Es sind die dreißiger Jahre: In der Kaiserhofstraße in Frankfurt am Main leben Schauspieler, Transvestiten, Freudenmädchen, Burschenschaftler - und auch die Familie Senger. Als Kommunisten und Juden mussten sie aus dem zaristischen Russland fliehen und haben hier ein neues Zuhause gefunden - bis Adolf Hitler 1933 die Macht ergreift. Valentin Sengers Mutter Olga erkennt früh den Ernst der Lage: Mit gefälschten Papieren verschleiert sie die Spuren ihrer Herkunft. Die Angst vorm Entdecktwerden aber begleitet die Familie von nun an täglich.
Der junge Valentin Senger geht seinen eigenen Weg und erlebt die erste Liebe. Aber wie soll er ein Mädchen näher kennen lernen, ohne dabei das Überleben der ganzen Familie zu gefährden? Seine Mutter ist krank vor Sorge. Und doch wird die Familie mit Hilfe zahlreicher Freunde, Nachbarn, mutiger Behördenmitarbeiter und einer großen Portion Glück diese Schreckenszeit überleben.
Der junge Valentin Senger geht seinen eigenen Weg und erlebt die erste Liebe. Aber wie soll er ein Mädchen näher kennen lernen, ohne dabei das Überleben der ganzen Familie zu gefährden? Seine Mutter ist krank vor Sorge. Und doch wird die Familie mit Hilfe zahlreicher Freunde, Nachbarn, mutiger Behördenmitarbeiter und einer großen Portion Glück diese Schreckenszeit überleben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.04.2010Ein Buch für eine ganze Stadt
Eine Familie jüdischer Kommunisten überlebt den Nationalsozialismus in Frankfurt. Mit einem Lesefest wird nun an Valentin Senger und seinen Roman "Kaiserhofstraße 12" erinnert.
VON FLORIAN BALKE
FRANKFURT. Wäre es nach einigen der Nachbarn gegangen, hätte es dieses Buch gar nicht geben dürfen. Sein Autor Valentin Senger, 1918 in der Wohnung seiner Eltern im Hinterhaus der Frankfurter Kaiserhofstraße 12 zur Welt gekommen, wäre als junger Mann mit seiner Mutter, seinem Vater und seinen Geschwistern zur Flucht aus der Heimatstadt getrieben oder in die Ghettos und Vernichtungslager des Ostens deportiert worden.
Stattdessen gibt es dieses Buch, erschienen zum ersten Mal 1978 im Luchterhand Verlag, das die wundersame Geschichte davon erzählt, wie es Senger und seiner Familie gelang, in der Mitte Deutschlands und mitten in Frankfurt der Verfolgung und Ermordung durch die Nationalsozialisten zu entgehen, obwohl sie Juden waren, kommunistisch dachten und vielen Bekannten und Hausgenossen gegenüber weder das eine noch das andere verschwiegen hatten.
Zu den unwahrscheinlichen, absurden und traurigen Wendungen der Familiengeschichte gehört es, dass es schließlich nur Valentin, seinem Vater und seiner Schwester Paula gelang, die zwölf Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft zu überleben. Seine Mutter, deren Tatkraft und Ideenreichtum es zu verdanken war, dass die Familie so lange durchhielt, starb kurz vor Kriegsende, weil ihr Herz den Anstrengungen des Überlebenskampfes nicht länger gewachsen war. Valentins jüngerer Bruder Alex, wie der Autor nach dem Tod der Mutter als Soldat zur Wehrmacht eingezogen, fiel an der Ostfront.
Frankfurt, die Stadt, zu deren Bürgern die Sengers gehörten, bis sie es nicht länger sein sollten, erscheint in "Kaiserhofstraße 12" als Ort des Bösen wie des Guten. Kenntnisreich und erinnerungssatt erzählt Sengers Buch davon, was in seiner Straße und seiner Stadt das Gemeinwesen ausmachte, das zwischen 1933 und 1945 zusammenbrach. Aus diesem Grund widmen das Frankfurter Kulturamt und der Verlag Schöffling & Co., der den Roman dieses Jahr neu herausgebracht hat, der "Kaiserhofstraße 12" nun das Festival "Frankfurt liest ein Buch".
