Die Pflanzenphotographien von Karl Bloßfeldt (1865 bis 1932) gehören praktisch seit ihrer ersten Veröffentlichung Ende der 20er Jahre zu den ästhetischen Höhepunkten der Photogeschichte. Daß sie noch einmal "Konkurrenz" - und zwar aus den eigenen Reihen - bekommen könnten, schien unwahrscheinlich. Das war jedoch der Fall, als im letzten Jahr erstmals einige von Bloßfeldt selbst geschaffenen Phototableaus ausgestellt wurden, von denen sich 61 im Nachlaß befanden. Auf Kartons hatte Bloßfeldt bis zu 40 Abzüge seiner Pflanzenphotos befestigt, in unterschiedlicher Größe, auf farblich zum Teil stark variierendem Photopapier und mehr oder weniger systematisch zu Motivgruppen collagiert. Einige sind mit Feder und Tusche markiert oder beschriftet, bei anderen kennzeichnete er Ausschnitte. Sinn und Zweck dieser Tableaus sind bisher ebenso rätselhaft wie ihre Entstehungszeit. Sicher ist nur, daß es sich um Originale von ganz eigenem ästhetischen Reiz und bei ihrem Fund um eine Sensation handelt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.03.2001Urformen des Eisenhuts: Karl Blossfeldts "Arbeitscollagen" stellen die Verbindung zwischen Naturreich und Kunstwelt her
Wortreiche Erklärungen stören den Eindruck: Arbeitscollagen von Karl Blossfeldt "Großaufnahmen von Blumen" in Buch- und Mappenform zeigt Karl Nierendorf in Heft 2/3 der "Veröffentlichungen des Kunstarchivs" Berlin von 1926 an. Daß es sich dabei um Pflanzenfotos von Karl Blossfeldt handelt, klärt nur der Verweis auf die Bildtafel ein paar Seiten davor. Ganz klein ist da sein Name in der Bildunterschrift zu lesen. Skurril bleibt auch, daß dieser erste Hinweis auf den Pflanzenfotografen sich ausgerechnet im Katalog zur Graphikfolge "Der Krieg" von Otto Dix versteckt. Die abgebildete Eisenhut-Knospe figuriert dann unter Nummer 96 in den "Urformen der Kunst" und ist jetzt auch auf der Tafel 44 der "Arbeitscollagen" zu finden (unsere Abbildung), die Schirmer/Mosel nach den 61 im Archiv von Ann und Jürgen Wilde erhaltenen Tafeln herausgegeben hat. Es handelt sich dabei um eine Art Werkkatalog des Fotografen, der eigentlich Pflanzenmodelleur war. Die Lichtbildnerei hatte er nie als Selbstzweck betrieben. Zunächst fotografierte er für die Veröffentlichungen seines Lehrers M. Meurer, später zu seiner eigenen Anschauung und Lehre. Wie er als Inhaber der Professur für plastisches Gestalten nach Pflanzen in Berlin seinen Schülern zur Anregung und bei der Korrektur diese Aufnahmen zeigte, hat Paul Wedepohl uns eindrucksvoll berichtet. Dabei blieb es, bis 1928 bei Wasmuth die "Urformen der Kunst" mit 120 großen Tiefdrucktafeln und einem Vorwort von Nierendorf erschienen und den Fotografen berühmt machten. Sie werden seinen Ruhm bewahren. Für den zweiten Band mit weiteren 120 Tafeln "Wundergarten der Natur" schrieb er selbst das Vorwort. Die Literatur über das fotografische Werk wird ständig umfangreicher und entfernt sich immer weiter von den einfachen Ansprüchen ihres Autors: "Meine Pflanzenurkunden sollen dazu beitragen, die Verbindung zur Natur wiederherzustellen. Sie sollen den Sinn für die Natur wieder erwecken und zu eigener Beobachtung anregen." Und: "Wortreiche Erklärungen stören den starken Eindruck, den die Bilder auf den Beschauer ausüben." Die vorliegenden 61 "Arbeitscollagen" führen hinter diesen Zeitpunkt zurück. Die im Original dreifach größeren grüngrauen Kartons versammeln über eintausend Kontaktabzüge unterschiedlichen Formats. Sie geben uns nicht nur