Dies ist die erste zusammenfassende Studie über den römischen Herrscherkult. In einem ersten chronologischen Hauptteil werden die antiken Quellen - literarische, epigraphische, numismatische, papyrologische und archäologische - auf Äußerungen zum Kult des Kaisers als lebenden Gott untersucht. Der Unter-suchungszeitraum erstreckt sich von der Zeit Caesars bis zum Ausklang der Spätantike im 6. Jahrhundert. Ein zweiter systematischer Hauptteil ist zunächst den unterschiedlichen Ausdrucksmöglichkeiten des Kultes gewidmet: Verehrung von Genius und Numen, Bedeutung der Büsten und Statuen der Kaiser sowie der Angehörigen ihrer Familie. Ferner geht es um die Verehrung des Herrschers in der Bevölkerung, um seine Rolle bei Krankheiten und im alltäglichen Leben sowie die Verehrung der lebenden und toten Herrscher in Kulten auf unterschiedlichen Ebenen: im privaten Bereich, in städtischen, provinzialen und Reichspriesterschaften. Desweiteren wird die Divinisierung und Konsekration der verstorbenen Kaiser erörtert. Ausführlich werden die Auseinandersetzungen des Christentums mit dem Kaiserkult, aber auch dessen Auswirkungen auf das Christentum diskutiert.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.08.2000Er ist göttlich! Wer? Na Ihr! Ach, Er!
Die Himmelfahrt der Cäsaren war kein Wahn: Manfred Clauss huldigt den römischen Kaisern
Umwege und gewundene Herleitungen sind die Sache von Manfred Clauss nicht. Der Frankfurter Althistoriker will mit einem nach den Regeln des wissenschaftlichen Konventionalismus verfestigten Mißverständnis aufräumen und eine "Richtungsänderung des Denkens" herbeiführen. Der "römische Kaiser", so beginnt seine eindrucksvolle Studie über den Herrscherkult im Römischen Kaiserreich, "war Gottheit. Er war dies von Anfang an, er war es auch im Westen des Römischen Reiches, in Italien, in Rom." Alle Versuche, den Status des lebenden Kaisers als Gott durch Umdeutungen der antiken Zeugnisse und semantische Klimmzüge in den wissenschaftlichen Texten zu leugnen, führen nur in die Irre. Sie beruhten allesamt auf der mangelnden Bereitschaft vieler Gelehrter, sich vom christlichen Gottesbegriff in seiner entwickelten Form, der ausschließt, daß ein lebender, sterblicher Mensch zugleich auch Gott sein kann, bei der Analyse antiker Religiosität zu lösen.
Die Vorstellung der Griechen und Römer war eine andere. Im Wissen um die eigene Schwäche und Ausgesetztheit wurde ein im Vergleich mit der alltäglichen Erfahrung mächtigeres Vermögen als göttlich betrachtet, was dann den Schritt nahelegte, einen Menschen mit gesteigerter Macht, höherem Wissen und scheinbar unbegrenztem Können als Gottheit anzusehen. Das anthropomorphe Bild von den olympischen Göttern machte die Grenze von beiden Seiten leicht durchlässig. Zur polytheistischen Erfahrung der Welt in ihrer unerschöpflichen, aber gleichwohl gegliederten Vielfalt gehörten nicht nur die traditionellen Götter, die umgebende Natur und die Leitbegriffe menschlichen Handelns wie Hoffnung und Tüchtigkeit, sondern auch die lebenden Gottheiten in Gestalt der Kaiser, die für Frieden und Wohlstand sorgten. Herrscherkult und Götterkult waren genausowenig Gegensätze wie Loyalität und Religiosität, weil die Menschen an die lebenden Götter ebenso Wünsche und Erwartungen richteten wie an die unsterblichen - nur daß erstere ungleich präsenter und damit konkret erfahrbar waren.
Herrschaftssoziologisch gehörte der Kaiserkult "zu den Instrumenten, welche die Regierbarkeit des Riesenreichs ermöglichten, weil er im Lebensalltag profane und sakrale Ereignisse untrennbar miteinander verband". Auf der Ebene der Erfahrungen und Praktiken der großen Mehrheit der Reichsbewohner waren die Kaiser dagegen einfach "allmächtige, allgegenwärtige Gottheiten, deren Existenz Mut machte in einem Alltag, der viel Ermutigung verlangte". Ihnen durch Opfer und Weihungen näher zu treten mußte besonders sinnvoll erscheinen.
