Im November 1959 wird in Holcomb, Kansas, die vierköpfige Familie Clutter brutal ermordet. Wenige Wochen später werden die Täter Dick Hickock und Perry Smith auf der Flucht geschnappt. Truman Capote erfährt aus der New York Times von dem Verbrechen und beschließt, am Tatort zu recherchieren. Er spricht mit Bekannten und Freunden der Familie, mit der Polizei. Schließlich erhält er Gelegenheit, mit den beiden Mördern zu reden. Mit der Zeit gelingt es ihm, so viel Nähe zu ihnen herzustellen, dass sie ihm präzise Innenansichten ihrer Seele erlauben. Fast sechs Jahre nach ihrer Tat begleitet er sie bis an den Galgen.Capotes herausragende Rekonstruktion eines Mordes wurde eine Sensation und begründete ein neues literarisches Genre: die "non-fiction novel", den Tatsachenroman. In einer atemberaubenden Sprache erzählt er, wie aus Menschen Mörder werden. Mit Kaltblütig landete Capote einen internationalen Bestseller.
»Unglaublich packend, ich habe es zum zweiten Mal gelesen und ich würde es gerne gleich zum dritten Mal lesen.« Milo Rau, SRF Literaturclub, 03.09.2024 SRF Literaturclub 20240903
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.07.2007Jungs mit wundem Herzen
Glanz und reichlich Elend der neuen Truman-Capote-Ausgabe
Irgendwann hat sich mal jemand um drei Jahre verrechnet. Seitdem steht in jedem Klappentext zu einem Buch von Truman Capote (1924 bis 1984), dass dieser mit neunzehn Jahren für "Miriam" den O. Henry Prize gewonnen hat. Gleich zwei Fehler stecken darin: Der Autor bekam für sein in "Mademoiselle" gedrucktes Erzähldebüt nicht den Hauptpreis, sondern einen Nebenpreis in der Kategorie Best First-Published Story. Und diesen bekam er 1946. Da war er also schon zweiundzwanzig. Eine Kleinigkeit, gewiss. Aber erstaunlich ist, wie hartnäckig sich dieser Fehler hält. Er fand sogar Eingang in die achtbändige Werkausgabe, die der Schweizer Verlag Kein & Aber mit dem Slogan "Truman Capote - sein Werk neu ediert, komplettiert und überarbeitet" anpreist. Kein gutes Zeichen.
Schon die im Frühjahr 2006 an den deutschen Filmstart von Bennett Millers "Truman Capote" gekoppelte Eröffnung des Projekts mit dem erst kürzlich aufgetauchten Roman "Sommerdiebe" ließ erkennen, dass Marketing bei dem Vorhaben eine wesentliche Schubkraft sein würde. Gleichwohl wurde der schmale, vom Verlag als "Capotes wahres Debüt" angepriesene Roman von der Kritik völlig zu Recht gut aufgenommen und dem Gesamtprojekt großzügig Vorschusslorbeeren gewährt - auch von dieser Zeitung (F.A.Z. vom 15. April 2006).
Doch nun, da mit dem Roman "Kaltblütig" und dem Erzählungsband "Baum der Nacht" der sprichwörtlichen Schweizer Gemächlichkeit zum Trotz der Editionsplan nach nur einem Jahr schon zu drei Vierteln realisiert ist, weicht die anfängliche Begeisterung einer Enttäuschung: Sieht man einmal von "Sommerdiebe" ab, hat die Werkausgabe nämlich einen schlichten Fehler: Wir brauchen sie nicht wirklich. Gewiss liegen die Einzelbände gut in der Hand und sind hübsch aufgemacht - eine Äußerlichkeit, welche die "Zeit" raunen ließ: "dieses edle Buch, hellgrünes Leinen". Offenbar ist man dort leicht zu beeindrucken, denn an gleicher Stelle wurde die "neue Biographie von Gerald Clarke" gelobt - ein immerhin fast zwanzig Jahre altes Buch über Capote, das 1990 bei Kindler und 1993 als Taschenbuch bei Knaur auf Deutsch erschienen war und nun von Kein & Aber, etwas aufpoliert, aber in der alten Übersetzung, der Werkausgabe zur Seite gestellt wurde.
