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Die erste umfassende Untersuchung der Geschichte der defensiven und offensiven Rüstungsforschung über chemische Massenvernichtungsmittel im Nationalsozialismus. Welchen Beitrag leisteten die Elitewissenschaftler der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zu der im Nationalsozialismus mit erheblichen Mitteln geförderten Gasschutz- und Kampfstoff-Forschung? Florian Schmaltz rekonstruiert aus institutionsgeschichtlicher Perspektive, welche personellen und organisatorischen Kooperationsbeziehungen zwischen Wissenschaft, Militär und der Industrie existierten und wie diese als Ressourcen füreinander…mehr

Produktbeschreibung
Die erste umfassende Untersuchung der Geschichte der defensiven und offensiven Rüstungsforschung über chemische Massenvernichtungsmittel im Nationalsozialismus. Welchen Beitrag leisteten die Elitewissenschaftler der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zu der im Nationalsozialismus mit erheblichen Mitteln geförderten Gasschutz- und Kampfstoff-Forschung? Florian Schmaltz rekonstruiert aus institutionsgeschichtlicher Perspektive, welche personellen und organisatorischen Kooperationsbeziehungen zwischen Wissenschaft, Militär und der Industrie existierten und wie diese als Ressourcen füreinander funktionierten. Zugleich geht er detailliert auf die Forschungsdynamik, die angewandten Methoden, Ziele und Resultate an sechs Kaiser-Wilhelm-Instituten ein, die Gasschutz- und Kampfstoff-Forschung betrieben. Der Autor zeigt, wie die antisemitische Vertreibungspolitik gegenüber jüdischen Wissenschaftlern mit dem Ziel einer verschärften Militarisierung der Forschung im Rahmen der NS-Wissenschaftspolitik in Einklang gebracht wurde, und geht der Frage nach, inwiefern die Direktoren aufgrund ihrer exponierten Stellung als Fachspartenleiter des Reichsforschungsrates für den Zugriff auf KZ-Häftlinge als Forscher, Sklavenarbeiter oder Versuchsopfer verbrecherischer Menschenversuche für eine Wissenschaft mitverantwortlich waren, die keine ethischen Grenzen mehr kannte.
Autorenporträt
Der AutorFlorian Schmaltz, geb. 1968, Studium der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Geschichte, Philosophie und Neueren deutschen Literaturwissenschaften an der Universität Hamburg und der Freien Universität Berlin. 2000-2004 Forschungsprogramm 'Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus'. 2004 Promotion an der Universität Bremen. Seit April 2004 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Projekt 'Forschungshybride: Aerodynamische Forschungspraxis im Ersten und Zweiten Weltkrieg zwischen Politik, Rüstung und wissenschaftlicher Theoriebildung' an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2005

Tödlichste Waffen für das Arsenal des "Führers"
Die Kampfstoff- und Gasschutz-Forschung während der Zeit des Nationalsozialismus / Von Rolf-Dieter Müller

Wissenschaftsgeschichte erreicht nur selten die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Da braucht es wohl schon die Erinnerung an Heroen wie Albert Einstein oder die Spekulation um eine Atombombe Hitlers. So erfaßte das allgemeine Interesse an der Verantwortung der Eliten des "Dritten Reiches" für Verbrechen und Krieg auch erst spät die Gruppe der Naturwissenschaftler. Die Max-Planck-Gesellschaft veröffentlicht seit dem Jahr 2000 Studien eines Forschungsprogramms, mit dem die Geschichte der Vorläuferorganisation, der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG), im Nationalsozialismus kritisch unter die Lupe genommen wird. Der vorliegende 11. Band kann ganz besondere Aufmerksamkeit beanspruchen. Hier hat sich der Autor einem wesentlichen Schwerpunkt der kriegswichtigen Forschung zugewandt. Von über 40 Instituten der KWG waren nicht weniger als 7 in die Kampfstoff- und Gasschutz-Forschung involviert: an ihrer Spitze das Kaiser-Wilhelm-Institut für physikalische Chemie und Elektrochemie, das bereits 1914 vom späteren Nobelpreisträger Fritz Haber auf die Chemiewaffenforschung ausgerichtet worden war. Im engen Verbund von Wissenschaft, Militär und Industrie war ein Komplex entstanden, der Deutschland bis 1945 einen sicheren Vorsprung bei Einsatz und Entwicklung der ersten modernen Massenvernichtungswaffe des 20. Jahrhunderts ermöglichte. Bis auf den Namen Haber und sein tragisches Schicksal als begnadeter Wissenschaftsorganisator, als Patriot und Jude ist bis heute kaum etwas über diese Forschergruppe und ihre scheinbar dunklen Machenschaften ins öffentliche Bewußtsein gedrungen.

