Uriah Walkinghorse wähnt sich mit Midlife-Crisis in der Sackgasse. Einst als Bodybuilder noch als Mister West Texas erfolgreich, tritt er nunmehr als Hausmeister eines heruntergekommenen Apartmentkomplexes in El Paso nur noch gegen verstopfte Toilettenschüsseln an. Um dem Alltagstrott zu entrinnen, läßt er sich von einem Dominastudio als maskierter Henker anheuern. Doch als der VIP-Banker Clive Renseller bei einer S/M-Session einem Herzinfarkt erliegt und Uriah von Narcotraficantes über die Grenze nach Mexiko verschleppt wird, um dort exekutiert zu werden, wird ihm klar, dass es im Leben immer noch schlimmer kommen kann ... Sollte unsere Zivilisation eines Tages in die Höhlen zurückkehren müssen, kann sich niemand beklagen, man hätte uns nicht gewarnt. Rick DeMarinis hat es mit diesem Noir-Thriller, der den alltäglichen Wahnsinn thematisiert, der uns schon längst zur Gewohnheit geworden ist, zumindest versucht.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rick DeMarinis, der sowohl in Amerika als auch in Deutschland nur einem kleinen Kreis von Eingeweihten bekannt ist, wird wohl auch nach diesem hinreißenden Roman ein "Geheimtipp" bleiben, meint ein begeisterter Hannes Hintermeier bedauernd. Die Geschichte des ehemaligen Bodybuilders Uriah Walkinghouse, der als Henkerdarsteller bei einer Domina plötzlich eine Leiche verschwinden lassen muss und damit in einen Strudel der Kriminalität und Gewalt gezogen wird, schwebt aufs Herrlichste zwischen "Schund und Genie", schwärmt der Rezensent. Nicht nur die Figurenzeichnung des Autors findet Hintermeier außerordentlich gelungen, er ist auch beeindruckt, wie selbstverständlich er seinen verstrickten Helden, der sich irgendwann als gescheiterter Mathematiker entpuppt, auch mit metaphysischen Themen konfrontiert. Dieses Buch ist neben spannungsgeladener Unterhaltung um Sex, Drogen und Geldwäsche auch ein böser "Gesellschaftsroman" und dem amerikanischen Autor gelingt es dabei hervorragend, die "Balance" zu halten, preist der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.02.2008Abhängigkeit ist ein natürlicher Zustand
Ein akademisch gescheiterter Bodybuilder in der Midlife-Crisis: Rick DeMarinis balanciert mit dem Roman "Kaputt in El Paso" zwischen Schund und Genie.
Was für ein Name, was für ein Held, was für eine Geschichte: Kein Buch für den verfeinerten Salon, aber eines, das der gesellschaftlichen Wirklichkeit erschreckend nahe kommen dürfte. Beginnen wir mit dem Protagonisten, mit hundertsieben Kilogramm, fünf über seinem Kampfgewicht. Aber der Bodybuilder Uriah Walkinghorse hat andere Probleme, der "Mr. Westside" von 1983 ist mit seinen zweiundvierzig Jahren nicht nur mitten in einer veritablen Midlife-Crisis. Noch kann er mit hundertdreißig Brustumfang und "Oberschenkeln wie aus Kalkstein gemeißelt und mit dem Unfang kleiner Fässer" imponieren, aber "mein Haar ist mit Grau durchsetzt, rund um meine Augen bilden sich Knitterfältchen, und aus meinen Ohren sprießen Härchen".
Seine deutsche Ex-Frau saugt ihn finanziell aus, um die Stockcar-Karriere ihres neuen Typen zu finanzieren; als Hausmeister eines Apartmenthauses, in dem sich der Bodensatz der texanischen Gesellschaft eingenistet hat - Klebstoffschnüffler, Drogensüchtige, Schwerstalkoholiker -, ist Walkinghorse beruflich auch nicht auf dem Weg nach oben. Da kommt ein Angebot, bei einer Domina, deren Etablissement auf den schönen Namen "Mind Me!" lautet, als Henkerdarsteller zu agieren. Alles ganz legal, die Stunde zu tausend Dollar und ohne Penetration, denn die Stadtverwaltung kassiert gern Gewerbesteuer - solange kein Bordell daraus wird. Gleich bei seinem Debüt bringt Walkinghorse vollen Einsatz: Der Banker Clive Renseller bricht mit Herzinfarkt zusammen, an das Einschalten der Behörden ist nicht zu denken. Und damit beginnt auch das Schlamassel von Uriah.