Auskunft über die von Blossfeldt verwendeten Negativgrößen zwischen 6 mal 9 und 13 mal 18 Zentimeter. Sie zeigen auch, daß er gelegentlich auf einer Aufnahme Pflanzen unterschiedlicher Art nebeneinander versammelte, deren Kontakte er dann zerschnitt und in verschiedenen Formgruppen einordnete. Farbige Abwechslung bringt das Nebeneinander der weißen bis bräunlichen Bromsilbergelatineabzüge und der blauen Cyanotypien. Die letzte Tafel versammelt nur sieben Darstellungen, während andere enggedrängt bis an vierzig zeigen. Die leeren Bereiche lassen vermuten, daß Platz für weitere Aufnahmen bleiben sollte. Gelegentlich verraten Klebespuren, daß etwas verlorenging oder die Anordnung geändert wurde. Die Fülle übt einen starken Reiz auf das hungrige Auge aus. Das Album ist Blossfeldt gewiß nicht nur ein Hilfsmittel gewesen, um sich im eigenen Bilderberg zurechtzufinden, sondern eher um Ordnung, System und Abfolge in die Vielfalt zu bringen. Ulrike Meyer Stump vermutet in der Einleitung, daß der Fotograf aus dem Album auch sein erstes Buch entwickelt hat. Er hat es wohl nur als Beleg benutzt. Die "Urformen der Kunst" sind aus der Fülle der Anschauung komponiert. Erst nach der Herstellung wurden zur Gegenkontrolle die verwendeten Aufnahmen mit einem roten Kreuzchen gekennzeichnet. So könnte man Blossfeldt wieder vom Kopf auf die Füße stellen. Dies ist ein wunderbares Bilderbuch, wir dürfen dem Gestalter über die Schulter schauen. Schade, daß die Tafeln nicht randvoll, also größer gedruckt sind. Das brächte uns dem Original und der Werkstatt Blossfeldts noch etwas näher.
KLAUS MÄRTENS.
Karl Blossfeldt: "Arbeitscollagen". Herausgegeben von Ann und Jürgen Wilde. Mit einem Text von Ulrike Me yer Stump. Verlag Schirmer/Mosel, München 2000. 156 S., 61 farb. Tafeln, 10 Abb., geb., 98,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wortreiche Erklärungen stören den Eindruck: Arbeitscollagen von Karl Blossfeldt "Großaufnahmen von Blumen" in Buch- und Mappenform zeigt Karl Nierendorf in Heft 2/3 der "Veröffentlichungen des Kunstarchivs" Berlin von 1926 an. Daß es sich dabei um Pflanzenfotos von Karl Blossfeldt handelt, klärt nur der Verweis auf die Bildtafel ein paar Seiten davor. Ganz klein ist da sein Name in der Bildunterschrift zu lesen. Skurril bleibt auch, daß dieser erste Hinweis auf den Pflanzenfotografen sich ausgerechnet im Katalog zur Graphikfolge "Der Krieg" von Otto Dix versteckt. Die abgebildete Eisenhut-Knospe figuriert dann unter Nummer 96 in den "Urformen der Kunst" und ist jetzt auch auf der Tafel 44 der "Arbeitscollagen" zu finden (unsere Abbildung), die Schirmer/Mosel nach den 61 im Archiv von Ann und Jürgen Wilde erhaltenen Tafeln herausgegeben hat. Es handelt sich dabei um eine Art Werkkatalog des Fotografen, der eigentlich Pflanzenmodelleur war. Die Lichtbildnerei hatte er nie als Selbstzweck betrieben. Zunächst fotografierte er für die Veröffentlichungen seines Lehrers M. Meurer, später zu seiner eigenen Anschauung und Lehre. Wie er als Inhaber der Professur für plastisches Gestalten nach Pflanzen in Berlin seinen Schülern zur Anregung und bei der Korrektur diese Aufnahmen zeigte, hat Paul Wedepohl uns eindrucksvoll berichtet. Dabei blieb es, bis 1928 bei Wasmuth die "Urformen der Kunst" mit 120 großen Tiefdrucktafeln und einem Vorwort von Nierendorf erschienen und den Fotografen berühmt machten. Sie werden seinen Ruhm bewahren. Für den zweiten Band mit weiteren 120 Tafeln "Wundergarten der Natur" schrieb er