Berlin hat Garfield Erik Spiekermann besucht, der als Grafikdesigner Maßstäbe im Umgang mit Schrift gesetzt hat. So wie er beim Markenauftritt von Audi, Nokia und Deutscher Bahn größtmögliche Wiedererkennbarkeit anstrebt, setzt er wie alle Meister seiner Zunft bei Zeitschriften und Magazinen auf die dienende Funktion der Schrift. Dass sich eine Type auch verselbständigen kann, zeigt ein Beispiel aus Amerika. Die im Jahr 2000 für das Magazin "GQ" entwickelte Gotham machte als Wahlkampfschrift Barack Obamas ("Yes, we can") Geschichte und steht seither für Erfolg.
Jan Tschichold schrieb 1928 in seinem Manifest "Die Neue Typographie", die alte Typographie habe auf Schönheit gezielt, die neue ziele auf äußerste Klarheit, "weil die vielfältige Inanspruchnahme des heutigen Menschen durch außerordentliche Mengen von Gedrucktem zu höchster Autonomie des Ausdrucks zwingt". Das gilt im Schriftenbombardement des Internetzeitalters noch viel mehr. Für Simon Garfields kurzweiliges Buch aber muss man dankbar sein: Es ist ein echter Augenöffner.
HANNES HINTERMEIER
Simon Garfield: "Just My Type". Ein Buch über Schriften.
Aus dem Englischen von Marion Hertle. Ullstein Verlag, Berlin 2012. 368 S., Abb., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Alles so schön Arial hier - oder doch lieber Helvetica? Simon Garfield entführt uns in die allgegenwärtige, aber unbekannte Welt der Schrift. Vorsicht, es droht die Gefahr von Grabenkämpfen.
Was unterscheidet die Fußballspieler Rooney, Ronaldo und Messi? Die Schrift auf ihrem Trikot: Antique Olive, Univers und ITC Bauhaus. Darüber macht sich normalerweise kein Fan Gedanken - und ist damit in bester Gesellschaft mit dem größten Teil der Menschheit. Obwohl uns, wo wir auch hinsehen, Schrift umgibt. Man nimmt sie wahr, ohne über sie nachzudenken. Das ist legitim, denn sie ist dazu gemacht, Inhalte zu transportieren. Je unauffälliger und komfortabler das geschieht, desto besser hat die Schrift ihren Zweck erfüllt.
Diese hier zum Beispiel, die Sie jetzt gerade lesen, ist eine Times Ten Light. Sie basiert auf der Times TenTM, die der legendäre Schriftgestalter Stanley Morison Anfang der dreißiger Jahre entwickelt hat. Morison schuf auch die Times New Roman, eine der am weitesten verbreiteten Schriften. Dennoch scheint im Computerzeitalter das Bewusstsein verlorengegangen zu sein, dass Schrift von Menschenhand gemacht ist: "Für die meisten ist Schrift Teil einer Software, eine Art Geistererscheinung."
Zu diesem Befund kommt jedenfalls der englische Journalist Simon Garfield, Jahrgang 1960, in seinem Buch "Just My Type". Und er stellt sich die Frage, warum es mehr als hunderttausend verschiedene Schriften gibt, wenn man sich doch auf einige wenige Standardschriften - neben der Times New Roman nennt er die Garamond, Helvetica, Gill Sans, Frutiger, Palatino und den derzeitigen Star, die Calibri - beschränken könnte? Die Antwort gibt er implizit mit einem Streifzug durch Geschichte und Gegenwart der Typographie. Er zeigt, wie lebendig diese Szene ist und mit welch harten ideologischen Bandagen diese Gemeinde kämpft. Denn für Typomanen ist Schrift etwas Heiliges, ein Mysterium, die einzige wirkliche Verbindung zwischen Wissenschaft und Kunst, ein lebendiges Wesen mit verschiedenen Geschlechtern.
Die Geschichte beginnt vor 560 Jahren bei Gutenberg, auch wenn Garfield als Brite den Schwerpunkt danach häufig auf die englischsprachige Welt legt, weswegen manche deutsche Erfolgsgeschichte - etwa die von Hermann Zapf - ein wenig zu kurz kommt. Das heute gebräuchliche Wort "Font" für Schriftsatz stand ursprünglich für "gegossene Form einer Schrift", heute steht sie im Deutschen nur noch für "die elektronische Form eines Schriftsatzes". Der Einfachheit halber bietet Garfield einen Grundkurs in Schriftgestaltung an und führt anhand ausgewählter Schrift-Biographien durch die Jahrhunderte.