Der Autor dieses Kabinettstückes ist hierzulande nur in Krimizirkeln ein Begriff. Vor Jahren versuchte der Piper Verlag vergeblich, mit dem Roman "Das Jahr des Zinkpennys" auf den 1934 in New York geborenen Autor Rick DeMarinis aufmerksam zu machen. In Amerika hat dieser acht Romane und sechs Bände mit Kurzgeschichten vorgelegt; stets wurde er wohlwollend rezensiert, aber zu einem breiteren Publikum hat er es auch dort nicht gebracht. Seine akademische Laufbahn führte ihn durch Provinzuniversitäten, darunter San Diego, Arizona State, Montana und El Paso; 1990 verlieh ihm die American Academy of Arts and Letters einen ihrer Preise. Der Status eines Geheimtipps wird ihm vermutlich auch in Deutschland bleiben.
Umso mehr muss man die nicht nachlassende Entdeckerfreude und den Verlegermut des Berliners Frank Nowatzki preisen, der DeMarinis' 2003 erschienenen Roman "Sky Full of Sand" nun unter dem etwas zu sehr auf einen Trashbonus spekulierenden Titel "Kaputt in El Paso" als zweiundzwanzigsten Titel in seine Reihe Pulp Master aufgenommen hat, der wir unter anderen die exzellenten Bücher des Australiers Garry Disher verdanken.
Mit der Leiche im Schlepptau verheddert sich Walkinghorse in einem Netz aus Wirtschaftskriminalität und Drogenhandel, das für ihn mehrere Nummern zu groß ist: Der Tote war Aushängeschild und Sympathieträger einer texanischen Bank, die unter dem Mantel der Wohlanständigkeit darauf spezialisiert ist, das Geld mexikanischer Drogenbosse zu waschen. Jillian, die Witwe Rensellers, macht sich an Uriah heran, ihre Motive bleiben lange Zeit im Dunkeln. Dann wird der Bodybuilder von Drogenmilizen verschleppt, die ihn in aller Ruhe jenseits der Grenze hinrichten wollen.
Der Tod ist eine Konstante im Leben von Walkinghorse: Seine Eltern wollten ihn nicht haben; er wurde von einem Ehepaar aufgenommen, das es sich zur Aufgabe gemacht hatte, noch vier andere Waisenkinder großzuziehen. Entsprechend genetisch grellbunt ist die Ausstattung der Geschwister in Sachen Intelligenz, sozialer Einfühlung und Erfolgsaussichten, den südwestamerikanischen way of life zu meistern. Als der Patriarch im Sterben liegt, kehrt Uriah zurück zu seiner Pflegefamilie, zurück in das Haus, das aussieht "wie ein gestalteter Nervenzusammenbruch". Und dann geht es inmitten seines Überlebenskampfes plötzlich um Fragen wie Liebe, Mitgefühl, Solidarität. Und nur weil DeMarinis es versteht, der Muskelmasse auch eine menschliche Fallhöhe zuzuschreiben, funktionieren solche Handlungsstränge.
Beeindruckend, wie der Autor mit wenigen Strichen nicht nur Personen, sondern auch historische Räume skizziert. Das (Selbst-)Porträt des Kneipenwirts Güero Odonaju ist so ein Beispiel. Der irischstämmige Mexikaner war Professor für Literatur, bis er einen Kollegen zu Boden schickte; jetzt betreibt er seine "Dangling Modifier Zoo" benannte und mit sprachphilosophischen Rätselzetteln behängte Bar. Und auch Walkinghorse hat eine akademische Vergangenheit, als Mathematiker, die er beinahe erfolgreich verdrängt: "Ich las einen Essay über Muhammed Ibn Musa al-Khwarizmi, der um 825 die Algebra erfunden hatte. Es war fast tröstlich - der Sturm im Hintergrund, der gegen die Wände meines Apartments drückte, und die Lektüre, die von einem Mann handelte, der vor zwölf Jahrhunderten unter einem ähnlichen Himmel voller Sand einen brillanten Beitrag zur Entwicklung der Zivilisation geleistet hatte."