Erfreulich ist sicher die Neuauflage der vergriffenen Romane "Andere Stimmen, andere Räume" und "Erhörte Gebete" (erscheint im Oktober) sowie jetzt der Erzählungen. Die andere Hälfte seines Werks aber gibt es anderswo günstiger: "Frühstück bei Tiffany", "Kaltblütig" und die Reportagen "Wenn die Hunde bellen" (erscheint ebenfalls im Oktober) als Rowohlt-Taschenbücher, "Die Grasharfe" bei Suhrkamp. Warum neue Hemden kaufen, wenn es die alten noch tun? Auch das Wort von der "Wiederentdeckung" ist bei diesem medialen Autor fehl am Platz. Wann war dieser geniale, süchtige Schwule denn je vergessen? John O'Hara, ja, den hatte man nicht mehr auf dem Zettel. Oder Richard Yates, den Stewart O'Nan und Richard Ford aus der Versenkung geholt haben. Das waren Entdeckungen!
Blieben als Argument für die Werkausgabe noch die neuen Übersetzungen. Doch die sind ja nicht per se besser, auch wenn schreiende Metallic-Banner uns dies weismachen wollen. Sie können notwendig sein wie bei Salingers Roman "The Catcher in the Rye", den Eike Schönfeld in seiner deutschen Neufassung erstmals auf der Basis des Originals (F.A.Z. vom 25. Februar 2003) von Kürzungen und Entstellungen befreit hat. Aber gegen die von Kurt Heinrich Hansen 1966 für den Limes Verlag angefertigte "Kaltblütig"-Fassung etwa war nie etwas einzuwenden. Möglicherweise ist Thomas Mohrs neue, wegen des kleineren Satzspiegels fast einhundertfünfzig Seiten längere Fassung eine Spur frischer, aber dies auch nur in Nuancen.
Wenn man aber als Verlag überzeugt ist, dass vierzig Jahre nach dem Erscheinen dieses Tatsachenromans, in dem Capote akribisch und bis heute erschütternd dem Vierfachmord an der Farmersfamilie Clutter in Holcomb, Kansas, nachforscht, eine Notwendigkeit zur Erneuerung besteht, warum erklärt man dann nicht, worin sie liegt? Kein Wort dazu, auch wieder kein Nachwort, in dem etwa an die außergewöhnliche Recherche erinnert würde - vor allem die Hilfe, die Harper Lee, Autorin von "To Kill a Mockingbird" (1960), ihrem Jugendfreund Capote bei der Recherche vor Ort gewährte, bevor "In Cold Blood" 1965 im Magazin "The New Yorker" in vier Ausgaben vorabgedruckt und ein Jahr später als Buch erscheinen konnte.
Nein, diese Capote-Werkausgabe ist ein Luxusprodukt, dem für wirkliche Klasse das nötige Extra fehlt. Abgesehen von der sechsseitigen "editorischen Notiz" der Herausgeberin Anuschka Roshani in Band eins, die sich ohnehin nur auf "Sommerdiebe" bezieht, hat kein Band eine Einführung oder ein Nachwort, es gibt keine Zeittafel und kein Register, und die Quellenhinweise sind arg knapp gehalten.
Besonders störend fällt dies bei dem Erzählungsband "Baum der Nacht" auf, der neben "Miriam" auch die Geschichte "Die Tür fällt zu" enthält, für die Capote 1948, also mit vierundzwanzig, seinen ersten richtigen O. Henry Prize gewann. Immerhin werden sechs der zwanzig Geschichten - die meisten entstanden zwischen 1943 und 1951 und sind in den Südstaaten angesiedelt, der Heimat des Autors - hier erstmals auf Deutsch präsentiert. Leider erfahren wir nicht, wo die Frühwerke so lange geschlummert haben.
Und warum hat Capote für die Geschichte "The Bargain", hier als "Das Schnäppchen" erstmals auf Deutsch vorgelegt, zeitlebens keinen Abnehmer gefunden? Warum deckt sie sich thematisch so auffallend mit "Ein eigener Nerz"? Irgendein schlauer Kopf dürfte das in den dreiundzwanzig Jahren nach dem Tod des Autors doch wohl rausgefunden haben. Nun gut. "Die Wände sind kalt" (1943), "Ein eigener Nerz" (1944) und "Der Stand der Dinge" (1944), die jeweils kaum acht Seiten umfassen, sind ohnehin eher Skizzen als ausgereifte Storys. Darin kommen etwa junge Männer, die als Soldaten in Europa waren, mit Verwundungen am Herzen zurück. Und die Frauen kommen mit diesen Matrosen oder höheren Dienstgraden nicht klar. Capotes so grundverschiedener Kollege J. D. Salinger, mit dem ihn aber die Verehrung für den legendären William Shawn vom "New Yorker" verband, wünschte sich später für ähnliche Jugendprodukte, die als Zeitschriftenbeitrag gutes Geld eingebracht hatten, dass sie "eines natürlichen Todes" sterben mögen, weshalb der inzwischen achtundachtzigjährige Einsiedler den Nachdruck in Büchern untersagte.
