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Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Erst seit wenigen Jahren würden in Spanien die Leichen von erschossenen Republikanern ausgegraben, um sie ehrenvoll zu begraben, skizziert Rezensent Walter Haubrich die Relevanz des Bandes. Das Jahr 2006 sei wiederum erst kürzlich im Mai zum Jahr der Erinnerung ausgerufen worden. Für die breite Bevölkerung, stimmt der Rezensent einem Kapitel des Buches zu, seien bisher vor allem Filme und Romane für die Erinnerung an die jüngste Vergangenheit wichtig gewesen. Mit der Darstellung des Bürgerkrieges und der Repressionen der Nachkriegszeit, dem ersten Teil, zeigt sich der Rezensent sehr zufrieden. Selbst für den Kenner sei hier viel Neues zu erfahren. Beim zweiten Teil über die Art und Weise der Erinnerung nach der Diktatur hätte sich der Rezensent allerdings mehr Raum für die unmittelbare Gegenwart gewünscht, für die Bürgerorganisationen und die Rolle der Regionalregierungen. Hier baue der Autor zudem allzu sehr auf Sekundärquellen und regionale Meinungsumfragen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.07.2006

Der kleine Caudillo und das große Schweigen
Spaniens grausamer Bürgerkrieg und die Erinnerungskultur in den dreißig Jahren seit Francos Tod

Über hunderttausend Kriegsgegner - unter ihnen zahlreiche der Republik loyal gebliebene Offiziere und Soldaten sowie Gewerkschaftsmitglieder - ließ der Bürgerkriegssieger General Franco nach dem Ende der Kampfhandlungen standrechtlich erschießen. Mehrere hunderttausend Kriegsverlierer wurden für lange Jahre in Gefängnisse gesteckt, fast eine halbe Million ins Exil getrieben. Die Erinnerungen an den grausamen Bürgerkrieg und an die fast vierzigjährige Diktatur wurden in den ersten Jahren der neuen spanischen Demokratie verdrängt, aus der politischen Debatte ausgeschlossen. Man hat das den Spaniern - vor allem der politischen Linken, die den Bürgerkrieg verloren hatte und danach brutal verfolgt worden war - häufig vorgeworfen.

Die Gründe für das Schweigen über die jüngste Vergangenheit sind bekannt: Die faktische Macht, die militärische wie die wirtschaftliche, lag nach dem Tod des Diktators zunächst weiter in den Händen der Anhänger Francos. Daß diese die Demokratie nicht widerspruchslos akzeptieren und die öffentliche Diskussion über Krieg und Diktatur verhindern wollten, zeigt der gescheiterte Putsch eines großen Teils der Streitkräfte im Februar 1981. In den ersten Jahren der von einer absoluten Mehrheit im Parlament gestützten Regierung González war die Furcht vor einem Aufstand der Militärs stark. In der zweiten Hälfte der Regierung González war die Demokratie schon gefestigt und ihre offenen Feinde von den Schaltstätten der Macht entfernt. In den acht Jahren der rechtskonservativen Regierung Aznar galt die Erinnerung an Krieg und Diktatur offiziell als "Aufreißen alter Wunden" und "Attentat auf die Versöhnung der Spanier".

Die Spanier sind allerdings immer noch kein "versöhntes" Volk. Die meisten Wähler und viele Parteifreunde Aznars kamen aus Familien, welche als Nutznießer des Franco-Regimes die Diktatur und deren repressive Methoden unterstützt hatten. Nach den Wahlen vom 14. März 2004 bilden die Sozialisten - die größte Partei der von Francos Aufständischen zerschlagenen Republik - wieder die Regierung. Ministerpräsident Zapatero ist Enkel eines Militärs, der von seinen aufständischen Kameraden erschossen wurde, weil er sich dem Putsch gegen die legitime und demokratisch gewählte Regierung der Republik nicht anschließen wollte. Es wurde in Spanien jetzt immer schwerer, die Augen vor dieser Vergangenheit, dem Bürgerkrieg und der Diktatur zu verschließen. In diesem Mai haben alle Parteien im spanischen Senat mit Ausnahme der Volkspartei (PP) das Jahr 2006 zum "Jahr der historischen Erinnerung" erklärt und beschlossen, die II. Republik (1931 bis 1939) und die Phase nach der Diktatur (ab 1975) wegen des Kampfes für die Demokratie zu ehren. Seit einigen Jahren werden die Leichen der Opfer von Massenhinrichtungen in vielen Orten Spaniens gefunden. Kinder und Enkel von erschossenen Republikanern graben die Leichen von Vätern und Großvätern aus und verlangen ein normales Begräbnis auf den Friedhöfen.

Auch die Geschichtsschreibung beschäftigt sich nun etwas mehr mit den Hinrichtungen durch die Sieger. Francos böser Satz (von Dionisio Ridruego überliefert) "Meine Hand wird nicht zittern, wenn ich Todesurteile für die Hälfte der Spanier unterschreiben muß" wird jetzt in seinen schlimmen Folgen deutlich, auch wenn er schließlich nicht die Hälfte der Spanier - also das andere der sogenannten "beiden Spanien" - hinrichten konnte. Seine Hand zitterte allerdings in seinen letzten Lebensjahren, als Folge einer Parkinson-Erkrankung, ständig. Was ihn nicht hinderte, bis wenige Wochen vor seinem Ableben noch Todesurteile zu unterzeichnen.

