Kaffeehauslieder - der Titel dieses Lyrikbandes öffnet die Tür zum Lebensraum abendländisch-männlichen Geisteslebens - so scheint es. Doch die Gedichte stammen von einer Frau, und diese stammt aus China. Was Zhai Yongming an sich und den anderen beobachtet, dem widmet sie sich ausgiebig - hier ist das Gedicht keine Kurzform, bleibt auch keine vereinzelte Momentaufnahme. Vielmehr sind es Lebensgeschichten, die sich ihrer poetischen Aufmerksamkeit öffnen und zu Zyklen entwickeln. Zhai Yongming fokussiert weiblich, das ist keine Frage, und Sylvia Plath und Frida Kahlo haben sie darin beeinflusst, doch was an so unterschiedlichen Plätzen der Welt wie Chengdu, New York und Berlin in ihren Blick gerät, gibt sich in ihren Versen als existenzielle Grundform zu erkennen.'Und es ist nicht nur die Sonne, die kreist, der Abstiegbegann zuvor, als ich zur Welt kam, mit dem Kopfzuerst, welch schreckliche Plage, so gewann ich Formbehielt den Blick zur Erde als Fakt und wuchs heran'
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Beeindruckt zeigt sich Rezensent Joachim Sartorius von diesem "sorgfältig hergestellten" Band mit Gedichten der 1955 geborenen chinesischen Lyrikerin Zhai Yongming, die er eine "bemerkenswerte, sehr ferne, sehr nahe Dichterin" nennt. Offen lässt er, ob es, wie manche Kritiker meinen, tatsächlich einen Bruch gibt zwischen den "verdichteten, schmerzhaften, hochdramatischen Gedichtzyklen" ihrer Anfänge und dem späteren, zum Teil im Westen entstandenen Werk. Dieses gelte als konkreter, mehr auf "reale" Situationen bezogen. Aber auch hier, in den "Kaffeehausliedern", ist für Sartorius die "frühere Intensität" spürbar, "die Wachheit, die 'Spitzheit' der Gefühle". In diesem Zusammenhang spricht er von einem Pathos, dem die Spitze abgebrochen werde, von einer Bedingungslosigkeit, "die wir in Europa oder im englisch-amerikanischem Sprachraum zur Zeit vergeblich suchen". Er hebt hervor, dass Zhai Yongming auch Themen wie Politik, gesellschaftliche Zwänge und den Abgesang auf den Kommunismus nicht ausspart. Respekt zollt er nicht zuletzt der Übersetzung, die auch Leser, die des Chinesischen nicht mächtig sind, überzeuge.
© Perlentaucher Medien GmbH
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