Trowitzsch unfolds the diverse influence of Karl Barth's theology on the modern age. Especially the new challenges of today require to contemplate newly the fundaments of our Christian belief: the revelation of God, gratitude, the Christian sermon. Trowitzsch applies Barth's theology critically on the present. The author sets off a dialogue between Barth's theology and philosophy, the arts and poetry of the modern age and of German or European origin achieving a diverse discussion.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.01.2008Zeitlose Erkenntnisse über Gott und Welt
Michael Trowitzsch präsentiert den Theologen Karl Barth im Dämmerlicht frommer Legendenbildung
„Wer mag im Nebel lesen, was alles der Nebel verursacht?” 1960 leiht Günter Grass in dem Gedicht- und Zeichnungsband „Gleisdreieck” einem Zeitungsausrufer seine Stimme. Michael Trowitzsch zitiert in „Karl Barth heute” auch Grass und freut sich, Gemeinsamkeiten von Theologie und „wacher Literatur” zu entdecken: „Mein großes Ja bildet Sätze mit kleinem nein”. Der Jenaer Systematische Theologe breitet in seiner umfänglichen Studie noch mancherlei erbauliche Lesefrüchte aus. So entsteht ein Assoziationsraum, in dem alles irgendwie zueinander passen könnte. Literatur, Philosophie, Kunst, Film und Staatstheorie, Botho Strauß, Ernst Jünger, Martin Heidegger, Woody Allen oder Peter von Matt – sie alle melden sich zu Wort.
Das hält Trowitzsch für durchaus angemessen. Schließlich habe sich Barth kritisch mit Neuzeit und Moderne befasst. Werde nun seine „ungemein deutliche Theologie” unmittelbar mit der Gegenwart konfrontiert, könne sie „überraschend neu entdeckt” werden. Barths „unerhört intensive Schriftauslegung”, seine „Rede vom ewigreichen, herrlichen Gott”, die prophetisch orientierte Versöhnungslehre geraten ebenso in den Fokus wie „eine Art nachwissenschaftlicher Theologiebegriff”, der dem Schweizer Meistertheologen attestiert wird.
Es bleibt freilich ein tiefes Geheimnis dieser redseligen Barth-Analyse, worin die Stärken einer die Wissenschaft überwindenden Theologie liegen sollen. Die Schwächen eines vorwissenschaftlichen Theologieverständnisses lässt Trowitzsch selbst dagegen eindrucksvoll zutage treten – mit irritierenden Folgen für das Barth-Bild, wird doch der zweifelsohne bedeutendste protestantische Theologe, den das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat, mehr oder weniger trivialisiert.
Der Autor präsentiert seinen Helden in jenem diffusen Dämmerlicht frommer Legendenbildung, wie es nur der Verzicht auf historisch-kritische Kontextualisierung zu erzeugen vermag, als hätte es die einschlägigen Arbeiten von Falk Wagner und Trutz Rendtorff nicht gegeben. Die in der Theologie nach Jahrzehnten unkritischer Heroen-Verklärung und gegen hartnäckigen Widerstand seit geraumer Zeit in Gang gekommene Integration Barths in die Intellektuellengeschichten der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus wird ignoriert oder in Fußnoten thetisch abgewehrt. „Barth heute” feiert ganz unbefangen den Künder zeitloser Erkenntnisse über Gott und die Welt, dessen Wahrheiten intuitiv erschlossen werden. Der historische Karl Barth geht dabei verloren.
Völlig undeutlich bleibt, wie es zur Erfolgsgeschichte der Dialektischen Theologie kommen konnte und welche Rolle dabei Barths Römerbrief-Kommentar, aber auch der Tambacher Kongress der Religiösen Sozialisten spielte, auf dem der damals noch so gut wie unbekannte Schweizer Pfarrer 1919 mit seinem Vortrag „Der Christ in der Gesellschaft” glänzte. Profillos erscheinen Fachgenossen, Kampfgefährten und Antipoden – ob Friedrich Gogarten, Paul Tillich, Rudolf Bultmann oder Emanuel Hirsch. Unbeschrieben bleiben die Blätter über Barths Parlamentarismuskritik oder seinen Anteil am Scheitern des Projekts „Weimarer Republik”. Dass Zeithistoriker die „Bekennende Kirche” mittlerweile nicht mehr nur als Hort des Widerstands, sondern auch der Orthodoxiebildung und Wissenschaftsferne sehen, erfahren die Leser nicht. Und nichts lesen sie über Dominanz der Barth-Schule in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, über die englischsprachige Barth-Rezeption oder den Angriff Feministischer Theologie auf Autoritätshörigkeit und göttliche Allmachtsphantasien, die das Werk des Theologen durchziehen.