selbst das Vorwort. Die Literatur über das fotografische Werk wird ständig umfangreicher und entfernt sich immer weiter von den einfachen Ansprüchen ihres Autors: "Meine Pflanzenurkunden sollen dazu beitragen, die Verbindung zur Natur wiederherzustellen. Sie sollen den Sinn für die Natur wieder erwecken und zu eigener Beobachtung anregen." Und: "Wortreiche Erklärungen stören den starken Eindruck, den die Bilder auf den Beschauer ausüben." Die vorliegenden 61 "Arbeitscollagen" führen hinter diesen Zeitpunkt zurück. Die im Original dreifach größeren grüngrauen Kartons versammeln über eintausend Kontaktabzüge unterschiedlichen Formats. Sie geben uns nicht nur Auskunft über die von Blossfeldt verwendeten Negativgrößen zwischen 6 mal 9 und 13 mal 18 Zentimeter. Sie zeigen auch, daß er gelegentlich auf einer Aufnahme Pflanzen unterschiedlicher Art nebeneinander versammelte, deren Kontakte er dann zerschnitt und in verschiedenen Formgruppen einordnete. Farbige Abwechslung bringt das Nebeneinander der weißen bis bräunlichen Bromsilbergelatineabzüge und der blauen Cyanotypien. Die letzte Tafel versammelt nur sieben Darstellungen, während andere enggedrängt bis an vierzig zeigen. Die leeren Bereiche lassen vermuten, daß Platz für weitere Aufnahmen bleiben sollte. Gelegentlich verraten Klebespuren, daß etwas verlorenging oder die Anordnung geändert wurde. Die Fülle übt einen starken Reiz auf das hungrige Auge aus. Das Album ist Blossfeldt gewiß nicht nur ein Hilfsmittel gewesen, um sich im eigenen Bilderberg zurechtzufinden, sondern eher um Ordnung, System und Abfolge in die Vielfalt zu bringen. Ulrike Meyer Stump vermutet in der Einleitung, daß der Fotograf aus dem Album auch sein erstes Buch entwickelt hat. Er hat es wohl nur als Beleg benutzt. Die "Urformen der Kunst" sind aus der Fülle der Anschauung komponiert. Erst nach der Herstellung wurden zur Gegenkontrolle die verwendeten Aufnahmen mit einem roten Kreuzchen gekennzeichnet. So könnte man Blossfeldt wieder vom Kopf auf die Füße stellen. Dies ist ein wunderbares Bilderbuch, wir dürfen dem Gestalter über die Schulter schauen. Schade, daß die Tafeln nicht randvoll, also größer gedruckt sind. Das brächte uns dem Original und der Werkstatt Blossfeldts noch etwas näher.
KLAUS MÄRTENS.
Karl Blossfeldt: "Arbeitscollagen". Herausgegeben von Ann und Jürgen Wilde. Mit einem Text von Ulrike Me yer Stump. Verlag Schirmer/Mosel, München 2000. 156 S., 61 farb. Tafeln, 10 Abb., geb., 98,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Wenn der Rezensent bemerkt, als Person sei der Künstler wohl so aufregend gewesen wie sein Name, und der Name Karl Blossfeldt ist, verheißt das nichts Gutes für das Werk. Dass ausgerechnet dieser Blossfeldt mit seinen Pflanzenfotos, wie Ulf Erdmann Ziegler uns wissen lässt, für eine mirakulöse Verbindung von Funktionalismus und Ornamentik zuständig sein soll, nimmt wunder. Und doch: "typisch Blossfeldt" sind die 61 "in schlichter handwerklicher Manier gelayouteten" fotografischenTafeln , typisch die Knospen, Blüten, gekappten Halme und ausgefahrenen Blätter in wechselndem Licht, schreibt der Rezensent - "ein Memorandum zwischen Funktionalismus und Ornamentik". Überrascht ist er trotzdem. Ein Blossfeldt? Die Idee des Verlags aber macht's: Die versammelten Kontaktabzüge in Farbe zu reproduzieren, sie ihrer feldgrauen Sphäre zu entreißen - Ziegler findet das "schlagend".
© Perlentaucher Medien GmbH
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