In dem Buch "Kampf der Erinnerungen" schreibt Walther Bernecker - ein ausgewiesener Kenner der zeitgenössischen Geschichte Spaniens - über den Bürgerkrieg und die Repression der Nachkriegszeit. Die von ihm verfaßten Kapitel bringen auch für die Leser seiner früheren Bücher einiges Neues, vor allem über das, was er "das erzwungene Gedächtnis des Franquismus" nennt. Sören Brinkmann beschäftigt sich dann mit der "Erinnerungskultur" in den dreißig Jahren seit dem Tod des Diktators. Er stellt heraus, mit welchen Mitteln die konservative Volkspartei während ihrer Regierungszeit (1996 bis 2004) die Erinnerungen verdrängen und die Beschäftigung mit der jüngsten Vergangenheit verhindern wollte.

Über die Bemühungen der seit Mai 2004 amtierenden Regierung Zapatero, die zusammen mit Bürgerorganisationen wie etwa der "Vereinigung für Rückgewinnung zur historischen Erinnerung" und unterstützt von manchen Regionalregierungen die jüngste spanische Geschichte wieder der Bevölkerung, vor allem der jüngeren, vermitteln will, schreibt Brinkmann zu wenig. So ganz bis 2006, wie das Vorwort angibt, reicht das Buch denn doch nicht. Bei der resümierenden Darstellung der Nach-Franco-Zeit spürt man, daß fast alles aus geschriebenen Quellen übernommen ist. Manche Ungenauigkeiten aus Zeitungen und Zeitschriften werden dabei übernommen.

Brinkmann denunziert Geschichtsschreiber, welche die eine Seite im Bürgerkrieg reinwaschen wollten, wie Francos Hofhistoriker Ricardo de la Cierva oder der vom linksradikalen Terroristen zum rechtsextremen Geschichtsfälscher gewordene Pío Moa. Bei der Darstellung der Volksmeinung vertraut Brinkmann zu sehr den Umfragen oder gar den Leserbriefen in Provinzzeitungen. Wie so viele deutsche Historiker oder Politologen überschätzt er die Bedeutung der regionalistischen Beweggründe für politisches Handeln in Spanien. Besonders deutlich wird diese falsche Wertung in den Ausführungen über den Streit um die - inzwischen erfolgte - Überführung eines Teils des Bürgerkriegsarchivs von Salamanca nach Barcelona. Die Proteste gegen diese Überführung kommen nicht von den "Kastiliern" (wie Brinkmann meint), sondern von der spanischen Volkspartei (PP), die diesen Fall zu einer Mobilisierung gegen die Regierung Zapatero ausnutzte. Salamanca liegt zwar in Kastilien-León, wenn auch nicht in Nordkastilien, wie Brinkmann glaubt. Nicht weil sie Kastilier waren, demonstrierten viele Spanier gegen die Überführung, sondern weil sie sich der konservativen Volkspartei verbunden fühlten. Die großen Demonstrationen im Juli 2005 mit fast 80 000 Teilnehmern fanden jedoch nicht in Salamanca, sondern in der Vier-Millionen-Metropole Madrid statt. So wichtig waren die Archivalien den Leuten in Salamanca denn auch wieder nicht. Brinkmann wendet sich aber erfreulicherweise gegen das verbreitete Gerücht, Basken und Katalanen seien von Franco viel härter verfolgt worden als die übrigen Spanier.

Eigentlich sollten sich Historiker in der Geographie des Landes auskennen, über das sie schreiben. Jedenfalls ließe sich dann Unsinn vermeiden wie dieser: "Der freudigen Zustimmung in Katalonien" - zu der Entscheidung einer Historikerkommission zugunsten der Überführung der Papiere - "stand in Kastilien-La Mancha blankes Entsetzen gegenüber, das auf allen politischen Ebenen der Region eine beinahe hysterische Betriebsamkeit auslöste." Warum sollte man in Kastilien-La Mancha entsetzt sein? Salamanca liegt nicht in dieser Region, sondern in Kastilien und León. Kastilien-La Mancha wird übrigens seit über zwanzig Jahren von den Sozialisten regiert, die stets für die Überführung waren. Die Volkspartei regiert in Kastilien-León und protestierte heftig gegen die Verlagerung der Papiere nach Katalonien.

Richtig erkannt hat Brinkmann die große Bedeutung von Filmen und Romanen wie "Los santos inocentes", "Luna de lobos", "La vieja memoria", "Dragon rapide" und "Caudillo", die sich mit der jüngsten Vergangenheit beschäftigen. Man hätte sich gewünscht, daß er etwas genauer auf diese Werke eingegangen wäre, die viel zur Erinnerung der Spanier beitrugen.

WALTER HAUBRICH

Walther L. Bernecker/Sören Brinkmann: Kampf der Erinnerungen. Der Spanische Bürgerkrieg in Politik und Gesellschaft 1936-2006. Verlag Graswurzelrevolution, Nettersheim 2006. 377 S., 20,50 [Euro].

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