Der 16-jährige Henner ist klein, hat Segelohren und ist zu allem Überfluss auch noch gut in der Schule. Neben seinen hünenhaften Freunden Jakob und Luis kommt er sich ziemlich dämlich vor. Doch ihn beschäftigt noch viel mehr: Dulden ihn die beiden nur aus Gewohnheit? Warum postet keiner auf seiner Facebook-Pinnwand? Und wie kann er die schöne Valerie erobern? Ein Sommer auf Helgoland scheint die perfekte Gelegenheit, endlich bei ihr zu punkten. Doch dann lernt Henner Leefke kennen - und auf einmal sieht er die Welt ganz anders.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.09.2015Hormoncocktail
im Bauch
Was das Erwachsenwerden für
Jungs alles so bereithält
Es ist nicht einfach. Henner ist 16 und heißt, ja Henner halt. Aber das ist noch eines seiner kleineren Probleme. Die anderen sind seine Frisur (besonders nach einem verzweifelten Selbstschneideexperiment), das Dauerleid mit dem Coolseinmüssen und, das größte, aber auch schönste von allen: Valerie Böhmer. In Valerie ist Henner unsterblich verknallt. Leider sitzt er neben ihr aber nur in Geschichte und alle bisherigen Versuche, ihre Aufmerksamkeit zu wecken, wie zum Beispiel die Krawall-Rocker von Enter Shikari neben ihr auf voller Lautstärke aus dem Kopfhörer dröhnen zu lassen, sind kläglich gescheitert. Die Inszenierung als nachdenkliche Dichterseele mit einem Kleist-Band unterm Arm hat Henner dann gerade noch von selbst verworfen. Das Leben aus seiner Perspektive: eine höhnische Parade der Peinlichkeiten. Sich selbst sieht er als Harry Potter, „allerdings mit dünnem Haar und ohne Zauberstab“. Also nur klein und mit Brille. 16 sein ist nicht einfach.
Wie direkt aus dem wirren, aber sehr selbstreflektierten Kopf dieses Henner hat Torsten Wohlleben nach zwei Romanen und mehreren Kurzgeschichten nun ein Jugendbuch geschrieben. Sein selbst ernannter Klassenloser Henner ist wie alle Teenager mit dem Chaos in seinem Kopf (wer bin ich?) und dem Hormoncocktail in seinem Bauch (was und vor allem wen will ich?) völlig ausgelastet.
Henners großer Vorteil ist, dass er, im Gegensatz zu den meisten anderen Jugendlichen, diese Problemchen immerhin schon erkannt hat: für die jüngeren Leser eine freundliche Warnung vor dem, was das Erwachsenwerden noch bereithält, für die etwa gleich alten und älteren Leser ein sehr witziges Wiedererkennen. Denn Torsten Wohlleben hat mit seinen Figuren sehr lebensnahe Typen geschaffen, von denen aber keine vor all den kleinen Katastrophen sicher ist, die das Leben bereithält. Seinen Henner schickt er in dem Roman deshalb auch dorthin, wo das pralle Leben spielt: nach Helgoland. Dort möchte die Klassenclique, weit weg von Schule und Eltern, ein paar Tage zelten, und Henner hängt sich vor allem an die Gruppe dran, um seine angebetete Valerie Böhmer im Badeanzug zu sehen. Natürlich kommt alles ganz anders, und Wohlleben skizziert wunderbar die albernen Gruppendynamiken unter Jugendlichen, die mehr oder weniger ausgeprägt das ganze Leben lang wirken. Die kleine erste Romanze nimmt er sehr ernst – ganz im Gegensatz zu den Spleens seiner Charaktere – und inszeniert sie schön mit all den kleinen Ängsten, Unsicherheiten, Freuden und Jubelanfällen, die mehr oder weniger ausgeprägt auch das ganze Leben kommen und gehen. Kann ich bitte löschen, was ich gerade gesagt habe ist ein kluger, unterhaltsamer und selbstbewusster Roman für Teenager, die eine beruhigende Vergewisserung nötig haben, dass das alles gar nicht so schlimm ist. (ab 13 Jahre)
NICOLAS FREUND
Torsten Wohlleben: Kann ich bitte löschen, was ich gerade gesagt habe. Carlsen 2014. 224 Seiten, 14,90 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
im Bauch
Was das Erwachsenwerden für
Jungs alles so bereithält
Es ist nicht einfach. Henner ist 16 und heißt, ja Henner halt. Aber das ist noch eines seiner kleineren Probleme. Die anderen sind seine Frisur (besonders nach einem verzweifelten Selbstschneideexperiment), das Dauerleid mit dem Coolseinmüssen und, das größte, aber auch schönste von allen: Valerie Böhmer. In Valerie ist Henner unsterblich verknallt. Leider sitzt er neben ihr aber nur in Geschichte und alle bisherigen Versuche, ihre Aufmerksamkeit zu wecken, wie zum Beispiel die Krawall-Rocker von Enter Shikari neben ihr auf voller Lautstärke aus dem Kopfhörer dröhnen zu lassen, sind kläglich gescheitert. Die Inszenierung als nachdenkliche Dichterseele mit einem Kleist-Band unterm Arm hat Henner dann gerade noch von selbst verworfen. Das Leben aus seiner Perspektive: eine höhnische Parade der Peinlichkeiten. Sich selbst sieht er als Harry Potter, „allerdings mit dünnem Haar und ohne Zauberstab“. Also nur klein und mit Brille. 16 sein ist nicht einfach.
