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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.02.2001

Immer auf ein kleines Lächeln lauernd
Fremd unter den Geschäftigen: Paula Fox erzählt von den „kalifornischen Jahren” einer jungen Frau
In den letzten beiden Sätzen steckt der ganze Roman: „,Es hat mich nach Kalifornien verschlagen‘, sagte sie. ,Nach einer Weile bin ich entkommen. ‘”
Der erste Satz gibt dagegen Zeit und Ort an: Winter 1939 in New York. Die Heldin ist siebzehn Jahre alt und neugierig auf die Welt, einsam und mit staunenden Augen betrachtet sie ihre Umgebung. Sie sucht das Glück, denn „einige Leute scheinen glücklich zu sein”. Knapp 500 Seiten und fünf Jahre später hat sie sich erst mit dem Marxismus und den Parolen der Kommunistischen Partei herumgequält, dann die Psychoanalyse, die plötzlich modern wird unter Intellektuellen, als neue Welt-Erklärungstheorie in den Kopf geworfen bekommen. Sie hat mit der Liebe gespielt und sich durchgeschlagen im sonnigen Kalifornien, wo jeder von Reichtum und Erfolg träumt, der Alltag jedoch hart und unerbittlich ist. Ein Paradies der Illusionen: „Jeder Tag wird hier erfunden, als ob es vorher keinen Tag gegeben hätte. ”
Die hübsche Frau hat Männer getroffen und ohne große Leidenschaft mit ihnen geschlafen. Ohne dass sie recht wusste, wie ihr geschah, war sie erst verheiratet, dann geschieden. Von der ausgebeuteten Lagerhilfskraft im billigen Kleiderladen ist sie aufgestiegen zur Sekretärin im Filmstudio. „Einige von denen, die sie gekannt hatte, waren verschwunden; einige waren gestorben, einige hatten sich verändert. ” Am Ende des Buchs ist der Krieg in Europa vorbei. Sie verlässt das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, um in England ihr Glück zu suchen. Der Mann, den sie geliebt, der sich jedoch nicht für sie entschieden hatte, besucht sie am Abend vor ihrer Abreise. „Er beobachtet sie und bemerkte, wie sehr sie sich verändert hatte und wie sehr sie sich doch gleich geblieben war. ”
Ein Bildungsroman: Eine junge Frau und ihre mühsamen Schritte ins erwachsene Leben. Im Amerika der vierziger Jahre gerät sie in den Strudel von falschen Ideologien und verlogenen Überzeugungen.
Die 1932 geborene New Yorker Schriftstellerin wurde bei uns im letzten Jahr mit ihrem Roman Was am Ende bleibt aus dem Jahr 1970 wiederentdeckt. Genau und mit wunderbar sanfter Ironie schildert Paula Fox dort eine Frau in mittleren Jahren, die sich fremd fühlt in ihrem Leben, über die ein Freund sagt, sie sei so hinreißend naiv. Ihr Leben gerät in einen Strudel, nachdem sie von einer streunenden Katze gebissen und plötzlich aus dem Schlaf der Empfindungen gerissen worden ist. Die Heldin der Kalifornischen Jahre (1972) könnte die Frau mit dem Katzenbiss in ihrer Jugend sein. Beide Protagonistinnen zeichnen sich aus durch ein zentrales Gefühl der Fremdheit inmitten all der geschäftigen und schlauen Menschen, die selbstgewiss ihre Biografie verwalten. Durch Zufall und – wie so häufig im Leben von Frauen – durch Männer kommt die Tochter eines erfolglosen Malers, der sich gerade wieder einmal mit einer neuen Geliebten aus dem Staub gemacht und die 17-Jährige sich selbst überlassen hat, mit der Kommunistischen Partei in Berührung. Sie soll sich engagieren, gegen den Kapitalismus agitieren, die Klassiker lesen. Paula Fox zeichnet das Psychogramm einer ebenso gut meinenden wie verlogenen kleinen Gruppe von Klassenkämpfern. Die Partei hat immer Recht, die eigenen bürgerlichen Vorlieben für Literatur und Kunst müssen bekämpft werden. Am besten schaltet man den Verstand aus und übt sich in Verstellung, „mörderischer Duldsamkeit” und Unterwerfung. „Max’ Mutter hat gesagt – letztes Jahr im August, als der Hitler-Stalin-Pakt geschlossen worden war: ,Jetzt hast du also auch Hitler geschluckt! Was für ein Verdauungssystem mein Sohn besitzt!‘”
