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  • Broschiertes Buch

Produktdetails
  • Akademiebeiträge zur politischen Bildung
  • Verlag: Olzog
  • Seitenzahl: 358
  • Abmessung: 235mm
  • Gewicht: 556g
  • ISBN-13: 9783789292019
  • ISBN-10: 378929201X
  • Artikelnr.: 24220416
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.07.1999

Das Richtige im Falschen?
Zur Rolle der Justiz im Unrechtsstaat und zum Umgang des Rechtsstaats mit dieser Justiz

Jürgen Weber, Michael Piazolo (Herausgeber): Justiz im Zwielicht. Ihre Rolle in Diktaturen und die Antwort des Rechtsstaats. Günther Olzog Verlag, München 1998. 358 Seiten, 44,- Mark.

Die Staaten Süd-, Mittel- und Osteuropas verbindet seit den dreißiger Jahren eine doppelte Justizgeschichte: die Verstrickung der Justiz in die europäischen Diktaturen des 20. Jahrhunderts sowie die nachfolgenden Versuche einer rechtsstaatlichen Ahndung des Justizunrechts. "Parteisoldaten in Richterrobe" nennen die Herausgeber dieses Sammelbandes, Jürgen Weber und Michael Piazolo, das willfährige Justizpersonal in den europäischen Diktaturen.

Die zwanzig Beiträge namhafter Wissenschaftler und Rechtspraktiker, die sich mit der neueren Justizgeschichte und ihrer rechtsstaatlichen Aufarbeitung befassen, greifen zwar geographisch weit aus, sind aber doch ganz überwiegend auf die deutsche Justizgeschichte bezogen. So informieren Hans Woller und Walther Bernecker über die gesellschaftliche Überwindung des Faschismus in Italien und die Erinnerung der spanischen Gesellschaft an den Bürgerkrieg von 1936, beinahe ohne die Justiz zu erwähnen. Nach Fernando Rosas Beitrag zu Portugal fragt man sich, inwieweit die politische Justiz dazu beitrug, daß das Regime Salazars lediglich ein "tendenziell totalitärer Staat" war.

Friedrich Christian Schroeder betont die terroristischen und totalitären Züge der Justiz im Stalinismus. In ihnen sieht er deutliche Parallelen und wohl auch - in Anspielung auf den Historikerstreit - prägende Vorläufer der nationalsozialistischen Terrorjustiz. Adam Krzeminski betont die Unterschiede in der Aufarbeitung der Vergangenheit zweier kommunistischer Systeme, der DDR und Polens. Die größere juristische und moralische Legitimität Volkspolens, seine partielle innere Reformfähigkeit, die die Kontinuität des Unterdrückungsapparates unterbrach, erklären für ihn, warum die Beschäftigung mit der kommunistischen Vergangenheit schwächer, wenn auch nicht weniger effizient ist als in Deutschland. Man darf vermuten, daß das auch für die Justiz gilt.

Scharfe Konturen erhält die Justiz erst in den Beiträgen zur nationalsozialistischen Diktatur. Jürgen Zarusky greift Ernst Fraenkels These auf, nach der der nationalsozialistische "Doppelstaat" in einen berechenbaren Normenstaat und einen rechtlich ungebundenen Maßnahmenstaat zerfiel. Demnach lassen sich selbst in der politischen Strafjustiz des Nationalsozialismus rechtsstaatliche Rudimente mit herrschaftsbegrenzender Wirkung nachweisen, mit denen das Regime die legitimierende Wirkung scheinbar unabhängiger Gerichtsverfahren aufrechterhalten wollte. Schärfer betont hingegen Bernhard Jahntz die diktatorische Lenkung und politische Funktion der Justiz am Beispiel des Volksgerichtshofs. Angesichts der pointierten Thesen beider Beiträge erscheint ihre empirische Grundlage schmal. Wie stand es um die politische Lenkung der nationalsozialistischen Strafjustiz unterhalb der Ebene des Volksgerichtshofs?