Wie differenziert sich dagegen eine zukunftsorientierte Relevanz Karl Barths vor dem Hintergrund vielschichtiger theologie- und philosophiegeschichtlicher Traditionszusammenhänge deuten lässt, zeigen die einschlägigen Studien Eberhard Jüngels. Der Tübinger Emeritus und weltkluge Wächter protestantischer Rechtgläubigkeit weiß sich Barth seit jeher in Theologie und Predigtpraxis verpflichtet, vermeidet aber sorgfältig jegliche Vermischung der intellektuellen Reflexionsebenen und literarischen Genres. Nicht so Trowitzsch: Hier werden Verkündigungsstil, Betroffenheitspathos angesichts einer übertechnisierten Welt und bald zugrundegehenden Schöpfung mit Werkmeditation und allgemeinen Überlegungen zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vermengt.
Bedauerlich ist vor allem, dass auf diese Weise das Bild einer Theologie produziert und dokumentiert wird, die im öffentlichen Raum hinter ihren eigenen Möglichkeiten zurückbleibt und damit als ernstzunehmende Stimme in den elementaren Gegenwartsherausforderungen ausfällt. Doch Trowitzsch sieht dies anders, und er stellt sich und seinen Lesern am Ende die Frage: „Was ist um Gottes willen, um des Evangeliums willen, an der Zeit?” Die Antwort: wegbereitende Theologie, dezidiert evangelische Orientierung, verlässliche Schrifttreue. Das Evangelium soll „seine trotzige Kraft” gegen die verhängnisvollen Gegenwartsentwicklungen behaupten, gegen eine Welt, die ihren Untergang noch nicht realisiert hat. Jesus Christus weist den Weg. „Ein Moment der Stille. Seine Anwesenheit, seine Gnade, heute, genügt.” Zu ergänzen bliebe die Frage: Wem? ALF CHRISTOPHERSEN
MICHAEL TROWITZSCH: Karl Barth heute. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007. 565 Seiten, 42,90 Euro.
Karl Barth (1886-1968), fotografiert im Mai 1961 Foto: dpa/pa
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Michael Trowitzsch präsentiert den Theologen Karl Barth im Dämmerlicht frommer Legendenbildung
„Wer mag im Nebel lesen, was alles der Nebel verursacht?” 1960 leiht Günter Grass in dem Gedicht- und Zeichnungsband „Gleisdreieck” einem Zeitungsausrufer seine Stimme. Michael Trowitzsch zitiert in „Karl Barth heute” auch Grass und freut sich, Gemeinsamkeiten von Theologie und „wacher Literatur” zu entdecken: „Mein großes Ja bildet Sätze mit kleinem nein”. Der Jenaer Systematische Theologe breitet in seiner umfänglichen Studie noch mancherlei erbauliche Lesefrüchte aus. So entsteht ein Assoziationsraum, in dem alles irgendwie zueinander passen könnte. Literatur, Philosophie, Kunst, Film und Staatstheorie, Botho Strauß, Ernst Jünger, Martin Heidegger, Woody Allen oder Peter von Matt – sie alle melden sich zu Wort.
Das hält Trowitzsch für durchaus angemessen. Schließlich habe sich Barth kritisch mit Neuzeit und Moderne befasst. Werde nun seine „ungemein deutliche Theologie” unmittelbar mit der Gegenwart konfrontiert, könne sie „überraschend neu entdeckt” werden. Barths „unerhört intensive Schriftauslegung”, seine „Rede vom ewigreichen, herrlichen Gott”, die prophetisch orientierte Versöhnungslehre geraten ebenso in den Fokus wie „eine Art nachwissenschaftlicher Theologiebegriff”, der dem Schweizer Meistertheologen attestiert wird.
