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Richterliche Rechtsfindung ist fehleranfällig. Was unspektakulär klingt, belegen neuere empirische Daten eindrucksvoll. Durch Rationalitätsschwächen kann es zu Verzerrungen und jedenfalls dazu kommen, dass sachfremde Aspekte einfließen. Können Algorithmen und »Künstliche Intelligenz« dazu beitragen, dass gerichtliche Entscheidungen »rationaler« werden? Überlegungen zur Automatisierung im Recht sind nicht neu, müssen aber aufgrund neuer technischer Möglichkeiten und Erkenntnisse zur Entscheidungsfindung neu gedacht werden. Eine vollständige Automatisierung scheidet allerdings aus.…mehr

Produktbeschreibung
Richterliche Rechtsfindung ist fehleranfällig. Was unspektakulär klingt, belegen neuere empirische Daten eindrucksvoll. Durch Rationalitätsschwächen kann es zu Verzerrungen und jedenfalls dazu kommen, dass sachfremde Aspekte einfließen. Können Algorithmen und »Künstliche Intelligenz« dazu beitragen, dass gerichtliche Entscheidungen »rationaler« werden? Überlegungen zur Automatisierung im Recht sind nicht neu, müssen aber aufgrund neuer technischer Möglichkeiten und Erkenntnisse zur Entscheidungsfindung neu gedacht werden. Eine vollständige Automatisierung scheidet allerdings aus. Einzelfallgerechtigkeit zu gewährleisten, ist in vollautomatisierten Verfahren nicht möglich. Neben technischen sind es zuvorderst verfassungsrechtliche Hürden, die einem solchen Vorhaben Grenzen setzten. Ein Verbot algorithmenbasierter Unterstützungssysteme ist dem Grundgesetz indes nicht zu entnehmen. Sofern es gelingt, den Systemen rechtsstaatliche Funktionsweisen einzuhauchen, können neue Technologien die richterliche Rechtsfindung sinnvoll unterstützen.
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Autorenporträt
David Nink studied law at the Johannes Gutenberg University Mainz from 2009 to 2013. Following the second state examination in 2015, he worked as a research fellow and coordinator of the digitisation programme area at the German Research Institute for Public Administration in Speyer, where he researched and published on public law, in particular on data protection law, legal issues of digitisation and the regulation of new technologies. In spring 2020 he received his doctorate with a thesis supervised by Prof Dr Mario Martini. David Nink works as a lawyer for IT and data protection law in Frankfurt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.03.2021

Angst vor Algorithmen
Plädoyers für menschliche Richter in der Justiz

Spätestens seit dem Bestseller "Homo Deus" von Yuval Noah Harari ist die Bedeutung von Algorithmen allgemein bekannt: "Algorithmus ist vermutlich der wichtigste Begriff in unserer Welt. Wenn wir unser Leben und unsere Zukunft verstehen wollen, sollten wir begreifen, was ein Algorithmus ist." Nun will auch die Rechtswissenschaft das Megathema wissenschaftlich durchdringen. So sind zwei innovative Fachzeitschriften entstanden, die "Zeitschrift für das Recht der digitalen Wirtschaft" unter der Leitung von Mary-Rose McGuire und Bernd Hartmann sowie "Recht digital" von Florian Möslein, Thomas Riehm und Markus Kaulartz. Darüber hinaus wurden neue Buchreihen gestartet. Aus deren Angebot soll auf zwei Werke hingewiesen werden, die erahnen lassen, wohin die Algorithmenreise geht. Juristen erhoffen sich vor allem mehr Klugheit. Denn der Mensch irrt, solang er strebt. Auch Richter treffen Entscheidungen nicht rein rational. Kognitive Verzerrungen, Denkfehler und andere Rationalitätsschwächen wirken ebenso beeinflussend wie Emotionen, Vorurteile oder Schlafmangel. Das wissen wir spätestens seit Daniel Kahnemans Bestseller "Schnelles Denken, langsames Denken". Überwinden wir diese Schwierigkeiten nun mit Hilfe von Algorithmen? Oder ersetzen Algorithmen sogar den Menschen? Das Menschliche in der Justiz, da sind sich viele einig, müsse auf jeden Fall erhalten bleiben.

