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Die Bischofsstuhlbesetzungen in zwei italienischen Kirchenprovinzen (Mailand und Salerno) von der Zeit des Pontifikates Innozenz XI. bis zu Leo XIII. werden sowohl unter behörden- als auch sozialgeschichtlichen Gesichtspunkten untersucht. Die Auswertung von umfangreichem Archivmaterial aus dem Vatikanischen Geheimarchiv und von Quellen aus Archiven in Rom, Neapel, Mailand, Venedig und Wien und zahlreichen kleineren italienischen Kommunen erlaubt einen ungewöhnlichen Einblick in die Beziehungen des Papsttums zu den italienischen Staaten und in die Sozialgeschichte der italienischen Kirche. Das…mehr

Produktbeschreibung
Die Bischofsstuhlbesetzungen in zwei italienischen Kirchenprovinzen (Mailand und Salerno) von der Zeit des Pontifikates Innozenz XI. bis zu Leo XIII. werden sowohl unter behörden- als auch sozialgeschichtlichen Gesichtspunkten untersucht. Die Auswertung von umfangreichem Archivmaterial aus dem Vatikanischen Geheimarchiv und von Quellen aus Archiven in Rom, Neapel, Mailand, Venedig und Wien und zahlreichen kleineren italienischen Kommunen erlaubt einen ungewöhnlichen Einblick in die Beziehungen des Papsttums zu den italienischen Staaten und in die Sozialgeschichte der italienischen Kirche. Das Oszillieren zwischen Personalpolitik und Personalbürokratie, zwischen Machtinteressen und Kriterienanforderungen wird über mehr als zwei Jahrhunderte verfolgt. Die unterschiedlichen Sozialformen der katholischen Kirche in Nord- und Süditalien werden in ihrem jeweils eigenen zeitlichen Beharrungsvermögen sichtbar gemacht. Während die Sozialgeschichte Norditaliens in der Neuzeit im deutschen Sprachraum besser bekannt ist, sind deutsche Arbeiten über die Gestalt Süditaliens in der Neuzeit erheblich seltener. Der in dieser Studie angestellte Vergleich relativiert unser vornehmlich an west- und nordeuropäischen Gegebenheiten orientiertes Bild der sozialgeschichtlichen Entwicklung der Führungseliten in der frühen und späteren Neuzeit.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.09.2002

Spur der Funktionäre
Martin Papenheims fundierte Quellenarbeit zur Bischofskarriere

Sowenig ein Bischofshut ein Modeartikel ist, so wenig läuft heute jemand, der sich ausgerechnet mit Bischofsernennungen in Italien beschäftigt, Gefahr, als Anwalt des historischen Zeitgeistes aufzufallen. Auch bei den reinen Kirchenhistorikern könnte diese Studie Stirnrunzeln auslösen. Zwar steht "Bischöfe" auf dem Buchdeckel, aber drinnen steckt der kirchliche Funktionär, dessen geistliche Qualifikation nur eine notwendige, keineswegs hinreichende Bedingung für seinen Aufstieg ist. Dem herkömmlichen historisch-kirchlichen Selbstbild des Bischofs fühlt sich Papenheim nicht verpflichtet. Durch das Konzil von Trient (1545 bis 1562) wurde das Bischofsbild im Sinn von Seelsorge, Askese, Gehorsam gegenüber dem Papst und Ausblendung seines sozialen Hintergrundes geprägt. Papenheim konzentriert sich genau auf diesen Hintergrund.

Nicht nur für den Historiker ist die Kenntnis der Aufstiegswege der großen Funktionäre ein unverzichtbares Erkenntnisziel, sie erweist sich auch als Schlüssel zur Anthropologie der modernen Gesellschaft. Was Papenheim beschreibt, sind Wege und Methoden, mit denen die Papstkirche ihre Auswahl von Bischöfen bürokratisiert, professionalisiert und dabei doch stets flexibel auf die Bedürfnisse des Staates und der interessierten Gruppen reagieren kann. Die kuriale Bürokratie, die älteste der Welt, ist für den Sozialhistoriker und -anthropologen auch heute, und mehr denn je, Quelle nie versiegender Offenbarungen.