An solchen Stellen erweist sich auch die Brillianz Rick DeMarinis', der es schafft, in einem Crescendo aus sexueller Gewalt und skrupelloser Geldanbetung lyrische Kontrapunkte zu setzen, Hardcore mit Metaphysik zu versöhnen und obendrein einen schwarzen Gesellschaftsroman abzuliefern. An einen Sieg des Helden ist nicht zu denken. Dass der Autor nicht die Balance verliert, verdient Respekt - und Leser. Bücher wie dieses beweisen, wie stark die Innovationskraft eines Genres ist, das längst nicht ausgereizt ist.
HANNES HINTERMEIER
Rick DeMarinis: "Kaputt in El Paso". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Frank Nowatzki und Angelika Müller. Pulp Master, Berlin 2007. 352 S., br., 13,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein akademisch gescheiterter Bodybuilder in der Midlife-Crisis: Rick DeMarinis balanciert mit dem Roman "Kaputt in El Paso" zwischen Schund und Genie.
Was für ein Name, was für ein Held, was für eine Geschichte: Kein Buch für den verfeinerten Salon, aber eines, das der gesellschaftlichen Wirklichkeit erschreckend nahe kommen dürfte. Beginnen wir mit dem Protagonisten, mit hundertsieben Kilogramm, fünf über seinem Kampfgewicht. Aber der Bodybuilder Uriah Walkinghorse hat andere Probleme, der "Mr. Westside" von 1983 ist mit seinen zweiundvierzig Jahren nicht nur mitten in einer veritablen Midlife-Crisis. Noch kann er mit hundertdreißig Brustumfang und "Oberschenkeln wie aus Kalkstein gemeißelt und mit dem Unfang kleiner Fässer" imponieren, aber "mein Haar ist mit Grau durchsetzt, rund um meine Augen bilden sich Knitterfältchen, und aus meinen Ohren sprießen Härchen".
Seine deutsche Ex-Frau saugt ihn finanziell aus, um die Stockcar-Karriere ihres neuen Typen zu finanzieren; als Hausmeister eines Apartmenthauses, in dem sich der Bodensatz der texanischen Gesellschaft eingenistet hat - Klebstoffschnüffler, Drogensüchtige, Schwerstalkoholiker -, ist Walkinghorse beruflich auch nicht auf dem Weg nach oben. Da kommt ein Angebot, bei einer Domina, deren Etablissement auf den schönen Namen "Mind Me!" lautet, als Henkerdarsteller zu agieren. Alles ganz legal, die Stunde zu tausend Dollar und ohne Penetration, denn die Stadtverwaltung kassiert gern Gewerbesteuer - solange kein Bordell daraus wird. Gleich bei seinem Debüt bringt Walkinghorse vollen Einsatz: Der Banker Clive Renseller bricht mit Herzinfarkt zusammen, an das Einschalten der Behörden ist nicht zu denken. Und damit beginnt auch das Schlamassel von Uriah.
Der Autor dieses Kabinettstückes ist hierzulande nur in Krimizirkeln ein Begriff. Vor Jahren versuchte der Piper Verlag vergeblich, mit dem Roman "Das Jahr des Zinkpennys" auf den 1934 in New York geborenen Autor Rick DeMarinis aufmerksam zu machen. In Amerika hat dieser acht Romane und sechs Bände mit Kurzgeschichten vorgelegt; stets wurde er wohlwollend rezensiert, aber zu einem breiteren Publikum hat er es auch dort nicht gebracht. Seine akademische Laufbahn führte ihn durch Provinzuniversitäten, darunter San Diego, Arizona State, Montana und El Paso; 1990 verlieh ihm die American Academy of Arts and Letters einen ihrer Preise. Der Status eines Geheimtipps wird ihm vermutlich auch in Deutschland bleiben.
