Matthias Heine behandelt unterhaltsam und wissenschaftlich fundiert über 80 Wörter, die heute als diskriminierend, problematisch und gestrig bezeichnet werden oder im Verdacht stehen, es zu sein. Die Wörter reichen von behindert über Eskimo, Flüchtling bis Weißrussland und sogar Milch und bester Freund.All diese Wörter sind auf die eine oder andere Art kaputt. Manche funktionieren gar nicht mehr, andere kann man mit Vorsicht noch verwenden. Heine erklärt die Geschichte der Wörter und der Diskussionen um sie, warum sie so heikel sind und wie und wann man sie vermeiden sollte. So leistet das Buch einen wichtigen Beitrag zu der aufgeheizten Debatte um den Sprachgebrauch. Wer es gelesen hat, kann eine fundiertere Meinung entwickeln und erhält Sicherheit bei der eigenen Ausdrucksweise.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.10.2022Kaputte Wörter sind oft schwer zu ersetzen
Matthias Heine widmet sich siebzig Begriffen, die heute als heikel empfunden werden
Unter dem griffigen Titel "Kaputte Wörter" untersucht, beschreibt und bewertet Matthias Heine eine Auswahl von gut siebzig Wörtern, deren Gebrauch in neuerer Zeit fragwürdig geworden ist. Einige sind heiß umstritten wie "Mohr", "Indianer", "Jude", andere schon fast untergegangen wie "Negerkuss" und "Hasenscharte". Die meisten liegen zumindest auf der Intensivstation. Das Besondere der Darstellung ist die Gliederung jedes Wortartikels. Sie beginnt mit einem Blick in die Sprachgeschichte, beschreibt sodann den aktuellen Gebrauch und referiert die Kritik, die zum Wandel beigetragen hat. Zum Schluss gibt der Autor eine eigene freimütige, oft überraschende Einschätzung. Heine, Redakteur im Feuilleton der "Welt" und von Hause aus Sprachwissenschaftler, erweist sich als Meister wortgeschichtlicher Recherche. Das schlägt sich in unzähligen Zitaten nieder, die am Schluss des Buches in 582 Nachweisen belegt sind. Man muss sie nicht alle lesen, aber sie untermauern den authentischen Charakter der Darstellung.
Was sind die Themen, was die Motive der Sprachkritik? Dazu drei Beispiele. Zu den untergegangenen Wörtern zählt das "Fräulein", ursprünglich - als Diminutiv zu mittelhochdeutsch frouwe - die unverheiratete junge adelige Dame, seit dem neunzehnten Jahrhundert generell die unverheiratete Frau (als Ersatz für "Jungfer" oder "Mamsell"), zuletzt das "Fräulein vom Amt" oder die Kellnerin, "Frollein" gerufen. In den Nachkriegsjahren gab es das "Fräuleinwunder". Feministischer Widerstand hatte Erfolg: Schon 1928 wurde diese Anrede in Österreich vom Bundeskanzleramt abgeschafft, in Deutschland erst 1972 von Innenminister Genscher. Andererseits bestand die Schriftstellerin Annette Kolb bis zu ihrem Tod im Jahr 1967 auf der Anrede "Fräulein Kolb". Das bestätigt eine eigene Erinnerung: Meine unverheiratete Großtante, die den ererbten Hof alleine bewirtschaftete, bestand offiziell auf der Anrede "Fräulein Stoß". Unter den Dorfbewohnern war sie aber einfach "die Liesel". Als ich beruflich nach Franken zog, übernahm ich die Sekretärin meines Vorgängers und überraschte sie mit der Ankündigung: "Ich rede Sie mit Frau König an." "Fräulein" zeigt exemplarisch, wie sich der Gebrauch eines Wortes sukzessive wandelt und wie verschieden er sein kann, je nach Alter, sozialem Status und Region. Offenbar, so resümiert Heine, habe der eheliche Status an Relevanz verloren.
