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Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen konnte den Bau der Mauer 1961 nur schwer verkraften.
Von Detlef Kühn
Abgeschlossene Teilbereiche üben auf Historiker einen besonderen Reiz aus. Dies gilt auch für die Geschichte der deutschen Teilung. Dennoch hat es gedauert, bis jenem Ministerium eine Monographie gewidmet wurde, das im Westen Deutschlands eigens mit dem Ziel etabliert wurde, die Wiedervereinigung herbeizuführen: das Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen (BMG) oder - ab 1969 - Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (BMB). Stefan Creuzberger legt nun ein informatives und gut lesbares Werk vor, das allerdings nur die erste Hälfte der Existenz dieses Ministeriums behandelt. Diese Zeit ist aber auch spannend genug und die Quellenlage recht gut.
In den fünfziger Jahren spielte das BMG unter den Ministern Jakob Kaiser und Ernst Lemmer eine wichtige Rolle im Kalten Krieg. Das Ziel war klar: Rettung der staatlichen Einheit Deutschlands und, bis dahin, Wahrung des Zusammenhalts der Deutschen in Ost und West. Da man kein kommunistisches Deutschland wollte, musste der Kommunismus nicht nur in der "Zone", sondern auch in Westdeutschland entschlossen bekämpft werden. Für beide Bereiche fühlte sich das BMG zuständig. Ansonsten kümmerte es sich auch um das Saarland, Nord-Schleswig, Eupen und sogar Südtirol - Tätigkeitsfelder, die allerdings von Creuzberger ausgeklammert werden. Vor allem betrachtete man sich als Kämpfer in der Psychologischen Kriegführung gegen den Kommunismus. Das war nicht nur Abwehrkampf. Dieser Teil des Kalten Kriegs wurde offensiv gegen die kommunistischen Machthaber geführt und war Teil der amerikanischen weltweiten Liberation-Politik, die für die Wiedervereinigung nutzbar gemacht werden sollte. Für die politischen Köpfe im BMG, vor allem den sehr engagierten Ewert von Dellingshausen, ergab sich daraus eine enge Zusammenarbeit mit den Amerikanern, die ihrerseits ein Interesse hatten, das deutsche antikommunistische Potential vor allem in West-Berlin zu nutzen - und sich das auch viel Geld kosten ließen.
Hatte man im BMG gehofft, auf diese Weise die Kommunisten irgendwie aus Deutschland hinausdrängen zu können, so ernüchterte der Mauerbau 1961 schlagartig. Jetzt galt es, das erlahmende Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen zu stärken. Dazu musste man mit jedem sprechen, der die Macht hatte, die Verhältnisse in Deutschland im Guten wie im Bösen zu beeinflussen. Das waren leider auch die Machthaber in Ost-Berlin, die man allerdings nicht völkerrechtlich anerkennen durfte, weil dies die Akzeptanz der Teilung bedeutet hätte. Das war das Problem des FDP-Ministers Erich Mende, der von 1963 bis 1966 das BMG leitete. Er baute die Häftlingsfreikäufe aus, die sein Amtsvorgänger Rainer Barzel begonnen hatte. Vor allem aber setzte er in Bonn die Zustimmung zu den Passierschein-Abkommen durch, die der Berliner Senat mit den Ost-Berliner Machthabern abschloss und die Millionen West-Berlinern wenigstens zu Feiertagen Besuche im Ostsektor ermöglichten.
Seinen größten Einfluss im politischen Bonn erreichte das BMG unter Minister Herbert Wehner in der Großen Koalition 1966 bis 1969. Wehner, ein erfahrener Deutschland-Politiker, intimer Kenner der kommunistischen Gegenspieler, parteipolitischer Stratege und Machtmensch, brach den Einfluss der nur antikommunistischen "Kalten Krieger" im Hause (ein Mann wie Dellingshausen hatte nun Zeit, seine Erinnerungen zu schreiben). Der neue Leiter des Ministerbüros, Jürgen Weichert, achtete darauf, dass die personalpolitischen Interessen der SPD gewahrt wurden. Die zahlreichen vom Ministerium finanzierten privaten Vorfeldorganisationen wurden an die Kandare genommen oder in der Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben (Gesamtdeutsches Institut) zusammengefasst. Selbst bei Geheimverhandlungen mit der DDR gelang ein Durchbruch, als bei der Nutzung einer Bahntrasse im Grenzbereich für Kalitransporte und beim Finanzausgleich für Postleistungen unterschriftsreife Verträge ausgehandelt werden konnten. Nutznießer dieser Erfolge war bereits die sozial-liberale Regierung Brandt/Scheel. Wehner begleitete deren Politik als Vorsitzender der SPD-Fraktion.
Nach 1969 wurde das BMB, trotz der Umbenennung, in der operativen DDR-Politik zugunsten des Bundeskanzleramts entmachtet. Ein "totes Ministerium", wie Creuzberger in seinem Schlusswort nahelegt, war es jedoch nicht. In den siebziger Jahren war Jürgen Weichert dort der politische Kopf, der in der Tat bestrebt war, nur "der DDR keinen Ärger zu machen". Zu untersuchen, wie sich diese Einstellung auf Zeitgeist und Politik auswirkte, wäre durchaus reizvoll.
Stefan Creuzberger: Kampf für die Einheit. Das gesamtdeutsche Ministerium und die politische Kultur des Kalten Krieges 1949-1969. Droste Verlag, Düsseldorf 2008, 604 S., 49,50 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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