Wie eine Unberührbare geht die junge Frau durch die Welt der politischen und sexuellen Initiationen. Männer erscheinen ihr wie hilflose Tiere, denen sie – meist teilnahmslos, aber nie gedemütigt – ihren Körper überlässt. Die Parteisoldaten erweisen sich als machtgierige oder melancholische Lügner. Weil ihnen der Zweifel verboten ist, müssen sie in andauernder Unwahrheit leben, weil sie widerspruchslos der Verleumdung ihrer Freunde im Namen der guten Sache beiwohnen, müssen sie zu sozialen Krüppeln werden. „Während er dem tobenden Calvin zuhörte, fragte sich Max, ob sich die Welt nach der Revolution nicht weitgehend aus Calvins zusammensetzen würde. Es sei denn, es wäre erlaubt, auf den Barrikaden sowohl nach vorn wie nach hinten zu schießen. ” Max ist neben der jungen Annie die zentrale Figur in diesem furiosen Bilderbogen aus der Welt amerikanischer Intellektueller und Künstler der vierziger Jahre. Aus schlechtem Gewissen und Antriebsschwäche unterwirft sich der kluge und sensible Mann der brachialen Doktrin einer linken Mittelmäßigkeit. Am Ende wird er seine aufrechte Frau charakterisieren und damit die amerikanische Linke jener Jahre brandmarken: „Es ist ihr einziger barbarischer Zug – dieses Beharren darauf, dass immer alles gut wird. ” Bei der Lektüre dieses Satzes denkt man an Hannah Arendts Diktum, wie viel revolutionärer Schrecken durch Mitleid entsteht.
Durch die im besten Sinne naiven Augen der Heldin führt uns Paula Fox aber nicht nur die Faszination einer linken Salon-Barbarei vor, der Künstler und Intellektuelle anheim fallen. Mit Genauigkeit, Melancholie und nicht zuletzt mit Komik beschreibt sie auch das dubiose Filmgeschäft, die Gier nach Erfolg von Stars und Sternchen, den unermesslichen Reichtum derjenigen, die es geschafft haben und die trostlose Verkommenheit derjenigen, die in Hollywood auf der Strecke geblieben sind. Natürlich gibt es da die Produzentencouch und falsche Versprechungen. Aber die bekannten Interieurs kommen nur am Rande und ohne jedes Moralisieren vor. Im Zentrum steht die ewig andauernde Hoffnung auf ein unbekanntes Glück, das die Menschen zu den abenteuerlichsten Entscheidungen und Verrenkungen führt. Wie schon in dem Roman Was am Ende bleibt sind es die genauen Blicke auf Menschen, auf ihre ebenso tristen Empfindungen wie bleibenden Sehnsüchte, die den besonderen Ton und Reiz dieser Autorin ausmachen. Die Innenwelt spiegelt dabei nicht nur die Außenwelt, sie tritt immer wieder an deren Stelle.
Was am Ende bleibt, das ist die Liebe zum Kino, die unabhängig von Produktions- und Lebensbedingungen ist. Hier kann man die eigene Existenz vergessen und sich gefahrlos für anderthalb Stunden in einen besseren (oder schlechteren) Menschen verwandeln: „,Ich hab’ einen Film über harte Jungs gesehen‘, sagte sie. ,Hat er dir gefallen?‘ ,Ja. Ich will oft so sein, will zu Leuten sagen: Du Ratte! und sie wie Puppen abknallen – nicht wie ich bin, immer auf ein kleines Lächeln lauernd, ein Lachen, eine Träne, einen Kuss. ‘”
MANUELA REICHART
PAULA FOX: Kalifornische Jahre. Roman. Aus dem Englischen von Susanne Röckel. Verlag C. H. Beck, München 2001. 488 Seiten, 44 Mark.
Paula Fox. Die „kalifornischen Jahre” sind die Zeit um 1940.
Foto: Jerry Bauer
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