Die Justiz der DDR, der zweiten deutschen Diktatur, war nicht von Beginn an diktatorisch gelenkt. Hermann Wentker zeigt das anfangs eher behutsame Vorgehen der sowjetischen Besatzungsmacht bei der Umwandlung des deutschen Justizwesens. Während in den ersten Nachkriegsjahren auf rechtsstaatliche Normen aus der Zeit vor 1933 zurückgegriffen wurde, vollzog sich zugleich ein radikaler Personalaustausch in der Justiz. Er war mit dem Übergang der Justizführung an Ernst Melsheimer und Hilde Benjamin zu Anfang der fünfziger Jahre abgeschlossen und ermöglichte die systematische Instrumentalisierung der Justiz zu politischen Zwecken der SED. Dies zeigt Falco Werkentin anhand interner Strafstatistiken der SED, die in der propagierten Aufbauphase des Sozialismus von 1952 bis zum Ausbruch des Volksaufstands am 17. Juni 1953 einen "terroristischen Höhepunkt" der Strafjustiz aufweisen.

Wurde das Strafrecht hierbei zur Durchsetzung einer neuen Wirtschaftsordnung eingesetzt, so unterstrich "der neue Justizterror" nach dem Mauerbau den gefestigten Machtanspruch der SED-Diktatur. Wie sehr dieser Machtanspruch im Justizwesen durch verdeckte Einflußnahme des Staatssicherheitsapparates auf personalpolitische Entscheidungen durchgesetzt wurde, kann Clemens Vollnhals nachweisen. Seit den fünfziger Jahren bedurften alle Richter und Staatsanwälte, die in politischen Strafverfahren mitwirkten, der Einsatzbestätigung durch das Ministerium für Staatssicherheit. Die Staatssicherheit nahm zudem über Vertrauensleute unmittelbaren Einfluß auf Entscheidungen aller Führungsgremien der DDR-Justiz. Der radikale Elitenwechsel in der frühen DDR-Justiz, ihre direkte Indienstnahme für politische Zwecke und zunehmende Abhängigkeit vom Apparat der politischen Polizei zeigen die Auflösung der Gewaltenteilung im potentiell totalen Zugriff der politischen Instanzen. Das erhärtet Vollnhals' These, daß die DDR kein "unvollkommener", vielmehr überhaupt kein Rechtsstaat war.

Wie aber hat nach dem Ende der Diktatur eine rechtsstaatliche Justiz mit ihrer nicht-rechtsstaatlichen Vergangenheit umzugehen? Die Anlegung gleicher Maßstäbe bei der Ahndung des Justizunrechts fordert nachdrücklich Günter Spendel. Er hat von jeher unbeirrt die frühere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur nationalsozialistischen Justiz kritisiert, der die Verurteilung wegen Rechtsbeugung durch überaus hohe Anforderungen an den Vorsatz der Richter weitgehend unterbunden hatte. Nachdem das höchste deutsche Strafgericht 1995 dieses Versäumnis bußfertig eingestanden hat, muß es sich von Spendel eine Wiederholung seines Fehlers entgegenhalten lassen, denn in der Rechtsprechung zur DDR-Justiz will der Bundesgerichtshof grundsätzlich nur krasse "Willkürakte" als Rechtsbeugung gelten lassen. Spendels Kritik an der Verfolgung nationalsozialistischen Justizunrechts wird von Willi Dreßen, dem langjährigen Leiter der Ludwigsburger Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen, geteilt. Mit Blick auf die DDR erhält sie Unterstützung von Christoph Schaefgen, dem Berliner Generalstaatsanwalt für die Verfolgung der SED-Regierungskriminalität.

Schaefgen bietet einen gedrängten Überblick über die Rechtsbeugungsverfahren gegen DDR-Juristen. Seine abgewogene Kritik wird zugespitzt von Rudolf Wassermann, der den Gerichten allzu große "Nachsicht und Milde" beim Umgang mit dem Justizunrecht des SED-Regimes vorhält und von "unrechtsstaatlichem Sonderrecht" für die DDR spricht. Durch das Rückwirkungsverbot für Strafnormen sieht sich der Bundesgerichtshof gehalten, bei der Auslegung des DDR-Rechts nicht die Wertvorstellungen des Grundgesetzes, sondern der DDR zugrunde zu legen. Während Herwig Roggemann diesen Grundsatz in seinem zusammenfassenden Beitrag über das Recht des politischen Systemwechsels unterstützt, wird von anderen eine Einschränkung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots erwogen. Darin aber liegt der entscheidende Punkt. Eine rechtsstaatliche Justiz, die das Rückwirkungsverbot außer acht läßt, entzieht sich selbst die Grundlage. Eine Einschränkung dieses Grundsatzes, darin ist Wolfgang Schuller zuzustimmen, kann nur politisch, durch den Gesetzgeber erfolgen. Nur so bleiben Recht und Politik unterschieden - und die Justiz gerät aus dem Zwielicht.

DIETER GOSEWINKEL

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