Papenheims Bischofsbuch bewegt sich, auch rückwärts gerichtet, um drei Schlüsseljahre: 1676, 1740 und 1878. Jedes Datum bezeichnet ein neues Pontifikat und damit stets gleichgerichtete Versuche, über Kommissionen oder Kongregationen den zuvor zwar formal rigiden, tatsächlich aber nur zu oft willkürlich geprägten Prozeß der Bischofsauswahl einem besser legitimierten Verfahren zu unterwerfen.

Dabei zeigen sich, zeitlich abwechselnd, nur zwei wirklich gehandhabte Modelle: Erstens, der Papst - wie etwa Pius IX. - erledigt alles mit wenigen Mitarbeitern allein; zweitens, ein Kurienausschuß entscheidet bürokratisch-kollegial wie unter Leo XIII. Als Grundlage der Überlegungen in der römischen Zentrale werden uns dabei zunächst Recht und Praxis der tatsächlichen Bischofseinsetzungen in Venedig, der Lombardei, Neapel und im neuen Regno d'Italia gezeigt. Es folgt eine Analyse der Innenseite der Bischofsauswahl auf zwei Ebenen: zunächst in Rom selbst, dann bei den einzelnen italienischen Staaten beziehungsweise in Wien für die oberitalienischen Besitzungen.

Da die "Innenseite" eines kirchlichen Vorganges stets zugleich auch die "Außenseite" eines staatlichen Aktes darstellt und umgekehrt, hätte man sich für diesen Teil auch eine systemtheoretisch orientierte Gliederung vorstellen können. Papenheims Umgang mit historisch-soziologischer Theorie bleibt freilich diskret. Er nimmt sie fortlaufend als Referenz, ohne aus seinem Thema Ansätze zu ihrer Korrektur beziehen zu wollen. Sein gründliches Kapitel über die Netzwerkanalyse der am sozialen Werdegang eines Bischofs beteiligten Gruppen, Personen und Verhaltensweisen übersetzt dann die bürokratischen Vorgänge in teilweise recht plastische sozialhistorische Szenen. Hier wird die Verflechtungsanalyse von Wolfgang Reinhard elegant mit den institutionellen Forschungen von Christoph Weber kombiniert. Eine penibel und aus teilweise bisher unzugänglichen Quellen aufgebaute Prosopographie von 223 Bischöfen in siebzehn Diözesen krönt Papenheims Mausoleum des italienischen Episkopats.

In seiner Bescheidenheit übergeht der Verfasser einen seiner Haupterfolge fast ganz mit Schweigen: daß die Bischofsauswahl, gerade an der Kurie, ein öffentlichkeitsfernes und personenzentriertes Geschehen mit standardisierten Quellen war, das nur wenige und dann auch noch oft verwischte Spuren hinterlassen hat. Zuweilen sind nicht einmal die Mitglieder der befaßten Gremien namentlich bekannt! Da grenzt es schon an eine Sensation, daß Papenheim die fast vollständige Rekonstruktion der Kardinalskongregation Papst Leos XIII. zur Auswahl der Bischöfe Italiens (1878 bis 1903) gelungen ist. Daneben ziert noch so mancher andere Fund an Behördeninterna dieses Werk, den Vatikanexperten begierig zur Kenntnis nehmen werden.

Die Lektüre zahlloser "Informationsprozesse" schlägt zwar manchmal durch, dann verlieren sich die signifikanten Details im Ödland eines klerikalen Kollektivs, meistens jedoch bemüht sich der Verfasser darum, seinen Gegenstand auf größere Perspektiven auszurichten: Welchen Stil pflegten Kirche und Staat im Umgang miteinander? Wie und warum wandelte sich das Anforderungsprofil an den Bischof innerhalb von gut zweihundertfünfzig Jahren? Welchen Veränderungen unterlag die soziale Zusammensetzung des italienischen Episkopates? Wie lassen sich lokale und regionale Sozialstrukturen mit der Auswahl der Bischöfe korrelieren?