Deshalb macht David Nink in seinem klugen Überblickswerk "Justiz und Algorithmen" klar, dass Maschinen nicht über Strafhöhen entscheiden sollten: "Das scharfe Schwert strafrechtlicher Entscheidungen darf nur ein menschlicher Richter führen. In der Strafzumessung verhindert vor allem das Schuldprinzip eine überbordende Algorithmisierung". Schuld sei nicht rein quantitativ beschreibbar und metrisch erfassbar. Es seien aber durchaus Möglichkeiten denkbar, Gerichte bei der Strafzumessung zu unterstützen, etwa durch einen "Zumessungsvorschlag". Diesen Vorschlag könnte ein Algorithmus anhand eines Vergleichs mit früheren Entscheidungen auswerfen. "Es muss allerdings ausgeschlossen sein, dass eine Software diskriminierende Ergebnisse erzeugt. Damit das überprüfbar ist, muss ihre Funktionsweise nachvollziehbar sein." Außerdem sollten Urteilsdatenbanken zu Wissensverwaltungen erweitert werden. Dafür brauche es aber vollständiger Sammlungen. Nink kritisiert, dass nur ein Bruchteil aller gerichtlichen Entscheidungen öffentlich bekannt sei. Gerichte müssten alle Entscheidungen anonymisiert veröffentlichen. Diesem Anliegen ist, nicht nur in Hinblick auf algorithmische Unterstützungen, uneingeschränkt zuzustimmen. Dann wären innovative Projekte wie dejure.org noch hilfreicher bei der täglichen Arbeit.

Auch Christoph Rollberg beschäftigt sich mit "Algorithmen in der Justiz". Er warnt vor zu viel Einsatz von "Legal Tech" im Zivilprozess. Technik könne nur für schematische Prüfungen sinnvoll verwendet werden, insbesondere bei mathematischen Berechnungen. Keinesfalls dürfe man Richter durch Computer ersetzen. Die Unterstützung von "Legal Tech" sei nur möglich, wenn Anwendungen ein Zertifizierungsverfahren durchlaufen haben. Hierfür fordert Rollberg einen "Algorithmen-TÜV". Damit soll eine staatliche Institution unter anderem die Nachvollziehbarkeit von Algorithmen überprüfen. Zwar hegen Computer keine Vorurteile, jedoch würden Vorurteile der Programmierer in automatisierten Anwendungen fortwirken. "Richter dürfen grundsätzlich nicht verpflichtet werden, eine bestimmte Software zu benutzen", schreibt Rollberg, der selbst als Richter wirkt. Seine größte Befürchtung scheint, dass autonome Systeme eigene Regeln entwerfen, die weder vorhersehbar noch nachvollziehbar sind. Deshalb dürften keine Systeme zertifiziert werden, die dauerhaft weiterlernen. Denn diese Künstliche Intelligenz könnte die Gewichtung einprogrammierter Kriterien selbständig verändern. Dann hätten wir in der Tat eine Justiz der Maschinen. Oder sollte man sagen: durch Maschinen, von Maschinen?