Wie direkt aus dem wirren, aber sehr selbstreflektierten Kopf dieses Henner hat Torsten Wohlleben nach zwei Romanen und mehreren Kurzgeschichten nun ein Jugendbuch geschrieben. Sein selbst ernannter Klassenloser Henner ist wie alle Teenager mit dem Chaos in seinem Kopf (wer bin ich?) und dem Hormoncocktail in seinem Bauch (was und vor allem wen will ich?) völlig ausgelastet.
Henners großer Vorteil ist, dass er, im Gegensatz zu den meisten anderen Jugendlichen, diese Problemchen immerhin schon erkannt hat: für die jüngeren Leser eine freundliche Warnung vor dem, was das Erwachsenwerden noch bereithält, für die etwa gleich alten und älteren Leser ein sehr witziges Wiedererkennen. Denn Torsten Wohlleben hat mit seinen Figuren sehr lebensnahe Typen geschaffen, von denen aber keine vor all den kleinen Katastrophen sicher ist, die das Leben bereithält. Seinen Henner schickt er in dem Roman deshalb auch dorthin, wo das pralle Leben spielt: nach Helgoland. Dort möchte die Klassenclique, weit weg von Schule und Eltern, ein paar Tage zelten, und Henner hängt sich vor allem an die Gruppe dran, um seine angebetete Valerie Böhmer im Badeanzug zu sehen. Natürlich kommt alles ganz anders, und Wohlleben skizziert wunderbar die albernen Gruppendynamiken unter Jugendlichen, die mehr oder weniger ausgeprägt das ganze Leben lang wirken. Die kleine erste Romanze nimmt er sehr ernst – ganz im Gegensatz zu den Spleens seiner Charaktere – und inszeniert sie schön mit all den kleinen Ängsten, Unsicherheiten, Freuden und Jubelanfällen, die mehr oder weniger ausgeprägt auch das ganze Leben kommen und gehen. Kann ich bitte löschen, was ich gerade gesagt habe ist ein kluger, unterhaltsamer und selbstbewusster Roman für Teenager, die eine beruhigende Vergewisserung nötig haben, dass das alles gar nicht so schlimm ist. (ab 13 Jahre)
NICOLAS FREUND
Torsten Wohlleben: Kann ich bitte löschen, was ich gerade gesagt habe. Carlsen 2014. 224 Seiten, 14,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
In seinem Jugendbuch "Kann ich bitte löschen, was ich gerade gesagt habe" versammelt Torsten Wohlleben die probaten Zutaten einer Coming-of-Age-Geschichte: Unsicherheit, Peinlichkeit, Außenseitertum, erste Liebe, berichtet Nicolas Freund. Wie der Autor die Selbstwahrnehmung und Lebenswelt des Protagonisten Henner schildert, wird für jugendliche Leser einen enormen Wiedererkennungswert haben, glaubt der Rezensent, der diesen "klugen, unterhaltsamen und selbstbewussten Roman" nur empfehlen kann.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Ein mit großer Sympathie für die Tücken der Pubertät geschriebenes Buch!", Westfälische Nachrichten, 19.05.2015