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"Eigentlich wollte ich mehr als nur tot sein, denn tot sein, hieße gelebt zu haben, und das wollte ich auch nicht." Victoria hat aufgehört zu modeln, weil sie mit Mitte zwanzig nicht mehr als sechzehn durchgeht. Jetzt langweilt sie sich in Berlin. Als sie dem Rapper Said begegnet, wissen beide, dass sie den Rest des Lebens miteinander verbringen werden.Doch dann verschwindet Said während einer Tournee in den Fluten des Mittelmeers. Auf die Trauer folgt die Einsamkeit, in der Victoria Said wiederzufinden glaubt. Und sie findet ihn in seiner Sprache und seiner Musik. Als Karizma wird sie selber…mehr

Produktbeschreibung
"Eigentlich wollte ich mehr als nur tot sein, denn tot sein, hieße gelebt zu haben, und das wollte ich auch nicht."
Victoria hat aufgehört zu modeln, weil sie mit Mitte zwanzig nicht mehr als sechzehn durchgeht. Jetzt langweilt sie sich in Berlin. Als sie dem Rapper Said begegnet, wissen beide, dass sie den Rest des Lebens miteinander verbringen werden.Doch dann verschwindet Said während einer Tournee in den Fluten des Mittelmeers. Auf die Trauer folgt die Einsamkeit, in der Victoria Said wiederzufinden glaubt. Und sie findet ihn in seiner Sprache und seiner Musik. Als Karizma wird sie selber Rapstar und befreit sich Schicht um Schicht von der Vergangenheit.
KARIZMA ist Lovestory, Hiphop-Video und Großstadt-Roadmovie, und so lässig und rasant, wie Sara Gmuer die Geschichte ihrer Heldin erzählt, wird schnell klar, dass die Straßen Berlins breiter sind als anderswo. Ein außergewöhnliches Romandebüt, in dem es ohne jede Spur von Kitsch um große Gefühle geht laut, poetisch, sexy.
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Autorenporträt
Sara Gmuer wurde 1980 in Locarno geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie in der italienischen Schweiz, ihre Jugend in Luzern. Als sie 1995 'La Haine' im Kino sah, verliebte sie sich in den Hauptdarsteller Vincent Cassel. Die Schwärmerei hielt nur einen Sommer, das Lebensgefühl des Films blieb. Mit siebzehn brach sie die Schule ab und reiste durch die Welt. 2002 beendete sie in Zürich die Schauspielschule. Sara Gmuer lebt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.05.2012

Es gibt keine Kritik, es wird geschossen
Sara Gmuer war mal Model, dann Schauspielerin. Jetzt hat sie einen Roman über Rap geschrieben

Zwischendurch passiert einiges: Vergewaltigungen, blutige Kastrationen, ausgeschlagene Zähne, Boxereien unter Frauen.

Schnelle Autos, schöne Frauen und Schmuck, der von autoritären und unerhört anziehenden Männern an die schönen Frauen immerzu verschenkt wird, welche in Huren und Mamas unterteilt werden; in Zigarettenrauch gehüllte Angebote, die das Gegenüber nicht wird ablehnen können, Drogen und Schießereien, bei denen es um viel Geld und vor allem Ehre, um die Ehre der natürlich gottesfürchtigen und für immer zusammenhaltenden Familie geht, die das Wichtigste im Leben ist, diese Blut-ist-dicker-als-Wasser-Familie - all das gehört zu der phantastischsten, der faszinierendsten Idee von einem unterhaltsameren Leben, dieser Traum von einer Welt, in der es eine Ordnung gibt und in der man ein einsamer Held ist und die einfach unendlich viel spannender ist als das, was man in seinem demokratisch-aufgeklärten Vorsorgealltag so erlebt.

Diese Idee von einem gefährlichen Mafia-Leben wird in Filmen und Serien bis heute wieder und wieder erzählt, denn da hat man sie schließlich her, und ihretwegen will man so sein wie Tony Montana oder natürlich am allerbesten wie Don Vito Corleone, und davon träumt auch die Erzählerin des Romans "Karizma", dem Debüt der Schauspielerin und Autorin Sara Gmuer. Außerdem träumt diese Erzählerin von Rap, sie träumt von Rap und der Mafia, die schon lange zusammengehören, das heißt, Rap will schon lange so sein und aussehen wie die Mafia, welche aus den Filmen bekannt ist.