Chaplinesken Charme hat immerhin die Geschichte "Preachers Begegnung" (1945), in der ein alter, verwitweter schwarzer Landbesitzer bereit ist, "Mistah Jesus" zu folgen, sich aber in letzter Minute gegen einen endgültigen Abgang entscheidet. Hier zeigt der vielgerühmte Stilist Capote erstaunliche botanische Kenntnisse.
Wer in Zürich die Tram Nummer 9 nimmt, kann in kurzer Zeit von der Bäckerstraße, wo Kein & Aber sitzt, zur Sprecherstraße gelangen. Dort ist der Diogenes Verlag beheimatet, der vorbildliche Gesamtausgaben zu gestalten weiß. Daniel Keel und seine Leute haben schon aus Groschenromanen Literatur gemacht, wie die Neuausgaben zu Raymond Chandler und Dashiell Hammett gezeigt haben.
Ein Vorschlag zur Güte: Kein & Aber sollte als Ergänzung bald die Briefe übersetzen lassen, die Capote-Biograph Clarke unter dem Titel "Too Brief a Treat: The Letters of Truman Capote" vor drei Jahren bei Random House vorgelegt hat. Die enthalten feinsten Klatsch und Tratsch aus dem Treppenhaus der New Yorker Literatenszene - süchtig machend wie Kartoffelchips. Oder Deborah Davis' Buch "Party of the Century" über Capotes Inaugurationsfeier am 28. November 1966 mit fünfhundertvierzig Freunden im Plaza Hotel. Oder George Plimptons einhundert Interviews mit Leuten, die den kleinen Mann mit der großen Wirkung kannten, auf denen Douglas McGrath' Film "Infamous" basiert. Das wären echte Knaller, so neu und aufregend für deutsche Leser wie "Sommerdiebe".
REINHARD HELLING
Truman Capote: "Kaltblütig". Wahrheitsgemäßer Bericht über einen mehrfachen Mord und seine Folgen. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Thomas Mohr. Kein & Aber, Zürich 2007. 535 S., geb., 22,80 [Euro].
Truman Capote: "Baum der Nacht". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ursula-Maria Mössner. Kein & Aber, Zürich 2007. 445 S., geb., 22,80 [Euro].
Gerald Clarke: "Truman Capote". Eine Biografie. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Brigitte Stein. Kein & Aber, Zürich 2007. 768 S., geb., 28,- [Euro].
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Glanz und reichlich Elend der neuen Truman-Capote-Ausgabe
Irgendwann hat sich mal jemand um drei Jahre verrechnet. Seitdem steht in jedem Klappentext zu einem Buch von Truman Capote (1924 bis 1984), dass dieser mit neunzehn Jahren für "Miriam" den O. Henry Prize gewonnen hat. Gleich zwei Fehler stecken darin: Der Autor bekam für sein in "Mademoiselle" gedrucktes Erzähldebüt nicht den Hauptpreis, sondern einen Nebenpreis in der Kategorie Best First-Published Story. Und diesen bekam er 1946. Da war er also schon zweiundzwanzig. Eine Kleinigkeit, gewiss. Aber erstaunlich ist, wie hartnäckig sich dieser Fehler hält. Er fand sogar Eingang in die achtbändige Werkausgabe, die der Schweizer Verlag Kein & Aber mit dem Slogan "Truman Capote - sein Werk neu ediert, komplettiert und überarbeitet" anpreist. Kein gutes Zeichen.
Schon die im Frühjahr 2006 an den deutschen Filmstart von Bennett Millers "Truman Capote" gekoppelte Eröffnung des Projekts mit dem erst kürzlich aufgetauchten Roman "Sommerdiebe" ließ erkennen, dass Marketing bei dem Vorhaben eine wesentliche Schubkraft sein würde. Gleichwohl wurde der schmale, vom Verlag als "Capotes wahres Debüt" angepriesene Roman von der Kritik völlig zu Recht gut aufgenommen und dem Gesamtprojekt großzügig Vorschusslorbeeren gewährt - auch von dieser Zeitung (F.A.Z. vom 15. April 2006).
