ZZ Packer elektrisiert und begeistert mit ihrer Sprache, mit unerwarteten Wendungen und unlöschbaren Bildern. Sie nimmt den Leser buchstäblich mit in das Leben ihrer Charaktere.
"Ich heiße Dina, und wenn ich irgendein Ding sein müsste, dann schätze ich, wäre ich gern ein Revolver", sagt die junge Yale-Studentin in der Titelgeschichte, als sie bei der obligatorischen Einführungsveranstaltung der Universität an der Reihe ist, und wird damit unversehens vom "honor roll student" zur gefährlichen Außenseiterin.
Alle Protagonisten in den acht hier versammelten Stories von ZZ Packer sind junge Afro-Amerikaner, die sich mit Fragen ihrer eigenen Identität konfrontiert sehen. So muss sich Spurgeon, ein junger Teenager, gegenüber seinem unzuverlässigen, eben aus dem Gefängnis entlassenen Vater behaupten, der ihn auf den "Million Man March" nach Washington D. C. schleppt, um dort einen Käfig mit gestohlenen exotischen Vögeln zu verkaufen. Lynnea Davis nimmt einen Job als Englisch-Lehrerin aneiner High School in Baltimore an und wird unerbittlich mit der Vergeblichkeit ihrer pädagogischen Bemühungen konfrontiert. Und die vierzehnjährige Tia versucht, aus der religiösen Enge bei ihrer Großtante auszubrechen, um in Atlanta nach der drogenabhängigen Mutter zu suchen. Stattdessen verfängt sie sich in der Beziehung von Marie und Dezi, einer Hure und ihrem Zuhälter ...
ZZ Packers Geschichten changieren zwischen Humor, Tragik, Härte und Ironie. Das bei Erscheinen von der Kritik mit Lobeshymnen überschüttete Debüt der jungen amerikanischen Autorin ist unverbraucht, frisch, souverän, cool und voller Humanität.
"Ich heiße Dina, und wenn ich irgendein Ding sein müsste, dann schätze ich, wäre ich gern ein Revolver", sagt die junge Yale-Studentin in der Titelgeschichte, als sie bei der obligatorischen Einführungsveranstaltung der Universität an der Reihe ist, und wird damit unversehens vom "honor roll student" zur gefährlichen Außenseiterin.
Alle Protagonisten in den acht hier versammelten Stories von ZZ Packer sind junge Afro-Amerikaner, die sich mit Fragen ihrer eigenen Identität konfrontiert sehen. So muss sich Spurgeon, ein junger Teenager, gegenüber seinem unzuverlässigen, eben aus dem Gefängnis entlassenen Vater behaupten, der ihn auf den "Million Man March" nach Washington D. C. schleppt, um dort einen Käfig mit gestohlenen exotischen Vögeln zu verkaufen. Lynnea Davis nimmt einen Job als Englisch-Lehrerin aneiner High School in Baltimore an und wird unerbittlich mit der Vergeblichkeit ihrer pädagogischen Bemühungen konfrontiert. Und die vierzehnjährige Tia versucht, aus der religiösen Enge bei ihrer Großtante auszubrechen, um in Atlanta nach der drogenabhängigen Mutter zu suchen. Stattdessen verfängt sie sich in der Beziehung von Marie und Dezi, einer Hure und ihrem Zuhälter ...
ZZ Packers Geschichten changieren zwischen Humor, Tragik, Härte und Ironie. Das bei Erscheinen von der Kritik mit Lobeshymnen überschüttete Debüt der jungen amerikanischen Autorin ist unverbraucht, frisch, souverän, cool und voller Humanität.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.07.2010Eine große Schwärze tief drinnen in mir
Die Espresso-Stories der Amerikanerin ZZ Packer
Jetzt ist wieder die Zeit der großen Rückschauen angebrochen. Solche Rückblenden wollen uns sagen, wie die erste Dekade des neuen Jahrtausends war. Wie sie geklungen, gerochen und sich angefühlt hat. Die Wendung "Kaffee trinken gehen" würde in einer Top-Ten-Liste der meistbenutzten Phrasen der "nuller Jahre" sicherlich auftauchen. Alle gehen ständig Kaffee trinken: alte Bekannte und neue Romanzen, junge Mütter genauso wie urbane Internet-Bohemiens. Letztere gehen sowieso ständig Kaffee trinken, schließlich können sie ja auch nicht wie Haustiere den ganzen Tag daheimbleiben. In einer Phänomenologie des Alltagslebens im angehenden einundzwanzigsten Jahrhundert sollte das Kaffee-trinken-Gehen also in jedem Fall seinen Platz finden. Aber wie das mit den Dingen des Alltags eben oft so ist: Kaffee trinken gehen ist oft ganz schön banal. Ganz und gar nicht banal hingegen ist die Kurzgeschichtensammlung "Kaffee trinken anderswo" von der jungen afroamerikanischen Autorin ZZ Packer.