Denn vielen, vielen schwarzen amerikanischen Rappern wurde die Mafia-Idee einst ebenfalls in ihre Köpfe reinerzählt, allerdings haben die sich damit nicht aus Langeweile identifiziert, sondern weil sie, wie die Mafiosi, am Rande der Gesellschaft standen und reinwollten. Entstanden sind daraus unzählige Zeilen von Rappern wie Raekwon (nannte sich zum Beispiel nach der New Yorker Mafia-Familie Wu-Gambino), Jay-Z oder Nas, die sich in ihren Texten auf Mafia-Filme bezogen. Und weil Rap immer größer wurde und irgendwann auch Deutsche damit auf Deutsch anfingen, bis es schließlich auch hier sogenannte Gangster-Rapper gab, die von Waffen und Lamborghinis, von Schießereien und Bitches rappten, wurde die Rap-Mafia-Beziehung auch hier weitererzählt. Kinder und Jugendliche aus egal welchem Elternhaus, die für den "Paten" oder "Scarface" eigentlich viel zu spät geboren sind, lieben diese Filme und wollen so sein, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Und genau von dieser Lust auf Rap und Kriminalität handelt der ungewöhnliche Roman "Karizma".

Nach der Lektüre der ersten Seiten hält man die dreißigjährige Autorin aber zunächst für komplett verrückt, oder wenigstens für sehr geschmacklos, was daran liegen könnte, dass Rapper oft auch so gesehen werden: zu dumm für Geschmack. Und da es um Rap, Rap und noch mal Rap geht und die Sprache der Erzählerin aus dem Rap kommt, sitzt man eben manchmal ziemlich ratlos vor dem Buch, und irgendwann will man die Erzählerin dann anschreien und brüllen: "Du blödes, verzogenes Miststück, jetzt drück dich halt mal vernünftig aus und sag nicht dauernd ,motherfucking' und ,Alter', und grundsätzlich: Es heißt ,ich laufe', nicht ,ich lauf', und überhaupt: Du bist nicht krass, weil du kokst und kiffst und Kette rauchst und irre viel säufst, das machen alle in Romanen von jungen Autorinnen, die wohlstandsverwahrlosten Protagonistinnen genauso wie die ganz normal verwahrlosten, und Ausdruck von totaler geistiger Verwahrlosung sind ja wohl Sätze wie: ,Ich fühlte mich als Teil des Kosmos', welchen man in diesem Roman wiederholt ausgesetzt wird."

Und trotzdem liest man weiter, bis man am Ende begeistert ist. Denn dieser Text ist so nett zu einem, so leicht und schnell und vor allem: so, so unterhaltsam.

Wenn man hört, was die Autorin im echten Leben gemacht hat, nämlich modeln und schauspielern, erwartet man das zuallerletzt, man denkt: Aha, das wird jetzt wieder so ein blutleeres Isolations-Traktat über Cola-Light und Flughäfen und Luxus und Verkommenheit, und am Ende wiegt die Hauptfigur nur noch 19 Kilo, aber sie schafft es dann trotzdem irgendwie. Aber darum geht es nicht. Schauplatz ist der Berliner Wedding, ein Bezirk, in dem viele Ausländer leben, und sie stellen auch das Personal des Romans. Zunächst aber sitzt Victoria, die Protagonistin, allein in ihrer viel zu großen Berliner Wohnung voller Marmor und Leere. Sie raucht und wartet auf Aufträge von ihrer Modelagentur, die nicht anruft, also raucht sie weiter und denkt an ihre tote italienische Mutter und an ihren vielbeschäftigten italienischen Vater, den sie für einen Mafioso hält und der sie nach dem Tod seiner Frau nach Deutschland brachte, zu irgendeiner Tante, die Victoria noch nie gesehen hat.

Natürlich zerstört

So beginnt die Geschichte, und dann passiert so viel, so absurd viel, fast zu viel. Victoria trifft die Liebe ihres Lebens, den legendären Rapper Said. Er will sie auf der Stelle heiraten, nimmt sie mit auf Tour, und in Frankreich verschwindet Said dann in den Wellen des Mittelmeers und taucht nicht wieder auf. Das Leben der Protagonistin ist somit natürlich völlig zerstört. Sie trinkt also ganz viel und nimmt ganz viele Drogen und vermisst dabei Said, den sie dann aber doch wiedertrifft, irgendwie: Sie beginnt seine Raptexte abzutippen und dabei fließen ihr plötzlich selber Zeilen durch die Finger. Sie schreibt und schreibt, und es entstehen Texte, die sich ziemlich schlimm lesen (Seit du weg bist, is hier viel passiert / trotzdem, ich schwör, mein Kissen riecht nach dir), aber man soll Raptexte ja auch nicht lesen, sondern auf einem Beat und hoffentlich gut betont hören.