Umso mehr muss man die nicht nachlassende Entdeckerfreude und den Verlegermut des Berliners Frank Nowatzki preisen, der DeMarinis' 2003 erschienenen Roman "Sky Full of Sand" nun unter dem etwas zu sehr auf einen Trashbonus spekulierenden Titel "Kaputt in El Paso" als zweiundzwanzigsten Titel in seine Reihe Pulp Master aufgenommen hat, der wir unter anderen die exzellenten Bücher des Australiers Garry Disher verdanken.
Mit der Leiche im Schlepptau verheddert sich Walkinghorse in einem Netz aus Wirtschaftskriminalität und Drogenhandel, das für ihn mehrere Nummern zu groß ist: Der Tote war Aushängeschild und Sympathieträger einer texanischen Bank, die unter dem Mantel der Wohlanständigkeit darauf spezialisiert ist, das Geld mexikanischer Drogenbosse zu waschen. Jillian, die Witwe Rensellers, macht sich an Uriah heran, ihre Motive bleiben lange Zeit im Dunkeln. Dann wird der Bodybuilder von Drogenmilizen verschleppt, die ihn in aller Ruhe jenseits der Grenze hinrichten wollen.
Der Tod ist eine Konstante im Leben von Walkinghorse: Seine Eltern wollten ihn nicht haben; er wurde von einem Ehepaar aufgenommen, das es sich zur Aufgabe gemacht hatte, noch vier andere Waisenkinder großzuziehen. Entsprechend genetisch grellbunt ist die Ausstattung der Geschwister in Sachen Intelligenz, sozialer Einfühlung und Erfolgsaussichten, den südwestamerikanischen way of life zu meistern. Als der Patriarch im Sterben liegt, kehrt Uriah zurück zu seiner Pflegefamilie, zurück in das Haus, das aussieht "wie ein gestalteter Nervenzusammenbruch". Und dann geht es inmitten seines Überlebenskampfes plötzlich um Fragen wie Liebe, Mitgefühl, Solidarität. Und nur weil DeMarinis es versteht, der Muskelmasse auch eine menschliche Fallhöhe zuzuschreiben, funktionieren solche Handlungsstränge.
Beeindruckend, wie der Autor mit wenigen Strichen nicht nur Personen, sondern auch historische Räume skizziert. Das (Selbst-)Porträt des Kneipenwirts Güero Odonaju ist so ein Beispiel. Der irischstämmige Mexikaner war Professor für Literatur, bis er einen Kollegen zu Boden schickte; jetzt betreibt er seine "Dangling Modifier Zoo" benannte und mit sprachphilosophischen Rätselzetteln behängte Bar. Und auch Walkinghorse hat eine akademische Vergangenheit, als Mathematiker, die er beinahe erfolgreich verdrängt: "Ich las einen Essay über Muhammed Ibn Musa al-Khwarizmi, der um 825 die Algebra erfunden hatte. Es war fast tröstlich - der Sturm im Hintergrund, der gegen die Wände meines Apartments drückte, und die Lektüre, die von einem Mann handelte, der vor zwölf Jahrhunderten unter einem ähnlichen Himmel voller Sand einen brillanten Beitrag zur Entwicklung der Zivilisation geleistet hatte."
An solchen Stellen erweist sich auch die Brillianz Rick DeMarinis', der es schafft, in einem Crescendo aus sexueller Gewalt und skrupelloser Geldanbetung lyrische Kontrapunkte zu setzen, Hardcore mit Metaphysik zu versöhnen und obendrein einen schwarzen Gesellschaftsroman abzuliefern. An einen Sieg des Helden ist nicht zu denken. Dass der Autor nicht die Balance verliert, verdient Respekt - und Leser. Bücher wie dieses beweisen, wie stark die Innovationskraft eines Genres ist, das längst nicht ausgereizt ist.
HANNES HINTERMEIER
Rick DeMarinis: "Kaputt in El Paso". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Frank Nowatzki und Angelika Müller. Pulp Master, Berlin 2007. 352 S., br., 13,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main