Doch nun, da mit dem Roman "Kaltblütig" und dem Erzählungsband "Baum der Nacht" der sprichwörtlichen Schweizer Gemächlichkeit zum Trotz der Editionsplan nach nur einem Jahr schon zu drei Vierteln realisiert ist, weicht die anfängliche Begeisterung einer Enttäuschung: Sieht man einmal von "Sommerdiebe" ab, hat die Werkausgabe nämlich einen schlichten Fehler: Wir brauchen sie nicht wirklich. Gewiss liegen die Einzelbände gut in der Hand und sind hübsch aufgemacht - eine Äußerlichkeit, welche die "Zeit" raunen ließ: "dieses edle Buch, hellgrünes Leinen". Offenbar ist man dort leicht zu beeindrucken, denn an gleicher Stelle wurde die "neue Biographie von Gerald Clarke" gelobt - ein immerhin fast zwanzig Jahre altes Buch über Capote, das 1990 bei Kindler und 1993 als Taschenbuch bei Knaur auf Deutsch erschienen war und nun von Kein & Aber, etwas aufpoliert, aber in der alten Übersetzung, der Werkausgabe zur Seite gestellt wurde.
Erfreulich ist sicher die Neuauflage der vergriffenen Romane "Andere Stimmen, andere Räume" und "Erhörte Gebete" (erscheint im Oktober) sowie jetzt der Erzählungen. Die andere Hälfte seines Werks aber gibt es anderswo günstiger: "Frühstück bei Tiffany", "Kaltblütig" und die Reportagen "Wenn die Hunde bellen" (erscheint ebenfalls im Oktober) als Rowohlt-Taschenbücher, "Die Grasharfe" bei Suhrkamp. Warum neue Hemden kaufen, wenn es die alten noch tun? Auch das Wort von der "Wiederentdeckung" ist bei diesem medialen Autor fehl am Platz. Wann war dieser geniale, süchtige Schwule denn je vergessen? John O'Hara, ja, den hatte man nicht mehr auf dem Zettel. Oder Richard Yates, den Stewart O'Nan und Richard Ford aus der Versenkung geholt haben. Das waren Entdeckungen!
Blieben als Argument für die Werkausgabe noch die neuen Übersetzungen. Doch die sind ja nicht per se besser, auch wenn schreiende Metallic-Banner uns dies weismachen wollen. Sie können notwendig sein wie bei Salingers Roman "The Catcher in the Rye", den Eike Schönfeld in seiner deutschen Neufassung erstmals auf der Basis des Originals (F.A.Z. vom 25. Februar 2003) von Kürzungen und Entstellungen befreit hat. Aber gegen die von Kurt Heinrich Hansen 1966 für den Limes Verlag angefertigte "Kaltblütig"-Fassung etwa war nie etwas einzuwenden. Möglicherweise ist Thomas Mohrs neue, wegen des kleineren Satzspiegels fast einhundertfünfzig Seiten längere Fassung eine Spur frischer, aber dies auch nur in Nuancen.
Wenn man aber als Verlag überzeugt ist, dass vierzig Jahre nach dem Erscheinen dieses Tatsachenromans, in dem Capote akribisch und bis heute erschütternd dem Vierfachmord an der Farmersfamilie Clutter in Holcomb, Kansas, nachforscht, eine Notwendigkeit zur Erneuerung besteht, warum erklärt man dann nicht, worin sie liegt? Kein Wort dazu, auch wieder kein Nachwort, in dem etwa an die außergewöhnliche Recherche erinnert würde - vor allem die Hilfe, die Harper Lee, Autorin von "To Kill a Mockingbird" (1960), ihrem Jugendfreund Capote bei der Recherche vor Ort gewährte, bevor "In Cold Blood" 1965 im Magazin "The New Yorker" in vier Ausgaben vorabgedruckt und ein Jahr später als Buch erscheinen konnte.
Nein, diese Capote-Werkausgabe ist ein Luxusprodukt, dem für wirkliche Klasse das nötige Extra fehlt. Abgesehen von der sechsseitigen "editorischen Notiz" der Herausgeberin Anuschka Roshani in Band eins, die sich ohnehin nur auf "Sommerdiebe" bezieht, hat kein Band eine Einführung oder ein Nachwort, es gibt keine Zeittafel und kein Register, und die Quellenhinweise sind arg knapp gehalten.