Die herrschafts- oder religionssoziologische Herleitung steht für Clauss aber nicht im Mittelpunkt der Beweisführung. Vielmehr sichert er seine These, wonach die Griechen und Römer ihre Kaiser als Gottheiten verehrten, pragmatisch mit einer Definition, die zugleich der Empirie zu ihrem Recht verhilft: Gottheit ist, wer einen Kult erhält, Adressat von Weihungen und Gelübden ist, mit anderen Gottheiten zusammen verehrt oder Gott (deus) beziehungsweise Staatsgott (divus) genannt wird. In den beiden Hauptteilen des Buches führt Clauss dann die Zeugnisse für das so bestimmte Gottsein des Kaisers in chronologischer und systematischer Ordnung vor. Selbstverständlich geht das nicht ohne wesentliche Differenzierungen ab. So waren etwa innerhalb der Göttlichkeit "Karrieren" denkbar, weswegen der Kaiser als lebender Gott nach dem Tod seines sterblichen Teils durch Divinisierungsbeschluß und Konsekration zum Staatsgott werden konnte. Wer an einen "traditionellen" Gott die Bitte um Schutz und Segen für den Kaiser richtete, unterschied beide selbstverständlich auch kategorial. Wenn der Kaiser selbst opferte, tat er dies als sterblicher Mensch.
Die Folgerungen aus der nominalistisch und empirisch bewiesenen These für das politische System bleiben freilich an wichtigen Stellen unklar. Die Frage, warum der Gottcharakter des Kaisers im - zugegeben schmalen - aristokratisch-tyrannenfeindlichen Diskurs der senatorischen Historiographie noch bis zu Cassius Dio im dritten Jahrhundert bisweilen problematisch erscheinen konnte, wird kaum aufgeworfen. Offen bleibt auch die Bedeutung des göttlichen Menschen in politischen Konflikten. So macht Clauss zum Beispiel wahrscheinlich, daß auch dem zeitweise allmächtig erscheinenden Prätorianerpräfekten Seian göttliche Verehrung zuteil wurde. Dennoch brach dessen Position augenblicklich zusammen, als Kaiser Tiberius ihn in einem Brief an den Senat fallen ließ, und sein Tod wurde reichsweit als Freudentag gefeiert. Welche Aussage- und Distinktionskraft kam dann aber der Göttlichkeit eines mächtigen Menschen im politischen System des Prinzipats eigentlich zu? Umgekehrt müßte es eigentlich als ein konsequentes Zu-Ende-Denken des kaiserlichen Gottseins erscheinen, daß Caligula auch von den Senatoren die Proskynese und den Hand- oder Fußkuß verlangte. Politisch aber war das in dieser Zeit noch völlig unakzeptabel und trug maßgeblich zum Sturz des Kaisers bei. Nicht nur hier bedarf es sicher einer Einbindung der religiösen Dimension in die politische und umgekehrt.
Vielleicht liegt es an der Anlage des Buches, an der Absicht, eine eingängige und für sich völlig überzeugende These ohne Scheu vor Redundanz mit Hekatomben von Belegen phänomenologisch durchzudeklinieren, vielleicht aber auch nur an der Eigenart antiker Religion, wenn sich bei der Lektüre zur Dankbarkeit ob der fälligen Klarstellung der Eindruck monumentaler Schlichtheit hinzugesellt. Denn obwohl Clauss gegen das Vorurteil, es habe sich bei der Verehrung der Staatsgötter um eine bloß formale Kultübung gehandelt, die Spiritualität und Tiefe der religiösen Kommunikation auch mit dem Herrscher endlich einmal wirklich ernst nimmt, erscheint die von ihm vorgestellte Welt voller gegenwärtiger Götter doch zugleich radikal entzaubert, weil sie gedanklich so einfach ist.
Vorzüge und Grenzen dieser Sicht werden besonders beim Blick auf das Christentum deutlich. Clauss betont mit Recht, daß das Leben Jesu im antiken Sinn durchaus als nachvollziehbare Karriere eines Gottes verstanden werden konnte: Der Gottessohn wandelt unter Menschen, vollbringt Wunder, bis sein menschlicher Teil eines irdischen Todes stirbt und er selbst an der Seite seines himmlischen Vaters zum ewigen Gott wird. Ohne solche Anknüpfungsmöglichkeiten hätte sich der neue Glaube kaum gewaltlos in beinahe allen Schichten und Regionen verbreiten können. Der scharfe Gegensatz zwischen monotheistischem Christentum und polytheistischer antiker Religion war, wie Clauss überzeugend darlegt, erst das Ergebnis eines langen Prozesses, in dessen Verlauf es zahlreiche Überschneidungen und Uneindeutigkeiten gab.