Im Mittelpunkt dieser kenntnisreichen historischen Studie steht die Analyse der Forschungsprojekte, die seit 1933 im Rahmen der KWG durchgeführt worden sind und Hitler die tödlichste Waffe seines Rüstungsarsenals geliefert haben. Erstmalig ist damit ein fundierter Überblick möglich, der - von einem Nichtchemiker verfaßt - auch für den Laien gut verständlich geschrieben ist. Mit klarer Systematik werden auf der ersten Ebene die einzelnen Projekte und Institute untersucht, jeweils abschließend in Zusammenfassungen bewertet. Auf einer zweiten Ebene werden die unterschiedlichen Kooperationsformen von Wissenschaft, Chemieindustrie, Militär und nationalsozialistischem Staat beleuchtet. Dabei interessieren nicht nur strukturelle und personelle Verflechtungen, sondern auch die Dynamik der Entwicklung und die Handlungsspielräume der beteiligten Wissenschaftler.

Anders als im Falle Habers im Ersten Weltkrieg hat die chemische Waffenforschung in Hitlers Weltenbrand keine namhafte Persönlichkeit hervorgebracht. Der Autor hat dem biographischen Aspekt daher besondere Aufmerksamkeit gewidmet und die wissenschaftlichen Porträts der Verantwortlichen auch mit bislang unbekannten Fotos ausgestattet. Der Band bewährt sich in dieser Hinsicht einmal mehr als ein künftig unverzichtbares Nachschlagewerk für einen der wichtigsten Forschungsbereiche des "Dritten Reiches".

Zum komplexen Bereich von Forschung, Entwicklung und Produktion gehörten bei den Chemiewaffen auch umfangreiche Menschenversuche. Sie wurden teilweise an KZ-Häftlingen durchgeführt, oft mit tödlichem Ausgang. Im arbeitsteiligen System konnten dafür nach 1945 nur wenige Verantwortliche namhaft gemacht und bestraft werden. Die Mehrzahl der Wissenschaftler hat diese Begleiterscheinung ihrer Forschungen, sofern sie davon Kenntnis erhielten, ignorieren können. Nach ihrem Selbstverständnis betrieben sie "reine" Grundlagen- oder Zweckforschung, wofür die politische Gesinnung der Forscher letztlich ebenso irrelevant gewesen ist wie ihre Religions- oder Rassenzugehörigkeit. Die These des Autors, wonach die Ausschaltung jüdischer Wissenschaftler "als strukturelle Voraussetzung für die Ressourcenumleitung" angesehen werden müsse, erscheint eher fraglich. Ihre Entlassung Mitte der dreißiger Jahre entsprach allein politischen Vorgaben. Aber natürlich machte sie den Weg frei für manchen Karrieristen.