Es bleibt freilich ein tiefes Geheimnis dieser redseligen Barth-Analyse, worin die Stärken einer die Wissenschaft überwindenden Theologie liegen sollen. Die Schwächen eines vorwissenschaftlichen Theologieverständnisses lässt Trowitzsch selbst dagegen eindrucksvoll zutage treten – mit irritierenden Folgen für das Barth-Bild, wird doch der zweifelsohne bedeutendste protestantische Theologe, den das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat, mehr oder weniger trivialisiert.
Der Autor präsentiert seinen Helden in jenem diffusen Dämmerlicht frommer Legendenbildung, wie es nur der Verzicht auf historisch-kritische Kontextualisierung zu erzeugen vermag, als hätte es die einschlägigen Arbeiten von Falk Wagner und Trutz Rendtorff nicht gegeben. Die in der Theologie nach Jahrzehnten unkritischer Heroen-Verklärung und gegen hartnäckigen Widerstand seit geraumer Zeit in Gang gekommene Integration Barths in die Intellektuellengeschichten der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus wird ignoriert oder in Fußnoten thetisch abgewehrt. „Barth heute” feiert ganz unbefangen den Künder zeitloser Erkenntnisse über Gott und die Welt, dessen Wahrheiten intuitiv erschlossen werden. Der historische Karl Barth geht dabei verloren.
Völlig undeutlich bleibt, wie es zur Erfolgsgeschichte der Dialektischen Theologie kommen konnte und welche Rolle dabei Barths Römerbrief-Kommentar, aber auch der Tambacher Kongress der Religiösen Sozialisten spielte, auf dem der damals noch so gut wie unbekannte Schweizer Pfarrer 1919 mit seinem Vortrag „Der Christ in der Gesellschaft” glänzte. Profillos erscheinen Fachgenossen, Kampfgefährten und Antipoden – ob Friedrich Gogarten, Paul Tillich, Rudolf Bultmann oder Emanuel Hirsch. Unbeschrieben bleiben die Blätter über Barths Parlamentarismuskritik oder seinen Anteil am Scheitern des Projekts „Weimarer Republik”. Dass Zeithistoriker die „Bekennende Kirche” mittlerweile nicht mehr nur als Hort des Widerstands, sondern auch der Orthodoxiebildung und Wissenschaftsferne sehen, erfahren die Leser nicht. Und nichts lesen sie über Dominanz der Barth-Schule in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, über die englischsprachige Barth-Rezeption oder den Angriff Feministischer Theologie auf Autoritätshörigkeit und göttliche Allmachtsphantasien, die das Werk des Theologen durchziehen.
Wie differenziert sich dagegen eine zukunftsorientierte Relevanz Karl Barths vor dem Hintergrund vielschichtiger theologie- und philosophiegeschichtlicher Traditionszusammenhänge deuten lässt, zeigen die einschlägigen Studien Eberhard Jüngels. Der Tübinger Emeritus und weltkluge Wächter protestantischer Rechtgläubigkeit weiß sich Barth seit jeher in Theologie und Predigtpraxis verpflichtet, vermeidet aber sorgfältig jegliche Vermischung der intellektuellen Reflexionsebenen und literarischen Genres. Nicht so Trowitzsch: Hier werden Verkündigungsstil, Betroffenheitspathos angesichts einer übertechnisierten Welt und bald zugrundegehenden Schöpfung mit Werkmeditation und allgemeinen Überlegungen zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vermengt.
Bedauerlich ist vor allem, dass auf diese Weise das Bild einer Theologie produziert und dokumentiert wird, die im öffentlichen Raum hinter ihren eigenen Möglichkeiten zurückbleibt und damit als ernstzunehmende Stimme in den elementaren Gegenwartsherausforderungen ausfällt. Doch Trowitzsch sieht dies anders, und er stellt sich und seinen Lesern am Ende die Frage: „Was ist um Gottes willen, um des Evangeliums willen, an der Zeit?” Die Antwort: wegbereitende Theologie, dezidiert evangelische Orientierung, verlässliche Schrifttreue. Das Evangelium soll „seine trotzige Kraft” gegen die verhängnisvollen Gegenwartsentwicklungen behaupten, gegen eine Welt, die ihren Untergang noch nicht realisiert hat. Jesus Christus weist den Weg. „Ein Moment der Stille. Seine Anwesenheit, seine Gnade, heute, genügt.” Zu ergänzen bliebe die Frage: Wem? ALF CHRISTOPHERSEN
MICHAEL TROWITZSCH: Karl Barth heute. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007. 565 Seiten, 42,90 Euro.