Neben vielen Einzelergebnissen, die die Sozialhistoriker der Kirche erfreuen mögen, bleiben vor allem zwei Erkenntnisstränge in Erinnerung. Erstens: mit wie ähnlichen Waffen Kirche und Staaten ihre Besetzungskämpfe ausfochten, einer des anderen Schüler und Meister, und daß es vor allem der Staat war, der den Typus des sozial minder mächtigen Seelsorgers als Ideal seiner funktionalen Ortskirche durchdrückte. Den römischen Zentralismus des neunzehnten Jahrhunderts hat der spätabsolutistische Staat des achtzehnten Jahrhunderts vorbereitet! Zweitens: daß die Kirche des italienischen Nordens mindestens so stark im Griff der lokalen Eliten war wie die des Südens, die Methoden und sozialen Folgen dieser Dominanz sich aber im vereinigten Italien höchst unterschiedlich auswirkten. Im Norden konnte der Verlust von Adelsprestige und Kirchenbesitz für Kirche und Staat innovativ wirken, im Süden war das Schwinden der klerikalen Lebensverhältnisse nur ein weiterer Beitrag zur sozialen Paralyse.

Was können wir am Ende aus Papenheims Untersuchungen zur "Anthropologie des sozialen Aufstiegs" lernen? Zunächst das Paradox, daß der Bischof eine Person war, für die niemals ein rigides Laufbahnprofil entwickelt wurde und auch heute noch nicht existiert. Der Bischof gehört zur Kategorie der Führungspersönlichkeiten, die ihre Erwählung auch durch diese selbst rechtfertigen: den Fingerzeig Gottes.

Sodann können wir an Papenheims Buch selbst ermessen, was die deutsche Wissenschaft verloren haben wird, sobald sich einmal die Juniorprofessur auf breiter Front durchgesetzt hat. Wer, so dürfen wir fragen, wird in Zukunft noch so solide und aufwendige Quellenarbeiten im Ausland durchführen können? Wer wird noch den Mut aufbringen, äußerlich periphere Themen mit den großen Fragen der europäischen Geschichte zu durchdringen? Schon bald niemand mehr. Aber die Habilitation lebt! Papenheims gediegene, gut lesbare Studie ist ein eindrucksvoller Beweis dafür, daß die deutsche Geschichtswissenschaft auf die wirklich anspruchsvolle Qualifikationsarbeit nicht verzichten sollte.

MARKUS VÖLKEL

Martin Papenheim: "Karrieren in der Kirche". Bischöfe in Nord- und Süditalien 1676-1903. Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, Band 93. Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2001. 435 S., geb., 66,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wie wird man Bischof? Gibt es für diesen Beruf ein festes Laufbahnprofil? Gibt es nicht, hat Markus Völkel in Erfahrung gebracht, handelt es sich doch eher um eine Berufung von höchster Stelle. Gar nicht genug loben kann man seiner Meinung nach diese vorzügliche Quellenstudie und zugleich Habilitationsschrift des Historikers Martin Papenheim. Schließlich habe der Vatikan seine Personalentscheidung immer mit höchster Geheimhaltung gehandhabt: In der Beziehung habe Papenheim ungeheure Interna zu Tage gefördert. Im Prinzip gab es nur zwei Modelle der Bischofsernennung, berichtet Völkel: entweder entschied der Papst mehr oder weniger im Alleingang oder ein Kurienausschuss befasste sich mit der Angelegenheit. Wie die Kirche ihre Interessen durchsetzte, unterschied sich nicht wesentlich vom Positionsgerangel innerhalb eines Staates, stellt Völkel fest. Einer war "des anderen Schüler und Meister", schreibt er und nutzt die Gelegenheit, Papenheims "gediegene" Studie gegen die geplante Juniorprofessur anzuführen, bei der für solcherlei entlegene Themen keine Zeit und keine Mittel mehr blieben.

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