'"Ich freue mich darüber, dass es gelungen ist, bin Laden zu töten." Dieser Satz von Angela Merkel zum Tod Osama bin Ladens provozierte einen Aufschrei in Deutschland. Die gezielte Tötung eines Menschen mit staatlicher Legitimation löst Unbehagen aus. Doch was ist, wenn man dadurch ein Menschenleben retten kann?
Der ehemalige Nachrichtenoffizier Marc Lindemann geht der Frage nach, unter welchen Umständen die Tötung eines Menschen von Staats wegen gerechtfertigt sein kann. In anderen Ländern, etwa den USA, werden Drohnen eingesetzt, um Menschen zu töten, ohne die eigenen Streitkräfte in Gefahr zu bringen. Diese Automatisierung des Krieges sorgt dafür, dass die Einsätze für Soldaten abstrakt werden: Ein Pilot sitzt in den USA am Bildschirm und steuert eine Drohne in Afghanistan.
Marc Lindemann versucht eine genaue Abwägung der moralischen und ethischen Dimension dieser komplexen Thematik. Ein kluges Buch über eine schwierige Frage.
Der ehemalige Nachrichtenoffizier Marc Lindemann geht der Frage nach, unter welchen Umständen die Tötung eines Menschen von Staats wegen gerechtfertigt sein kann. In anderen Ländern, etwa den USA, werden Drohnen eingesetzt, um Menschen zu töten, ohne die eigenen Streitkräfte in Gefahr zu bringen. Diese Automatisierung des Krieges sorgt dafür, dass die Einsätze für Soldaten abstrakt werden: Ein Pilot sitzt in den USA am Bildschirm und steuert eine Drohne in Afghanistan.
Marc Lindemann versucht eine genaue Abwägung der moralischen und ethischen Dimension dieser komplexen Thematik. Ein kluges Buch über eine schwierige Frage.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.07.2013Soldaten, Drohnen, Völkerrecht
Militärische Gewalt in der postheroischen Gesellschaft
Der Afghanistan-Einsatz der Nato geht seinem Ende entgegen. Die vor etwas mehr als einem Jahrzehnt proklamierten Ziele dieser multinationalen Stabilisierungsmission sind nicht erreicht worden. Das bedarf der Nacharbeit: in Afghanistan, wo die westlichen Staaten "irgendwie" präsent bleiben werden, aber auch in diesen Staaten selbst. Denn Demokratien können sich einen jahrelangen, kostspieligen Einsatz der Streitkräfte ohne greifbare Ergebnisse bei Strafe eines nachhaltigen Verlustes der inneren und äußeren Glaubwürdigkeit nicht leisten. In Deutschland muss diese Nacharbeit noch etwas gründlicher ausfallen als bei seinen Verbündeten, klafft doch hierzulande zwischen den moralischen, rechtlichen und politischen Aspekten beim Thema Streitkräfte und organisierte Gewalt als Mittel der Politik eine besonders breite Kluft.
Ein sehr lesenswerter Beitrag zu dieser Nacharbeit, einer der ersten von einer wachsenden Zahl, die in den nächsten Monaten und Jahren auf uns zukommen wird, ist das locker strukturierte Buch von Marc Lindemann. Es umfasst sechs Kapitel, wobei das längste und wichtigste eine Reflexion über "Völkerrecht und Gewalt" darstellt. Dem Autor gelingt es, die Komplexität des kriegsrelevanten Völkerrechts so darzustellen, dass dessen Bedeutung für das Handeln der Soldaten in kritischen Konfliktsituationen klar erkennbar wird. Freilich stellt sich dabei zugleich heraus, dass viele Bestimmungen des Völkerrechts für Konfliktsituationen und dort zu treffende Entscheidungen in den sogenannten Neuen Kriegen nicht mehr recht passen. So ist die rechtlich enorm wichtige Trennung zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten in diesen Kriegen faktisch oft unmöglich. Auf die transnationalen Guerilla-Taktiken der einen Seite antworten neue Aufspür- und gezielte Vernichtungsmethoden der anderen Seite, zusammengefasst in dem Konzept der "gezielten Tötung". Die ist allerdings in den westlichen, den postheroischen Gesellschaften, keineswegs unumstritten.
Lindemann greift die moralischen Probleme, vor denen westliche Soldaten in solchen Einsätzen wie in Afghanistan stehen, nicht in abstrakten Begriffen auf, sondern erfahrungsbezogen und in praktischer Absicht. Damit wird er sich zwar bei den Fachleuten des Völkerrechts und der Moralphilosophie womöglich die eine oder andere unwirsche Reaktion einhandeln. Aber für alle anderen ist diese Art der Präsentation sehr anregend. Ob der Einsatz von Drohnen den Krieg humanisiert oder gerade nicht, ob und wieweit die politische Führung in höchst bedrohlichen Ausnahmesituationen rechtliche Normen außer Kraft setzen darf, wie künftige Stabilisierungseinsätze aussehen werden - solche Fragen werden in den anderen Kapiteln aufgegriffen und nicht erschöpfend, aber immer so behandelt, dass man beim Lesen tüchtigen Zweifel an all jenen Vorstellungen und Doktrinen bekommt, die rasche und eindeutige Antworten zu haben vorgeben. Insofern ist das Buch, ganz anders als es zunächst scheint, nicht etwa ein Beitrag zur Reduktion von Komplexität völkerrechtlicher und moralischer Fragen über den Umgang der Streitkräfte mit Tod und Gewalt. Vielmehr zeigt es die Unbrauchbarkeit simpler Rezepte. Damit schärft Lindemann, was gerade in Deutschland so nötig ist: die sicherheitspolitische Urteilskraft.