Natürlich konnte man lange Zeit dem Kaiser opfern und sich gleichwohl als Christ fühlen, und Clauss zitiert zustimmend Harnack, der von einer Kirche sprach, die "auf allen Linien ihrer Lebensbestätigung, in ihrer Lehre, ihrer Disziplin, ihrem Kultus, ihrer Stellung zur Gesellschaft und zu den bürgerlichen Berufen, sich an die Welt angeschmiegt hat, die sie umgab". Wenn das zutrifft, drängt sich zugleich aber die Frage auf, auf welche Weise sich vor dem Hintergrund einer so offenen, unspezifischen, theologisch und überhaupt intellektuell anspruchslosen antiken Gottesvorstellung, wie sie hier als These wie im Duktus der Darstellung vorgeführt wird, im vierten und fünften Jahrhundert die zum Teil atemraubenden subtilen Auseinandersetzungen über die Wesensart Christi entzünden konnten - Debatten, die in der Spätantike auch einfache Menschen zeitweise stark bewegten und erhebliche Konfliktenergien freisetzten.
Die zahlreichen Zeugnisse für die religiöse Verehrung des römischen Kaisers als Gott in allen möglichen Spielarten vermag Clauss von klaren Prämissen aus und mit souveräner Beherrschung des umfangreichen Quellenmaterials - seien es literarische Texte, Inschriften, Münzen oder Bilder - ebenso einfach wie überzeugend zu erklären. Der Preis für die Geschlossenheit und Transparenz seiner Deutung ist aber, daß die Relevanz von Gottsein und Göttlichkeit dieses Zuschnitts für das politische System ebenso ausgeblendet wird wie die theologischen Implikationen und Probleme.
UWE WALTER
Manfred Clauss: "Kaiser und Gott". Herrscherkult im Römischen Reich. B. G. Teubner Verlag, Stuttgart 1999. 597 S., geb., 148,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Himmelfahrt der Cäsaren war kein Wahn: Manfred Clauss huldigt den römischen Kaisern
Umwege und gewundene Herleitungen sind die Sache von Manfred Clauss nicht. Der Frankfurter Althistoriker will mit einem nach den Regeln des wissenschaftlichen Konventionalismus verfestigten Mißverständnis aufräumen und eine "Richtungsänderung des Denkens" herbeiführen. Der "römische Kaiser", so beginnt seine eindrucksvolle Studie über den Herrscherkult im Römischen Kaiserreich, "war Gottheit. Er war dies von Anfang an, er war es auch im Westen des Römischen Reiches, in Italien, in Rom." Alle Versuche, den Status des lebenden Kaisers als Gott durch Umdeutungen der antiken Zeugnisse und semantische Klimmzüge in den wissenschaftlichen Texten zu leugnen, führen nur in die Irre. Sie beruhten allesamt auf der mangelnden Bereitschaft vieler Gelehrter, sich vom christlichen Gottesbegriff in seiner entwickelten Form, der ausschließt, daß ein lebender, sterblicher Mensch zugleich auch Gott sein kann, bei der Analyse antiker Religiosität zu lösen.
Die Vorstellung der Griechen und Römer war eine andere. Im Wissen um die eigene Schwäche und Ausgesetztheit wurde ein im Vergleich mit der alltäglichen Erfahrung mächtigeres Vermögen als göttlich betrachtet, was dann den Schritt nahelegte, einen Menschen mit gesteigerter Macht, höherem Wissen und scheinbar unbegrenztem Können als Gottheit anzusehen. Das anthropomorphe Bild von den olympischen Göttern machte die Grenze von beiden Seiten leicht durchlässig. Zur polytheistischen Erfahrung der Welt in ihrer unerschöpflichen, aber gleichwohl gegliederten Vielfalt gehörten nicht nur die traditionellen Götter, die umgebende Natur und die Leitbegriffe menschlichen Handelns wie Hoffnung und Tüchtigkeit, sondern auch die lebenden Gottheiten in Gestalt der Kaiser, die für Frieden und Wohlstand sorgten. Herrscherkult und Götterkult waren genausowenig Gegensätze wie Loyalität und Religiosität, weil die Menschen an die lebenden Götter ebenso Wünsche und Erwartungen richteten wie an die unsterblichen - nur daß erstere ungleich präsenter und damit konkret erfahrbar waren.
