Eucharistie und Kannibalismus: So konträr ihre kulturelle Verortung auch scheinen mag, umso verstörender wirkten schon im 16. Jahrhundert die Analogien zwischen beiden Konzepten. Ist der 'wilde Kannibale' Amerikas nicht nur fleischgewordene Metapher für den 'kulturellen Kannibalismus' des Kolonialismus selbst, sondern auch eine Materialisierung anderer im frühneuzeitlichen Europa zirkulierender Diskurse des Verschlingens und Einverleibens? Anhand verschiedener Textbeispiele aus den romanischen Literaturen (französisch, spanisch, portugiesisch) des 16. und 17. Jahrhunderts diskutieren zwölf Aufsätze dieses kompetitive Feld der Bedeutungszuschreibung von Einverleiben, Verkörpern und Verdauen zwischen den kulturellen Praktiken des Kannibalismus und der katholischen Eucharistie. So werden Analogien und Verschiebungen zwischen verschiedenen Diskursen und Textgenres sichtbar, wie Reiseberichten, Historiographie, Medizin, Theater, Burleske und Pikareske oder der Mystik. Ein abschließender Teil widmet sich dem Rewriting dieses frühneuzeitlichen Korpus in Gegenwartskulturen und -literaturen Lateinamerikas und Frankreichs, was das kulturhistorische und poetische Potential dieser emblematischen Kippfigur bestätigt und weiterführt.