Franz Kafka, der »rätselhafte« Autor, hat die meiste Zeit seines Lebens bei seiner Familie gewohnt. Die Bindung war stärker, als er es sich und uns einzureden versuchte. Im »großen Lärm« der Familie entstanden seine Texte. Seine Beziehung zu den Schwestern, besonders zu Ottla, war sehr eng, als besorgter Onkel machte er sich Gedanken über die richtige Erziehung seines Neffen und seiner Nichten. Die von den Nachkommen der Schwestern aufbewahrten Fotos dokumentieren nicht nur das Familienleben, sondern erzählen auch vom sozialen Aufstieg einer jüdischen Familie aus einfachen ländlichen Verhältnissen zum Prager Bürgertum. War der Großvater noch Dorfschächter in Wossek, wurde der Vater vom Hausierer zum angesehenen Kaufmann mit Geschäft in bester Lage und der Sohn zum promovierten und weltläufigen Juristen, der als Autor in der intellektuellen Gesellschaft der Moldaustadt verkehrte.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Auch wenn Fotos immer nur bedingt etwas über die Abgebildeten aussagen, ist Rezensent Marc Hoch froh, dass sich der Herausgeber Hans-Gerd Koch zum hundertsten Jubiläum von Franz Kafkas Tod die Mühe gemacht hat, den Familienbildern Tagebucheinträge sowie Briefe gegenüberzustellen. Die "Illusion eines Idylls" könnte durchaus aufkommen, schaut man auf die Fotos des vierjährigen Franz, seines Vaters Hermann und der drei Schwestern. Wenn Kafka dann aber in einem Brief an den Freund Max Brod kundtut, er "hasse sie alle der Reihe nach", wird deutlich, dass das ein Trugbild ist, so Hoch. Sowohl der Jähzorn des Vaters als auch die Liebe der jüngsten Schwester Ottla werden ihm dabei deutlich und verknüpfen sich mit Erzählungen wie der "Strafkolonie", konstatiert er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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