Victoria fängt dann richtig an zu rappen und ist fest entschlossen, das Erbe Saids, der weiter im Meer verschwunden bleibt, fortzuführen. Dabei stellen sich ihr pausenlos die gemeinsten Hindernisse in den Weg: Ihre Texte werden geklaut, Verträge mit Labels platzen, Neonazis verprügeln ihre Crew. Am Ende klappt es aber doch: Ein deutscher Superregisseur (natürlich!) produziert den Clip zu ihrem ersten Track, welcher auf Youtube tausendfach angeklickt wird, eine große Plattenfirma will sie, und dann, zack, ist sie der größte Rapstar Deutschlands - der erste weibliche Rapstar, den Deutschland je hatte zudem, und deswegen kann sie sich einen Audi nach dem anderen kaufen und natürlich noch viel mehr Drogen. Zwischendurch passiert allerhand: Vergewaltigungen, blutige Kastrationen, ausgeschlagene Zähne, Boxereien unter Frauen, Knastbesuche, Psychiatrieaufenthalte, große Mengen Heroin verschwinden, Klagen, Polizei, das heißt natürlich: Bullen, Anwälte, Lamborghinis werden verschenkt, Schießereien im Wedding, und am Ende kommt doch alles anders; Victoria fährt nach Italien und trifft ihren Vater, der ihr endlich sagt, warum ihre Mutter wirklich tot ist und was er beruflich so macht.

Trotzdem faszinierend

Das liest sich natürlich extrem unwahrscheinlich, aber wahrscheinlich, das will der Roman ja auch nicht sein. Eher erinnert er an die Musik-Videos der sogenannten Gangsterrapper, und er enthält auch genau die gleichen Mafia-Zitate, die diese Gangsterrap-Videos enthalten: Autos, Leute, die einem an den Kragen wollen, Knarren, Geld, echte, ewige Liebe und Geschwindigkeit, und das Ganze auf Deutsch - also ein bisschen kleiner und weniger elegant, aber trotzdem faszinierend, weil so unerwartet. Die Autorin macht ebenso schnelle Schnitte, wie man sie aus diesen Videos kennt, weswegen die Handlung manchmal gar keine richtige ist: Es folgt Situation auf Situation, Bild auf Bild, und darauf zu sehen ist die kämpferische Victoria, die die Werte der Mafia und des Gangsterraps hochhält: Familie, Ehre, Zusammenhalt und Ich-nehme-jeden-auseinander-der-sich-mir-in-den-Weg-stellt.

Jeder, der Rap gerne mag, kennt dieses Gefühl: Mit der Stadt kämpfend durch die Straßen gehen, und dazu läuft Hiphop und der Euch-zeige-ich-es-Film. Sara Gmuer hat das Buch dazu geschrieben, und ich finde es unglaublich sympathisch, dass eine Autorin den Humor hat, sich so eine absurde Handlung einfallen zu lassen, und dass sie den Mut hat, die Sprache zu verwenden, die man eben so spricht im Wedding. Denn auf den ersten Blick wirkt der Text nicht besonders helle, auch nicht besonders geistreich, fein oder tief, aber er macht einfach wahnsinnig viel Spaß. Und er bildet eine Welt ab, die es gibt: in den Köpfen von Mädchen und Jungs, die gerne so wären wie der erschossene Tupac und die hoffen, dass irgendwann die ganz große Chance kommt - und bis es so weit ist, benehmen sie sich eben wie Tupac in Klein: Picaldi-Jeans, unechte Goldketten, Schlampen und Mütter, Deutsch auf Türkisch sprechen und die "Schule ficken", und deren große Brüder haben das alle auch schon so gemacht.

In Gmuers Roman aber gibt es glücklicherweise nicht mal einen Ansatz von Sozialkritik, es gibt nur die rasante Kamerafahrt durch den romantischen Mafia-Traum auf Deutsch, den sich eine Frau ausgedacht hat und den sie eine Frau leben lässt. Stellenweise übrigens auch in etwas leiseren Worten: "Ich lenkte mich ab, machte mir absichtlich das Herz kaputt. Drogen und Männer, mehr braucht man dazu nicht."

ANTONIA BAUM

Sara Gmuer: "Karizma". Orange Press, 219 Seiten, 16,90 Euro. Erscheint am 29. Mai

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