Karl Barth (1886-1968), fotografiert im Mai 1961 Foto: dpa/pa
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.10.2008Wo ein Prophet hobelt, fallen Späne
Michael Trowitzsch hebt Karl Barth auf unsere Bühne
Ein dickköpfiges Buch, das die Konventionen wissenschaftlicher Werkbiographien souverän missachtet.
Das Projekt ist so einfach wie unwissenschaftlich: Mit "Karl Barth heute" will Michael Trowitzsch, systematischer Theologe in Jena, seinen Helden, den wohl bedeutendsten protestantischen Theologen des zwanzigsten Jahrhunderts, in die Gegenwart sprechen lassen. Das sei nur sachgemäß, denn, so der Autor, in der wahren Kirche "gibt es keine Vergangenheit"; die alten Propheten reden noch heute. Und als durchaus prophetisch will der Autor Karl Barths ausführliche Gottesrede in ihren verschiedenen Formen - am monumentalsten in seiner vielbändigen "Kirchlichen Dogmatik" - zu verstehen geben. Ja, prophetische Rede ist für Trowitzsch die eigentliche Aufgabe von Theologie und Kirche insgesamt. Theologie als bloß beschreibende religions- oder kulturwissenschaftliche Disziplin, das wäre keine Theologie.
Mit Lust stemmt sich der Verfasser damit gegen einen Trend, der auch in den theologischen Fakultäten selbst gegenwärtig gute Konjunktur zu haben scheint und sich wohl unter anderem aus den vermeintlichen oder echten Zwängen der reformwütigen deutschen Universität ergibt: interdisziplinäre Anpassung in thematischer, methodischer, hermeneutischer Hinsicht - und damit, so jedenfalls Trowitzsch, ziemlich schnell der Ausverkauf des Eigenen. Ist Theologie eine Wissenschaft? Für den Jenenser Systematiker sollte sie es, jedenfalls unter den gegenwärtigen Bedingungen, gar nicht sein wollen; Theologie sei Sapientia - Weisheit. Die hat man, oder man hat sie nicht. Kanzel und Katheder stehen nicht weit voneinander entfernt. "An welcher Stelle beginnt das peinliche Schauspiel, daß Theologie im Interesse vager ,Gesprächsfähigkeit' ihren eigenen Begriff verhöhnt?", fragt Trowitzsch rhetorisch.
Kritik an Barth findet sich nirgends, höchstens ein besseres Verstehen und Sprechen in Barths Geiste wird angestrebt. Ob da die "Schweizer Stimme" immer recht verstanden ist, mag die gelehrte Barth-Philologie prüfen. Hinzu tritt eine Fülle weiterer Referenzen, zumeist aus der Literatur - besonders beliebt sind Benn, Jünger, Kafka und Botho Strauß -, gelegentlich auch aus Philosophie (immer wieder Heidegger, daneben vor allem Nietzsche und Jaspers) und Theologie (oft Bonhoeffer), die das Gesagte bestätigen, vertiefen oder einfach noch einmal anders, schöner, poetischer ausdrücken. Das Buch ist ein Cento über mehrere hundert Seiten. Freimütig gesteht der Autor, was vor Augen liegt: dass Namen in Anspruch genommen werden, die in einer christlichen Dogmatik zu Ehren zu kommen sich nicht hätten träumen lassen. Das Kontextprinzip des Zitierens muss mehr als einmal dran glauben.
Die im geisteswissenschaftlichen Betrieb geläufigen Kategorien von "Deutung" und "Wissenschaft" werden einer scharfen Kritik unterzogen: Sie seien nichts anderes als der Versuch der Absolutsetzung des erkennenden Subjekts. Damit sei aber rechte, von Gottes Offenbarung herkommende und redende Theologie schon im Ansatz verfehlt. Kurz und bündig: "Deutung steht alternativ gegen Wahrheit." Hier scheiden sich die Wege auch innerhalb der Theologie. Freilich: Der provokante Satz ist gut biblisch. Von Barth übernimmt der Autor die Verweisfunktion der Theologie: Nicht wir haben zu sagen, was wir - meist zu unkritisch gegenüber uns selbst - uns so alles über Gott und die Welt zurechtlegen, sondern rechte Theologie ist zunächst ein Vernehmen und dann ein Mitteilen des Vernommenen.