WILFRIED VON BREDOW
Marc Lindemann: Kann Töten erlaubt sein? Ein Soldat auf der Suche nach Antworten. Econ Verlag, Berlin 2013. 251 S., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Militärische Gewalt in der postheroischen Gesellschaft
Der Afghanistan-Einsatz der Nato geht seinem Ende entgegen. Die vor etwas mehr als einem Jahrzehnt proklamierten Ziele dieser multinationalen Stabilisierungsmission sind nicht erreicht worden. Das bedarf der Nacharbeit: in Afghanistan, wo die westlichen Staaten "irgendwie" präsent bleiben werden, aber auch in diesen Staaten selbst. Denn Demokratien können sich einen jahrelangen, kostspieligen Einsatz der Streitkräfte ohne greifbare Ergebnisse bei Strafe eines nachhaltigen Verlustes der inneren und äußeren Glaubwürdigkeit nicht leisten. In Deutschland muss diese Nacharbeit noch etwas gründlicher ausfallen als bei seinen Verbündeten, klafft doch hierzulande zwischen den moralischen, rechtlichen und politischen Aspekten beim Thema Streitkräfte und organisierte Gewalt als Mittel der Politik eine besonders breite Kluft.
Ein sehr lesenswerter Beitrag zu dieser Nacharbeit, einer der ersten von einer wachsenden Zahl, die in den nächsten Monaten und Jahren auf uns zukommen wird, ist das locker strukturierte Buch von Marc Lindemann. Es umfasst sechs Kapitel, wobei das längste und wichtigste eine Reflexion über "Völkerrecht und Gewalt" darstellt. Dem Autor gelingt es, die Komplexität des kriegsrelevanten Völkerrechts so darzustellen, dass dessen Bedeutung für das Handeln der Soldaten in kritischen Konfliktsituationen klar erkennbar wird. Freilich stellt sich dabei zugleich heraus, dass viele Bestimmungen des Völkerrechts für Konfliktsituationen und dort zu treffende Entscheidungen in den sogenannten Neuen Kriegen nicht mehr recht passen. So ist die rechtlich enorm wichtige Trennung zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten in diesen Kriegen faktisch oft unmöglich. Auf die transnationalen Guerilla-Taktiken der einen Seite antworten neue Aufspür- und gezielte Vernichtungsmethoden der anderen Seite, zusammengefasst in dem Konzept der "gezielten Tötung". Die ist allerdings in den westlichen, den postheroischen Gesellschaften, keineswegs unumstritten.
Lindemann greift die moralischen Probleme, vor denen westliche Soldaten in solchen Einsätzen wie in Afghanistan stehen, nicht in abstrakten Begriffen auf, sondern erfahrungsbezogen und in praktischer Absicht. Damit wird er sich zwar bei den Fachleuten des Völkerrechts und der Moralphilosophie womöglich die eine oder andere unwirsche Reaktion einhandeln. Aber für alle anderen ist diese Art der Präsentation sehr anregend. Ob der Einsatz von Drohnen den Krieg humanisiert oder gerade nicht, ob und wieweit die politische Führung in höchst bedrohlichen Ausnahmesituationen rechtliche Normen außer Kraft setzen darf, wie künftige Stabilisierungseinsätze aussehen werden - solche Fragen werden in den anderen Kapiteln aufgegriffen und nicht erschöpfend, aber immer so behandelt, dass man beim Lesen tüchtigen Zweifel an all jenen Vorstellungen und Doktrinen bekommt, die rasche und eindeutige Antworten zu haben vorgeben. Insofern ist das Buch, ganz anders als es zunächst scheint, nicht etwa ein Beitrag zur Reduktion von Komplexität völkerrechtlicher und moralischer Fragen über den Umgang der Streitkräfte mit Tod und Gewalt. Vielmehr zeigt es die Unbrauchbarkeit simpler Rezepte. Damit schärft Lindemann, was gerade in Deutschland so nötig ist: die sicherheitspolitische Urteilskraft.
WILFRIED VON BREDOW
Marc Lindemann: Kann Töten erlaubt sein? Ein Soldat auf der Suche nach Antworten. Econ Verlag, Berlin 2013. 251 S., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Seine sicherheitspolitische Urteilskraft schärft Wilfried von Bredow mit diesem Buch von Marc Lindemann. Was ihm zunächst wie eine Reduktion von Komplexität in Sachen völkerrechtlicher und moralischer Fragen erscheint, entpuppt sich als gelungene "Nacharbeit" etwa im Zusammenhang mit dem Afghanistan-Einsatz der Nato. Was der Autor über das kriegsrelevante Völkerrecht schreibt und wie, nicht abstrakt, sondern erfahrungsbezogen und in praktischer Absicht, wie von Bredow anerkennend betont, eröffnet dem Rezensenten die Perspektive des handelnden Soldaten in kritischer Konfliktsituation. Eine anregende Art der Darstellung, findet Bredow, und eine lehrreiche dazu.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Verständlich und erstaunlich ruhig umkreist der Politologe das komplexe Themenfeld. "Kann Töten erlaubt sein" ist ein überfälliges Buch [...].", Deutschlandfunk, 03.06.2013