1833 beschließt der junge Armeeoffizier Alexander Korvanyi nach Transsilvanien auf das Anwesen der Familie zurückzukehren. Seine junge Ehefrau begleitet ihn. Bei ihrer Ankunft werden die beiden jungen Leute mit einem komplexen Puzzle aus unterschiedlichen Sprachen, Religionen und Rechtssprechungen empfangen. Das ganze erweist sich bald als idealer Nährboden für eine folgenreiche Krise zwischen beiden, die ihre Absichten und ihren Charakter auf die Probe stellen, bis an die Grenze des Machbaren und des Verbrechens. 2014 mit dem Prix Interallié ausgezeichnet.
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Frankfurter Allgemeine ZeitungAlbträume in Transsilvanien
Gelehrte Gefühle: Mathias Menegoz' "Karpathia"
Wer die Karpaten im Titel führt, weckt Erwartungen beim Publikum, möglicherweise die falschen. Bram Stoker und Jules Verne haben uns den Gebirgsbogen mit grauslich-geheimnisvollen Schlossbauten besetzt, die dafür sorgen, dass westeuropäische Leser sogleich ein Schauer überfällt. Reizworte wie Transsilvanien, Adel, Blut, Zigeuner, Habsburger-Imperium, Ehre und Rache sichern diesen Schauder wie mit Pfählen des kulturellen Gedächtnisses - oder was sich dafür hält.
Kann ein Roman, der mehr sein will, als mit Schauerneuronen zu schießen, dagegenhalten? Auch wenn Titel und Umschlagbild mit diesen Stimuli spielen, das Buch des französischen Autors Mathias Menegoz erweist sich als historisches Abenteuer, das eher von emotionaler Sachlichkeit und psychisch-politischer Genauigkeit geprägt ist. Menegoz, von Beruf tatsächlich Neurobiochemiker, hat sich seiner ungarischen Herkunft besonnen und über viele Jahre an diesem Debütroman gestrickt, in dem er Konflikte zwischen dem ungarischen Adel und den rumänischen Leibeigenen - hier immer als "Walachen" angeführt - sowie am Rande auch den Sachsen Siebenbürgens im Rahmen eines längst nicht mehr überschaubaren Habsburger-Reiches dramatisiert.
Der ungarische Graf Alexander Korvanyi tritt nach seiner Eheschließung und einem Ehrenduell in Wien die ererbten Güter der Familie in Transsilvanien an: bewohnt von unheimlichen Untertanen, in einer wilden und ungezähmten Landschaft, die die Menschen zu spiegeln scheint, deren Sprache man zudem kaum versteht. Auf seinen Besitztümern, der Korvanya, lastet ein Fluch, denn 1784, ein halbes Jahrhundert zuvor, fand hier der sogenannte Walachenaufstand statt, als sich rumänische Leibeigene gegen ihre ungarischen Herren erhoben. Korvanyis Rückkehr wird daher auch mit Misstrauen von allen Seiten gesehen, von Ungarn wie von den Leibeigenen oder den Sachsen. Das Ehrenduell zuvor zeigte nicht nur den Durchsetzungswillen des Grafen, sondern auch eine Schwäche, die an Michael Kohlhaas erinnert. Dieser unterschwellige Kampfgeist lebt sich nun im unbekannten Terrain aus. Überharte Reaktionen auf Schlamperei lösen eine Kette von Untaten aus, von Rache und Gegenrache, die zu einem Krieg zwischen Walachen und dem ungarischen Herrn in seiner Schwarzen und Weißen Burg führen.
Korvanyi kommt als Fremder in sein Land zurück, als Symbol der Unterdrückung. Die Beziehungen zu seinem Verwalter sind ebenso gespannt wie zur Dienerschaft, den Bauern und Leibeigenen. Bald haftet ihm etwas Böses an: er habe sich als Vampir an einer schönen Ungarin vergangen. Der Leser hat bereits auf diesen Schatten des Grafen Dracula gewartet. Allerdings wird das hier eher beiläufig behandelt, als Teil des walachischen Aberglaubens.