Was eine solche Methode - wenn man denn von Methode reden darf - grundsätzlich vom Existentialphilosophischen oder auch Phänomenologischen scheidet, ist der fundamentale Bezug auf die Heilige Schrift. Wo und wie aber wird gehört auf die Offenbarung? Sie ereignet sich nicht in der heute an der Universität meist betriebenen historisch-kritischen Lektüre der Bibel oder ihrer Einzelschriften. Der "Kanon im Kanon" ist deutlich: "Jesus Christus vermittelt Phänomenalität"; der Hermeneutik der Kontextualisierung wird scheinbar eine Hermeneutik der Unterwerfung entgegengestellt. Was im Vollzug aber heißt, dass weit überwiegend das Christus-Zeugnis des Neuen Testaments herangezogen wird, während der erste Kanonteil, das christliche Alte Testament, nur selten und höchst selektiv vorkommt. Lernt man das tatsächlich im Vollzug des Schriftstudiums? Ein zumindest innertheologisch interdisziplinärer Dialog mit der biblischen Exegese hätte diesen im Grunde seiner selbst allzu sicheren Zugriff auf die Schrift doch heilsam verunsichert.
Bittere Sentenzen finden sich, die unter die Haut gehen. Etwa zum öffentlichen Diskurs, der sich ethisch besorgt gibt, vermerkt der Autor: "Meinungen und Dafürhalten, zum Beispiel das pseudo-ethische, meist einschlägig interessierte Geplapper (das nur diskutiert, um am Ende Erlaubnis und Sanktionierung zu erhalten)". Zur wahren Lehre aus den Geschichtserfahrungen des 20. Jahrhunderts liest man: "Einzugestehen, denke ich, ist der Bankrott, den das vorige Jahrhundert für die Menschheitsgeschichte bedeutet." Fast stammelnd zur Allgegenwart des technischen Fortschrittsdenkens: "Was wirkliche Technokratie bedeutet und bis wohin sie geht: wie sie ins Tödliche ausläuft, wie Freiheit Zug um Zug an sie abgetreten wird, wie es ihr gemäß zusehends eindeutiger nur eine Richtung gibt, in der überhaupt gewollt werden kann". Zur Stellung der Naturwissenschaften, die sich als Philosophie- und Religionsersatz aufspielen, wird mit Erwin Chargaff konstatiert, dass sie "in der Welt der Lüge wohnen". Zur embryonalen Stammzellenforschung heißt es: "Der Durchbruch zur Selbstbestimmung eines vielleicht einmal nutznießenden Geheilten soll unter Vernutzung eines zu Entscheidungen noch nicht befähigten Wesens erfolgen. Was in der Konsequenz derartiger Machtfiguren wächst, ist die Ehrfurcht vor dem je eigenen Leben - die in aller Regel so schonungslos mit dem anderen Leben wie nachsichtig gegen sich selbst verfährt."
In solchen und anderen Passagen zeigen sich der tiefe Schauder über die Moderne, ihre unbändige Machtbesessenheit und der fast dickköpfige Unwille, ihr beruhigendes Parlando mitzumachen. Es ist hier, über die Erinnerung an Barth hinaus, auch die eigentliche theologische Leistung des Buches zu sehen: traditionelle Begriffe und Vorstellungen christlicher Dogmatik - insbesondere der Anthropologie und Sündenlehre - so umzuformen, dass sie wirklich die Gegenwart treffen. "Karl Barth heute" ist, wie es der Titel verspricht, tatsächlich ein tagesaktuelles Buch: "Zum Zuge kommen muß eine unabgeschwächte theologische Lehre vom Bösen", fordert der Autor. Dies wird geleistet.