Dürfen wir noch Breslau sagen zu jener schlesischen Stadt, die heute Wroclaw heißt? Königsberg zu Kaliningrad? Geraten wir damit in Revanchismus-Verdacht? Heine zitiert einen polnischen Sprachwissenschaftler, der dafür plädiert, dass Deutsche ihre Heimatstadt auch weiterhin Breslau nennen. Auch die offizielle polnische Tourismusseite visitwroclaw.eu verwendet den deutschen Namen neben dem heutigen polnischen. Dies entspricht internationaler Praxis. Zahllose große Städte in aller Welt haben viele Namen, zum Beispiel Wien, Vienna, Vindobona oder Aachen, Aken, Aix-la-Chapelle. In der Ethnolinguistik spricht man von Endonymen und Exonymen (Eigen- beziehungsweise Fremdbezeichnungen). Wer, so schließt Heine, nach einem Polenbesuch erzählt, "Ich war in Breslau", stehe kaum im Verdacht, die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges rückgängig machen zu wollen.
Ein zweifelhaftes Wort ist "Migrationshintergrund", das im Rahmen des Mikrozensus eingeführt wurde für "Personen, die entweder selbst oder zumindest ein Elternteil von ihnen die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzen". Eine typisch lebensfremde Bürokratendefinition. Sie sollte in offiziellen Texten die Bezeichnungen "Gastarbeiter", "Ausländer", "Migranten" oder "ausländische Mitbürger" ersetzen. 2021 hat eine Fachkommission für Integrationsfähigkeit vorgeschlagen, diesen Ausdruck aufzugeben und nun von "Eingewanderten und ihren Nachkommen" zu sprechen. Kaputte Wörter sind oft schwer zu ersetzen.
Was ist das Besondere an diesem Buch? Es beschreibt an aktuellen Beispielen den lexikalischen Wandel, was ihn treibt und wie er vollzogen wird. Immer behält Heine das ganze deutsche Sprachgebiet im Auge, samt Österreich und der Schweiz. Zudem wird die Vernetzung des europäischen Wortschatzes in Entlehnung und Lehnübersetzung sichtbar und die Verbindung zur feministischen und antirassistischen Bewegung in den Vereinigten Staaten. Dies ist ein Stück aktuelle deutsche Sprachgeschichte, mit leichter Hand geschrieben. Empfehlenswert für alle, die ihre Sprache lieben. HORST HAIDER MUNSKE
Matthias Heine: "Kaputte Wörter". Vom Umgang mit heikler Sprache.
Dudenverlag, Berlin 2022. 301 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Matthias Heine widmet sich siebzig Begriffen, die heute als heikel empfunden werden
Unter dem griffigen Titel "Kaputte Wörter" untersucht, beschreibt und bewertet Matthias Heine eine Auswahl von gut siebzig Wörtern, deren Gebrauch in neuerer Zeit fragwürdig geworden ist. Einige sind heiß umstritten wie "Mohr", "Indianer", "Jude", andere schon fast untergegangen wie "Negerkuss" und "Hasenscharte". Die meisten liegen zumindest auf der Intensivstation. Das Besondere der Darstellung ist die Gliederung jedes Wortartikels. Sie beginnt mit einem Blick in die Sprachgeschichte, beschreibt sodann den aktuellen Gebrauch und referiert die Kritik, die zum Wandel beigetragen hat. Zum Schluss gibt der Autor eine eigene freimütige, oft überraschende Einschätzung. Heine, Redakteur im Feuilleton der "Welt" und von Hause aus Sprachwissenschaftler, erweist sich als Meister wortgeschichtlicher Recherche. Das schlägt sich in unzähligen Zitaten nieder, die am Schluss des Buches in 582 Nachweisen belegt sind. Man muss sie nicht alle lesen, aber sie untermauern den authentischen Charakter der Darstellung.
Was sind die Themen, was die Motive der Sprachkritik? Dazu drei Beispiele. Zu den untergegangenen Wörtern zählt das "Fräulein", ursprünglich - als Diminutiv zu mittelhochdeutsch frouwe - die unverheiratete junge adelige Dame, seit dem neunzehnten Jahrhundert generell die unverheiratete Frau (als Ersatz für "Jungfer" oder "Mamsell"), zuletzt das "Fräulein vom Amt" oder die Kellnerin, "Frollein" gerufen. In den Nachkriegsjahren gab es das "Fräuleinwunder". Feministischer Widerstand hatte Erfolg: Schon 1928 wurde diese Anrede in Österreich vom Bundeskanzleramt abgeschafft, in Deutschland erst 1972 von Innenminister Genscher. Andererseits bestand die Schriftstellerin Annette Kolb bis zu ihrem Tod im Jahr 1967 auf der Anrede "Fräulein Kolb". Das bestätigt eine eigene Erinnerung: Meine unverheiratete Großtante, die den ererbten Hof alleine bewirtschaftete, bestand offiziell auf der Anrede "Fräulein Stoß". Unter den Dorfbewohnern war sie aber einfach "die Liesel". Als ich beruflich nach Franken zog, übernahm ich die Sekretärin meines Vorgängers und überraschte sie mit der Ankündigung: "Ich rede Sie mit Frau König an." "Fräulein" zeigt exemplarisch, wie sich der Gebrauch eines Wortes sukzessive wandelt und wie verschieden er sein kann, je nach Alter, sozialem Status und Region. Offenbar, so resümiert Heine, habe der eheliche Status an Relevanz verloren.
