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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.11.1999

Was lernte er eigentlich in der Schule des Erasmus?
Lehrstück für Europa: Das Leben Karls V. / Von Christine Tauber

In den ersten beiden Jahrzehnten des sechzehnten Jahrhunderts besteigt eine Gruppe ausgesprochen junger Herrscher die Throne Europas: 1509 wird Heinrich VIII. siebzehnjährig König von England, 1515 tritt Franz I. im Alter von zwanzig Jahren in Frankreich die Herrschaft an, im gleichen Jahr wird Herzog Karl von Burgund mit vierzehn für großjährig erklärt, und 1516 übernimmt er für seine Mutter, Johanna die Wahnsinnige, die Regentschaft in Kastilien und Aragon. Am 24. Februar 2000 jährt sich die Geburt des Jüngsten von ihnen, des späteren Kaisers Karls V., zum fünfhundertsten Mal. Ein erfreuliches Vorzeichen des Jubeljahres ist Ernst Schulins Buch, dessen Untertitel "Geschichte eines übergroßen Wirkungsbereiches" Ansatz und These vorwegnimmt. Nicht die glanzvolle Biographie des letzten europäischen Universalherrschers soll hier geschrieben werden, sondern die Geschichte eines zu großen Anspruchs, der an der Disparatheit eines Herrschaftsgebietes scheiterte. Schulin verfolgt den Abstieg eines Herrschers, der bereits mit neunzehn Jahren alles hatte, kaum etwas halten konnte und sich nach 1552 seinen politischen und wirtschaftlichen Bankrott eingestehen musste.

Dem Freiburger Emeritus geht es "um die Wirkung dieser ungewöhnlich exponierten Person auf die großen europäischen Veränderungen ihrer Zeit" - Konstellationen der Macht, junge Potentaten, die sich in einer zugespitzten Konkurrenzsituation befinden, sind Ausgangspunkt der Betrachtung. Als Konstanten auf den wechselnden Schauplätzen begegnen sich immer wieder Karls Festhalten am Anspruch auf Burgund und der Dauerstreit mit Frankreich. Einen historiographiegeschichtlichen Essay schickt Schulin voraus. Er warnt vor der ideologischen Vereinnahmung des Kaisers für nationalistische Legenden.

Schulin möchte, ganz im Sinne Burckhardtscher Kulturgeschichte, ein Porträt malen. Im Jahr 1520 angelangt, an dem Zeitpunkt, da sich die Geschichte Karls verzweigt und vervielfältigt, umschreibt er seine fast künstlerisch zu nennende Vorgehensweise in sprechenden Metaphern: "Das wird eine sehr bunte Angelegenheit. Wie in der Einleitung angekündigt, werden diese Geschichten nacheinander behandelt werden, so wie der Mehrfarbendruck eines Buntbildes hergestellt wird. Zunächst kommt weiter die Farbe Spanien, später die Farbe Reich, dann die Farbe Europapolitik. Zusammen werden sie dann erst das Gesamtbild ergeben, gerade auch in den dann erst erkennbaren Farbmischungen."

Im Zuge dieses Unternehmens der farblichen Anreicherung und Überlagerung charakterisiert Schulin zuerst das, was Karl nicht war: Er war kein Renaissancefürst wie Franz I. oder Heinrich VIII., und er war auch kein Vorkämpfer des Nationalstaates. Er hatte im Gegensatz zum französischen und zum englischen König den Partikularismus zusammen mit seinen Territorien ererbt und sah sich während seiner gesamten Regierungszeit mit ständischem Widerstand konfrontiert. Er war mit den modernen Machtmechanismen des Taktierens, Überlistens und Ausspielens von Kräften wenig vertraut. Während Franz I. aus der Niederlage von Pavia 1525 schnell lernte, den Frieden von Madrid 1526 schon brach, bevor er abgeschlossen war und sich somit vom ritterlich-höfischen Herrschaftsmodell und Ehrenkodex seiner frühen Regierungsjahre verabschiedete, war es Karls Tragik, so Schulin, dass man ihm in einer Welt, in der Winkelzüge erwartet wurden, seine Aufrichtigkeit nicht abnahm. Der Verrat am Bündnispartner und die strategische Übereinkunft selbst mit den Feinden der Christenheit sollten sich als das modernere Modell von Machtpolitik erweisen. In einem Brief an seinen Bruder Ferdinand vom 20. August 1542 scheint Karl die Bedrohlichkeit dieser rationalen politischen Strategie dunkel zu erahnen, wenn er schreibt: "Man muss vor dem französischen König ebenso oder noch mehr auf der Hut sein als vor dem besagten Türken."