Daher macht man es sich ohne Zweifel zu leicht, wenn man diesem Buch mangelndes geistesgeschichtliches Differenzierungsvermögen in Bezug auf seinen Heros oder eine reaktionäre Einstellung gegenüber der Moderne vorwirft. In einer wissenschaftlichen Epoche, in der noch der unbedeutendste Lokaldenker zum Untersuchungsobjekt eines Forschungsverbundes avancieren kann, müsste sich auch für das hier vorgestellte Konzept einer Theologia perennis eine Nische finden lassen. Schließlich ist man auch mit Kant nicht fertig, wenn man weiß, was er zum Weihnachtsfest 1800 als Festbraten hatte.
Dennoch hinterlässt die Lektüre auch Skepsis. Sie betrifft erkennbare blinde Flecken dieser weisen, unwissenschaftlichen Theologie, etwa in Bezug auf die Israel-Frage oder das Verhältnis zu anderen Religionen. Sie entsteht an der vorgeführten Lektüre der Heiligen Schrift, die natürlich ihrerseits höchst subjektiv und selektiv ist und auch ihre eigene Fehlbarkeit, ja Sündhaftigkeit stets mit zu bedenken hätte.
Und diese Skepsis stellt das Konzept prophetischer Theologie auch grundsätzlich in Frage: Hat die Theologie nicht schon allzu oft vor dem Zug gewarnt, nachdem dieser längst durchgefahren war? Sind die Schüler der Propheten noch Propheten? Kann beamtete Theologie überhaupt prophetisch sein? Ist man Prophet nicht wider Willen? Dass die Welt dem Ende entgegengeht (aber wann?), ist für den recht gläubigen Christen fast eine Banalität. Für alle anderen ist jeder neue Tag ein starkes Indiz gegen diese Annahme.
HERMUT LÖHR
Michael Trowitzsch: "Karl Barth heute". Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007. 565 S., geb., 42,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Michael Trowitzsch hebt Karl Barth auf unsere Bühne
Ein dickköpfiges Buch, das die Konventionen wissenschaftlicher Werkbiographien souverän missachtet.
Das Projekt ist so einfach wie unwissenschaftlich: Mit "Karl Barth heute" will Michael Trowitzsch, systematischer Theologe in Jena, seinen Helden, den wohl bedeutendsten protestantischen Theologen des zwanzigsten Jahrhunderts, in die Gegenwart sprechen lassen. Das sei nur sachgemäß, denn, so der Autor, in der wahren Kirche "gibt es keine Vergangenheit"; die alten Propheten reden noch heute. Und als durchaus prophetisch will der Autor Karl Barths ausführliche Gottesrede in ihren verschiedenen Formen - am monumentalsten in seiner vielbändigen "Kirchlichen Dogmatik" - zu verstehen geben. Ja, prophetische Rede ist für Trowitzsch die eigentliche Aufgabe von Theologie und Kirche insgesamt. Theologie als bloß beschreibende religions- oder kulturwissenschaftliche Disziplin, das wäre keine Theologie.
Mit Lust stemmt sich der Verfasser damit gegen einen Trend, der auch in den theologischen Fakultäten selbst gegenwärtig gute Konjunktur zu haben scheint und sich wohl unter anderem aus den vermeintlichen oder echten Zwängen der reformwütigen deutschen Universität ergibt: interdisziplinäre Anpassung in thematischer, methodischer, hermeneutischer Hinsicht - und damit, so jedenfalls Trowitzsch, ziemlich schnell der Ausverkauf des Eigenen. Ist Theologie eine Wissenschaft? Für den Jenenser Systematiker sollte sie es, jedenfalls unter den gegenwärtigen Bedingungen, gar nicht sein wollen; Theologie sei Sapientia - Weisheit. Die hat man, oder man hat sie nicht. Kanzel und Katheder stehen nicht weit voneinander entfernt. "An welcher Stelle beginnt das peinliche Schauspiel, daß Theologie im Interesse vager ,Gesprächsfähigkeit' ihren eigenen Begriff verhöhnt?", fragt Trowitzsch rhetorisch.