Herrschaftssoziologisch gehörte der Kaiserkult "zu den Instrumenten, welche die Regierbarkeit des Riesenreichs ermöglichten, weil er im Lebensalltag profane und sakrale Ereignisse untrennbar miteinander verband". Auf der Ebene der Erfahrungen und Praktiken der großen Mehrheit der Reichsbewohner waren die Kaiser dagegen einfach "allmächtige, allgegenwärtige Gottheiten, deren Existenz Mut machte in einem Alltag, der viel Ermutigung verlangte". Ihnen durch Opfer und Weihungen näher zu treten mußte besonders sinnvoll erscheinen.
Die herrschafts- oder religionssoziologische Herleitung steht für Clauss aber nicht im Mittelpunkt der Beweisführung. Vielmehr sichert er seine These, wonach die Griechen und Römer ihre Kaiser als Gottheiten verehrten, pragmatisch mit einer Definition, die zugleich der Empirie zu ihrem Recht verhilft: Gottheit ist, wer einen Kult erhält, Adressat von Weihungen und Gelübden ist, mit anderen Gottheiten zusammen verehrt oder Gott (deus) beziehungsweise Staatsgott (divus) genannt wird. In den beiden Hauptteilen des Buches führt Clauss dann die Zeugnisse für das so bestimmte Gottsein des Kaisers in chronologischer und systematischer Ordnung vor. Selbstverständlich geht das nicht ohne wesentliche Differenzierungen ab. So waren etwa innerhalb der Göttlichkeit "Karrieren" denkbar, weswegen der Kaiser als lebender Gott nach dem Tod seines sterblichen Teils durch Divinisierungsbeschluß und Konsekration zum Staatsgott werden konnte. Wer an einen "traditionellen" Gott die Bitte um Schutz und Segen für den Kaiser richtete, unterschied beide selbstverständlich auch kategorial. Wenn der Kaiser selbst opferte, tat er dies als sterblicher Mensch.
Die Folgerungen aus der nominalistisch und empirisch bewiesenen These für das politische System bleiben freilich an wichtigen Stellen unklar. Die Frage, warum der Gottcharakter des Kaisers im - zugegeben schmalen - aristokratisch-tyrannenfeindlichen Diskurs der senatorischen Historiographie noch bis zu Cassius Dio im dritten Jahrhundert bisweilen problematisch erscheinen konnte, wird kaum aufgeworfen. Offen bleibt auch die Bedeutung des göttlichen Menschen in politischen Konflikten. So macht Clauss zum Beispiel wahrscheinlich, daß auch dem zeitweise allmächtig erscheinenden Prätorianerpräfekten Seian göttliche Verehrung zuteil wurde. Dennoch brach dessen Position augenblicklich zusammen, als Kaiser Tiberius ihn in einem Brief an den Senat fallen ließ, und sein Tod wurde reichsweit als Freudentag gefeiert. Welche Aussage- und Distinktionskraft kam dann aber der Göttlichkeit eines mächtigen Menschen im politischen System des Prinzipats eigentlich zu? Umgekehrt müßte es eigentlich als ein konsequentes Zu-Ende-Denken des kaiserlichen Gottseins erscheinen, daß Caligula auch von den Senatoren die Proskynese und den Hand- oder Fußkuß verlangte. Politisch aber war das in dieser Zeit noch völlig unakzeptabel und trug maßgeblich zum Sturz des Kaisers bei. Nicht nur hier bedarf es sicher einer Einbindung der religiösen Dimension in die politische und umgekehrt.
Vielleicht liegt es an der Anlage des Buches, an der Absicht, eine eingängige und für sich völlig überzeugende These ohne Scheu vor Redundanz mit Hekatomben von Belegen phänomenologisch durchzudeklinieren, vielleicht aber auch nur an der Eigenart antiker Religion, wenn sich bei der Lektüre zur Dankbarkeit ob der fälligen Klarstellung der Eindruck monumentaler Schlichtheit hinzugesellt. Denn obwohl Clauss gegen das Vorurteil, es habe sich bei der Verehrung der Staatsgötter um eine bloß formale Kultübung gehandelt, die Spiritualität und Tiefe der religiösen Kommunikation auch mit dem Herrscher endlich einmal wirklich ernst nimmt, erscheint die von ihm vorgestellte Welt voller gegenwärtiger Götter doch zugleich radikal entzaubert, weil sie gedanklich so einfach ist.