Überhaupt beschreibt der Autor recht genau die ethnischen Spannungen dieser Gegend und zu diesem historischen Zeitpunkt. Dabei wird er jedoch gelegentlich trocken, weil er eben sehr viel den uneingeweihten Lesern an historischem Wissen nachreichen muss. Auf der Ebene der Psychologie sondiert er die Beziehung des Grafen zu seiner Frau aus, die gegenseitigen Entfremdungen und Neuverbindungen im Angesicht von Gewalt, die Schwierigkeiten für eine Österreicherin, sich in Transsilvanien niederzulassen. Denn das Land ist ein Schachbrett von Intrigen und Interessen, das so weit von der Hauptstadt Wien entfernt ist wie der Neptun von der Sonne. Insofern handelt es sich auch um einen kolonialen Roman, der die Schwerkraft des Zentrums gegenüber der Peripherie beschreibt, eine Schwerkraft, die sich aber bald als illusionär erweist.
In vieler Hinsicht hat sich Menegoz hier noch einmal an dem Walachenaufstand von 1784 orientiert, den eine große Dramatik wie auch auffällige Persönlichkeiten beherrschten. Es war der erste große national-ethnisch motivierte Aufstand in Rumänien gegen die Ungarn und Habsburg, kurz vor der Französischen Revolution, mit der er aber wenig gemein hatte. Menegoz erweckt diesen Aufstand für die 1830er Jahre neu und deutet damit an, dass es sich um ein Vorspiel für die spätere rumänische Unabhängigkeit handelt, auch wenn auf den ersten Blick der Graf, die Ungarn und das Habsburger-Reich noch einmal gewonnen haben.
Beim Lesen fragt man sich jedoch manchmal, warum die Figuren und der Roman als Ganzes keine rechte Wärmkraft ausstrahlen. Liegt es an einer romanhaften Mechanik, die keine Schlenker zu erlauben scheint? An zu viel angelesener Geschichte und daraus resultierender erdachter Psychologie? Dennoch bietet der Roman große Landschaften und große Gefühle. Vielleicht wird ja eines Tages ein Film daraus.
ELMAR SCHENKEL
Mathias Menegoz: "Karpathia". Roman.
Aus dem Französischen von Sina de Malafosse. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2017. 636 S., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gelehrte Gefühle: Mathias Menegoz' "Karpathia"
Wer die Karpaten im Titel führt, weckt Erwartungen beim Publikum, möglicherweise die falschen. Bram Stoker und Jules Verne haben uns den Gebirgsbogen mit grauslich-geheimnisvollen Schlossbauten besetzt, die dafür sorgen, dass westeuropäische Leser sogleich ein Schauer überfällt. Reizworte wie Transsilvanien, Adel, Blut, Zigeuner, Habsburger-Imperium, Ehre und Rache sichern diesen Schauder wie mit Pfählen des kulturellen Gedächtnisses - oder was sich dafür hält.
Kann ein Roman, der mehr sein will, als mit Schauerneuronen zu schießen, dagegenhalten? Auch wenn Titel und Umschlagbild mit diesen Stimuli spielen, das Buch des französischen Autors Mathias Menegoz erweist sich als historisches Abenteuer, das eher von emotionaler Sachlichkeit und psychisch-politischer Genauigkeit geprägt ist. Menegoz, von Beruf tatsächlich Neurobiochemiker, hat sich seiner ungarischen Herkunft besonnen und über viele Jahre an diesem Debütroman gestrickt, in dem er Konflikte zwischen dem ungarischen Adel und den rumänischen Leibeigenen - hier immer als "Walachen" angeführt - sowie am Rande auch den Sachsen Siebenbürgens im Rahmen eines längst nicht mehr überschaubaren Habsburger-Reiches dramatisiert.