Kritik an Barth findet sich nirgends, höchstens ein besseres Verstehen und Sprechen in Barths Geiste wird angestrebt. Ob da die "Schweizer Stimme" immer recht verstanden ist, mag die gelehrte Barth-Philologie prüfen. Hinzu tritt eine Fülle weiterer Referenzen, zumeist aus der Literatur - besonders beliebt sind Benn, Jünger, Kafka und Botho Strauß -, gelegentlich auch aus Philosophie (immer wieder Heidegger, daneben vor allem Nietzsche und Jaspers) und Theologie (oft Bonhoeffer), die das Gesagte bestätigen, vertiefen oder einfach noch einmal anders, schöner, poetischer ausdrücken. Das Buch ist ein Cento über mehrere hundert Seiten. Freimütig gesteht der Autor, was vor Augen liegt: dass Namen in Anspruch genommen werden, die in einer christlichen Dogmatik zu Ehren zu kommen sich nicht hätten träumen lassen. Das Kontextprinzip des Zitierens muss mehr als einmal dran glauben.
Die im geisteswissenschaftlichen Betrieb geläufigen Kategorien von "Deutung" und "Wissenschaft" werden einer scharfen Kritik unterzogen: Sie seien nichts anderes als der Versuch der Absolutsetzung des erkennenden Subjekts. Damit sei aber rechte, von Gottes Offenbarung herkommende und redende Theologie schon im Ansatz verfehlt. Kurz und bündig: "Deutung steht alternativ gegen Wahrheit." Hier scheiden sich die Wege auch innerhalb der Theologie. Freilich: Der provokante Satz ist gut biblisch. Von Barth übernimmt der Autor die Verweisfunktion der Theologie: Nicht wir haben zu sagen, was wir - meist zu unkritisch gegenüber uns selbst - uns so alles über Gott und die Welt zurechtlegen, sondern rechte Theologie ist zunächst ein Vernehmen und dann ein Mitteilen des Vernommenen.
Was eine solche Methode - wenn man denn von Methode reden darf - grundsätzlich vom Existentialphilosophischen oder auch Phänomenologischen scheidet, ist der fundamentale Bezug auf die Heilige Schrift. Wo und wie aber wird gehört auf die Offenbarung? Sie ereignet sich nicht in der heute an der Universität meist betriebenen historisch-kritischen Lektüre der Bibel oder ihrer Einzelschriften. Der "Kanon im Kanon" ist deutlich: "Jesus Christus vermittelt Phänomenalität"; der Hermeneutik der Kontextualisierung wird scheinbar eine Hermeneutik der Unterwerfung entgegengestellt. Was im Vollzug aber heißt, dass weit überwiegend das Christus-Zeugnis des Neuen Testaments herangezogen wird, während der erste Kanonteil, das christliche Alte Testament, nur selten und höchst selektiv vorkommt. Lernt man das tatsächlich im Vollzug des Schriftstudiums? Ein zumindest innertheologisch interdisziplinärer Dialog mit der biblischen Exegese hätte diesen im Grunde seiner selbst allzu sicheren Zugriff auf die Schrift doch heilsam verunsichert.
Bittere Sentenzen finden sich, die unter die Haut gehen. Etwa zum öffentlichen Diskurs, der sich ethisch besorgt gibt, vermerkt der Autor: "Meinungen und Dafürhalten, zum Beispiel das pseudo-ethische, meist einschlägig interessierte Geplapper (das nur diskutiert, um am Ende Erlaubnis und Sanktionierung zu erhalten)". Zur wahren Lehre aus den Geschichtserfahrungen des 20. Jahrhunderts liest man: "Einzugestehen, denke ich, ist der Bankrott, den das vorige Jahrhundert für die Menschheitsgeschichte bedeutet." Fast stammelnd zur Allgegenwart des technischen Fortschrittsdenkens: "Was wirkliche Technokratie bedeutet und bis wohin sie geht: wie sie ins Tödliche ausläuft, wie Freiheit Zug um Zug an sie abgetreten wird, wie es ihr gemäß zusehends eindeutiger nur eine Richtung gibt, in der überhaupt gewollt werden kann". Zur Stellung der Naturwissenschaften, die sich als Philosophie- und Religionsersatz aufspielen, wird mit Erwin Chargaff konstatiert, dass sie "in der Welt der Lüge wohnen". Zur embryonalen Stammzellenforschung heißt es: "Der Durchbruch zur Selbstbestimmung eines vielleicht einmal nutznießenden Geheilten soll unter Vernutzung eines zu Entscheidungen noch nicht befähigten Wesens erfolgen. Was in der Konsequenz derartiger Machtfiguren wächst, ist die Ehrfurcht vor dem je eigenen Leben - die in aller Regel so schonungslos mit dem anderen Leben wie nachsichtig gegen sich selbst verfährt."
