Am 23. Mai 1991 verabschiedete der US-amerikanische Senat erstmalseine Erklärung, in welcher "Tibet" als "ein besetztes Land" bezeichnetwurde. Wenn man bedenkt, dass die kaiserlich-chinesischen Ambanein Lhasa bereits mehr als ein halbes Jahrhundert (mit-)regierten, bevorüberhaupt die USA aus der Taufe gehoben wurden, und dass ein Großteildes heutigen Territoriums dieser USA erst viel später, im Laufe eines langenProzesses, durch Eroberung, Krieg, Betrug, Vertragsbruch und Völkermord anden native americans, annektiert wurde, so wird einem die Vermessenheit undUnverschämtheit (oder aber: Lächerlichkeit) einer solchen Erklärung deutlich.Muss man wirklich daran erinnern: Weder der Völkerbund, noch die UNO,noch auch nur einzelne Länder wie die USA, Großbritannien oder Indienhaben jemals Tibet als unabhängigen Staat offi ziell anerkannt. Nicht einmal zueiner Zeit, als China noch nicht (wieder) ein wichtiges Subjekt, sondern einweitgehend machtloses Objekt der Weltgeschichte war.Wichtiger vielleicht als rein rechtliche Überlegungen ist aber die folgendeFeststellung: Die wenigen Jahrzehnte einer tibetischen "de facto-Unabhängigkeit"waren kein Goldenes Zeitalter der Freiheit, sondern eine Zeit vonimperialistischer Einmischung, politischem und sozialem Stillstand, Misswirtschaft,aristokratischer und klerikaler Unterdrückung, verschärfter Ausbeutungund Besteuerung, wirtschaftlichem Niedergang, fortbestehendemObskurantismus, himmelschreiender Ungerechtigkeit, politischen Intrigen,Attentaten, Morden, Krieg und Bürgerkrieg ...