Der ungarische Graf Alexander Korvanyi tritt nach seiner Eheschließung und einem Ehrenduell in Wien die ererbten Güter der Familie in Transsilvanien an: bewohnt von unheimlichen Untertanen, in einer wilden und ungezähmten Landschaft, die die Menschen zu spiegeln scheint, deren Sprache man zudem kaum versteht. Auf seinen Besitztümern, der Korvanya, lastet ein Fluch, denn 1784, ein halbes Jahrhundert zuvor, fand hier der sogenannte Walachenaufstand statt, als sich rumänische Leibeigene gegen ihre ungarischen Herren erhoben. Korvanyis Rückkehr wird daher auch mit Misstrauen von allen Seiten gesehen, von Ungarn wie von den Leibeigenen oder den Sachsen. Das Ehrenduell zuvor zeigte nicht nur den Durchsetzungswillen des Grafen, sondern auch eine Schwäche, die an Michael Kohlhaas erinnert. Dieser unterschwellige Kampfgeist lebt sich nun im unbekannten Terrain aus. Überharte Reaktionen auf Schlamperei lösen eine Kette von Untaten aus, von Rache und Gegenrache, die zu einem Krieg zwischen Walachen und dem ungarischen Herrn in seiner Schwarzen und Weißen Burg führen.
Korvanyi kommt als Fremder in sein Land zurück, als Symbol der Unterdrückung. Die Beziehungen zu seinem Verwalter sind ebenso gespannt wie zur Dienerschaft, den Bauern und Leibeigenen. Bald haftet ihm etwas Böses an: er habe sich als Vampir an einer schönen Ungarin vergangen. Der Leser hat bereits auf diesen Schatten des Grafen Dracula gewartet. Allerdings wird das hier eher beiläufig behandelt, als Teil des walachischen Aberglaubens.
Überhaupt beschreibt der Autor recht genau die ethnischen Spannungen dieser Gegend und zu diesem historischen Zeitpunkt. Dabei wird er jedoch gelegentlich trocken, weil er eben sehr viel den uneingeweihten Lesern an historischem Wissen nachreichen muss. Auf der Ebene der Psychologie sondiert er die Beziehung des Grafen zu seiner Frau aus, die gegenseitigen Entfremdungen und Neuverbindungen im Angesicht von Gewalt, die Schwierigkeiten für eine Österreicherin, sich in Transsilvanien niederzulassen. Denn das Land ist ein Schachbrett von Intrigen und Interessen, das so weit von der Hauptstadt Wien entfernt ist wie der Neptun von der Sonne. Insofern handelt es sich auch um einen kolonialen Roman, der die Schwerkraft des Zentrums gegenüber der Peripherie beschreibt, eine Schwerkraft, die sich aber bald als illusionär erweist.
In vieler Hinsicht hat sich Menegoz hier noch einmal an dem Walachenaufstand von 1784 orientiert, den eine große Dramatik wie auch auffällige Persönlichkeiten beherrschten. Es war der erste große national-ethnisch motivierte Aufstand in Rumänien gegen die Ungarn und Habsburg, kurz vor der Französischen Revolution, mit der er aber wenig gemein hatte. Menegoz erweckt diesen Aufstand für die 1830er Jahre neu und deutet damit an, dass es sich um ein Vorspiel für die spätere rumänische Unabhängigkeit handelt, auch wenn auf den ersten Blick der Graf, die Ungarn und das Habsburger-Reich noch einmal gewonnen haben.
Beim Lesen fragt man sich jedoch manchmal, warum die Figuren und der Roman als Ganzes keine rechte Wärmkraft ausstrahlen. Liegt es an einer romanhaften Mechanik, die keine Schlenker zu erlauben scheint? An zu viel angelesener Geschichte und daraus resultierender erdachter Psychologie? Dennoch bietet der Roman große Landschaften und große Gefühle. Vielleicht wird ja eines Tages ein Film daraus.
ELMAR SCHENKEL
Mathias Menegoz: "Karpathia". Roman.
Aus dem Französischen von Sina de Malafosse. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2017. 636 S., geb., 28,- [Euro].
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