So wie die Kurzgeschichte "Brownies": "Wir waren noch keine zwei Tage in Camp Crescendo, und die Mädchen meines Brownie-Trupps hatten schon beschlossen, dem gesamten Brownie-Trupp 909 die Ärsche zu polieren. Trupp 909 war vom ersten Tag an erledigt; es waren lauter weiße Mädchen, mit einer Haut wie aus Eiskrem gemixt: Erdbeer, Vanille." "Brownies" spielt in einem Mädchen-Pfadfinderlager, wo eine Gruppe Schwarzer eine Gruppe Weißer fertigmachen will, auch weil Letztere so seltsam sind - und übersieht dabei, dass die weißen Kinder behindert sind. Eine Geschichte, so radikal und überzeugend geschrieben, dass man sie für autobiographisch halten möchte.
Doch Befindlichkeitsliteratur mit Hang zur Nabelschau macht ZZ Packer definitiv nicht - ihre Geschichten basieren höchstens auf einem Körnchen eigener Erfahrung. Dazu sind die Figuren der Kurzgeschichten auch zu unterschiedlich. Die Protagonisten in "Kaffee trinken anderswo" haben wenig gemeinsam, abgesehen davon, dass sie alle jung und tendenziell gelangweilt sind: Die vierzehnjährige Tia will aus der Enge bei der religiösen Großmutter ausbrechen, um nach ihrer drogenabhängigen Mutter zu suchen. Der Teenager Spurgeon kann nicht am Debattierwettbewerb teilnehmen, weil er sich nicht gegen seinen Vater behaupten kann, und kutschiert ihn stattdessen nach Washington D.C., um unterwegs gestohlene Vögel zu verkaufen. Oder die Studentin Dina, die sich schon bei den Kennenlernspielen an der Uni mit einer provokanten Äußerung ins Abseits manövriert: "Mein Spruch mit dem Revolver brachte mir zwölf Monate psychiatrische Beratung, wöchentliche Gespräche mit Dekanin Guest und - da die Eltern der Zimmergenossin, die ich nie zu Gesicht bekam, die Vorstellung, dass ihre Amy sich ein Etagenbett mit einer angehenden Amokläuferin teilen sollte, nicht so prickelnd fanden - ein Zimmer ganz für mich allein."
Die Protagonisten, die ZZ Packer entwirft, sind Afroamerikaner, so wie die 1973 in Chicago geborene Autorin selbst. Trotzdem oder gerade deshalb macht ZZ Packer keine Minderheitenliteratur, "Kaffee trinken anderswo" ist ein Buch über menschliche Grundbedingungen: das Gefühl, aus dem Rahmen zu fallen oder ein Päckchen mit sich herumzutragen. Und wie die Innen- und die Außenwelt einander bedingen. Rasse spielt natürlich eine Rolle in ihren Geschichten, aber noch mehr geht es um so etwas wie eine "inner blackness": ZZ Packer schreibt darüber, wie es ist, ein Underdog zu sein und nicht so recht zu wissen, was man anfangen soll mit der Welt und sich.
Nicht zuletzt dadurch haben die Kurzgeschichten von ZZ Packer mehr Komplexität, Leben und Detailverliebtheit als mancher Wälzer. Sie benutzt eine Sprache, die ihre Figuren glaubwürdig macht. Ein Teenager klingt wie ein Teenager, ohne dass die Geschichte platt wird - ganz im Gegenteil. Dieser sprachlichen Erdung stellt ZZ Packer eine Radikalisierung der Inhalte gegenüber. Ausgefuchste Plots mit unerwarteten Wendungen machen "Kaffee trinken anderswo" zu einem im allerbesten Sinn unberechenbaren Buch.
CHRISTINA HOFFMANN
ZZ Packer: "Kaffee trinken anderswo". Stories. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Giovanni und Ditte Bandini. A1 Verlag, München 2009. 280 S., geb., 19,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Espresso-Stories der Amerikanerin ZZ Packer
Jetzt ist wieder die Zeit der großen Rückschauen angebrochen. Solche Rückblenden wollen uns sagen, wie die erste Dekade des neuen Jahrtausends war. Wie sie geklungen, gerochen und sich angefühlt hat. Die Wendung "Kaffee trinken gehen" würde in einer Top-Ten-Liste der meistbenutzten Phrasen der "nuller Jahre" sicherlich auftauchen. Alle gehen ständig Kaffee trinken: alte Bekannte und neue Romanzen, junge Mütter genauso wie urbane Internet-Bohemiens. Letztere gehen sowieso ständig Kaffee trinken, schließlich können sie ja auch nicht wie Haustiere den ganzen Tag daheimbleiben. In einer Phänomenologie des Alltagslebens im angehenden einundzwanzigsten Jahrhundert sollte das Kaffee-trinken-Gehen also in jedem Fall seinen Platz finden. Aber wie das mit den Dingen des Alltags eben oft so ist: Kaffee trinken gehen ist oft ganz schön banal. Ganz und gar nicht banal hingegen ist die Kurzgeschichtensammlung "Kaffee trinken anderswo" von der jungen afroamerikanischen Autorin ZZ Packer.