Dürfen wir noch Breslau sagen zu jener schlesischen Stadt, die heute Wroclaw heißt? Königsberg zu Kaliningrad? Geraten wir damit in Revanchismus-Verdacht? Heine zitiert einen polnischen Sprachwissenschaftler, der dafür plädiert, dass Deutsche ihre Heimatstadt auch weiterhin Breslau nennen. Auch die offizielle polnische Tourismusseite visitwroclaw.eu verwendet den deutschen Namen neben dem heutigen polnischen. Dies entspricht internationaler Praxis. Zahllose große Städte in aller Welt haben viele Namen, zum Beispiel Wien, Vienna, Vindobona oder Aachen, Aken, Aix-la-Chapelle. In der Ethnolinguistik spricht man von Endonymen und Exonymen (Eigen- beziehungsweise Fremdbezeichnungen). Wer, so schließt Heine, nach einem Polenbesuch erzählt, "Ich war in Breslau", stehe kaum im Verdacht, die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges rückgängig machen zu wollen.
Ein zweifelhaftes Wort ist "Migrationshintergrund", das im Rahmen des Mikrozensus eingeführt wurde für "Personen, die entweder selbst oder zumindest ein Elternteil von ihnen die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzen". Eine typisch lebensfremde Bürokratendefinition. Sie sollte in offiziellen Texten die Bezeichnungen "Gastarbeiter", "Ausländer", "Migranten" oder "ausländische Mitbürger" ersetzen. 2021 hat eine Fachkommission für Integrationsfähigkeit vorgeschlagen, diesen Ausdruck aufzugeben und nun von "Eingewanderten und ihren Nachkommen" zu sprechen. Kaputte Wörter sind oft schwer zu ersetzen.
Was ist das Besondere an diesem Buch? Es beschreibt an aktuellen Beispielen den lexikalischen Wandel, was ihn treibt und wie er vollzogen wird. Immer behält Heine das ganze deutsche Sprachgebiet im Auge, samt Österreich und der Schweiz. Zudem wird die Vernetzung des europäischen Wortschatzes in Entlehnung und Lehnübersetzung sichtbar und die Verbindung zur feministischen und antirassistischen Bewegung in den Vereinigten Staaten. Dies ist ein Stück aktuelle deutsche Sprachgeschichte, mit leichter Hand geschrieben. Empfehlenswert für alle, die ihre Sprache lieben. HORST HAIDER MUNSKE
Matthias Heine: "Kaputte Wörter". Vom Umgang mit heikler Sprache.
Dudenverlag, Berlin 2022. 301 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensent Roland Kaehlbrandt hat das Gefühl, jetzt besser mitreden zu können. Denn Matthias Heine hat dem Sprachwissenschaftler viele gute Ratschläge gegeben, wo verbale Fallen stehen und wie er sie umgehen kann. Das ist für den Rezensenten in dieser auch sprachlich besonders aufgeheizten Zeit eine besondere Hilfe. Heine bietet eine fundierte Orientierung bei tatsächlich und scheinbar problematischen Begriffen, weil er, beginnend mit dem Ursprung eines Wortes, die derzeitige Kritik erläutert und dann eine eigene Einschätzung abgibt, ob "taubstumm" und "Kolonie" noch zur zeitgemäßen Kommunikation gehören, erklärt der Kritiker. Klug findet er, was Heine ihm rät. Vor allem aber gefällt ihm die sensible Sachlichkeit, mit der der Journalist ihm das Gefühl genommen hat, ständig Gefahr zu laufen, in einen Fettnapf zu treten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Die vielen Fakten, die Heine zusammengetragen hat, machen das Buch zu einer kurzweiligen Lektüre." dpa dpa dpa