Schulin zeichnet Karls politische Karriere als Abfolge typischer Konstellationen. So wird die Kathedrale Sainte-Gudule in Brüssel zur "altburgundischen ideologischen Kernstelle seines Lebens", an der alles anfing und alles aufhörte: Als er zum ersten Mal einer Sitzung des Ordens vom Goldenen Vlies im Oktober 1516 präsidierte, wurde Karl mit einer der frühesten Formulierungen eines universalen Herrschaftsanspruchs konfrontiert, den er nach Meinung seiner Umwelt erfüllen sollte. Am gleichen Ort und vor dem gleichen Orden begann er 1555 die Serie seiner Abdankungen. Der altburgundisch-ritterliche Habitus Karls, der Zweikämpfe zwischen Herrschern noch als Konfliktlösungsstrategie in Betracht zog, verdichtet sich wohl am eindrucksvollsten in Tizians Reiterporträt nach der Schlacht von Mühlberg. Diese Schlacht wurde von der kaiserlichen Propaganda in recht eindeutiger Weise - verglichen mit den semiotischen Subtilitäten französischer Selbstdarstellung - mit Caesars Überschreiten des Rubikon parallelisiert. "Veni, vidi, Deus vixit" soll der Kaiser den Chronisten zufolge deklamiert haben, und auch das jahrelange Mitführen der besiegten deutschen "Barbarenfürsten" verweist auf eine etwas plakative Antikisierung dieses Sieges. Schulin betont vor allem, dass Karl hier wie in der Schlacht von Tunis 1532 endlich das tat, was Franz I. schon 1515 in Marignano publikumswirksam praktiziert hatte: Er trat als "sichtbarer Held" auf, kommandierte seine Truppen persönlich und gab seiner Herrschaft dadurch endlich ein Gesicht. Hier erst blies er die Unschärfe und Undeutlichkeit weg, die seine Person umgab, war er doch bislang nur schwer auszumachen gewesen in der Schar seiner Berater und Einflüsterer.

Schulin begeistert den Leser immer wieder mit solchen Detailbeobachtungen, in denen signifikante Momente in Generalisierungen umschlagen. Man nehme nur die Schilderung, wie Luther in Worms eine theologische Disputation führen möchte, von Karl dagegen vornehmlich als Politikum behandelt wird. Endlich scheint sich der Kaiser doch auf das Argumentieren einlassen zu wollen, allerdings nur, um Luther umso wirkmächtiger zu widerlegen. Er weist das wissenschaftliche Falsifikationsprinzips des einen, alle Paradigmen über den Haufen werfenden Ausnahmefalles zurück und stellt ihm die göttlich verliehene Allmacht des Wissens entgegen: "Denn es ist gewiss, dass ein einzelner Bruder irrt, wenn er gegen die Meinung der ganzen Christenheit steht, da sonst die Christenheit tausend Jahre oder mehr geirrt haben müsste." Auch Karl steht da und kann nicht anders, will er die Legitimation seiner Herrschaft nicht aufs Spiel setzen.

Eine zweite Publikation zum Jubiläumsjahr aus dem Bereich der so genannten populärwissenschaftlichen Literatur bietet Höhepunkte ganz anderer Art. Man hätte eigentlich gewarnt sein müssen: Sigrid-Maria Größing veröffentlichte bereits 1990 ein Buch mit dem sprechenden Titel "Amor im Hause Habsburg". In ihrem Neuling "Karl V. Der Herrscher zwischen den Zeiten und seine europäische Familie" heißt das leitende Prinzip ihrer Betrachtungen originellerweise "Tu felix Austria nube". Dass diese Devise erst im siebzehnten Jahrhundert quellenmäßig belegt ist, stört sie nicht. Solch hinderliche Faktenkenntnisse werden in ihrem Buch generell durch weibliche Intuition und Introspektion in die Psyche der beschriebenen Personen ersetzt. Sollten historische Fakten der Autorin doch der Erwähnung wert sein, so werden sie zumeist bedeutungsträchtig kursiviert, wie etwa "das Sacco di Roma". Ansonsten heiratet Österreich, was das Zeug hält, und ist glücklich dabei. Denn wie in Lore-Romanen üblich, spielt sich das immer nach dem gleichen Schema ab: Eine blutjunge, unerfahrene Frau wird aus kaltblütigen dynastischen Interessen an einen ihr unbekannten Prinzen verheiratet. Nach einer gefährlichen Schiffsreise in ein bedrohliches, fremdes Land, während derer die prospektive Braut an die Reling gekettet wird, wenn die Wogen zu hoch schlagen, wird die Unglückliche ihres zukünftigen Gatten ansichtig und - wer hätte es gedacht - verliebt sich sofort Hals über Kopf in den rüstigen Recken, der ihr leidenschaftliches Blut zu entfachen versteht. Später übernehmen die Frauen dann auch gerne schon mal die Regierungsgeschäfte.

Doch damit nicht genug: Zu allem Überfluss verfolgt Größing auch literarische Ambitionen. Der Blick durch die Schlüssellöcher in Habsburgs Schlafzimmer wird dem Leser als innerer Monolog des alternden Karl V. präsentiert, der in Yuste "auf einem einfachen Stuhl allein inmitten des weiten Gartens vor seiner kleinen Villa" sitzt und sein Leben sowie das seiner Familie Revue passieren lässt. Zur Episode auf dem Regensburger Reichstag hatte Schulin nur lakonisch bemerkt: "Hier hatte Barbara Blomberg ihren kurzen Auftritt als Mätresse des Kaisers. Juan d'Austria wurde gezeugt." Bei Größing wird das Techtelmechtel des ansonsten ja so keuschen Kaisers, über das die Quellen eigentlich so gut wie nichts sagen, so plastisch, als wäre sie dabei gewesen: "Die Nächte in Regensburg, die sich trotz der Gebrechen, die den Kaiser plagten, durch die Leidenschaftlichkeit Barbaras unvergesslich gestalteten, waren viel zu schnell vorüber und Karl musste in den Krieg ziehen."

Alfred Kohler hat offensichtlich solche Phantastereien im Sinn, wenn er in der Einleitung zu seiner groß angelegten Biographie Karls V. schreibt: "Daher bin ich immer skeptisch, wenn ein Autor dem Leser verspricht, es interessiere ihn eigentlich nur die Person des Kaisers, es käme ihm besonders darauf an, zu ihr vorzudringen beziehungsweise nur sie - gemeint ist eigentlich Karl als Privatperson - darstellen zu wollen; der Kaiser lüfte dann sozusagen seine Geheimnisse und der Leser könne mit ihm intim werden." Kohler selbst verfügt im übertragenen Sinne durchaus über intime Kenntnisse über Karl V., was bei einer mehr als fünfundzwanzigjährigen Beschäftigung mit dem Thema nicht verwundert. Im Gegensatz zu Schulin betont der Wiener Historiker die zentrierende Kraft des Europagedankens, das Einigende und Umfassende von Karls Herrschaft. Als legitimierenden Leitgedanken betrachtet er, anknüpfend an die Überlegungen von Franz Bosbach, das Konzept der "Monarchia Universalis". Die Vorstellung der Universalmonarchie, die zusätzlich zum Kaisertitel Karl eine Weisungbefugnis über die anderen europäischen Herrscher garantieren sollte, diente zur Rechtfertigung vor allem in konkreten Konfliktsituationen. Dabei stand erneut der französische König an erster Stelle, und ein genauerer Blick auf die gleichzeitigen französischen ideologischen Bemühungen - besonders zur Zeit der konkurrierenden Kaiserkandidatur - würde dies wohl noch stärker pointieren. Nach Kohler zeigt sich Karls Fixierung auf Europa in diesem Kontext besonders deutlich daran, dass er das propagandistische Potential einer möglichen "zweiten Kaiseridee" für die neu erworbenen überseeischen Gebiete nicht nutzte.

Kohler fühlt sich in seiner Analyse der "Entscheidungssituationen und Handlungsweisen" Karls der kanonisch gewordenen Biographie von Karl Brandi verpflichtet, welche "die Authentizität kaiserlichen Wollens und Handelns erarbeitet und dargestellt" habe. Er versucht sich dieser "Authentizität" durch eine möglichst dichte Beschreibung von wirtschafts-, finanz-, verwaltungs- und symbolgeschichtlichen Faktoren zu nähern. Kristallisationspunkte in der Machtentfaltung Karls sind hier vor allem verfassungsgeschichtliche Präzedenzfälle wie seine staatsstreichartige Proklamation zum spanischen Herrscher 1516 oder das verfassungsrechtliche Unikum seiner Abdankung und Nachfolgeregelung. In den ersten Jahrzehnten seiner Regentschaft umstrickte das Netzwerk der Berater, Gesandten, Diplomaten und Beichtväter den jungen Herrscher. Kohler verfolgt ihre territoriale, soziale und bildungsmäßige Herkunft akribisch und zeichnet so exemplarische Karrieren und Lebensläufe am Kaiserhof nach. Von den vierziger Jahren an stellt er dann eine zunehmende Tendenz zu "einsamen Entschlüssen" fest, die einhergegangen sei mit einer gewissen "Charakterverstärkung" Karls. Das Netzwerk löst sich langsam auf, der Kaiser tritt auch hier als Einzelperson immer mehr in den Vordergrund. Darstellungsstrategisch hat das den Nachteil, dass im zweiten Drittel von Kohlers Text die vielschichtige Motivanalyse einer konventionelleren, am Itinerar der Schlachten orientierten Ereignisnacherzählung weichen muss. Doch vielleicht spiegelt auch dies "authentisch" die zunehmende Isolierung des Kaisers wider.

Schon 1515 hätte Karl aus der ihm und seinem Bruder gewidmeten "Institutio Principis Christiani" des Erasmus von Rotterdam herauslesen können, dass die Legitimationsbasis absoluter Herrschaft zwischen Gottesgnadentum und Bonum commune brüchig wurde und dass der Siegeszug des Rationalitätsprinzips von Macht nicht mehr lange aufzuhalten war. Vielleicht wollte Karl - der von den Zeitgenossen häufig als starrsinnig charakterisiert wurde - seinen wohlmeinenden Erzieher ein letztes Mal post mortem widerlegen, indem er sich in die Estremadura zurückzog, um "suo more" seinen Lebensabend zu verbringen. Denn Erasmus hatte in seinem Fürstenspiegel auch prophezeit: "Wenn du dich einmal dem Staat gewidmet hast, bist du schon nicht mehr frei, auf deine Weise zu leben."

Ernst Schulin: "Kaiser Karl V." Geschichte eines übergroßen Wirkungsbereiches. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 1999. 204 S., Abb., br., 35,- DM.

Sigrid-Maria Größing: "Karl V." Der Herrscher zwischen den Zeiten und seine europäische Familie. Amalthea Verlag, Wien 1999. 363 S., Abb., geb., 39,90 DM.

Alfred Kohler: "Karl V. 1500-1558". Eine Biographie. Verlag C. H. Beck, München 1999. 424 S., Abb., geb., 58,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Im Februar 2000 jährt sich der Geburtstag Kaiser Karls V. zum 500. Mal. Aus diesem Anlass bespricht Christine Tauber Größings Buch zusammen mit zwei weiteren Neuerscheinungen: Ernst Schulins „Kaiser Karl V.“ (Verlag W. Kohlhammer) und Alfred Kohlers „Karl V. 1500 - 1558“ (Verlag C.H. Beck).
1) „Karl V.“ von Sigrid Maria Größing
Größings Buch schneidet am schlechtesten ab. Die Autorin lasse sich von mangelnder Faktenkenntnis nicht stören und ersetze sie durch „weibliche Intuition“. Besonders skurril findet Tauber dabei, dass Größing Situationen im Leben des Kaisers, über die es fast keine Quellen gibt, nacherzählt, als wäre sie dabei gewesen. Seriös findet Tauber diesen „Blick durch die Schlüssellöcher“ nicht.
2) „Kaiser Karl“ von Ernst Schulin
An Schulins Buch begeistert Tauber unter anderem die „fast künstlerisch zu nennende Vorgehensweise“. Ihm schwebe offenbar ein Porträt im Sinne Jakob Burckhardts vor. Dabei stellt sich heraus, dass der Kaiser bei Schulin weder als „Renaissancefürst“ noch als Vorkämpfer nationaler Ideen zu verstehen sei. Der Untertitel verrate schon die Grundthese des Buchs, das die Geschichte „eines zu großen Anspruches“ nachzeichne. Besonders erfreulich findet Tauber den Reichtum der Detailbeobachtungen bei Schulin.
3) „Karl V. 1500-1558“ von Alfred Kohler
Kohler geht nach Ansicht Taubers wesentlich seriöser mit dem Gegenstand um als Größing. Die Rezensentin erklärt das unter anderem aus der 25-jährigen Beschäftigung des Historikers mit der Epoche. Dabei fühle sich Kohler der „kanonischen“ Biographie Karl Brandis über den Kaiser verpflichtet. Anders als Schulin betone Kohler „die zentrierende Kraft des Europagedankens“ bei Karl V.. Im zweiten Drittel von Kohlers Biographie stört Tauber eine konventionelle, an der chronologischen Perlenschnur der Schlachtenabfolge orientierte Erzählweise.

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