Vorzüge und Grenzen dieser Sicht werden besonders beim Blick auf das Christentum deutlich. Clauss betont mit Recht, daß das Leben Jesu im antiken Sinn durchaus als nachvollziehbare Karriere eines Gottes verstanden werden konnte: Der Gottessohn wandelt unter Menschen, vollbringt Wunder, bis sein menschlicher Teil eines irdischen Todes stirbt und er selbst an der Seite seines himmlischen Vaters zum ewigen Gott wird. Ohne solche Anknüpfungsmöglichkeiten hätte sich der neue Glaube kaum gewaltlos in beinahe allen Schichten und Regionen verbreiten können. Der scharfe Gegensatz zwischen monotheistischem Christentum und polytheistischer antiker Religion war, wie Clauss überzeugend darlegt, erst das Ergebnis eines langen Prozesses, in dessen Verlauf es zahlreiche Überschneidungen und Uneindeutigkeiten gab.
Natürlich konnte man lange Zeit dem Kaiser opfern und sich gleichwohl als Christ fühlen, und Clauss zitiert zustimmend Harnack, der von einer Kirche sprach, die "auf allen Linien ihrer Lebensbestätigung, in ihrer Lehre, ihrer Disziplin, ihrem Kultus, ihrer Stellung zur Gesellschaft und zu den bürgerlichen Berufen, sich an die Welt angeschmiegt hat, die sie umgab". Wenn das zutrifft, drängt sich zugleich aber die Frage auf, auf welche Weise sich vor dem Hintergrund einer so offenen, unspezifischen, theologisch und überhaupt intellektuell anspruchslosen antiken Gottesvorstellung, wie sie hier als These wie im Duktus der Darstellung vorgeführt wird, im vierten und fünften Jahrhundert die zum Teil atemraubenden subtilen Auseinandersetzungen über die Wesensart Christi entzünden konnten - Debatten, die in der Spätantike auch einfache Menschen zeitweise stark bewegten und erhebliche Konfliktenergien freisetzten.
Die zahlreichen Zeugnisse für die religiöse Verehrung des römischen Kaisers als Gott in allen möglichen Spielarten vermag Clauss von klaren Prämissen aus und mit souveräner Beherrschung des umfangreichen Quellenmaterials - seien es literarische Texte, Inschriften, Münzen oder Bilder - ebenso einfach wie überzeugend zu erklären. Der Preis für die Geschlossenheit und Transparenz seiner Deutung ist aber, daß die Relevanz von Gottsein und Göttlichkeit dieses Zuschnitts für das politische System ebenso ausgeblendet wird wie die theologischen Implikationen und Probleme.
UWE WALTER
Manfred Clauss: "Kaiser und Gott". Herrscherkult im Römischen Reich. B. G. Teubner Verlag, Stuttgart 1999. 597 S., geb., 148,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Die Leistung des Frankfurter Althistorikers Manfred Clauss ist es, so Rezensent Uwe Walter, ohne Wenn und Aber die Gottesverehrung der römischen Kaiser zu behaupten und empirisch zu belegen. Clauss streife dabei auch die herrschafts- und religionssoziologische Bedeutung dieses Kultus, die Instrumentalisierung als Herrschaftsmittel, wenn neben Natur- und traditionellen Gottheiten die jeweiligen Herrscher des Riesenreiches als Götter verehrt werden. Widersprechen will Walter jedoch dem Eindruck, die Götter seien ohne Verstand verehrt worden. Dies findet der Rezensent um so unwahrscheinlicher als die später aufbrechenden Dispute um Jesus von Nazareth in Rom doch "atemraubend subtil" geführt wurden. Der Preis, den Clauss für die Klarheit seiner Prämissen und Darstellung zahle, ist eine Ausblendung der Bedeutung, die die Vorstellung von Gott und Göttlichkeit für das politische System Roms hatten, urteilt Uwe Walter.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Das umfassende Standardwerk zum Thema 'Kaiserkult' ist diese Untersuchung. Sie beschreibt die vielen Ausprägungen des Herrscherkultes und seine starke Verbreitung über kulturelle, Standes- und Berufs-Grenzen hinweg. Oft ist aus den Quellen nicht erkennbar (und auch nicht zu trennen), ob jemand religiös motiviert oder aus politischer Loyalität opfert. Wichtig ist die große Integrationskraft, die dieser gemenisame Kult für alle Bürger hatte, geeint in der gemeinsamen Erwartung an den 'soter', den Retter. M. Clauss untersucht Quellen auf das Verhältnis der Christen zum Kaiserkult hin und beschreibt ebenso das Weiterleben der paganen Kaiserverehrung weit in die Zeit der christlichen byzantinischen Zeit hinein!"
Welt und Umwelt der Bibel, Stuttgart, Nr. 3, 2002
Welt und Umwelt der Bibel, Stuttgart, Nr. 3, 2002