Die politische und moralische Bewertung der Rolle von Wissenschaftlern in totalitären Systemen bleibt ein schwieriges Feld, zumal wenn sie - ob von Patriotismus oder anderen Motiven getrieben - Forschungsprojekte bearbeiteten, die bis in die jüngste Vergangenheit hinein als legitime Rüstungsforschung gelten konnten. Schon die Unterscheidung zwischen "defensiver" oder "offensiver" Chemiewaffenforschung ist nach der Auffassung von Schmaltz kaum möglich. Nimmt man einen medizinischen Versuch zur Entwicklung neuer Behandlungsmethoden bei Gasverletzungen - wie will man diesen Baustein zu Hitlers Vernichtungskrieg bewerten? Die alliierten Siegermächte jedenfalls haben sich - abgesehen von der Ahndung der KZ-Verbrechen - 1945 auf das deutsche Know-how gestürzt und Hitlers Superwaffe ihren Arsenalen eingegliedert. Der Autor kann zeigen, daß die neuen deutschen Nervengase für sie tatsächlich eine Überraschung boten, wenngleich bereits 1943 erste Hinweise auf das Geheimprojekt vorlagen.

Die wichtigsten Ergebnisse dieser hervorragenden Studie werden in einem diachronen Vergleich der Chemiewaffenforschung in beiden Weltkriegen zusammengetragen. Zwischen 1914 und 1918 hatte Haber eine straffe Wissenschaftsorganisation auf diesem Felde geschaffen. Sie verschaffte vom Nullpunkt aus in kürzester Zeit den Militärs einsatzfähige Kriegsinstrumente. Die Offiziere scheiterten jedoch daran, mit dieser Hilfe einen durchschlagenden militärischen Erfolg zu organisieren. Im Gegensatz dazu entwickelte das nationalsozialistische Regime eine dezentrale Forschungsstruktur, was zwar aus der illegalen Geheimrüstung der Weimarer Republik resultierte, aber auch durch den polykratischen Charakter des "Führerstaates" gefördert wurde. Dem stand eine straffe militärische Organisation gegenüber, die mit Hilfe von Wissenschaft und Industrie eine neue Superwaffe bereitzustellen verstand. Aus strategischen Gründen war sie allerdings nicht einsetzbar. Trotz teilweise divergierender Interessen sei ein erstaunlich hohes Maß an Kooperationsbereitschaft zu verzeichnen, meint Florian Schmaltz und führt dies auf den Einfluß einzelner Institutsleiter zurück, die zu Militär und Industrie gute Beziehungen unterhielten. Man wünschte sich ähnlich detaillierte Informationen über die Verhältnisse bei den anderen Großmächten, um im Vergleich die deutschen Spezifika besser erkennen zu können.

Nervengase und ballistische Raketen waren die wichtigsten Produkte wissenschaftlicher Rüstungsforschung im "Dritten Reich". Erst den Siegermächten gelang es, daraus eine strategische Waffe zu schmieden, die den Kalten Krieg dominierte. Ein totaler Krieg mit Massenvernichtungswaffen war und blieb aber letztlich unführbar. Auch wenn der Besitz chemischer Waffen heute ein Kriegsgrund sein kann, bleibt dieser Beitrag deutscher Wissenschaft zur Kriegskunst im 20. Jahrhundert eine menschheitsbedrohende Erbschaft, der sich Terroristen und Schurkenstaaten nur zu leicht bedienen können.

Florian Schmaltz: Kampfstoff-Forschung im Nationalsozialismus. Zur Kooperation von Kaiser-Wilhelm-Instituten, Militär und Industrie. Verlag Wallstein, Göttingen 2005. 676 S., 39,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Der Rezensent Martin Jander ist von Florian Schmaltzs Forschungsarbeit über Chemiker in der NS-Zeit sehr beeindruckt. Er lobt die Präzision, mit der "ganze Netzwerke der chemischen Kampfstoffforschung im Nationalsozialismus" hier detailorientiert und doch allgemeinverständlich aufbereitet wurden. Eindeutig gehe aus der Arbeit die Enge der Verflechtung von Wissenschaft und Politik hervor. Die Mär von der Gutgläubigkeit oder gar vom Opferstatus der Naturwissenschaften in der Nazizeit sieht der Rezensent endgültig entlarvt.

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