Besonders störend fällt dies bei dem Erzählungsband "Baum der Nacht" auf, der neben "Miriam" auch die Geschichte "Die Tür fällt zu" enthält, für die Capote 1948, also mit vierundzwanzig, seinen ersten richtigen O. Henry Prize gewann. Immerhin werden sechs der zwanzig Geschichten - die meisten entstanden zwischen 1943 und 1951 und sind in den Südstaaten angesiedelt, der Heimat des Autors - hier erstmals auf Deutsch präsentiert. Leider erfahren wir nicht, wo die Frühwerke so lange geschlummert haben.
Und warum hat Capote für die Geschichte "The Bargain", hier als "Das Schnäppchen" erstmals auf Deutsch vorgelegt, zeitlebens keinen Abnehmer gefunden? Warum deckt sie sich thematisch so auffallend mit "Ein eigener Nerz"? Irgendein schlauer Kopf dürfte das in den dreiundzwanzig Jahren nach dem Tod des Autors doch wohl rausgefunden haben. Nun gut. "Die Wände sind kalt" (1943), "Ein eigener Nerz" (1944) und "Der Stand der Dinge" (1944), die jeweils kaum acht Seiten umfassen, sind ohnehin eher Skizzen als ausgereifte Storys. Darin kommen etwa junge Männer, die als Soldaten in Europa waren, mit Verwundungen am Herzen zurück. Und die Frauen kommen mit diesen Matrosen oder höheren Dienstgraden nicht klar. Capotes so grundverschiedener Kollege J. D. Salinger, mit dem ihn aber die Verehrung für den legendären William Shawn vom "New Yorker" verband, wünschte sich später für ähnliche Jugendprodukte, die als Zeitschriftenbeitrag gutes Geld eingebracht hatten, dass sie "eines natürlichen Todes" sterben mögen, weshalb der inzwischen achtundachtzigjährige Einsiedler den Nachdruck in Büchern untersagte.
Chaplinesken Charme hat immerhin die Geschichte "Preachers Begegnung" (1945), in der ein alter, verwitweter schwarzer Landbesitzer bereit ist, "Mistah Jesus" zu folgen, sich aber in letzter Minute gegen einen endgültigen Abgang entscheidet. Hier zeigt der vielgerühmte Stilist Capote erstaunliche botanische Kenntnisse.
Wer in Zürich die Tram Nummer 9 nimmt, kann in kurzer Zeit von der Bäckerstraße, wo Kein & Aber sitzt, zur Sprecherstraße gelangen. Dort ist der Diogenes Verlag beheimatet, der vorbildliche Gesamtausgaben zu gestalten weiß. Daniel Keel und seine Leute haben schon aus Groschenromanen Literatur gemacht, wie die Neuausgaben zu Raymond Chandler und Dashiell Hammett gezeigt haben.
Ein Vorschlag zur Güte: Kein & Aber sollte als Ergänzung bald die Briefe übersetzen lassen, die Capote-Biograph Clarke unter dem Titel "Too Brief a Treat: The Letters of Truman Capote" vor drei Jahren bei Random House vorgelegt hat. Die enthalten feinsten Klatsch und Tratsch aus dem Treppenhaus der New Yorker Literatenszene - süchtig machend wie Kartoffelchips. Oder Deborah Davis' Buch "Party of the Century" über Capotes Inaugurationsfeier am 28. November 1966 mit fünfhundertvierzig Freunden im Plaza Hotel. Oder George Plimptons einhundert Interviews mit Leuten, die den kleinen Mann mit der großen Wirkung kannten, auf denen Douglas McGrath' Film "Infamous" basiert. Das wären echte Knaller, so neu und aufregend für deutsche Leser wie "Sommerdiebe".
REINHARD HELLING
Truman Capote: "Kaltblütig". Wahrheitsgemäßer Bericht über einen mehrfachen Mord und seine Folgen. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Thomas Mohr. Kein & Aber, Zürich 2007. 535 S., geb., 22,80 [Euro].
Truman Capote: "Baum der Nacht". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ursula-Maria Mössner. Kein & Aber, Zürich 2007. 445 S., geb., 22,80 [Euro].
Gerald Clarke: "Truman Capote". Eine Biografie. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Brigitte Stein. Kein & Aber, Zürich 2007. 768 S., geb., 28,- [Euro].
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