In solchen und anderen Passagen zeigen sich der tiefe Schauder über die Moderne, ihre unbändige Machtbesessenheit und der fast dickköpfige Unwille, ihr beruhigendes Parlando mitzumachen. Es ist hier, über die Erinnerung an Barth hinaus, auch die eigentliche theologische Leistung des Buches zu sehen: traditionelle Begriffe und Vorstellungen christlicher Dogmatik - insbesondere der Anthropologie und Sündenlehre - so umzuformen, dass sie wirklich die Gegenwart treffen. "Karl Barth heute" ist, wie es der Titel verspricht, tatsächlich ein tagesaktuelles Buch: "Zum Zuge kommen muß eine unabgeschwächte theologische Lehre vom Bösen", fordert der Autor. Dies wird geleistet.
Daher macht man es sich ohne Zweifel zu leicht, wenn man diesem Buch mangelndes geistesgeschichtliches Differenzierungsvermögen in Bezug auf seinen Heros oder eine reaktionäre Einstellung gegenüber der Moderne vorwirft. In einer wissenschaftlichen Epoche, in der noch der unbedeutendste Lokaldenker zum Untersuchungsobjekt eines Forschungsverbundes avancieren kann, müsste sich auch für das hier vorgestellte Konzept einer Theologia perennis eine Nische finden lassen. Schließlich ist man auch mit Kant nicht fertig, wenn man weiß, was er zum Weihnachtsfest 1800 als Festbraten hatte.
Dennoch hinterlässt die Lektüre auch Skepsis. Sie betrifft erkennbare blinde Flecken dieser weisen, unwissenschaftlichen Theologie, etwa in Bezug auf die Israel-Frage oder das Verhältnis zu anderen Religionen. Sie entsteht an der vorgeführten Lektüre der Heiligen Schrift, die natürlich ihrerseits höchst subjektiv und selektiv ist und auch ihre eigene Fehlbarkeit, ja Sündhaftigkeit stets mit zu bedenken hätte.
Und diese Skepsis stellt das Konzept prophetischer Theologie auch grundsätzlich in Frage: Hat die Theologie nicht schon allzu oft vor dem Zug gewarnt, nachdem dieser längst durchgefahren war? Sind die Schüler der Propheten noch Propheten? Kann beamtete Theologie überhaupt prophetisch sein? Ist man Prophet nicht wider Willen? Dass die Welt dem Ende entgegengeht (aber wann?), ist für den recht gläubigen Christen fast eine Banalität. Für alle anderen ist jeder neue Tag ein starkes Indiz gegen diese Annahme.
HERMUT LÖHR
Michael Trowitzsch: "Karl Barth heute". Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007. 565 S., geb., 42,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Von Grund auf unzufrieden ist Alf Christophersen mit diesem Buch über den Schweizer Theologen Karl Barth von Michael Trowitzsch. Geschwätzig, undurchsichtig und ohne kritische Distanz verklärt der Autor den protestantischen Theologen als "Künder zeitloser Erkenntnisse" und lässt darüber den historischen Kontext ziemlich außer Acht, beschwert sich der Rezensent. Trowitzsch ignoriere die zahlreichen jüngeren Forschungsarbeiten, die Barth in der Geistesgeschichte der Weimarer Republik verankern, so der Rezensent verstimmt. Ärgerlich listet Christophersen auf, was der Autor in seinem Buch alles nicht behandelt: den Aufstieg der Dialektischen Theologie, Barths Rolle in der Weimarer Republik, seine Kritik am Parlamentarismus, die Nachkriegsrezeption von Barths Theologie oder feministische Angriffe gegen dessen "göttliche Allmachtsphantasien". Besonders schade findet der Rezensent, dass so einmal mehr das verklärte Bild des Theologen weitertransportiert wird, das die breitere Öffentlichkeit ohnehin von ihm hat und das Christophersen einfach nicht angemessen findet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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