„Wenn mein Vater diesen Brief nie geschrieben hätte, dann hätten mir die FBI-Beamten nicht den Arm verdreht und mein Gesicht auf die Motorhaube des schwarzen Cherokee-Jeeps geknallt. Und das Silvesterfeuerwerk in Raufarhöfn hätte ich auch nicht verpasst. Das habe ich nämlich noch nie verpasst, das
ist hier Tradition, und Traditionen sind wichtig, auch wenn man manchmal gar nicht mehr weiß, wie sie…mehr„Wenn mein Vater diesen Brief nie geschrieben hätte, dann hätten mir die FBI-Beamten nicht den Arm verdreht und mein Gesicht auf die Motorhaube des schwarzen Cherokee-Jeeps geknallt. Und das Silvesterfeuerwerk in Raufarhöfn hätte ich auch nicht verpasst. Das habe ich nämlich noch nie verpasst, das ist hier Tradition, und Traditionen sind wichtig, auch wenn man manchmal gar nicht mehr weiß, wie sie angefangen haben. So wie diese Geschichte.“ S.9
Auf kein Buch habe ich mich in diesem Monat so gefreut wie auf das. Endlich ist Kalmann wieder da!
Und seine Abenteuer sind diesmal echt nicht ohne. Puh, manchmal kann er wohl ganz froh sein, dass er nur »Fischsuppe« im Kopf hat, wie er selbst sagt. Aber der Reihenfolge nach.
Kalmann hat endlich eine Einladung von seinem Vater bekommen und reist nach Virgina. Corona hat zwar die Welt im Griff, aber er ist ja quasi irgendwie amerikanischer Staatsbürger. Ganz schön aufregend für ihn dort, denn er landet doch glatt nach einem »Familienausflug« in der Verhörzelle des FBI in Washington. Aber »kein Grund zur Sorge«, denn die hübsche Agentin will von ihm nur wissen, was ihn hierher geführt hat. Also erzählt uns Kalmann die Geschichte seines Großvaters, denn damit hat ja wohl alles angefangen.
„Ich war sehr stolz, der Enkel eines Mannes zu sein, über den die Leute sprachen. Und ich bin es noch immer, ich brauche nur an Großvater zu denken, denn Stolz ist wie ein Döschen voll Gammelhai, das man in der Hosentasche mit sich trägt. Proviant für die Seele.“ S.57
Tja, in welches Schlamassel Kalmann da wieder hineingerät, ist echt zum Schmunzeln. Kalmanns Heimreise kommt für ihn schneller als gedacht.
Zu Hause in Raufarhöfn wird’s wieder brenzlich für ihn, denn jemand ist der Meinung, dass Kalmanns Großvater vielleicht keines natürlichen Todes gestorben ist. Und eh er sich versieht, muss er tatsächlich wieder einen Mord aufklären und das ganz ohne seine Waffe, denn die hat man ihm ja nach seinem letzten »Fall« abgenommen.
Was für eine klug konstruierte Geschichte. Mich hat wirklich jede Wendung eiskalt erwischt. Aber als Tipp vorweg, ich empfehle, den ersten Teil zu lesen, da Kalmanns doch sehr spezielle Art und Weise dort bestens verständlich gemacht wird. Auch einige Figuren haben einen erneuten Auftritt, die man hier allein vielleicht nicht ganz einordnen kann. Schaden kann es jedenfalls nicht, denn Band 1 war echt toll.
Für alle, die Kalmann noch nicht kennen, er ist geistig in manchen Dingen auf dem Niveau eines Grundschülers stehengeblieben, lebt und denkt nach seinen eigenen Regeln und ist hin und wieder von der Außenwelt emotional überfordert. Schmidt schlüpft beim Erzählen in die Ich-Perspektive seines Protagonisten und als Leser*innen lernen wir, die Welt aus Kalmanns Augen zu betrachten. Das ist zunächst gewöhnungsbedürftig, da sich der Schreibstil entsprechend anpasst, hat man sich aber erst mal eingegroovt, ist es oft zum Schmunzeln, manchmal auch sehr nahegehend. Auch in diesem Buch hat mich der Autor für Kalmanns Wesen einnehmen können und Verständnis wecken können, dass der Umgang ein anderer ist, der manchmal etwas Zeit und Einfühlungsvermögen benötigt. Jedenfalls ist mir Kalmann jetzt noch mehr ans Herz gewachsen.
Schmidt schreibt sehr unterhaltsam, dass es mir auch diesmal schwerfiel, das Buch aus der Hand zu legen. Ihm gelingt es spielerisch, politische Ereignisse einfließen zu lassen, die aus Kalmanns Sicht nochmals einen anderen Touch bekommen. Corona spielt zwar als zeitlicher Hintergrund eine Rolle und wir erinnern uns sicher alle, dass wir manchmal daran verzweifelt sind, aber Schmidt zeigt auch, wie diese Einschränkungen sich auf Menschen wie Kalmann auswirken.
Zum Ende zieht die Spannung richtig an, ganz eines guten Krimis würdig. Alle Stimmungsbilder von Island katapultierten mich auch diesmal sofort ans Ende der Welt, wo (wie wir lesen können) eigentlich doch mehr passiert, als gedacht. Für mich war der zweite Teil sogar noch einen Tacken besser und ich hoffe sehr auf einen dritten.
Fazit
Wie anders doch die Welt aussieht, wenn man mal die Perspektive wechselt. Eine gelungene Fortsetzung – spannend, unterhaltsam und humorvoll.
Leider kursieren bereits einige Rezis im Netz, die die interessanteste Wendung spoilern, worüber ich mich echt ärgern könnte. Wer es also noch lesen will, sollte vielleicht einen Bogen um manche Rezis machen.