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Von Kalorien bis Kautschuk: Susanne Heim untersucht die Rolle der Agrarforschung und Pflanzenzucht in der nationalsozialistischen Expansionspolitik.Politik und Wissenschaft gingen im NS-Staat eine Symbiose ein. Für ihren Beitrag zu den Kriegsanstrengungen erhielten die Wissenschaftler zusätzliche Fördergelder, wurden vom Wehrdienst freigestellt und durften an der Eroberungspolitik partizipieren. Die Besetzung weiter Teile Osteuropas eröffnete ihnen bislang wenig erforschte Gebiete, erlaubte vielen die Übernahme leitender Funktionen in Forschungsinstituten in den besetzten Ländern und…mehr

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Produktbeschreibung
Von Kalorien bis Kautschuk: Susanne Heim untersucht die Rolle der Agrarforschung und Pflanzenzucht in der nationalsozialistischen Expansionspolitik.Politik und Wissenschaft gingen im NS-Staat eine Symbiose ein. Für ihren Beitrag zu den Kriegsanstrengungen erhielten die Wissenschaftler zusätzliche Fördergelder, wurden vom Wehrdienst freigestellt und durften an der Eroberungspolitik partizipieren. Die Besetzung weiter Teile Osteuropas eröffnete ihnen bislang wenig erforschte Gebiete, erlaubte vielen die Übernahme leitender Funktionen in Forschungsinstituten in den besetzten Ländern und gestattete auch den Daheimgebliebenen Zugang zu kostbaren Sammlungen, wissenschaftlichem Inventar und ganzen Bibliotheken.Am Beispiel verschiedener Institute der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft untersucht Susanne Heim, wie Wissenschaftler sich gegenüber den Anforderungen und Angeboten des NS-Staats verhielten. Im Zentrum stehen dabei diejenigen Institute, die Fragen der Agrar- und Ernährungswirtschaft erforschten, die für das Durchhaltevermögen im Krieg, aber auch für die künftige Gestaltung der eroberten Territorien unter deutscher Herrschaft eine wesentliche Rolle spielten. Untersucht wird die Anpassung der wissenschaftlichen Fragestellungen an die Bedürfnisse der Expansionspolitik sowie die Zusammenarbeit des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Züchtungsforschung mit dem Konzentrationslager Auschwitz bei der Entwicklung einer kautschukhaltigen Pflanze. Ferner wird den Biographien einzelner Wissenschaftler nachgegangen, die ihre Qualifikation in den Dienst eines Regimes stellten, mit dem sie keineswegs immer politisch einverstanden waren. Doch offerierte es ihnen gerade im Kontext der Ostexpansion hervorragende Möglichkeiten, wissenschaftliches Neuland zu betreten und die eigene Forscherkarriere auch im Krieg weiterzuverfolgen.
Autorenporträt
Susanne Heim ist Politikwissenschaftlerin sowie Historikerin und habilitierte an der Freien Universität Berlin. Sie publizierte zur Geschichte des Nationalsozialismus und zur Bevölkerungspolitik und Migration im 20. Jahrhundert. Seit 1999 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprogramm »Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus«.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.07.2004