Nach Rollbergs Ansicht werden Computer niemals Ermessen so ausüben können wie Menschen. Damit könnte er den technischen Fortschritt unterschätzen. Zugestimmt werden kann indes seiner Forderung, niemals das Recht auf den gesetzlichen (und damit menschlichen) Richter abzuschaffen. Das Grundgesetz ist nicht verhandelbar. Erhalten bleiben muss auch etwas anderes. Nink und Rollberg erwähnen sie ausdrücklich, obwohl diese Würdigung für juristische Arbeiten eher ungewöhnlich ist. Es geht um die Bedeutung von Empathie im Rechtssystem. Dieser Fingerzeig scheint eine spezifisch europäische Hervorhebung im internationalen Diskurs zu sein. In dem jüngst erschienenen Sammelband "Algorithms and Law" (Cambridge University Press) legt Mario Martini von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer als einziger Autor dar, dass dem Algorithmus Empathie und soziale Fähigkeiten fehlen. Und in der von Jean-Pierre Clavier herausgegebenen Publikation "L'algorithmisation de la justice" (Larcier, Brüssel) wird deutlich, wie zurückhaltend französische Juristen den Einsatz von Algorithmen beurteilen. Sie wollen die "justice humaine" erhalten. Das ist ein ehrenwertes Ziel. In den Vereinigten Staaten und China werden Algorithmen schon heute ohne Humanitätsanspruch eingesetzt. Empathie kennt wohl Grenzen, und diese Grenzen liegen an den Enden unseres Kontinents. Die Rechtswissenschaft wird sich dem Thema intensiver widmen müssen.

JOCHEN ZENTHÖFER

David Nink: Justiz und Algorithmen, Duncker & Humblot, Berlin 2021. 533 Seiten. 120 Euro.

Christoph Rollberg: Algorithmen in der Justiz, Nomos, Baden-Baden 2020. 246 Seiten. 64 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Jochen Zenthöfer begrüßt David Ninks Überlegungen zum Thema Justiz und Algorithmen. Als Überblick verstanden, erörtert der Band dem Rezensenten zufolge heikle Fragen, wie die, ob Maschinen über das Strafmaß entscheiden sollten. Außerdem plädiert der Autor für Datenbanken, die alle Gerichtsentscheidungen versammeln. Diesem Vorschlag kann Zenthöfer nur zustimmen. Dass Empathie im Rechtssystem ein wichtiges Argument contra die Durchalgorithmisierung der Justiz ist, wie der Autor anführt, findet der Rezensent auch.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Insgesamt handelt es sich bei der Arbeit von Nink um ein facettenreiches, theoretisch anspruchsvolles und zugleich praxisnahes und beispielreiches Werk, das gemeinsam mit dem hier bereits besprochenen [...] Buch von Rollberg (Algorithmen in der Justiz, 2020) vermutlich den Auftakt zu verstärkten Forschungsaktivitäten in diesem Bereich bilden wird.« PD Dr. Martin Fries, in: Zeitschrift für Zivilprozess, Bd. 136, 4/2023

»Wer sich mit der Zukunft der Justiz befassen möchte, sie gar als Entscheider digital mitgestalten möchte, findet in 'Justiz und Algorithmen' eine höchst lohnenswerte Lektüre.« Dr. Stefan Kaufmann, in: Thüringer Verwaltungsblätter, 12/2022

»Das Wichtigste vorab: Jeder Richter sollte diese Dissertation gelesen haben. Oder sich jedenfalls mit den Einsatzmöglichkeiten von Algorithmen in der Justiz und deren Auswirkungen auf die Rechtsfindung beschäftigt haben. Näher am Puls der Zeit als Nink, der als Rechtsanwalt in Frankfurt arbeitet, kann man mit einer Dissertation kaum sein (...).« Dr. Simon J. Heetkamp, in: rista, 3/2021

»Ninks Buch ist damit in zweierlei Hinsicht interessant und lesenswert: Einmal, weil es einen umfassenden Überblick über den Stand der Debatte zu den rechtlichen Leitplanken zum Einsatz von Algorithmen in der Justiz liefert. Zum anderen - und das macht die bemerkenswerte Besonderheit aus - weil die Arbeit für den offenen Umgang mit Fehlern in der menschlichen Entscheidungsfindung und für interdisziplinäre Forschung auf diesem Gebiet wirbt. Zugleich unterbreitet sie konkrete konstruktive Lösungsvorschläge. Warum nicht das Beste aus beiden Welten vereinen? Algorithmenbasierte Systeme, die menschliche Fehler in Entscheidungen auffangen, und menschliche Richter*innen, die typische Risiken der Algorithmen ausgleichen.« Sina Dörr, in: MultiMedia und Recht, 7/2021…mehr