Das Buch ist optisch sehr abwechslungsreich: Die Hauptkapitel sind in der in den sechziger Jahren von Jan Tschichold entworfenen Sabon MT gesetzt, darüber hinaus sind die mehr als zweihundert erwähnten Schriften in der Originaltype gesetzt. Und diese Typen haben ihr Schicksal: Die "eher geschlechtslose" Gill Sans des von Sexskandalen umflorten Gestalters Eric Gill machte von Mitte der zwanziger Jahre an eine erstklassige Karriere als Schrift der BBC, des Penguin Verlags, der British Railways - und der Church of England. Gill war ein Schriftgestalter vom alten Schlag, der vom Bronzeguss herkam. Der Autor arbeitet anschaulich heraus, welche zentrale Rolle Schrift beim Aufbau einer Markenidentität zu spielen begann, als man erst einmal die Tragweite des Schriftbildes erkannt hatte.
Prominentes Beispiel vom "Schlachtfeld des Schriftkriegs": Als Ikea 2009 die Futura zugunsten der Verdana aufgab, brach ein internationaler Proteststurm los. Die "New York Times" spottete, es handele sich um "die größte Kontroverse, die Schweden je hervorgebracht habe". Dabei war der Wechsel strategisch geplant. Die von Matthew Carter gezeichnete Verdana ist die Standardschrift von Microsoft und Google - und also durch die Verbreitung auf den Computern die vermutlich meistgenutzte Schrift der Welt.
Die Viktorianer, verfügt Simon Garfield apodiktisch, "scherten sich einen Dreck um Typographie". Grundstürzende technische Neuerungen erlebt dafür das zwanzigste Jahrhundert. Der Übergang von Blei- auf Fotosatz, das Aufkommen von Letraset, die Kugelkopfschreibmaschine, der PC, das mobile Internet - jede Technologie bedurfte anderer Schriften, das Lesen am Bildschirm sowieso. Besonders gut bewährt haben sich dabei jene serifenlosen Schriften, die vor hundert Jahren aufkamen. Edward Johnston beschriftete von 1916 an mit seiner Underground die Londoner U-Bahn; Paul Renner entwickelte zehn Jahre später in Frankfurt am Main die Futura.
1957 kommen die Schweizer Eduard Hoffmann und Max Miedinger mit einer Weiterentwicklung der Akzidenz Grotesk aus dem Jahr 1898 ganz groß heraus - die Helvetica erobert den Planeten im Handstreich. Der Schweizer Adrian Frutiger, den Garfield als "den größten Theoretiker der Typographie" bezeichnet, macht mit der Univers, später mit der Frutiger Furore. Er ist der Erste, der die Wirkung von Schriften unter Laborsituationen wissenschaftlich testet.
Bei aller patriotischen Konzentration auf die Gestalter des Vereinigten Königreichs, denen die DIN-Schrift der deutschen Autobahnschilder "zu grob" vorkam, ist Garfield doch voller Sympathie für die wechselvolle Geschichte der gebrochenen deutschen Schrift, der Fraktur. Dass die Nationalsozialisten die von ihnen zunächst als Propagandaschrift verwendete Fraktur (Spitzname ihrer Gegner: "Schaftstiefelgrotesk") im Januar 1941 als "Schwabacher Judenlettern" verteufelten und abschafften, ist nicht neu - muss aber immer wieder erzählt werden, da sich die Mär von der Nazi-Schrift zäh hält.
Auch das zeitgenössische Deutschland kommt vor: In Berlin hat Garfield Erik Spiekermann besucht, der als Grafikdesigner Maßstäbe im Umgang mit Schrift gesetzt hat. So wie er beim Markenauftritt von Audi, Nokia und Deutscher Bahn größtmögliche Wiedererkennbarkeit anstrebt, setzt er wie alle Meister seiner Zunft bei Zeitschriften und Magazinen auf die dienende Funktion der Schrift. Dass sich eine Type auch verselbständigen kann, zeigt ein Beispiel aus Amerika. Die im Jahr 2000 für das Magazin "GQ" entwickelte Gotham machte als Wahlkampfschrift Barack Obamas ("Yes, we can") Geschichte und steht seither für Erfolg.
Jan Tschichold schrieb 1928 in seinem Manifest "Die Neue Typographie", die alte Typographie habe auf Schönheit gezielt, die neue ziele auf äußerste Klarheit, "weil die vielfältige Inanspruchnahme des heutigen Menschen durch außerordentliche Mengen von Gedrucktem zu höchster Autonomie des Ausdrucks zwingt". Das gilt im Schriftenbombardement des Internetzeitalters noch viel mehr. Für Simon Garfields kurzweiliges Buch aber muss man dankbar sein: Es ist ein echter Augenöffner.
HANNES HINTERMEIER
Simon Garfield: "Just My Type". Ein Buch über Schriften.
Aus dem Englischen von Marion Hertle. Ullstein Verlag, Berlin 2012. 368 S., Abb., geb., 19,99 [Euro].
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Brilliant ... whether you're a graphics geek or have never given a second thought to what you're reading, don't miss this quirky, fact-filled font fest. Lauren Laverne Grazia