Das amerikanische Original des vorliegenden Romans der Schriftstellerin Paula Fox erschien bereits 1972 und liegt nun als Taschenbuch im Berliner Taschenbuch Verlag vor. Überhaupt erlebt die amerikanische Autorin eine Renaissance, seitdem Jonathan Franzen Anfang der 90er Jahre in einem längeren
Zeitungsartikel wieder auf sie und ihr Werk aufmerksam machte. So sind in den letzten Jahren ihre…mehrDas amerikanische Original des vorliegenden Romans der Schriftstellerin Paula Fox erschien bereits 1972 und liegt nun als Taschenbuch im Berliner Taschenbuch Verlag vor. Überhaupt erlebt die amerikanische Autorin eine Renaissance, seitdem Jonathan Franzen Anfang der 90er Jahre in einem längeren Zeitungsartikel wieder auf sie und ihr Werk aufmerksam machte. So sind in den letzten Jahren ihre Romane, meist zwischen 1967 und 1990 veröffentlicht und danach in Vergessenheit geraten, in kurzer Folge auch in deutscher Sprache erschienen. Zuletzt ihr vielbeachteter autobiographischer Roman „In fremden Kleidern“. Vor kurzem beging Paula Fox ihren achtzigsten Geburtstag und wurde von der American Academy of Art und Letters für ihr Lebenswerk ausgezeichnet.
„Kalifornische Jahre“, der Roman entstand 1970, spielt in den 40er Jahren während in Europa der Zweite Weltkrieg tobt. Erzählt wird die Geschichte der erst 17jährigen Annie Gianfala, die bei ihrem Onkel in einer Männergesellschaft in New York aufgewachsen ist. Der Teenager bricht auf, um mit ein paar Dollars in der Tasche in Los Angeles sein Glück zu versuchen. Hollywood ist der Traum und das Zentrum für jene, die von ganz unten nach ganz oben wollen. Die USA sind gerade dabei, in den Krieg einzutreten und europäische Emigranten beeinflussen den amerikanischen Alltag. Es sind die Jahre der wirtschaftlichen Depression.
Zuerst schlägt sich Annie mit Aushilfsjobs durch, dann als Aktmodell; doch die mies bezahlten Jobs sind zu viel zum Sterben und zu wenig zum Leben. In dieser Welt der erfolg-losen Künstler und verhinderten Schauspieler versucht sie sich einzurichten. Da sind die farbigen Jazzmusiker, die dem täglichen Rassismus ausgesetzt sind, und da ist ein kleiner Haufen zweifelnder Kommunisten, die ihre Probleme mit dem Hitler-Stalin-Pakt haben. Da ist ihre beste Freundin Theda, die als Abweichlerin gilt, und Max, der zwischen Partei, Familie und Annie hin- und hergerissen ist. Und mittendrin Annie, meist passiv und orientierungslos. Auch Bücher, sie liest Hardy, Dostojewski und Scott Fitzgerald, geben ihr keinen Halt. Auf Männer übt sie eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus, ohne dass ihr die Kerle was bedeuten würden.
Annie ist ständig auf der Suche nach dem Glück, nach dem richtigen Mann und nach sich selbst. Aber hier in Hollywood findet sie das alles nicht. Nach den fünf „Kalifornischen Jahren“ voller wütender Enttäuschungen verlässt Annie mit zwei Koffern im Kofferraum und einem vollen Tank die Traumstadt, genauso unvermittelt wie sie vor Jahren gekom-men ist. Nach ein paar Meilen wird ein schwarzer Soldat per Anhalter ihr Begleiter, der ebenfalls nach Haus will – der Krieg ist aus. „Sie fuhren Tag und Nacht und wechselten sich am Steuer ab“, bis Annie an einem Februarmorgen die Türme von New York sieht. Hier beantragt sie als erstes einen Pass zur Überfahrt nach Europa, nach England.
Die Autorin hat in diesen Roman ihre eigene Biographie als junge Frau hineingewoben. Vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges schildert sie das zweideutige Milieu der Hollywood-Märchenwelt, zeigt die falschen Fassaden und die traurigen Randgestalten der Filmstadt.
Paula Fox ist in den letzten Jahren neben Raymond Carver die literarische Entdeckung der amerikanischen Gegenwartsliteratur für das deutsche Lesepublikum. Was also fasziniert an dem Buch außer den zeitgeschichtlichen und autobiographischen Bezügen, außer der genauen Darstellung der Figuren? Vielleicht: Präzise werden die Stimmungen und die menschliche Leere gezeichnet. Und besonders: Der Roman hat eine eindringliche und nachdenkliche Sprache, doch ist er beileibe nicht ohne Humor. „Es hat mich nach Kalifornien verschlagen. Nach einer Weile bin ich entkommen“, ist Annies Schlusssatz, doch der Leser entkommt Paula Fox so schnell nicht und so machen die 500 Seiten Appetit auf ihre anderen Romane.
Manfred Orlick