Von Kalorien bis Kautschuk: Susanne Heim untersucht die Rolle der Agrarforschung und Pflanzenzucht in der nationalsozialistischen Expansionspolitik.Politik und Wissenschaft gingen im NS-Staat eine Symbiose ein. Für ihren Beitrag zu den Kriegsanstrengungen erhielten die Wissenschaftler zusätzliche Fördergelder, wurden vom Wehrdienst freigestellt und durften an der Eroberungspolitik partizipieren. Die Besetzung weiter Teile Osteuropas eröffnete ihnen bislang wenig erforschte Gebiete, erlaubte vielen die Übernahme leitender Funktionen in Forschungsinstituten in den besetzten Ländern und gestattete auch den Daheimgebliebenen Zugang zu kostbaren Sammlungen, wissenschaftlichem Inventar und ganzen Bibliotheken.Am Beispiel verschiedener Institute der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft untersucht Susanne Heim, wie Wissenschaftler sich gegenüber den Anforderungen und Angeboten des NS-Staats verhielten. Im Zentrum stehen dabei diejenigen Institute, die Fragen der Agrar- und Ernährungswirtschaft erforschten, die für das Durchhaltevermögen im Krieg, aber auch für die künftige Gestaltung der eroberten Territorien unter deutscher Herrschaft eine wesentliche Rolle spielten. Untersucht wird die Anpassung der wissenschaftlichen Fragestellungen an die Bedürfnisse der Expansionspolitik sowie die Zusammenarbeit des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Züchtungsforschung mit dem Konzentrationslager Auschwitz bei der Entwicklung einer kautschukhaltigen Pflanze. Ferner wird den Biographien einzelner Wissenschaftler nachgegangen, die ihre Qualifikation in den Dienst eines Regimes stellten, mit dem sie keineswegs immer politisch einverstanden waren. Doch offerierte es ihnen gerade im Kontext der Ostexpansion hervorragende Möglichkeiten, wissenschaftliches Neuland zu betreten und die eigene Forscherkarriere auch im Krieg weiterzuverfolgen.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Als "vorzügliche, nüchtern abgefasste Untersuchung" lobt Rezensent Thomas Kreuder dieses Buch von Susanne Heim. Die Autorin enthüllt darin, ein "Geflecht aus imperialistischer Politik und wirtschaftlichen Interessen", denen sich "Wissenschaft und Wissenschaftler" zwischen 1933 und 1945 zur Realisierung beiderseits geteilter Interessen zur Verfügung stellten. Mit an der Spitze, berichtet die Rezensentin, standen dabei die hier behandelten Kaiser-Wilhelm-Institute (KWG), die Vorgängerin der heutigen Max-Planck-Gesellschaft. Bereitwillig stellten sich viele Wissenschaftler der KWG zur Verfügung, schädlings- und frostresistente Pflanzensorten zu entwickeln, aber auch dafür, wie Kreuder aus dem Buch berichtet, "detaillierte Untersuchungen" dazu anzustellen, "wie viele Kalorien den aus unterschiedlichen Ländern rekrutierten Zwangs- und Fremdarbeitern jeweils zur Verfügung gestellt werden müssen, um deren Arbeitskraft optimal auszubeuten". Darüber hinaus, so erfährt man, behandelt die Autorin personelle Kontinuitäten der KWG in der Max-Planck-Gesellschaft, und wie dieses Netzwerk dann nicht zuletzt auch noch zum Schutz vor näheren Nachforschungen über die Tätigkeit der ehemaligen KWG-Wissenschaftler genutzt wurde.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH