Was aus Liebe geschah
Dieser Roman erschien schon 2007 und wurde damals von der Kritik hoch gelobt. Nun hat der Pendragon Verlag eine überarbeitete Neuausgabe herausgebracht und zeigt damit, dass das Buch keineswegs Patina angelegt hat, sondern, im Gegenteil, auch heute noch seine volle Wirkung
entwickelt.
Ja, Karnstedt ist verschwunden. Zuletzt hatte er einsam auf einem abgelegenen Bauernhof…mehrWas aus Liebe geschah
Dieser Roman erschien schon 2007 und wurde damals von der Kritik hoch gelobt. Nun hat der Pendragon Verlag eine überarbeitete Neuausgabe herausgebracht und zeigt damit, dass das Buch keineswegs Patina angelegt hat, sondern, im Gegenteil, auch heute noch seine volle Wirkung entwickelt.
Ja, Karnstedt ist verschwunden. Zuletzt hatte er einsam auf einem abgelegenen Bauernhof in Dänemark gelebt und dann anscheinend den Tod im Meer gesucht. Seine Leiche wurde nicht gefunden, allerdings gibt es einen Abschiedsbrief, in dem er Simon Welde zu seinem Nachlassverwalter erklärt. Dieser ist überrascht, denn schließlich hat er seit zwanzig Jahren keinen Kontakt mehr zum ehemaligen Jugendfreund. Trotzdem reist er an und macht sich eher widerwillig daran, das Chaos im Haus zu beseitigen und alles für den Hausverkauf in die Wege zu leiten. Dabei steigen Erinnerungen in ihm auf, Erinnerungen an ihre gemeinsame Jugend in der schwäbischen Provinz.
Karnstedt war aufgrund eines Gendefekts am ganzen Körper haarlos und wurde deswegen von den Mitschülern gehänselt und gequält. Auch Simon mit seinem „ Mädchenkörper“ war Zielscheibe des Spotts der anderen. Die beiden Außenseiter verbünden sich und aus dem Zweckbündnis wird eine tiefe Freundschaft. Beide begeistern sich für Paläontologie und träumen von einer Karriere als Forscher und Wissenschaftler, raus aus der provinziellen Enge, hinaus in die weite Welt.
Die Beziehung bekommt erste Risse, als Simon sich für eine wesentlich ältere Frau interessiert. Gleichzeitig will er nicht wahrhaben, dass Karnstedt sich weitaus mehr von der Beziehung zu ihm erhofft.
Doch was hat nun zum endgültigen Bruch zwischen den ehemaligen Freunden geführt? Diese Frage beschäftigt den Leser, bis er am Ende die Antwort erhält.
Doch das ist nicht das einzige Rätsel, das uns der Autor aufgibt. Was ist mit Tummer passiert, dem Anführer der Clique, die die Jungs tyrannisiert hat? Und was ist das für eine seltsame Frau aus dem Nachbarhaus in Dänemark, die Simon ständig aus dem Weg zu gehen scheint? Welche Rolle spielen die im Text eingestreuten Berichte der Henderson Expedition?
All das beschäftigt den Leser lange, doch am Ende führt der Autor gekonnt die Fäden zusammen.
Für Spannung sorgt auch der raffinierte Aufbau des Romans . Häusser legt seine Geschichte auf zwei Erzählebenen an, die sich abwechseln. Mal sind wir auf der Gegenwartsebene und begleiten den Ich- Erzähler Simon bei den Aufräumarbeiten im Haus und seinen Nachforschungen in Dänemark. Dann wieder berichtet ein auktorialer Erzähler von den Geschehnissen in den 1970er Jahren. So bildet sich langsam ein Gesamtbild, bei dem trotzdem Raum bleibt für eigene Interpretationen.
Dabei werden einem die Protagonisten zwar nicht sympathisch, doch man versteht die Gründe für ihre Handlungsweisen. Denn sie sind im Grunde ein Ruf nach Verständnis, Nähe und Liebe.
Karnstedt ist die dominierende Figur in der Beziehung, einer, der über den Tod hinaus noch Einfluss und Macht über Simon besitzt. Dabei geht er äußerst manipulativ vor. Doch zu seiner Entschuldigung muss man sagen, dass vieles von dem, was er tat, aus Liebe zu Simon geschah.
Im Grunde haben alle in die Geschichte verwickelten Figuren Fehler gemacht, sind schuldig geworden und der Preis, den sie dafür zu zahlen hatten, war immens. Das gibt dem Roman etwas von der Wucht einer klassischen Tragödie.
„ Karnstedt verschwindet“ ist ein schmaler Roman, der auf wenigen Seiten viele Themen verhandelt, ohne überfrachtet zu sein. Seine Faszination bezieht der Text auch aus der Sprache. Häusser schreibt ruhig, aber eindringlich, lässt Szenerien lebendig werden und arbeitet mit Symbolen und Bildern, die sich nicht immer auf Anhieb entschlüsseln lassen.
Auch wenn dieser frühere Werk noch nicht an Häussers großartigen Roman „ Noch alle Zeit“ heranreicht, so ist es doch äußerst lesenswert.