Für Selbstversorger
Die Agrarwissenschaft im Dritten Reich
Im Ersten Weltkrieg war es in Deutschland zu Schwierigkeiten bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln gekommen, weil Importe aus dem Ausland ausblieben und die deutsche Landwirtschaft nicht in der Lage war, die Bevölkerung ausreichend zu versorgen. In dem geplanten neuen Krieg, mit dessen Vorbereitung sofort nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten begonnen wurde, durfte es nicht wieder zu Ernährungsengpässen kommen. Deutschland sollte autark werden. Damit die „Erzeugungsschlacht” gewonnen werden konnte, förderte man die Agrarwissenschaften. In den Jahren nach 1933 wurden zahlreiche landwirtschaftliche Forschungseinrichtungen gegründet, darunter Institute der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft.
In der Pflanzen- und Tierzüchtung, in der Agrartechnik und in den landwirtschaftlichen Arbeitswissenschaften wurden in den Jahren nach 1933 erhebliche Fortschritte gemacht. Die Wissenschaftler priesen ihre Forschungen ihren Förderern an. Das mag zwar wie ein Pakt mit dem Teufel aussehen, ist aber eine stets wichtige Grundvoraussetzung für erfolgreiches wissenschaftliches Arbeiten. Die meisten Institute wurden nach dem Krieg weitergeführt, und ihre späteren Forschungsarbeiten knüpften unmittelbar an diejenigen an, die vor 1945 durchgeführt worden waren. Die umfassende Agrarmodernisierung in der Nachkriegszeit geht entscheidend auf die Förderung der landwirtschaftlichen Forschung in den 30er und frühen 40er Jahren des letzten Jahrhunderts zurück.
Susanne Heim hat den Ablauf der Kooperationen zwischen dem NS-Staat, den Forschungseinrichtungen und den dort arbeitenden Wissenschaftlern untersucht. Die Resultate ihrer Forschungen sind die Basis einer faszinierend zu lesenden Darstellung, die für Historiker und Naturwissenschaftler gleichermaßen interessant ist. Susanne Heim befasst sich zunächst mit der Kalorienversorgung der Bevölkerung, dann mit dem schließlich aufgegebenen Experiment der Kautschukgewinnung aus Taraxacum kok-saghys, einer mit dem Löwenzahn nahe verwandten Pflanze. In einem dritten Kapitel geht es um zwei unterschiedliche Forscherkarrieren, die der Genetiker Hans Stubbe und Klaus von Rosenstiel. Am Ende des Buches behandelt Susanne Heim allgemeine Probleme des Verhältnisses von Politik und Forschung im Dritten Reich. Gerade die Betrachtung der landwirtschaftlichen Forschung lehrt, dass der NS-Staat keineswegs nur als forschungsfeindlich einzuschätzen ist.
Zu verwerfen ist allerdings, unter welchen Umständen einige Forschungen durchgeführt wurden: In der Sowjetunion raubte oder vernichtete man wertvolle Pflanzenproben, und es gab wissenschaftliche Zwangsarbeit, beispielsweise in Auschwitz. Auf der anderen Seite wurden wichtige Erkenntnisse über die Welternährung gewonnen. Die damals als anwendungsorientierte Forschungen verstandenen Arbeiten über die Stoffkreisläufe in Seen sind heute Basis sehr wichtiger Modelle in der Ökologie.
Susanne Heims Ziel ist es nicht, zu abschließenden Urteilen zu kommen. Viel entscheidender ist es für sie, allgemeine Überlegungen zum Verhältnis von Staat und Forschung anzuregen. Immer, so mag man feststellen, ist es problematisch, wenn der Staat auf Bündelung von Forschung zielt und große Institute gründet oder fördert, da ihm dies umfangreiche Einflussnahme ermöglicht. Gerade aus diesem Grunde wäre es wichtig, wenn Susanne Heims Buch unter Naturwissenschaftlern weite Verbreitung finden würde.
HANSJÖRG KÜSTER
SUSANNE HEIM: Kalorien, Kautschuk, Karrieren. Pflanzenzüchtung und landwirtschaftliche Forschung in Kaiser-Wilhelm-Instituten 1933-1945. Wallstein Verlag, Göttingen 2003. 280 S., 24Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Als "vorzügliche, nüchtern abgefasste Untersuchung" lobt Rezensent Thomas Kreuder dieses Buch von Susanne Heim. Die Autorin enthüllt darin, ein "Geflecht aus imperialistischer Politik und wirtschaftlichen Interessen", denen sich "Wissenschaft und Wissenschaftler" zwischen 1933 und 1945 zur Realisierung beiderseits geteilter Interessen zur Verfügung stellten. Mit an der Spitze, berichtet die Rezensentin, standen dabei die hier behandelten Kaiser-Wilhelm-Institute (KWG), die Vorgängerin der heutigen Max-Planck-Gesellschaft. Bereitwillig stellten sich viele Wissenschaftler der KWG zur Verfügung, schädlings- und frostresistente Pflanzensorten zu entwickeln, aber auch dafür, wie Kreuder aus dem Buch berichtet, "detaillierte Untersuchungen" dazu anzustellen, "wie viele Kalorien den aus unterschiedlichen Ländern rekrutierten Zwangs- und Fremdarbeitern jeweils zur Verfügung gestellt werden müssen, um deren Arbeitskraft optimal auszubeuten". Darüber hinaus, so erfährt man, behandelt die Autorin personelle Kontinuitäten der KWG in der Max-Planck-Gesellschaft, und wie dieses Netzwerk dann nicht zuletzt auch noch zum Schutz vor näheren Nachforschungen über die Tätigkeit der ehemaligen KWG-Wissenschaftler genutzt wurde.

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