Vom 21. April bis zum 9. Mai soll der Roman in der ganzen Stadt gelesen werden. Freunde des 1997 gestorbenen Autors erinnern sich im Gespräch an Valentin Senger, seine Witwe Irmgard, die ihren späteren Mann in den Jahren des Krieges kennenlernte und 1949 zu ihm und seiner Familie in die Kaiserhofstraße zog, wird auf mehreren Veranstaltungen sprechen.
Ob andere Verlage es schaffen werden, die in diesem Jahr zum ersten Mal veranstaltete Initiative in den nächsten Jahren mit anderen Frankfurt-Büchern fortzuführen, wird sich zeigen. Sicher ist, dass sich für die Premiere kaum ein besseres Buch hätte finden lassen als "Kaiserhofstraße 12": Es erzählt von Frankfurts dunkelsten Stunden und Orten, vom Gestapo-Hauptquartier in der Lindenstraße und von den Bombardements der letzten Kriegsjahre, berichtet aber auch davon, wie der Versuch der Sengers, sich durch Glück, Lüge und Zufall zu retten, nur gelingen konnte, weil Nachbarn für sich behielten, was sie wussten, und ein Polizist bereit war, die Einwohnermeldekarte der Familie zu fälschen.
Das Buch spielt nicht nur in der detailliert beschriebenen Umgebung und Einwohnerschaft der Kaiserhofstraße, sondern lebt auch von vielen anderen Frankfurter Orten. Ob der kleine Valentin an einem Abend vor 1930, dem Jahr, in dem der Vater arbeitslos wird, an der Hauptwache auf die Straßenbahn wartet, mit der dieser von seiner Tätigkeit als Dreher in den Adlerwerken heimkommt, oder ob Valentin, nun 20 Jahre alt, am Morgen des 10. November 1938 auf dem Weg zu seiner eigenen Arbeit in Sachsenhausen ist und auf dem Eisernen Steg davon hört, dass die Synagoge an der Börnestraße brennt - Frankfurt ist mehr als nur ein Schauplatz des Buches. Es ist, neben der Familie, ein weiterer Akteur des Romans und wird vom Geschehen genauso gezeichnet wie sie.
Als vielleicht einziges Dokument bewahrt "Kaiserhofstraße 12" darüber hinaus die Erinnerung an viele Orte und Menschen, von denen das Buch spricht. Das reicht von dem Haus, nach dem es benannt ist, das in den sechziger Jahren dem Bau eines Parkhauses zum Opfer fiel, bis zu den Menschen, an die es zurückdenkt, von den "zwei Nutten aus Nummer 4" bis zum jüdischen Hilfsarbeiter Max Himmelreich, der Valentin im Hausflur erste Gerüchte darüber erzählt, dass die Juden, die man zur Umsiedlung in den Osten bringe, in Wahrheit ermordet werden. Für fast drei Wochen bietet "Frankfurt liest ein Buch" die Gelegenheit, mehr über Valentin Senger und die Geschichte Frankfurts zu erfahren.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Familie jüdischer Kommunisten überlebt den Nationalsozialismus in Frankfurt. Mit einem Lesefest wird nun an Valentin Senger und seinen Roman "Kaiserhofstraße 12" erinnert.
VON FLORIAN BALKE
FRANKFURT. Wäre es nach einigen der Nachbarn gegangen, hätte es dieses Buch gar nicht geben dürfen. Sein Autor Valentin Senger, 1918 in der Wohnung seiner Eltern im Hinterhaus der Frankfurter Kaiserhofstraße 12 zur Welt gekommen, wäre als junger Mann mit seiner Mutter, seinem Vater und seinen Geschwistern zur Flucht aus der Heimatstadt getrieben oder in die Ghettos und Vernichtungslager des Ostens deportiert worden.
Stattdessen gibt es dieses Buch, erschienen zum ersten Mal 1978 im Luchterhand Verlag, das die wundersame Geschichte davon erzählt, wie es Senger und seiner Familie gelang, in der Mitte Deutschlands und mitten in Frankfurt der Verfolgung und Ermordung durch die Nationalsozialisten zu entgehen, obwohl sie Juden waren, kommunistisch dachten und vielen Bekannten und Hausgenossen gegenüber weder das eine noch das andere verschwiegen hatten.
Zu den unwahrscheinlichen, absurden und traurigen Wendungen der Familiengeschichte gehört es, dass es schließlich nur Valentin, seinem Vater und seiner Schwester Paula gelang, die zwölf Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft zu überleben. Seine Mutter, deren Tatkraft und Ideenreichtum es zu verdanken war, dass die Familie so lange durchhielt, starb kurz vor Kriegsende, weil ihr Herz den Anstrengungen des Überlebenskampfes nicht länger gewachsen war. Valentins jüngerer Bruder Alex, wie der Autor nach dem Tod der Mutter als Soldat zur Wehrmacht eingezogen, fiel an der Ostfront.
Frankfurt, die Stadt, zu deren Bürgern die Sengers gehörten, bis sie es nicht länger sein sollten, erscheint in "Kaiserhofstraße 12" als Ort des Bösen wie des Guten. Kenntnisreich und erinnerungssatt erzählt Sengers Buch davon, was in seiner Straße und seiner Stadt das Gemeinwesen ausmachte, das zwischen 1933 und 1945 zusammenbrach. Aus diesem Grund widmen das Frankfurter Kulturamt und der Verlag Schöffling & Co., der den Roman dieses Jahr neu herausgebracht hat, der "Kaiserhofstraße 12" nun das Festival "Frankfurt liest ein Buch".
Vom 21. April bis zum 9. Mai soll der Roman in der ganzen Stadt gelesen werden. Freunde des 1997 gestorbenen Autors erinnern sich im Gespräch an Valentin Senger, seine Witwe Irmgard, die ihren späteren Mann in den Jahren des Krieges kennenlernte und 1949 zu ihm und seiner Familie in die Kaiserhofstraße zog, wird auf mehreren Veranstaltungen sprechen.
Ob andere Verlage es schaffen werden, die in diesem Jahr zum ersten Mal veranstaltete Initiative in den nächsten Jahren mit anderen Frankfurt-Büchern fortzuführen, wird sich zeigen. Sicher ist, dass sich für die Premiere kaum ein besseres Buch hätte finden lassen als "Kaiserhofstraße 12": Es erzählt von Frankfurts dunkelsten Stunden und Orten, vom Gestapo-Hauptquartier in der Lindenstraße und von den Bombardements der letzten Kriegsjahre, berichtet aber auch davon, wie der Versuch der Sengers, sich durch Glück, Lüge und Zufall zu retten, nur gelingen konnte, weil Nachbarn für sich behielten, was sie wussten, und ein Polizist bereit war, die Einwohnermeldekarte der Familie zu fälschen.
Das Buch spielt nicht nur in der detailliert beschriebenen Umgebung und Einwohnerschaft der Kaiserhofstraße, sondern lebt auch von vielen anderen Frankfurter Orten. Ob der kleine Valentin an einem Abend vor 1930, dem Jahr, in dem der Vater arbeitslos wird, an der Hauptwache auf die Straßenbahn wartet, mit der dieser von seiner Tätigkeit als Dreher in den Adlerwerken heimkommt, oder ob Valentin, nun 20 Jahre alt, am Morgen des 10. November 1938 auf dem Weg zu seiner eigenen Arbeit in Sachsenhausen ist und auf dem Eisernen Steg davon hört, dass die Synagoge an der Börnestraße brennt - Frankfurt ist mehr als nur ein Schauplatz des Buches. Es ist, neben der Familie, ein weiterer Akteur des Romans und wird vom Geschehen genauso gezeichnet wie sie.
Als vielleicht einziges Dokument bewahrt "Kaiserhofstraße 12" darüber hinaus die Erinnerung an viele Orte und Menschen, von denen das Buch spricht. Das reicht von dem Haus, nach dem es benannt ist, das in den sechziger Jahren dem Bau eines Parkhauses zum Opfer fiel, bis zu den Menschen, an die es zurückdenkt, von den "zwei Nutten aus Nummer 4" bis zum jüdischen Hilfsarbeiter Max Himmelreich, der Valentin im Hausflur erste Gerüchte darüber erzählt, dass die Juden, die man zur Umsiedlung in den Osten bringe, in Wahrheit ermordet werden. Für fast drei Wochen bietet "Frankfurt liest ein Buch" die Gelegenheit, mehr über Valentin Senger und die Geschichte Frankfurts zu erfahren.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Kenntnisreich und erinnerungssatt erzählt Sengers Buch davon, was in Frankfurts Straßen und in der Stadt das Gemeinwesen ausmachte."
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
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