So wie die Kurzgeschichte "Brownies": "Wir waren noch keine zwei Tage in Camp Crescendo, und die Mädchen meines Brownie-Trupps hatten schon beschlossen, dem gesamten Brownie-Trupp 909 die Ärsche zu polieren. Trupp 909 war vom ersten Tag an erledigt; es waren lauter weiße Mädchen, mit einer Haut wie aus Eiskrem gemixt: Erdbeer, Vanille." "Brownies" spielt in einem Mädchen-Pfadfinderlager, wo eine Gruppe Schwarzer eine Gruppe Weißer fertigmachen will, auch weil Letztere so seltsam sind - und übersieht dabei, dass die weißen Kinder behindert sind. Eine Geschichte, so radikal und überzeugend geschrieben, dass man sie für autobiographisch halten möchte.
Doch Befindlichkeitsliteratur mit Hang zur Nabelschau macht ZZ Packer definitiv nicht - ihre Geschichten basieren höchstens auf einem Körnchen eigener Erfahrung. Dazu sind die Figuren der Kurzgeschichten auch zu unterschiedlich. Die Protagonisten in "Kaffee trinken anderswo" haben wenig gemeinsam, abgesehen davon, dass sie alle jung und tendenziell gelangweilt sind: Die vierzehnjährige Tia will aus der Enge bei der religiösen Großmutter ausbrechen, um nach ihrer drogenabhängigen Mutter zu suchen. Der Teenager Spurgeon kann nicht am Debattierwettbewerb teilnehmen, weil er sich nicht gegen seinen Vater behaupten kann, und kutschiert ihn stattdessen nach Washington D.C., um unterwegs gestohlene Vögel zu verkaufen. Oder die Studentin Dina, die sich schon bei den Kennenlernspielen an der Uni mit einer provokanten Äußerung ins Abseits manövriert: "Mein Spruch mit dem Revolver brachte mir zwölf Monate psychiatrische Beratung, wöchentliche Gespräche mit Dekanin Guest und - da die Eltern der Zimmergenossin, die ich nie zu Gesicht bekam, die Vorstellung, dass ihre Amy sich ein Etagenbett mit einer angehenden Amokläuferin teilen sollte, nicht so prickelnd fanden - ein Zimmer ganz für mich allein."
Die Protagonisten, die ZZ Packer entwirft, sind Afroamerikaner, so wie die 1973 in Chicago geborene Autorin selbst. Trotzdem oder gerade deshalb macht ZZ Packer keine Minderheitenliteratur, "Kaffee trinken anderswo" ist ein Buch über menschliche Grundbedingungen: das Gefühl, aus dem Rahmen zu fallen oder ein Päckchen mit sich herumzutragen. Und wie die Innen- und die Außenwelt einander bedingen. Rasse spielt natürlich eine Rolle in ihren Geschichten, aber noch mehr geht es um so etwas wie eine "inner blackness": ZZ Packer schreibt darüber, wie es ist, ein Underdog zu sein und nicht so recht zu wissen, was man anfangen soll mit der Welt und sich.
Nicht zuletzt dadurch haben die Kurzgeschichten von ZZ Packer mehr Komplexität, Leben und Detailverliebtheit als mancher Wälzer. Sie benutzt eine Sprache, die ihre Figuren glaubwürdig macht. Ein Teenager klingt wie ein Teenager, ohne dass die Geschichte platt wird - ganz im Gegenteil. Dieser sprachlichen Erdung stellt ZZ Packer eine Radikalisierung der Inhalte gegenüber. Ausgefuchste Plots mit unerwarteten Wendungen machen "Kaffee trinken anderswo" zu einem im allerbesten Sinn unberechenbaren Buch.
CHRISTINA HOFFMANN
ZZ Packer: "Kaffee trinken anderswo". Stories. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Giovanni und Ditte Bandini. A1 Verlag, München 2009. 280 S., geb., 19,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Tolle Stories sind das für Christina Hoffmann. Bei der Banalität des bohemienhaften Kaffeetrinkens bleibt es laut Rezensentin in diesem Band der 1973 geborenen afroamerikanischen Autorin nämlich zum Glück nicht. Keine Befindlichkeitsliteratur, sondern radikale, überzeugend geschriebene Kurzgeschichten, die der Rezensentin komplex und lebensprall von der "inner blackness" ihrer vornehmlich jungen und gelangweilten, renitenten Protagonisten erzählen. ZZ Packers jugendliche Sprache macht das Personal für die Rezensentin glaubwürdig, ohne die Geschichten flach werden zu lassen. Für die nötige Reibung sorgen laut Hoffmann raffinierte Plots voller überraschender Wendungen. Das macht das Buch unberechenbar? Umso besser, findet Hoffmann.
© Perlentaucher Medien GmbH
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